Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des schweizerischen Bundesgerichts detailliert zusammen:
Zusammenfassung des Bundesgerichtsurteils 7B_94/2025 vom 8. Dezember 2025
1. Einleitung und Parteien
Das vorliegende Urteil der II. strafrechtlichen Abteilung des Schweizerischen Bundesgerichts befasst sich mit einer Beschwerde in Strafsachen der A.__ AG (Beschwerdeführerin) gegen einen Entscheid des Kantonalen Zwangsmassnahmengerichts Bern (ZMG) vom 13. Dezember 2024, welcher die Entsiegelung sichergestellter Daten betrifft. Beschwerdegegnerin ist die Bundesanwaltschaft.
2. Sachverhalt und Verfahrensgeschichte
- Ausgangslage: Die Bundesanwaltschaft (BA) führt eine Untersuchung gegen B._, C._ und unbekannte Täterschaft wegen des Verdachts auf ungetreue Geschäftsbesorgung und Bestechung fremder Amtsträger. Es besteht der Verdacht, dass 1.6 Mio. Euro an einen Entscheidungsträger der staatlichen D._ Company gezahlt wurden, um der A._ AG im Zusammenhang mit Aufträgen in Katar (Ausbau des öffentlichen Verkehrs) wirtschaftliche Vorteile zu verschaffen.
- Sicherstellung und Siegelung: Am 8. Oktober 2020 stellte die Bundeskriminalpolizei eine forensische Kopie der gesamten geschäftlichen E-Mail-Box von E._ (Zeitspanne 2015-2017) sicher. E._ wird als direkt und in führender Stellung in den untersuchten Sachverhalt involvierte Person beschrieben. Die A.__ AG verlangte daraufhin die Siegelung der Daten.
- Entsiegelungsgesuch und Begehren der A.__ AG: Die BA beantragte am 21. Oktober 2020 beim ZMG die Entsiegelung der Daten. Die A.__ AG stellte umfangreiche Rechtsbegehren, im Wesentlichen fordernd:
- Aussonderung und Löschung von Daten, die identisch in früheren Entsiegelungsverfahren (KZM 20 168, KZM 20 261) vorkommen und dort bereits zur Aussonderung verlangt wurden (sog. "Duplikate").
- Beschränkung der Durchsuchung auf eine gezielte Stichwortsuche (ähnlich der bereits in KZM 20 168 verwendeten, jedoch ohne spezifische Suchbegriffe F._, G._ und H.__), mit Aussonderung und Löschung aller nicht darauf ansprechenden Daten.
- Aussonderung und Löschung bzw. Schwärzung sämtlicher durch das Anwaltsgeheimnis geschützter Daten, die in mehreren Annexes spezifisch bezeichnet wurden.
- Verfahren vor dem Zwangsmassnahmengericht: Das ZMG beauftragte die Bundeskriminalpolizei im Januar 2022 mit der Datenvorbereitung zur Triage. Nach erheblichem Zeitverzug – der zu einer Rechtsverzögerungsbeschwerde der BA beim Bundesgericht führte, welche mit Urteil 7B_484/2023 vom 3. Juni 2024 gutgeheissen wurde und das ZMG zur unverzüglichen Entscheidung bis Ende 2024 anhielt – nahm das ZMG schliesslich im Herbst/Winter 2024 die Triage vor.
- Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts vom 13. Dezember 2024:
- Das ZMG wies das Entsiegelungsgesuch ab für:
- Sämtliche Dateien, die identisch bereits Gegenstand der Entsiegelungsverfahren KZM 20 168 oder KZM 20 261 waren (übereinstimmender MD5-Hashwert), sofern sie gemäss Triage in diesen Verfahren ausgesondert wurden.
- Sämtliche Dateien, die gemäss Triage unter das Anwaltsgeheimnis fallen. (Dispositiv-Ziffer 1)
- Soweit weitergehend, insbesondere betreffend Dateien, die gemäss Triage nicht unter das Anwaltsgeheimnis fallen, hiess es das Entsiegelungsgesuch gut. (Dispositiv-Ziffer 2)
- Es ordnete die Herausgabe der freigegebenen Daten an die BA nach Ablauf der Rechtsmittelfrist an. (Dispositiv-Ziffer 3)
3. Rechtsbegehren der Beschwerdeführerin vor Bundesgericht
Die A.__ AG beantragte die Aufhebung der Dispositiv-Ziffer 2 des ZMG-Entscheids und erneuerte im Wesentlichen ihre ursprünglichen Begehren bezüglich:
1. Aussonderung/Löschung/Schwärzung identischer Daten aus Parallelverfahren.
2. Aussonderung/Löschung von Daten, die nicht auf spezifische Stichworte ansprechen.
3. Aussonderung/Löschung/Schwärzung sämtlicher durch das Anwaltsgeheimnis geschützter Daten.
4. Erwägungen des Bundesgerichts
4.1. Zulässigkeit der Beschwerde
Das Bundesgericht trat auf die Beschwerde ein, da es sich um einen Entscheid über die Entsiegelung von Aufzeichnungen handelt, die in einem strafprozessualen Untersuchungsverfahren sichergestellt wurden (Art. 248a Abs. 1 lit. a und Abs. 4 StPO i.V.m. Art. 380 StPO). Die Beschwerdeführerin ist an der E-Mail-Box berechtigt und somit beschwerdelegitimiert (Art. 81 Abs. 1 BGG). Der angefochtene Entscheid, soweit er die Beschwerdeführerin betrifft, stellt einen anfechtbaren Teilentscheid gemäss Art. 91 lit. b BGG dar.
4.2. Materielle Prüfung durch das Bundesgericht
I. Verletzung des Verhältnismässigkeitsprinzips (Ablehnung der Stichwortsuche und Aussonderung von Fast-Duplikaten)
- Argument der Beschwerdeführerin: Die Vorinstanz habe das Verhältnismässigkeitsprinzip verletzt, indem sie die Anwendung einer vordefinierten, kombinierten Stichwortsuche auf die Daten der Mailbox abgelehnt und sogenannte "Fast-Duplikate" (Dokumente mit 99% Übereinstimmung) nicht ausgesondert habe.
- Begründung der Vorinstanz (wie vom Bundesgericht zusammengefasst):
- Der "Deliktskonnex" bzw. die potenzielle Beweisrelevanz der Mailbox ergebe sich aus der Person des Verwenders (E.__), der direkt und in führender Stellung in den untersuchten Sachverhalt involviert sei. Es sei wahrscheinlich, dass sich untersuchungsrelevante Aufzeichnungen in der Mailbox befänden.
- Es wäre Aufgabe der Beschwerdeführerin gewesen, substanziiert darzulegen, welche Daten offensichtlich irrelevant seien, anstatt umgekehrt eine Filterung auf Positivtreffer einer Stichwortsuche zu beantragen.
- Die Qualität einer Stichwortliste sei im Voraus schwer einschätzbar, und es bestehe das Risiko der Verwendung von Abkürzungen, Spitznamen oder Codes.
- Die Bundesanwaltschaft könne nicht darauf behaftet werden, dass sie in anderen Verfahren eine Stichwortsuche angewendet habe; die Parameter für eine firmeneite Durchsuchung (KZM 20 168) seien andere als für die Mailbox eines mutmasslich involvierten CEO.
- Für die Aussonderung von "Fast-Duplikaten" gebe es keine Grundlage, da eine 99%-Übereinstimmung nicht ausreiche; die verbleibenden 1% Abweichung könnten fallrelevante Kommentare oder Informationen enthalten.
- Die Bedeutung der Straftat (Verbrechen nach Art. 322septies StGB und Vergehen nach Art. 158 StGB) rechtfertige die Zwangsmassnahme. Auch wenn die A._ AG oder E._ nicht beschuldigte Personen seien, genüge die Nähe zum Sachverhalt ("beschuldigtenähnliche Auskunftspersonen").
- Rechtliche Würdigung des Bundesgerichts:
- Das Bundesgericht wiederholte die Grundsätze strafprozessualer Zwangsmassnahmen gemäss Art. 197 StPO: hinreichender Tatverdacht, Verhältnismässigkeit (Geeignetheit, Erforderlichkeit, Zumutbarkeit). Bei nicht beschuldigten Personen sei besondere Zurückhaltung geboten (Art. 197 Abs. 2 StPO).
- Die potenzielle Beweiserheblichkeit ("Deliktskonnex") sei für jede Sicherstellung einzeln zu prüfen. Offensichtlich irrelevante Sicherstellungen (z.B. rein privates Telefon bei Geschäftsverbrechen) seien nicht zu entsiegeln. Hingegen sei keine detaillierte Vorprüfung von Teilmengen innerhalb einer relevanten Sicherstellung (z.B. einzelne Fotos in einem relevanten Mobiltelefon) durch das ZMG praktikabel. Die Staatsanwaltschaft müsse sich bei der Durchsuchung auf verfahrensrelevante Inhalte beschränken.
- Das Bundesgericht bestätigte in Anlehnung an seine Rechtsprechung (vgl. Urteil 7B_31/2025 vom 13. August 2025 E. 2.5.3 f., zur Publikation vorgesehen), dass das ZMG bei der Abwägung zwischen Strafverfolgungsinteresse und Grundrechtseingriff über einen Ermessensspielraum verfügt.
- Anwendung auf den Fall: Die Beschwerdegegnerin habe die potenzielle Relevanz der geschäftlichen Mailbox E.__ einlässlich begründet. Die Beschwerdeführerin habe es versäumt, aufzuzeigen, weshalb einzelne Aufzeichnungen offensichtlich unerheblich sein sollten. Die Ablehnung einer generellen Stichwortsuche sowie die Nicht-Aussonderung von "Fast-Duplikaten" durch die Vorinstanz hält gemäss Bundesgericht vor dem Verhältnismässigkeitsprinzip stand.
II. Schutz des Anwaltsgeheimnisses (Vorbestehende Dokumente als Attachments)
- Argument der Beschwerdeführerin: Die Vorinstanz habe Art. 264 Abs. 1 lit. d StPO verletzt, indem sie "vorbestehende Dokumente" nach der händischen Triage nicht unter den Schutz des Anwaltsgeheimnisses gestellt habe, obwohl sie als Attachments zu schützenswerter Anwaltskorrespondenz vorlagen.
- Begründung der Vorinstanz (wie vom Bundesgericht zusammengefasst, mit Verweis auf KZM 20 168):
- Dokumente, die nicht mandatsbezogen oder nicht im Hinblick auf eine rechtliche Beratung erstellt wurden, seien nicht geschützt.
- Insbesondere vorbestehende Dokumente, die zeitlich vor oder unabhängig von einer anwaltlichen Beratung entstanden seien, könnten nicht nachträglich in den Schutzbereich des Anwaltsgeheimnisses einbezogen werden, indem sie der Anwaltskorrespondenz beigelegt, besprochen oder analysiert würden. Sie könnten beschlagnahmt werden, unabhängig von ihrem Standort.
- Dies gelte auch für Anhänge oder Beilagen von grundsätzlich schützenswerten E-Mails oder an den Rechtsanwalt weitergeleiteten E-Mail-Threads, sofern diese vorbestehende Beweisdokumente darstellen.
- Die Vorinstanz habe diese Differenzierung bei ihrer Triage vorgenommen.
- Rechtliche Würdigung des Bundesgerichts:
- Das Bundesgericht führte die rechtlichen Grundlagen des Anwaltsgeheimnisses gemäss Art. 264 Abs. 1 lit. d StPO und Art. 171 Abs. 1 StPO aus. Es betonte, dass der Schutz sich auf alle berufstypischen anwaltlichen Tätigkeiten erstreckt, einschliesslich Rechtsberatung und Sachverhaltsermittlung (BGE 150 IV 470 E. 3.1).
- Als "Anwaltskorrespondenz" gelte alles, was in das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Anwältin/Anwalt und Klientschaft eingebracht wird, in ihm entsteht oder aus ihm hervorgeht. Dies umfasse namentlich E-Mails und deren Anhänge (BGE 150 IV 470 E. 4.1).
- Wichtige Abgrenzung: Beweismittel können nicht dadurch dem Zugriff der Strafbehörden entzogen werden, dass sie nachträglich in das Vertrauensverhältnis eingeführt werden (z.B. durch blosse Besprechung oder Zustellung einer Kopie ohne weiteren Mandatsbezug) oder gar rechtsmissbräuchlich versteckt werden sollen (BGE 150 IV 470 E. 4.1).
- Anwendung auf den Fall: Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass die Vorinstanz Bundesrecht verletzt habe, indem sie Attachments zu geschützter Anwaltskorrespondenz, die "vorbestehende" Beweisdokumente darstellen, unbesehen ihres Speicherortes zur Durchsuchung freigab.
- Differenzierung des Bundesgerichts: Bei den an die E-Mails angehängten Dokumenten handelt es sich um Kopien von Daten. Diese Kopien entstehen (erst) im Rahmen des besonderen Vertrauensverhältnisses und sind somit durch das Anwaltsgeheimnis geschützt (vgl. BGE 150 IV 470 E. 4.3). Sofern die Originale der Attachments jedoch auf den (im Parallelverfahren KZM 20 168) sichergestellten Serverdaten der Beschwerdeführerin enthalten sind, stehe nichts dagegen, dass sie dort durchsucht werden. Die Beschwerde erweist sich in diesem Punkt als begründet.
III. Einsichtsrecht in die Triage
- Argument der Beschwerdeführerin: Die Beschwerdeführerin rügte eine fehlende Einsicht in das Vorgehen der "händischen" und "technischen" Triage sowie in die spezifischen Ergebnisse.
- Rechtliche Würdigung des Bundesgerichts:
- Das Bundesgericht erinnerte an den Anspruch auf rechtliches Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV, der eine Begründungspflicht der Behörden umfasst. Diese verlange, dass die wesentlichen Überlegungen, die zum Entscheid führten, genannt werden, jedoch nicht, dass jede tatsächliche Behauptung oder jeder rechtliche Einwand widerlegt werde (BGE 149 V 156 E. 6.1; 147 IV 409 E. 5.3.4).
- Anwendung auf den Fall: Der angefochtene Entscheid enthalte eine hinreichende Umschreibung der freizugebenden bzw. auszusondernden Aufzeichnungen. Die Vorinstanz habe nachvollziehbar dargelegt, welche Dateien auszusondern bzw. zu schwärzen und löschen seien. Die Beschwerdeführerin habe nicht behauptet, dass ihr die (nachträgliche) Einsicht in das Ergebnis der Triage verweigert worden sei und auch nicht anhand von Stichproben konkret aufgezeigt, weshalb die Triage fehlerhaft gewesen sei. Eine Gehörsverletzung sei daher nicht ersichtlich. Technische Schwierigkeiten während der Triage änderten daran nichts.
5. Entscheid des Bundesgerichts
Das Bundesgericht hiess die Beschwerde teilweise gut. Es hob den Entscheid des Kantonalen Zwangsmassnahmengerichts Bern vom 13. Dezember 2024 auf und wies die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurück. Diese wird sämtliche Attachments zu geschützter Anwaltskorrespondenz aussondern müssen. Im Übrigen wurde die Beschwerde abgewiesen. Die Gerichtskosten wurden der Beschwerdeführerin teilweise auferlegt (Fr. 3'000.–), und die Schweizerische Eidgenossenschaft (Bundesanwaltschaft) wurde verpflichtet, der Beschwerdeführerin eine reduzierte Parteientschädigung (Fr. 750.–) für das bundesgerichtliche Verfahren zu entrichten.
Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:
- Verhältnismässigkeitsprinzip: Das Bundesgericht bestätigte die Ablehnung einer generellen Stichwortsuche und der Aussonderung von "Fast-Duplikaten" durch die Vorinstanz. Die potenzielle Beweiserheblichkeit der gesamten Mailbox eines mutmasslich involvierten Managers rechtfertigt eine umfassendere Durchsuchung, sofern keine konkrete Irrelevanz von Daten dargelegt wird.
- Anwaltsgeheimnis: Das Bundesgericht stellte eine Rechtsverletzung durch die Vorinstanz fest. Es präzisiert, dass "vorbestehende Dokumente", die als Attachments an geschützte Anwaltskorrespondenz angefügt werden, selbst dem Anwaltsgeheimnis unterliegen, da sie in dieser Form Teil des besonderen Vertrauensverhältnisses werden. Originale solcher Dokumente, die an anderen Orten gespeichert sind, können hingegen separat beschlagnahmt werden.
- Einsichtsrecht in die Triage: Eine Gehörsverletzung wurde nicht festgestellt, da die Begründung der Vorinstanz zur Triage als ausreichend erachtet wurde und die Beschwerdeführerin keine konkreten Mängel der Triageergebnisse aufzeigen konnte.
- Ergebnis: Die Sache wird an die Vorinstanz zurückgewiesen, um die Attachments zu privilegierter Anwaltskorrespondenz korrekt auszusondern.