Gerne fasse ich den bereitgestellten Urteilstext des Schweizerischen Bundesgerichts detailliert zusammen:
Detaillierte Zusammenfassung des Bundesgerichtsentscheids 6B_759/2025 vom 12. Dezember 2025
1. Einleitung und Prozessgeschichte
Der vorliegende Entscheid des Bundesgerichts betrifft ein Strafverfahren gegen A.____, einen französischen Staatsangehörigen, wegen versuchten Mordes (Art. 111 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB). Das Bundesgericht hatte im Wesentlichen über die Rügen der willkürlichen Sachverhaltsfeststellung, der unzutreffenden rechtlichen Qualifikation der Tat als versuchter Mord, die Strafzumessung und die Landesverweisung zu befinden.
In erster Instanz verurteilte das Kriminalgericht des Kreises Ost-Waadt den Beschwerdeführer A._ wegen schwerer Körperverletzung (Art. 122 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und ordnete eine Landesverweisung von zehn Jahren an. Auf Berufung des Ministère public, der eine Verurteilung wegen versuchten Mordes beantragte, reformierte das Kantonsgericht Waadt (Cour d'appel pénale) das erstinstanzliche Urteil. Es sprach A._ des versuchten Mordes schuldig, erhöhte die Freiheitsstrafe auf acht Jahre und bestätigte die Landesverweisung. Gegen dieses Urteil gelangte A.____ mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht.
2. Sachverhalt der Tat
Das Kantonsgericht stellte im Wesentlichen folgenden Sachverhalt fest: A.____ ist französischer Staatsangehöriger und wurde 1990 geboren. Sein Strafregister weist mehrere Verurteilungen in der Schweiz und Frankreich auf, hauptsächlich wegen Strassenverkehrs-, Betäubungsmittel- und Waffendelikten.
Am 1. März 2024 sollte der Intimierte B._ die von A. zur Verfügung gestellte Wohnung räumen und den einzigen Schlüssel zurückgeben. Bei seiner Ankunft stellte B._ fest, dass A. bereits alle seine Habseligkeiten vor die Wohnungstür gestellt hatte. B._ forderte daraufhin Respekt ein, woraufhin A. sich aufregte, in die Küche ging und mit einem grossen Messer zurückkehrte, welches er B._ unvermittelt in den Thorax stiess. B. konnte noch aus dem Gebäude fliehen, brach aber auf der Strasse zusammen. Er wurde sofort ins Spital gebracht und erlitt mehrere lebensgefährliche Verletzungen an inneren Organen, darunter einen Hämopneumothorax, eine diffuse Blutung der linken Niere, eine Zwerchfellverletzung und eine transfixierende Verletzung des Magens.
3. Rechtliche Erwägungen des Bundesgerichts
Das Bundesgericht prüfte die Rügen des Beschwerdeführers nach den Grundsätzen des Bundesrechts:
3.1. Willkürliche Sachverhaltsfeststellung (Art. 97 Abs. 1, 106 Abs. 2 BGG)
Das Bundesgericht ist eine reine Rechtsinstanz und überprüft Sachverhaltsfeststellungen nur, wenn sie offensichtlich unrichtig (willkürlich) sind oder auf einer Rechtsverletzung beruhen. Der Beschwerdeführer muss die Willkür präzise darlegen.
- Widersprüche in den Opfer Aussagen: Der Beschwerdeführer rügte, das Kantonsgericht habe Widersprüche in den Aussagen des Opfers nicht diskutiert. Das Bundesgericht hielt fest, das Kantonsgericht habe diese Widersprüche als geringfügig beurteilt und sie mit der Schwierigkeit, sich nach einer Messerattacke an periphere Details zu erinnern, erklärt. Die Version des Opfers sei überzeugender als die des Beschwerdeführers (versehentliche Verletzung beim Zwiebelschneiden). Das Bundesgericht sah darin keine Willkür.
- Unberücksichtigte oder willkürlich festgestellte Fakten: Der Beschwerdeführer rügte, das Kantonsgericht habe bestimmte Details (Ort der Habseligkeiten, Anzahl Gänge des Opfers, Zeitrahmen, Fundort des Messers) willkürlich festgestellt oder unberücksichtigt gelassen. Das Bundesgericht wies diese Rügen als appellatorisch und unzulässig (Art. 106 Abs. 2 BGG) ab, da diese angeblich willkürlichen Feststellungen keinen Einfluss auf den Ausgang des Verfahrens hätten.
- Abweisung der Version des Beschwerdeführers: Der Beschwerdeführer schilderte einen Streit, bei dem er versehentlich das Opfer verletzt habe, während er es abwehrte und ein Messer zum Zwiebelschneiden in der Hand hielt. Das Kantonsgericht hatte diese Version als unvereinbar mit der Wucht des Stichs und den verursachten schweren Verletzungen zurückgewiesen. Das Bundesgericht befand die Rügen des Beschwerdeführers, die lediglich seine bereits vorinstanzlich vorgetragene Version wiederholten, als rein appellatorisch und unzulässig.
3.2. Qualifikation als versuchter Mord (Art. 111, 22 Abs. 1, 12 Abs. 2 StGB)
- Rechtliche Grundlagen:
- Ein Versuch liegt vor, wenn der Täter alle subjektiven Tatbestandsmerkmale erfüllt und seinen Entschluss zur Tat manifestiert hat, die objektiven Merkmale aber ganz oder teilweise fehlen (Art. 22 Abs. 1 StGB). Eventualvorsatz (dol éventuel) genügt (Art. 12 Abs. 2 StGB): Der Täter hält die Verwirklichung des Delikts für möglich und nimmt sie für den Fall ihres Eintretens in Kauf. Bei fehlendem Geständnis wird der innere Wille aus äusseren Indizien und Erfahrungssätzen abgeleitet (z.B. Bedeutung des Risikos, Schwere der Sorgfaltspflichtverletzung, Motive, Handlungsweise).
- Argumentation des Kantonsgerichts: Das Kantonsgericht bejahte die Tötungsabsicht des Beschwerdeführers aufgrund der Wucht des Messerstichs in den Thorax des Opfers. Es stellte fest, dass die Gewalt des Stichs das eingegangene Risiko belegt. Während die erste Instanz die im Vorfeld geäusserten Drohungen als nicht ausreichend für die Tötungsabsicht erachtete (u.a. wegen der späteren Äusserung des Beschwerdeführers: "putain qu'est-ce que j'ai fait, t'es chiant, t'es con"), sah das Kantonsgericht diese Drohungen in Verbindung mit der Gewalt des Stichs als Beleg für die Tötungsabsicht. Es interpretierte die Äusserung des Beschwerdeführers nach der Tat als Ausdruck des Bewusstseins der Schwere der Tat ("putain qu'est-ce que j'ai fait") und der Verachtung für das Opfer ("t'es chiant, t'es con").
- Rügen des Beschwerdeführers und Beurteilung des Bundesgerichts:
- Drohungen: Der Beschwerdeführer rügte, die Tötungsabsicht werde willkürlich auf Drohungen gestützt, die nicht im Sachverhalt des kantonalen Urteils enthalten seien. Das Bundesgericht hielt fest, dass das Kantonsgericht die Drohungen festgestellt habe und der Beschwerdeführer die Willkür dieser Feststellung hätte beweisen müssen, was er unterliess.
- Interpretation der Äusserung: Die Rüge, die Interpretation seiner Äusserung ("putain...") als Bewusstsein der Schwere und Verachtung sei willkürlich, wies das Bundesgericht als blosse Gegeninterpretation ab, die keine Willkür darlege.
- Unberücksichtigte Elemente: Elemente wie Reue, Hilfeersuchen für das Opfer, Kontaktaufnahme mit dem Bruder des Opfers, Kooperation mit der Polizei und Entschuldigungen, die der Beschwerdeführer zur Widerlegung der Tötungsabsicht anführte, wurden vom Bundesgericht als nicht im kantonalen Sachverhalt enthalten und damit als unzulässig gerügt.
- Würdigung des Bundesgerichts und Querverweise zur Rechtsprechung:
- Das Bundesgericht verwies auf seine konstante Rechtsprechung, wonach niemand die Wahrscheinlichkeit eines tödlichen Ausgangs bei Messerstichen in den Brust- oder Bauchbereich (wo sich zahlreiche vitale Organe befinden) ignorieren kann. In solchen Fällen kann in der Regel geschlossen werden, dass der Täter den Tod des Opfers in Kauf genommen hat (z.B. BGE 109 IV 5 E. 2; Urteile 6B_951/2023, 6B_1093/2023, 6B_269/2023). Auch ein einziger Messerstich in den Thorax kann als vorsätzliche Tötung gewertet werden (z.B. Urteil 6B_775/2011).
- Im vorliegenden Fall stach der Beschwerdeführer das Opfer mit einem 16.5 cm langen Messer mit solcher Gewalt in den Thorax, dass mehrere Kleidungsschichten durchdrungen und mehrere lebensgefährliche innere Organe verletzt wurden. Angesichts der Gewalt der Handlung und des Zielbereichs war ein tödlicher Ausgang sehr wahrscheinlich, so dass der Beschwerdeführer sich dessen bewusst sein und ihn in Kauf nehmen musste. Die Tötungsabsicht (als Eventualvorsatz) ergibt sich somit bereits aus der Sachverhaltsfeststellung, unabhängig von den zuvor geäusserten Drohungen, welche die Absicht lediglich bestätigen.
- Fazit: Das Bundesgericht bestätigte, dass das Kantonsgericht ohne Willkür und ohne Verletzung von Bundesrecht die Tötungsabsicht bejaht und den Beschwerdeführer des versuchten Mordes schuldig gesprochen hat. Die Argumentation des Beschwerdeführers, er hätte wegen fahrlässiger oder einfacher schwerer Körperverletzung verurteilt werden müssen, wurde als unbegründet abgewiesen.
3.3. Strafzumessung (Art. 47 StGB)
- Rechtliche Grundlagen: Das Bundesgericht wies auf die Grundsätze der Strafzumessung gemäss Art. 47 StGB hin, wonach der Richter das Verschulden des Täters zu berücksichtigen hat und in seinem Ermessen weitgehend frei ist (Verweis auf BGE 149 IV 217, 144 IV 313).
- Argumentation des Kantonsgerichts: Das Kantonsgericht qualifizierte das Verschulden des Beschwerdeführers als extrem schwer, hob die Nichtigkeit des Motivs (Streit um Respekt bzw. Verspätung) hervor, die sofortige Flucht nach Frankreich ohne Sorge um den Zustand des blutenden Opfers, das Fehlen einer wirklichen Einsicht in die Schwere der Tat und die belastenden Vorstrafen.
- Rügen des Beschwerdeführers und Beurteilung des Bundesgerichts:
- Nichtigkeit des Motivs: Der Beschwerdeführer bestritt, dass der Streit um Respekt gegangen sei, sondern um die Verspätung des Opfers. Das Bundesgericht wies diese Rüge als unzulässige Abweichung vom Sachverhalt ab und bemerkte zudem, dass auch eine Verspätung ein völlig nichtiges Motiv für einen Messerstich sei.
- Sorge um das Opfer/Reue: Der Beschwerdeführer führte an, er habe seinen Mitbewohner zur Hilfe gerufen, Kontakt mit dem Bruder des Opfers aufgenommen, sich erkundigt und bei der Polizei kooperiert. Das Bundesgericht wies diese Argumentation als unzulässig ab, da sie auf Elementen basiere, die nicht im kantonalen Sachverhalt enthalten seien. Zudem sei ein gutes Verhalten in Haft nichts Aussergewöhnliches.
- Fazit: Die Freiheitsstrafe von acht Jahren wurde angesichts der Umstände als nicht übermässig streng beurteilt. Das Kantonsgericht habe die Strafe detailliert und vollständig begründet. Der Vorwurf der Verletzung von Art. 47 StGB wurde als unbegründet abgewiesen.
3.4. Landesverweisung
- Rüge bezüglich der Qualifikation: Der Beschwerdeführer hatte argumentiert, er hätte wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung (Art. 123 StGB) verurteilt werden müssen, welche nicht zu einer obligatorischen Landesverweisung gemäss Art. 66a StGB führt. Diese Rüge wurde durch die Bestätigung der Verurteilung wegen versuchten Mordes hinfällig.
- Freizügigkeitsabkommen (FZA) – Art. 5 § 1 Anhang I: Als französischer Staatsangehöriger berief sich der Beschwerdeführer auf das FZA und machte geltend, er stelle keine gegenwärtige und tatsächliche Gefahr für die Allgemeinheit dar.
- Beurteilung des Bundesgerichts:
- Der Beschwerdeführer wurde wegen versuchten Mordes zu acht Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, einer sehr schweren Straftat, die das höchste Rechtsgut – das menschliche Leben – betrifft.
- Zahlreiche Vorstrafen (Strassenverkehrs-, Betäubungsmitteldelikte) zeugen von einer wiederholten Missachtung der schweizerischen Rechtsordnung.
- Gemäss Sachverhaltsfeststellung hat der Beschwerdeführer keine wirkliche Einsicht in die Schwere seiner Tat gezeigt.
- Fazit: Angesichts dieser Umstände wurde bejaht, dass der Beschwerdeführer eine gegenwärtige und tatsächliche Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt. Das FZA steht seiner Landesverweisung daher nicht entgegen.
4. Schlussfolgerung des Bundesgerichts
Das Bundesgericht wies die Beschwerde, soweit sie zulässig war, ab. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wurde mangels Erfolgsaussichten abgelehnt. Die Gerichtskosten wurden dem Beschwerdeführer auferlegt, wobei deren Höhe aufgrund seiner angespannten finanziellen Lage reduziert wurde.
Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:
Das Bundesgericht bestätigte die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und einer zehnjährigen Landesverweisung. Es hielt fest, dass der Eventualvorsatz zur Tötung aufgrund der massiven Gewalt des Stichs in den Thorax des Opfers, der lebensgefährliche Verletzungen verursachte, klar gegeben war und durch die konstante Rechtsprechung zu Messerstichen in vitale Körperbereiche gestützt wird. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten alternativen Sachverhaltsdarstellungen und mildernden Umstände wurden als unzulässig oder unerheblich abgewiesen. Die Strafzumessung wurde als im weiten Ermessensspielraum der Vorinstanz liegend beurteilt. Die Landesverweisung wurde trotz des Freizügigkeitsabkommens als rechtmässig befunden, da der Beschwerdeführer angesichts der sehr schweren Straftat und seiner Vorstrafen eine gegenwärtige und tatsächliche Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt.