Zusammenfassung von BGer-Urteil 6B_207/2025 vom 4. Dezember 2025

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Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 6B_207/2025 vom 4. Dezember 2025 Parteien und Gegenstand
  • Beschwerdeführer: A.__, vertreten durch Rechtsanwältin Ganden Tethong.
  • Beschwerdegegnerin: Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich.
  • Gegenstand: Strafzumessung und Kostenverteilung im Rechtsmittelverfahren.
Sachverhalt

Der Beschwerdeführer A._ wurde wegen zweier Delikte verurteilt: 1. Versuchte schwere Körperverletzung: Am 10. Oktober 2020 schlug er B._ mit einer leeren 1.5-Liter Wodkaflasche von hinten gegen den Kopf, als dieser nach einer vorausgegangenen Auseinandersetzung aufzustehen versuchte. 2. Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz: Am 10. Dezember 2020 übernahm er 1'020 Gramm Marihuana zum Weiterverkauf.

Vorinstanzliche Entscheidungen
  1. Bezirksgericht Affoltern (12. Mai 2022): Verurteilung zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 34 Monaten (28 Monate bedingt aufgeschoben, 5 Jahre Probezeit). Anrechnung von 36 Tagen Untersuchungshaft. Eine Genugtuungsforderung des Privatklägers B.__ wurde nur in Höhe von Fr. 873.-- gutgeheissen, welcher Betrag bereits bezahlt war.
  2. Obergericht des Kantons Zürich (4. November 2024): Das Obergericht stellte die Rechtskraft der Schuldsprüche fest und verurteilte A.__ zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 36 Monaten als Zusatzstrafe zu zwei früheren Verurteilungen (Strafbefehl vom 30. Juni 2022 und Urteil vom 15. März 2024). 36 Tage Untersuchungshaft wurden angerechnet. Die Genugtuung für den Privatkläger wurde auf Fr. 1'500.-- erhöht (wobei Fr. 873.-- bereits bezahlt waren).
Anträge des Beschwerdeführers an das Bundesgericht

Der Beschwerdeführer beantragte die Aufhebung des obergerichtlichen Urteils in Bezug auf die Strafzumessung und die Kostenverteilung. Er forderte eine Zusatzstrafe von höchstens 24 Monaten Freiheitsstrafe, davon höchstens 2 Monate unbedingt und der Rest bedingt aufzuschieben mit einer Probezeit von vier Jahren. Zudem sollten die Kosten des Berufungsverfahrens der Staatskasse auferlegt werden. Eventualiter verlangte er die Rückweisung der Sache an das Obergericht.

Erwägungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht prüfte die Beschwerde in zwei Hauptpunkten: die Strafzumessung und die Kostenverteilung.

1. Strafzumessung

1.1. Rügen des Beschwerdeführers: Der Beschwerdeführer rügte eine Verletzung von Art. 48 lit. e StGB, da sein positives Nachtatverhalten (rechtskonformes Leben, Integration, Loslösung von Drogen/Alkohol, Schuldenabbau) nicht strafmindernd berücksichtigt worden sei. Zudem habe die Vorinstanz Art. 47 Abs. 1 StGB verletzt, indem sie spezialpräventive Überlegungen und die Wirkung der Strafe auf sein Leben ausser Acht gelassen habe. Er argumentierte, eine unbedingte Freiheitsstrafe würde seine positive Entwicklung zunichtemachen und eine qualifiziert günstige Prognose rechtfertige einen teilbedingten Vollzug.

1.2. Begründung der Vorinstanz (wie vom Bundesgericht festgehalten): Die Vorinstanz stufte die versuchte schwere Körperverletzung als schwerste Tat ein und legte eine Einsatzstrafe von vier Jahren fest, die aufgrund des Versuchsstadiums um ein Jahr auf drei Jahre reduziert wurde. Das Betäubungsmittelvergehen erhöhte die Einsatzstrafe um einen Monat. * Täterkomponente: Die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers wurden als strafzumessungsneutral beurteilt, eine besondere Strafempfindlichkeit wurde verneint. * Strafminderung (10 Monate): Berücksichtigt wurden seine Mitwirkung im Verfahren, aufrichtige Reue und die Einsicht, sein Leben ändern zu müssen. * Straf erhöhung (13 Monate): Ausschlaggebend waren die fortwährende Delinquenz seit 2018, mehrere einschlägige Vorstrafen, ein ähnlicher Vorfall im Juni 2020 (Schlag mit Glasflasche), sowie die erneute Straffälligkeit während laufender Probezeiten. Dies wurde als Ausdruck grosser Uneinsichtigkeit, Unbelehrbarkeit und Gleichgültigkeit gegenüber dem Rechtsstaat gewertet. * Verfahrensdauer: Eine Minderung von zwei Monaten erfolgte aufgrund der langen gerichtlichen Verfahrensdauer. * Zwischenergebnis: Dies führte zu einer hypothetischen Gesamtstrafe von 38 Monaten für die im vorliegenden Verfahren relevanten Taten. * Zusatzstrafe: Unter Einbezug der Taten, die zu den früheren Verurteilungen (Strafbefehl 30. Juni 2022 und Urteil 15. März 2024) geführt hatten, erhöhte die Vorinstanz die Strafe um 45 Tage bzw. 8 Monate und 15 Tage. Nach Anwendung des Asperationsprinzips (-2 Monate) resultierte eine Zusatzstrafe von 36 Monaten Freiheitsstrafe.

1.3. Prüfung durch das Bundesgericht:

  • Grundlagen der Strafzumessung: Das Bundesgericht verwies auf seine ständige Rechtsprechung zu Art. 47 ff. StGB und Art. 49 Abs. 1 StGB (Asperationsprinzip, retrospektive Konkurrenz, BGE 149 IV 217, 144 IV 313, 145 IV 1). Es betonte den weiten Ermessensspielraum des Sachgerichts und die zurückhaltende Prüfungsweise des Bundesgerichts, welches nur bei Überschreitung des Strafrahmens, Anwendung rechtlich irrelevanter Kriterien oder Missachtung wesentlicher Gesichtspunkte eingreift.
  • Art. 48 lit. e StGB (Nachtatverhalten): Das Bundesgericht wies die Rüge zurück. Für die Anwendung dieser Strafmilderungsbestimmung müssen zwei Drittel der Verjährungsfrist verstrichen sein. Die hier interessierenden Taten aus dem Jahr 2020 verjähren frühestens 2030 bzw. 2035. Im Zeitpunkt des obergerichtlichen Urteils (4. November 2024) waren diese Fristen offensichtlich noch nicht abgelaufen. Eine Verkürzung der Fristen (wie in Art. 48 lit. e StGB vorgesehen) war vom Beschwerdeführer nicht dargelegt worden, weshalb die Bestimmung keine Anwendung fand.
  • Art. 47 Abs. 1 StGB (Persönliche Verhältnisse und Wirkung der Strafe): Das Bundesgericht bestätigte die vorinstanzliche Beurteilung. Die Vorinstanz hatte die positive Entwicklung des Beschwerdeführers (Festanstellung, Schuldenabbau, Beziehung, Weiterbildungen) zwar zur Kenntnis genommen und in ihre Würdigung miteinbezogen, diese aber letztlich als strafzumessungsneutral eingestuft. Eine besondere Strafempfindlichkeit, die eine Milderung rechtfertigen würde, sei nur bei aussergewöhnlichen Umständen gegeben, welche der Beschwerdeführer nicht dargelegt habe (vgl. Urteile 6B_1176/2023, 6B_910/2024). Die 10-monatige Strafminderung für Reue und Mitwirkung sei ermessenskonform. Die straferhöhende Berücksichtigung der fortgeführten Delinquenz während laufender Probezeiten und der Vorstrafen sei ebenfalls bundesrechtskonform (vgl. BGE 121 IV 49).
  • Spezialprävention und teilbedingter Vollzug: Die Argumentation des Beschwerdeführers, aus spezialpräventiven Gründen sei ein teilbedingter Vollzug zu gewähren, wurde ebenfalls verworfen. Die für die Frage des (teil-)bedingten Vollzugs massgebende hypothetische Gesamtstrafe für alle Taten beläuft sich gemäss der vom Bundesgericht implizit bestätigten Rechnung der Vorinstanz auf rund 48 Monate (38 Monate für die vorliegenden Taten zuzüglich 45 Tage und 8 Monate 15 Tage für die Taten der früheren Urteile). Da diese hypothetische Gesamtstrafe deutlich über dem Grenzwert von drei Jahren liegt (Art. 42 Abs. 1, Art. 43 Abs. 1 StGB), kommt ein (teil-)bedingter Vollzug von Gesetzes wegen nicht in Betracht (vgl. BGE 142 IV 265 E. 2.4.6, 147 IV 108 E. 3.5.1). Eine darüber hinausgehende Strafminderung aus spezialpräventiven Gründen war daher nicht angezeigt.

1.4. Fazit Strafzumessung: Das Bundesgericht befand, die festgesetzte unbedingte Strafe halte sich im Rahmen des sachrichterlichen Ermessens.

2. Kostenverteilung

2.1. Rüge des Beschwerdeführers: Der Beschwerdeführer beanstandete die Auferlegung von 4/5 der Kosten des Berufungsverfahrens. Er argumentierte, die Staatsanwaltschaft, die eine Zusatzstrafe von 46 Monaten beantragt hatte, habe lediglich eine Erhöhung von zwei Monaten (von 34 auf 36 Monate) erwirkt und damit nur zu 1/6 obsiegt.

2.2. Begründung der Vorinstanz (wie vom Bundesgericht festgehalten): Die Vorinstanz legte die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gemäss Art. 428 Abs. 1 StPO ausgangsgemäss zu 4/5 dem Beschwerdeführer und zu 1/5 der Gerichtskasse auf. Die Kosten der amtlichen Verteidigung wurden entsprechend aufgeteilt.

2.3. Prüfung durch das Bundesgericht:

  • Grundlagen der Kostenverteilung: Das Bundesgericht wies auf Art. 428 Abs. 1 StPO hin, wonach die Parteien die Kosten des Rechtsmittelverfahrens nach Massgabe ihres Obsiegens oder Unterliegens tragen. Das Ausmass des Obsiegens hängt davon ab, inwiefern die gestellten Anträge gutgeheissen wurden (vgl. Urteile 6B_724/2024, 6B_794/2024). Bei unterschiedlichem Obsiegen und Unterliegen ist der Arbeitsaufwand für die einzelnen Punkte zu berücksichtigen. Dem Sachgericht steht bei der Kosten- und Entschädigungsfolgenregelung ein weiter Ermessensspielraum zu, in den das Bundesgericht nur bei Ermessensüberschreitung eingreift (vgl. Urteile 6B_1201/2023).
  • Anwendung im vorliegenden Fall: Das Bundesgericht bestätigte die vorinstanzliche Kostenverteilung. Die Staatsanwaltschaft hatte Berufung gegen die Höhe der Freiheitsstrafe und den teilbedingten Vollzug eingelegt und beantragt, die Anordnungen betreffend den teilbedingten Vollzug zu streichen. Der Privatkläger beantragte eine höhere Genugtuung. Der Beschwerdeführer beantragte eine mildere, teilbedingte Strafe und die Bestätigung der erstinstanzlichen Genugtuung.
    • Die Vorinstanz verurteilte zu 36 Monaten unbedingter Freiheitsstrafe und erhöhte die Genugtuung auf Fr. 1'500.--.
    • Die Staatsanwaltschaft hat mit ihrem Antrag, den teilbedingten Vollzug zu streichen, vollständig obsiegt. Auch wenn sie die beantragte Straferhöhung auf 46 Monate nicht vollständig durchsetzen konnte, obsiegte sie doch im Umfang von 2 Monaten mehr (von 34 auf 36 Monate).
    • Der Beschwerdeführer unterlag demgegenüber vollständig mit seinen Anträgen bezüglich des teilbedingten Vollzugs und der Genugtuung, und teilweise bezüglich der Höhe der Freiheitsstrafe.
  • Fazit Kostenverteilung: Angesichts dieses Gesamtergebnisses und des weiten Ermessensspielraums des Sachgerichts war die implizite Würdigung der Vorinstanz, dass der Beschwerdeführer zu 4/5 unterlegen war, nicht zu beanstanden.
Fazit des Bundesgerichts

Die Beschwerde wurde in beiden Punkten (Strafzumessung und Kostenverteilung) abgewiesen. Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- wurden dem Beschwerdeführer auferlegt.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht bestätigte die unbedingte Freiheitsstrafe von 36 Monaten als Zusatzstrafe. Es verneinte die Anwendung des Strafmilderungsgrunds des Nachtatverhaltens gemäss Art. 48 lit. e StGB, da die Verjährungsfristen nicht annähernd abgelaufen waren. Die positive persönliche Entwicklung des Beschwerdeführers wurde als strafzumessungsneutral beurteilt und keine besondere Strafempfindlichkeit erkannt, da die Vorinstanz die Reue und Mitwirkung bereits mit einer Strafminderung von zehn Monaten honoriert hatte. Ein teilbedingter Vollzug war ausgeschlossen, da die für die Vollzugsform massgebende hypothetische Gesamtstrafe für alle Delikte (rund 48 Monate) deutlich über der Drei-Jahres-Grenze lag. Die Kostenverteilung zu Lasten des Beschwerdeführers wurde als ermessenskonform bestätigt, da die Staatsanwaltschaft mit ihrem Antrag auf unbedingten Vollzug vollständig obsiegt hatte und der Beschwerdeführer in den weiteren Punkten (Strafhöhe und Genugtuung) unterlegen war.