Zusammenfassung von BGer-Urteil 6B_976/2024 vom 18. Dezember 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts im Detail zusammen:

Bundesgerichtsurteil 6B_976/2024 vom 18. Dezember 2025

1. Einleitung Das Bundesgericht hatte über eine Beschwerde in Strafsachen von A._ gegen ein Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich zu befinden. A._ wurde der mehrfachen Nötigung gemäss Art. 181 StGB und der mehrfachen Teilnahme an einer nicht bewilligten Veranstaltung schuldig gesprochen. Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab und bestätigte die erstinstanzliche Verurteilung.

2. Sachverhalt und Vorinstanzliches Urteil

Der Beschwerdeführer A.__ wurde in drei separaten Fällen strafrechtlich verurteilt:

  • 4. Oktober 2021, Uraniastrasse, Zürich: A._ beteiligte sich an einer von "Extinction Rebellion" organisierten Strassenblockade. Er parkte seinen Personenwagen mit Bootsanhänger mitten auf der Fahrbahn der Uraniastrasse 4, stellte den Anhänger quer und setzte sich mit weiteren Personen auf die Fahrbahn. Die Blockade dauerte von ca. 12:03 Uhr bis 15:11 Uhr. Die Polizei musste den Verkehr grossräumig umleiten. Trotz Abmahnung verliess A._ die Strasse nicht und musste von vier Polizisten weggetragen werden.
  • 5. Oktober 2021, Uraniastrasse/Rudolf-Brun-Brücke, Zürich: Am Folgetag nahm A.__ erneut an einer gleichartigen Aktion an derselben Hauptverkehrsachse teil (ca. 13:00 Uhr bis 13:25 Uhr). Um seine Wegweisung zu erschweren, klebte er seine Hand an diejenige eines anderen Demonstrierenden. Beide Aktionen führten dazu, dass der notorisch stark befahrene Übergang für den Individualverkehr nicht mehr passierbar war, was zu Staus und Umwegen zwang.
  • 2. August 2021, Paradeplatz, Zürich: A.__ beteiligte sich von ca. 06:01 Uhr bis 09:45 Uhr an einer Blockade verschiedener Zugänge zu den Grossbanken UBS Switzerland AG und Credit Suisse am Paradeplatz. Rund 200 Klimaaktivisten ketteten sich teilweise zusammen, fixierten sich an mitgebrachten Fässern oder Fahrrädern und verbanden sich mit PVC-Rohren und Kabelbindern ("Menschenblockaden"). Dies verunmöglichte Bankkunden und -mitarbeitenden den Zugang zu den Gebäuden und Automaten, zwang sie zu Umwegen oder Terminverschiebungen. Die Polizei benötigte bis ca. 13:20 Uhr zur Räumung der Blockaden.

Das Bezirksgericht Zürich sprach A.__ der mehrfachen Nötigung und der mehrfachen Teilnahme an einer nicht bewilligten Veranstaltung schuldig. Es widerrief eine bedingte Geldstrafe und verurteilte ihn zu einer Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen zu Fr. 100.-- sowie einer Busse von Fr. 500.--. Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte dieses Urteil.

3. Argumente des Beschwerdeführers A.__ rügte vor Bundesgericht eine Verletzung von Art. 181 StGB. Er machte geltend, die Erheblichkeitsschwelle der Einschränkung der Fortbewegungsfreiheit Dritter sei nicht erreicht. Umwege für Verkehrsteilnehmer seien marginal gewesen und im Falle der Bankblockade hätten andere Zugänge zur Verfügung gestanden, ähnlich wie in BGE 6B_138/2023. Er argumentierte weiter, seine Handlungen seien durch die Wahrnehmung seiner Versammlungsfreiheit (Art. 22 BV und Art. 11 EMRK) gerechtfertigt, da die Aktionen friedlich waren und ein hochaktuelles öffentliches Interesse (Klimakatastrophe) betrafen. Eine strafrechtliche Verurteilung stelle einen unverhältmässigen Eingriff in seine Grundrechte dar. Eventualiter berief er sich auf Notstand (Art. 17 StGB), Geringfügigkeit von Schuld und Tatfolgen (Art. 52 StGB) oder achtenswerte Beweggründe (Art. 48 StGB).

4. Detaillierte Begründung des Bundesgerichts

4.1. Objektiver Tatbestand der Nötigung (Art. 181 StGB)

  • Grundsätze: Das Bundesgericht erinnerte an die restriktive Auslegung der Tatbestandsvariante der "anderen Beschränkung der Handlungsfreiheit". Das Nötigungsmittel muss das üblicherweise geduldete Mass an Beeinflussung in seiner Intensität bzw. Wirkung den explizit genannten Mitteln (Gewalt, Androhung ernstlicher Nachteile) ähnlich überschreiten (BGE 141 IV 437 E. 3.2.1; 137 IV 326 E. 3.3.1). Das Schutzobjekt ist die Freiheit der Willensbildung und Willensbetätigung.
  • Anwendung auf die Strassenblockaden (4./5. Oktober 2021):
    • Das Gericht verwies auf seine gefestigte Rechtsprechung zur Nötigung im Strassenverkehr, die bereits in zahlreichen vergleichbaren Fällen eine Nötigung bejahte, so bei der Blockierung des Bareggtunnels (BGE 134 IV 216), einer Rheinbrücke für eine Stunde (Urteil 6B_793/2008) oder der Mont-Blanc-Brücke für 80 Minuten (Urteil 6B_112/2025, zur Publikation vorgesehen). Auch die Verurteilung einer Klimaaktivistin für eine Aktion an der Uraniastrasse und Quaibrücke in Zürich wurde jüngst bestätigt (Urteil 6B_1173/2023).
    • Die Blockade einer Hauptverkehrsachse in Zürich an einem Wochentag für fast fünf Stunden (4.10.) bzw. über eine Stunde (5.10.), die eine grossräumige polizeiliche Umleitung und das vollständige Erliegen des Verkehrs zur Folge hatte, überschreitet die Erheblichkeitsschwelle deutlich. Die gewählten Zwangsmittel – das quer gestellte Boot und das Ankleben der Hand zur Erschwerung der Wegweisung – sind in ihrer Intensität mit Gewalt vergleichbar. Die Behauptung des Beschwerdeführers, die Umwege seien marginal gewesen, wurde als appellatorisch zurückgewiesen, da sie dem verbindlichen Sachverhalt widerspricht.
  • Anwendung auf die Bankblockade (2. August 2021):
    • Die Blockade des Haupteingangs einer Grossbank, die Kunden und Mitarbeitende über Stunden am Betreten des Gebäudes hinderte, erfüllt ebenfalls den objektiven Tatbestand.
    • Das Bundesgericht differenzierte vom zitierten BGE 6B_138/2023, wo Kunden ein Einkaufszentrum problemlos über andere, nahegelegene Eingänge betreten konnten. Im vorliegenden Fall sei im Sinne des verbindlichen Sachverhalts nicht ersichtlich, dass Kunden die Bank über Nebeneingänge hätten betreten können, die üblicherweise Mitarbeitenden vorbehalten sind. Der nächste zugängliche Bankomat war 300 Meter entfernt.
    • Die Dauer der Blockade (A.__s Teilnahme: ca. 3 Stunden 45 Minuten, insgesamt über 7 Stunden), auch unter Berücksichtigung der Banköffnungszeiten und des Zugangs zu Automaten, überschreite die Erheblichkeitsschwelle deutlich. Die massiven Erschwernisse bei der Auflösung der Blockade durch Anketten, Fixieren an Fahrrädern und Verbinden mit PVC-Rohren und Kabelbindern, wertete das Gericht als Zwangsmittel von mit Gewalt vergleichbarer Intensität.

4.2. Rechtswidrigkeit der Nötigung und Versammlungsfreiheit

  • Grundsätze der Versammlungsfreiheit: Das Bundesgericht betonte die zentrale Bedeutung der Versammlungsfreiheit (Art. 22 BV, Art. 11 EMRK) für die demokratische Meinungsbildung. Diese Freiheit ist jedoch nicht absolut und kann eingeschränkt werden, wenn dies gesetzlich vorgesehen, im öffentlichen Interesse begründet und verhältnismässig ist (Art. 36 BV, Art. 11 Abs. 2 EMRK). Kundgebungen auf öffentlichem Grund, die den gesteigerten Gemeingebrauch darstellen, können einer Bewilligungspflicht unterliegen, um den reibungslosen Ablauf zu gewährleisten (BGE 151 I 257 E. 3.3.2 f.). Das Ahnden nicht bewilligter Demonstrationen ist grundsätzlich zulässig, sofern die Bestrafung in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist und die Bewilligungspflicht nicht zum Selbstzweck verkommt (EGMR Bumbeș gegen Rumänien). Die Behörden müssen eine gewisse Toleranz gegenüber friedlichen, nicht bewilligten Versammlungen zeigen, auch wenn diese zu Störungen des täglichen Lebens führen. Diese Toleranz bezieht sich jedoch auf die Ausübung der Versammlungsfreiheit, nicht aber auf mögliche Rechtsverstösse.
  • Anwendung auf die vorliegenden Fälle:
    • Unrechtmässigkeit der Mittel-Zweck-Relation: Die Nötigungsmittel (Blockaden von Strassen und Bankeingängen) waren widerrechtlich, da keine Bewilligung für die Demonstrationen auf öffentlichem Grund vorlag. Das Gericht beurteilte die Mittel-Zweck-Relation als offensichtlich unverhältnismässig. Das angestrebte Ziel, auf die Klimaproblematik aufmerksam zu machen, hätte auch mit legalen Mitteln erreicht werden können, beispielsweise am Strassenrand oder in Fussgängerzonen, oder durch vorgängige Einholung einer Bewilligung.
    • Fehlender Zusammenhang: Insbesondere bei der Bankblockade fehlte ein sachlicher Zusammenhang zwischen den Nötigungsmitteln und dem Ziel, da die betroffenen Bankkunden und -mitarbeitenden nicht direkt für die Klimaproblematik verantwortlich gemacht werden konnten.
    • Absichtliche Störung: Die Blockaden waren nicht ein notwendiger Nebeneffekt der Versammlung, sondern deren direktes Ziel ("den Verkehr in der Stadt Zürich lahmzulegen", "Kundenverkehr lahmzulegen"). Eine bewusste, über die unvermeidbaren Unannehmlichkeiten hinausgehende Störung des täglichen Lebens geniesst keinen privilegierten Schutz durch Art. 11 EMRK (EGMR Kudrevicius und weitere gegen Litauen, § 173).
    • Keine Rechtfertigung durch Grundrechte: Da A.__ sein verfassungsmässiges Recht auf Versammlungsfreiheit hätte ausüben können, ohne das öffentliche Leben übermässig zu stören, kann sein Verhalten nicht durch Art. 22 BV und Art. 11 EMRK gerechtfertigt werden.
  • Verhältnismässigkeit der Sanktion:
    • Die Verurteilung stützt sich auf eine ausreichende gesetzliche Grundlage (Art. 181 StGB) und verfolgte legitime Ziele (Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, Verkehrssicherheit, Schutz der Rechte Dritter).
    • Die Notwendigkeit des Eingriffs in die Grundrechte war gegeben, da die intentionalen Störungen das übliche Mass überschritten. Die Polizei hatte zudem ausreichend Toleranz gezeigt und die Demonstrationen für 1 bis 3 Stunden geduldet, was den Teilnehmern genügend Gelegenheit zur Meinungsäusserung bot.
    • Die verhängte Geldstrafe von 60 Tagessätzen (unter Einbezug einer Widerrufsstrafe) liegt am unteren Ende der Sanktionsskala und ist angesichts der Umstände (mehrfache, erhebliche Störungen, Vorstrafen) mit Art. 11 EMRK vereinbar.

4.3. Weitere Argumente (Notstand, Geringfügigkeit, achtenswerte Beweggründe)

  • Notstand (Art. 17 StGB): Das Bundesgericht verwies auf seine ständige Rechtsprechung, die eine Notstandssituation im Kontext des Klimawandels mit ausführlicher Begründung verneint hat (BGE 147 IV 297 E. 2.1-2.5). Der Beschwerdeführer konnte nicht nachvollziehbar darlegen, inwiefern das neuere EGMR-Urteil "Verein Klimaseniorinnen Schweiz und andere gegen Schweiz" eine Anpassung dieser Rechtsprechung rechtfertigen würde oder warum er von einer unmittelbaren Gefahr ausgegangen sein soll.
  • Geringfügigkeit (Art. 52 StGB) und achtenswerte Beweggründe (Art. 48 StGB): Das Bundesgericht lehnte diese Argumente ebenfalls ab. Es verwies auf vergleichbare Fälle (Urteile 6B_950/2024, 6B_1061/2021), in denen Geringfügigkeit oder achtenswerte Beweggründe verneint wurden. Die Dauer, die gewählten Örtlichkeiten und die Auswirkungen der Blockaden waren nicht geringfügig. Da legale Aktionsmöglichkeiten zur Verfügung standen, konnte dem Handeln des Beschwerdeführers kein achtenswerter Charakter im Sinne des Gesetzes zugesprochen werden.

5. Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte

Das Bundesgericht bestätigte die Verurteilung von A.__ wegen mehrfacher Nötigung und Teilnahme an nicht bewilligten Veranstaltungen. Die Essenz des Urteils ist wie folgt:

  • Erheblichkeit der Nötigung: Die Strassen- und Bankblockaden überschritten die strafrechtliche Erheblichkeitsschwelle, da sie zentrale Verkehrswege und den Zugang zu einer Grossbank für erhebliche Zeitspannen blockierten. Die angewandten Zwangsmittel (Boot, Anketten, Verkleben) waren in ihrer Intensität mit Gewalt vergleichbar.
  • Keine Rechtfertigung durch Versammlungsfreiheit: Die Handlungen waren nicht durch die Versammlungsfreiheit (Art. 22 BV, Art. 11 EMRK) gerechtfertigt. Die Nötigungsmittel (Blockaden) waren rechtswidrig, da keine Bewilligung vorlag, und standen in einem offensichtlichen Missverhältnis zum angestrebten Ziel. Die bewusste, übermässige Störung des öffentlichen Lebens geniesst keinen privilegierten Grundrechtsschutz, insbesondere da legale Alternativen zur Zielerreichung zur Verfügung standen.
  • Verhältnismässigkeit der Sanktion: Die verhängte Geldstrafe liegt am unteren Ende der Sanktionsskala und ist verhältnismässig. Die Verurteilung ist notwendig zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und zum Schutz der Rechte Dritter. Die Behörden hatten den Demonstranten zudem ausreichend Zeit zur Meinungsäusserung gewährt.
  • Ablehnung weiterer Argumente: Notstand, Geringfügigkeit der Tatfolgen und achtenswerte Beweggründe wurden unter Verweis auf die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichts und mangelnde Substantiierung abgelehnt.