Zusammenfassung von BGer-Urteil 7B_92/2025 vom 8. Dezember 2025

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Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 7B_92/2025, 7B_93/2025 vom 8. Dezember 2025 Parteien und Gegenstand

Beschwerdeführer 1: A._ (vertreten durch Advokaten Dr. Daniel Häring und Jan Bangert) Beschwerdeführerin 2: B._ AG (vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Oliver M. Brupbacher) Beschwerdegegnerin: Bundesanwaltschaft Gegenstand: Entsiegelung von sichergestellten Aufzeichnungen und Gegenständen im Rahmen eines Strafverfahrens.

Sachverhalt und Verfahrenshistorie

Die Bundesanwaltschaft (BA) führt eine Untersuchung gegen A._, C._ und unbekannte Täterschaft wegen des Verdachts auf ungetreue Geschäftsbesorgung sowie Bestechung fremder Amtsträger. Im Zentrum steht der Verdacht, dass einem Entscheidungsträger einer staatlichen Gesellschaft in Katar (D._ Company) rund 1.6 Millionen Euro bezahlt wurden, um der B._ AG wirtschaftliche Vorteile bei Aufträgen zum Ausbau des öffentlichen Verkehrs zu sichern.

Am 21. Januar 2020 wurden die Geschäftsräumlichkeiten der B._ AG durchsucht und diverse Gegenstände sowie Unterlagen sichergestellt. Die B._ AG und A.__ verlangten daraufhin die Siegelung der Asservate. Die BA beantragte am 10. Februar 2020 beim Kantonalen Zwangsmassnahmengericht Bern (KZM) die Entsiegelung spezifischer Positionen (logische forensische Kopien, Dokumentenmappen und Notizbücher).

Im Verlauf des langwierigen Verfahrens, das zwischenzeitlich wegen Verletzung des Beschleunigungsgebots vom Bundesgericht gerügt wurde (Urteil 7B_484/2023 vom 3. Juni 2024), stellten die Parteien diverse Rechtsbegehren. Die Beschwerdeführer verlangten u.a. die Abweisung der Entsiegelung von Daten vor dem 1. Januar 2015 bzw. 2016, die Filterung von Mailbox-Daten mittels Stichwortsuche (unter Ausschluss bestimmter Stichworte) und die Aussonderung bzw. Schwärzung von Dokumenten, die dem Anwaltsgeheimnis unterliegen. Die BA zog ihrerseits Teile der Entsiegelungsanträge zurück, insbesondere für Daten vor dem 1. Januar 2015 und solche, die nicht auf eine spezifische Stichwortsuche ansprachen.

Das KZM entschied am 13. Dezember 2024: 1. Es schrieb das Entsiegelungsgesuch als gegenstandslos ab, soweit Daten bestimmte Kriterien (Nichtansprechen auf kombinierte Stichwortsuche, "Top Level Item Date" vor 1. Januar 2015) erfüllten und ordnete deren Löschung an. 2. Es wies das Entsiegelungsgesuch bezüglich sämtlicher Dateien ab, die gemäss vorgenommener Triage unter das Anwaltsgeheimnis fielen, und ordnete deren Aussonderung bzw. Schwärzung und Löschung an. 3. Soweit weitergehend, insbesondere betreffend Dateien, die nicht unter das Anwaltsgeheimnis fielen, hiess es das Entsiegelungsgesuch gut. 4. Gegenüber A.__ hiess es das Entsiegelungsgesuch gut.

Gegen diesen Entscheid erhoben A._ und die B._ AG Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht.

Erwägungen des Bundesgerichts 1. Vereinigung der Verfahren

Das Bundesgericht vereinigte die beiden Verfahren (7B_92/2025 und 7B_93/2025) aufgrund ihres engen sachlichen Zusammenhangs gemäss Art. 71 BGG i.V.m. Art. 24 Abs. 2 lit. b BZP.

2. Zulässigkeit der Beschwerden
  • B.__ AG (Beschwerdeführerin 2): Da die Beschwerdeführerin 2 nicht Partei des Strafverfahrens ist, qualifizierte das Bundesgericht den angefochtenen Entscheid als Teilentscheid gemäss Art. 91 lit. b BGG, welcher grundsätzlich anfechtbar ist. Die Beschwerde der B.__ AG wurde daher als zulässig erachtet.
  • A.__ (Beschwerdeführer 1): Für A._ handelte es sich um einen Zwischenentscheid, da das Strafverfahren gegen ihn noch nicht abgeschlossen ist. Eine solche Beschwerde ist gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG nur zulässig, wenn der Entscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann. Ein solcher Nachteil wird bei der Entsiegelung von Aufzeichnungen mit Geheimnisschutzgründen (Art. 264 StPO) angenommen, da die Offenbarung eines Geheimnisses nicht rückgängig gemacht werden kann. A._ machte geltend, dass der angefochtene Entscheid Korrespondenzen aus "seinem" Verkehr mit den Anwälten der B._ AG entsiegele und er sich als ehemaliges Organ der B._ AG auf das Anwaltsgeheimnis berufen könne. Das Bundesgericht verneinte dies jedoch. A._ habe nicht schlüssig dargelegt, dass der Entsiegelung eigene Geheimhaltungsinteressen entgegenstehen. Er habe vielmehr im Rahmen eines Mandats für die B._ AG mit Anwälten korrespondiert, was in den Schutzbereich des Anwaltsgeheimnisses der Beschwerdeführerin 2 falle. Seine Rolle als Beschuldigter im Strafverfahren sei in diesem Kontext unerheblich. Folglich wurde auf die Beschwerde von A.__ nicht eingetreten.
3. Begründungspflicht

Das Bundesgericht erinnerte an die qualifizierte Begründungspflicht bei der Rüge von Grundrechtsverletzungen (Art. 106 Abs. 2 BGG) und die Beschränkung auf den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt (Art. 105 Abs. 1 BGG), sofern dieser nicht offensichtlich unrichtig (willkürlich) ist.

4. Inhaltliche Rügen der Beschwerdeführerin 2 4.1. Verletzung des Verhältnismässigkeitsprinzips und des Willkürverbots (Stichwortsuche auf Mailboxen)

Die B.__ AG rügte eine Verletzung des Verhältnismässigkeitsprinzips und des Willkürverbots, weil das KZM die Anwendung einer vordefinierten, kombinierten Stichwortsuche auf die Daten der sieben verbleibenden Mailboxen diverser (ehemaliger) Mitarbeitenden abgelehnt hatte.

Das Bundesgericht hielt fest: * Strafprozessuale Zwangsmassnahmen (Sicherstellung, Durchsuchung, Beschlagnahme) erfordern gemäss Art. 197 StPO einen hinreichenden Tatverdacht und müssen verhältnismässig sein. Bei nicht beschuldigten Personen ist besonders Zurückhaltung geboten. * Für die Entsiegelung ist die potentielle Beweiserheblichkeit (sog. "Deliktskonnex") massgebend. Diese ist für jede Sicherstellung einzeln zu prüfen, nicht für Teilmengen innerhalb einer Sicherstellung. Es ist unvermeidlich, dass bei einer Durchsuchung auch irrelevante Inhalte gesichtet werden. Die Staatsanwaltschaft muss sich dabei von Amtes wegen auf die Suche nach relevanten Inhalten beschränken. * Das KZM begründete die Ablehnung der erweiterten Stichwortsuche damit, dass die potentielle Relevanz der betroffenen (geschäftlichen) Mailboxen sich aus der Person des Verwenders ergebe, da es sich um involvierte Personen handle. Es sei die Aufgabe der B._ AG gewesen, die ihrer Ansicht nach offensichtlich irrelevanten Daten genau und substanziiert zu bezeichnen, was mit einem blossen Antrag auf Filterung mittels Stichwortsuche nicht geschehen sei. Zudem bestehe das Risiko, dass eine Stichwortliste wichtige Informationen verpasse (Abkürzungen, Spitznamen, Codes). Angesichts der Schwere der Vorwürfe (Verbrechen der Bestechung fremder Amtsträger, 1.6 Mio. Euro Bestechungssumme) sei die Zwangsmassnahme gerechtfertigt. * Das Bundesgericht bestätigte diese Auffassung. Die B._ AG habe nicht aufgezeigt, weshalb die einzelnen Aufzeichnungen für die Strafuntersuchung offensichtlich unerheblich sein sollen. Soweit das KZM die Entsiegelung in zeitlicher Hinsicht (Daten vor dem 1. Januar 2015) eingeschränkt habe, halte dies dem Verhältnismässigkeitsgebot stand. Eine Rechtsverletzung wegen der unterschiedlichen Anwendung von Stichwortsuchen auf Server- und Mailbox-Daten sei nicht schlüssig begründet worden. Die Rüge wurde abgewiesen.

4.2. Verletzung von Art. 264 Abs. 1 lit. d StPO (vorbestehende Dokumente und Anwaltsgeheimnis)

Die B.__ AG rügte eine Verletzung des Anwaltsgeheimnisses, da das KZM vorbestehende Dokumente nach der händischen Triage nicht unter dessen Schutz gestellt habe.

Das Bundesgericht legte dar: * Gemäss Art. 264 Abs. 1 lit. d StPO dürfen Gegenstände und Unterlagen aus dem Verkehr einer Person (ausser der beschuldigten) mit ihrer Anwältin oder ihrem Anwalt nicht beschlagnahmt werden, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind (Anwalt zur Vertretung berechtigt, nicht selbst beschuldigt). * Das Anwaltsgeheimnis schützt Geheimnisse, die einer Rechtsanwältin oder einem Rechtsanwalt sowie deren Hilfspersonen aufgrund ihres Berufes anvertraut wurden oder die sie in dessen Ausübung wahrgenommen haben (Art. 171 Abs. 1 StPO). Es umfasst alle berufstypischen anwaltlichen Tätigkeiten, einschliesslich der Rechtsberatung und der Sachverhaltsermittlung (Verweis auf BGE 150 IV 470 E. 3.1). * Als Anwaltskorrespondenz gilt alles, was in das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Klientschaft eingebracht wird, in ihm entsteht oder aus ihm hervorgeht. Dies umfasst auch E-Mails und deren Anhänge (Verweis auf BGE 150 IV 470 E. 4.1). * Das Bundesgericht präzisierte jedoch die Grenze des Schutzes: Beweismittel können nicht dadurch dem Zugriff der Strafbehörden entzogen werden, dass sie nachträglich in das vom Anwaltsgeheimnis geschützte Vertrauensverhältnis eingeführt werden (z.B. durch blosse Weiterleitung von Originaldokumenten an den Anwalt zum Zwecke des Versteckens). * Das KZM hatte argumentiert, dass nicht mandatsbezogene und vor oder unabhängig von einer anwaltlichen Beratung erstellte "vorbestehende Dokumente" nicht geschützt seien, selbst wenn sie der Anwaltskorrespondenz beigelegt, besprochen oder analysiert würden. Es sah dies auch für Anhänge von ansonsten schützenswerten E-Mails oder weitergeleitete E-Mail-Threads als anwendbar an, sofern diese vorbestehende Beweisdokumente darstellten. * Hier korrigierte das Bundesgericht die Vorinstanz: Das KZM verletzte Bundesrecht, indem es Attachments zu geschützter Anwaltskorrespondenz, die "vorbestehende" Beweisdokumente darstellen, unbesehen ihres Speicherortes zur Durchsuchung freigab. Solche angehängten Dokumente sind Kopien von Daten, die (erst) im Rahmen des besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen Rechtsvertretung und Klientschaft entstanden und damit durch das Anwaltsgeheimnis geschützt sind (Verweis auf BGE 150 IV 470 E. 4.3). Sofern die originalen vorbestehenden Attachments jedoch auf den allgemeinen Serverdaten der Beschwerdeführerin 2 enthalten sind, spreche nichts dagegen, dass sie dort durchsucht werden. Die Beschwerde erweist sich in diesem Punkt als begründet.

4.3. Weitere Rügen (Keyword-Suche, willkürliche Aussonderung, fehlende Einsicht in Triage)

Die B._ AG machte weitere Rügen geltend, die das Bundesgericht jedoch als unsubstantiiert oder unbegründet abwies: * Die Argumentation bezüglich der Ablehnung einer allgemeinen Stichwortsuche für Mailboxen und der willkürlichen Aussonderung der vom Anwaltsgeheimnis geschützten Daten wurde als ungenügend begründet angesehen. * Eine angebliche fehlende Einsicht in das Vorgehen und die spezifischen Ergebnisse der Triage wurde ebenfalls verneint. Der angefochtene Entscheid enthalte eine hinreichende Umschreibung der freizugebenden bzw. auszusondernden Aufzeichnungen. Die B._ AG habe nicht dargelegt, dass ihr die Einsicht in das Triage-Ergebnis verweigert worden wäre, und hätte anhand von Stichproben aufzeigen müssen, weshalb die Triage fehlerhaft gewesen sei. Technische Schwierigkeiten bei der Triage allein begründen keine Gehörsverletzung.

Schlussfolgerung und Entscheid
  • Auf die Beschwerde von A.__ (7B_92/2025) wird mangels Geltendmachung eigener Geheimhaltungsinteressen und somit fehlendem nicht wieder gutzumachendem Nachteil nicht eingetreten.
  • Die Beschwerde der B.__ AG (7B_93/2025) wird teilweise gutgeheissen.
  • Der Entscheid des Kantonalen Zwangsmassnahmengerichts Bern vom 13. Dezember 2024 wird aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
  • Das KZM hat bei der Neubeurteilung sämtliche Attachments zu geschützter Anwaltskorrespondenz auszusondern, da diese als Kopien im Rahmen des besonderen Vertrauensverhältnisses entstanden sind und dem Anwaltsgeheimnis unterliegen.
  • Im Übrigen wird die Beschwerde der B.__ AG abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.
Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte

Das Bundesgericht trat auf die Beschwerde des Beschuldigten A._ nicht ein, da er keine eigenen, schützenswerten Geheimnisinteressen nachweisen konnte, sondern lediglich solche, die dem Anwaltsgeheimnis der mitbeschwerdeführenden Firma unterfielen. Die Beschwerde der B._ AG wurde teilweise gutgeheissen. Das Bundesgericht bestätigte die grundsätzliche Ablehnung einer pauschalen Stichwortsuche für Mailboxen aus Verhältnismässigkeitsgründen, da der Deliktskonnex bei involvierten Personen hoch ist und das Risiko eines Informationsverlusts besteht. Es stellte jedoch eine Verletzung von Bundesrecht fest, indem das KZM Attachments zu an sich geschützter Anwaltskorrespondenz nicht unter das Anwaltsgeheimnis stellte, wenn diese als "vorbestehend" erachtet wurden. Das Bundesgericht präzisierte, dass Kopien von Dokumenten, die im Rahmen des Vertrauensverhältnisses zwischen Anwalt und Klient erstellt oder ausgetauscht wurden, selbst wenn ihr Inhalt vorbestehend ist, dem Anwaltsgeheimnis unterliegen. Der Fall wurde zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen, um die Aussonderung dieser Attachments sicherzustellen. Andere Rügen der Beschwerdeführerin 2 (bzgl. weiterer Stichwortsuchen oder angeblicher Gehörsverletzungen bei der Triage) wurden abgewiesen.