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Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des schweizerischen Bundesgerichts detailliert zusammen.
Bundesgericht, Urteil 6B_263/2025 vom 27. November 2025
1. Sachverhalt und Vorinstanzliche Entscheide
Der Beschwerdeführer A.A._____, italienischer Staatsangehöriger, geboren im Jahr 2001, kam im Alter von fünf Jahren in die Schweiz. Er absolvierte seine Schulpflicht in der Schweiz, verfügt jedoch über keine abgeschlossene Ausbildung oder Berufstätigkeit. Seit dem Ende seiner Schulzeit bezieht er eine volle Invalidenrente aufgrund von Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen, die zu einer Arbeitsunfähigkeit führen. Er hat eine vierjährige Tochter, mit der er nicht zusammenlebt, die er jedoch jedes zweite Wochenende sieht. Er leistet keinen Unterhaltsbeitrag, da die Mutter seiner Tochter eine Ergänzungsrente der Invalidenversicherung erhält. Er spricht Italienisch, kann es aber nicht schreiben, und hat keine Familie in Italien. Sein schweizerisches Strafregister ist "vierge" (leer), obgleich er als Minderjähriger wegen Aggression verurteilt wurde.
Am 3. Januar 2023 verübte der Beschwerdeführer zusammen mit seinem Bruder D.A._ in U. einen versuchten Raubüberfall. Sie näherten sich einem Passanten, B., forderten ihn auf, "alles zu geben", stiessen ihn gewaltsam zurück und drängten ihn gegen eine Wand. Als die Situation von einem zufällig anwesenden Polizisten bemerkt wurde, schlugen D.A._ und anschliessend A.A. B. ins Gesicht, wodurch dieser zu Boden stürzte und "K.O." ging. Das Opfer erlitt schwere Verletzungen, darunter eine mehrfragmentäre und verschobene Fraktur der Kieferhöhlenwände.
Das Tribunal correctionnel de l'arrondissement de l'Est vaudois verurteilte A.A._____ am 11. Juni 2024 (rectifiziert am 14. Juni 2024) wegen versuchten Raubes (tentative de brigandage) und Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zehn Monaten mit einer Probezeit von fünf Jahren, einer Busse von 300 Franken und ordnete seine Landesverweisung für die Dauer von fünf Jahren an. Die Cour d'appel pénale du Tribunal cantonal vaudois (kantonales Gericht) bestätigte dieses Urteil am 19. Dezember 2024 vollumfänglich, einschliesslich der Landesverweisung.
2. Rügen des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer rügte vor Bundesgericht die strafrechtliche Landesverweisung. Er machte geltend, die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung sei willkürlich. Des Weiteren beanstandete er eine Verletzung von Art. 66a Abs. 2 StGB, Art. 5 Abs. 2 und Art. 13 BV, Art. 8 EMRK sowie Art. 3 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes (KRK). Schliesslich rügte er eine Verletzung seines Rechts auf Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 3 Abs. 2 Bst. c StPO, Art. 6 Abs. 1 EMRK), da sich das kantonale Gericht nicht zu seiner Rüge betreffend die Verletzung von Art. 5 Abs. 1 Anhang I des Freizügigkeitsabkommens (FZA) geäussert habe.
3. Begründung des Bundesgerichts
3.1. Die Härtefallklausel (Art. 66a Abs. 2 StGB)
Das Bundesgericht prüfte zunächst die Härtefallklausel gemäss Art. 66a Abs. 2 StGB, wonach von einer Landesverweisung ausnahmsweise abgesehen werden kann, wenn diese für den Ausländer einen schweren persönlichen Härtefall darstellt und die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung die privaten Interessen des Ausländers an einem Verbleib in der Schweiz nicht überwiegen. Die Anwendung dieser Klausel ist restriktiv auszulegen.
3.1.1. Schwere persönlicher Härtefall ("situation personnelle grave")
Das Bundesgericht bestätigte, dass der Beschwerdeführer seit seinem fünften Lebensjahr, also seit fast 20 Jahren, in der Schweiz gelebt und hier seine ganze Familie, einschliesslich seiner vierjährigen Tochter, hat. Er hat keine Familie in Italien und kann Italienisch zwar sprechen, aber nicht schreiben. Von entscheidender Bedeutung war für das Bundesgericht die Feststellung, dass der Beschwerdeführer aufgrund einer seit seiner Kindheit bestehenden Gesundheitsschädigung eine volle Invalidenrente bezieht, was seine Integrations- und Reintegrationsmöglichkeiten erheblich einschränkt. Angesichts dieser Tatsachen kam das Bundesgericht zum Schluss, dass eine Landesverweisung für den Beschwerdeführer tatsächlich einen schweren persönlichen Härtefall im Sinne von Art. 66a Abs. 2 StGB darstellen würde. Diesbezüglich gab das Bundesgericht dem Beschwerdeführer Recht und widersprach implizit der Vorinstanz, die diesen Punkt weniger gewichtete. Eine solche Situation stellt in der Regel einen erheblichen Eingriff in das durch Art. 13 BV und Art. 8 EMRK garantierte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens dar.
3.1.2. Interessenabwägung (Öffentliches Interesse vs. Privates Interesse)
Nachdem das Vorliegen eines schweren persönlichen Härtefalls bejaht wurde, prüfte das Bundesgericht, ob das private Interesse des Beschwerdeführers, in der Schweiz zu bleiben, die öffentlichen Interessen an seiner Landesverweisung überwiegt. Dies erfordert eine umfassende Verhältnismässigkeitsprüfung (Art. 5 Abs. 2 BV, Art. 8 Abs. 2 EMRK).
Privates Interesse des Beschwerdeführers: Das Bundesgericht anerkannte die lange Aufenthaltsdauer (seit fast 20 Jahren) und die Präsenz seiner Familie in der Schweiz. Es hielt fest, dass die Landesverweisung zwar die Beziehung zu seiner Tochter beeinträchtigen würde, diese Beeinträchtigung aber zeitlich begrenzt (fünf Jahre) sei. Eine Aufrechterhaltung des Kontakts sei durch moderne Kommunikationsmittel und die Organisation von Besuchen in Italien, einem Nachbarland, zumutbar. Es wurde betont, dass der Beschwerdeführer nicht mit seiner Tochter zusammenlebt und nicht die Obhut über sie hat, wodurch die Auswirkungen auf das Familienleben im Sinne von Art. 8 EMRK relativiert werden. Der Kindeswohlgedanke (Art. 3 KRK) verleihe kein Recht auf Aufenthalt und sei hier nicht so schwerwiegend verletzt, dass er die Landesverweisung ausschliesse. Die Schwierigkeiten bei der Reintegration in Italien aufgrund der Invalidität wurden anerkannt, jedoch als nicht unüberwindbar beurteilt, insbesondere angesichts des jungen Alters des Beschwerdeführers, seiner mündlichen Italienischkenntnisse und der kulturellen sowie institutionellen Nähe Italiens zur Schweiz.
Öffentliches Interesse an der Landesverweisung: Das Bundesgericht beurteilte das öffentliche Interesse an der Landesverweisung als erheblich. Es hob die Schwere und die Umstände der Straftat hervor: Der Beschwerdeführer griff aus geringfügigen und eigennützigen Motiven die körperliche Unversehrtheit und das Vermögen eines Unbekannten an. Die Tat war von "kostenloser Gewalt" geprägt, die zu schweren Verletzungen (Gesichtsfraktur) führte und nur durch die zufällige Anwesenheit eines Polizisten im Stadium des Versuchs blieb. Die verhängte Freiheitsstrafe von zehn Monaten, auch wenn bedingt, sowie die lange Probezeit von fünf Jahren unterstreichen die Schwere der Tat. Obwohl das schweizerische Strafregister formal "vierge" ist, wurde auf die Verurteilung als Minderjähriger wegen Aggression verwiesen. Ferner wurde die Alkoholabhängigkeit des Beschwerdeführers, trotz eines angeblichen Therapiebeginns, als relevanter Faktor im Rahmen der Prognose berücksichtigt.
Fazit der Interessenabwägung: Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass im vorliegenden Fall das öffentliche Interesse an der Landesverweisung die privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in der Schweiz überwiegt. Die zweite kumulative Bedingung von Art. 66a Abs. 2 StGB sei daher nicht erfüllt. Eine Verletzung von Art. 8 EMRK und Art. 3 KRK wurde in diesem Kontext verneint.
3.2. Verletzung des Rechts auf Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) und des Freizügigkeitsabkommens (FZA)
Der Beschwerdeführer rügte, die kantonale Instanz habe sein Recht auf Gehör verletzt, indem sie sich nicht zu seinem Argument bezüglich des Freizügigkeitsabkommens (FZA) geäussert habe.
Das Bundesgericht stellte fest, dass die Vorinstanz zwar die italienische Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers und seine Berufung auf Art. 5 Abs. 1 Anhang I FZA zur Kenntnis genommen hatte, jedoch unterlassen hatte, zu prüfen, ob das FZA die strafrechtliche Landesverweisung verbietet. Das Bundesgericht erinnerte daran, dass die Schweiz bei der Auslegung nationaler Gesetzesbestimmungen ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen, einschliesslich des FZA, berücksichtigen muss. Gemäss Art. 5 Abs. 1 Anhang I FZA dürfen Freizügigkeitsrechte nur durch Massnahmen beschränkt werden, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind. Dies erfordert eine konkrete Prüfung der Verhältnismässigkeit der Massnahme zum Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit bei Angehörigen eines EU-Mitgliedstaates.
Da das Bundesgericht diese Prüfung nicht selbst zum ersten Mal vornehmen kann, um den Beschwerdeführer nicht eines Instanzenzuges zu berauben, musste die Sache an die kantonale Instanz zurückgewiesen werden. Diese hat nun zu prüfen, ob sich der Beschwerdeführer auf ein Aufenthaltsrecht gemäss FZA berufen kann und, falls ja, ob seine Landesverweisung mit Art. 5 Abs. 1 Anhang I FZA vereinbar ist.
4. Ergebnis
Das Bundesgericht hiess die Beschwerde teilweise gut. Das angefochtene Urteil des kantonalen Gerichts wurde aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung im Sinne der Erwägungen (insbesondere zur Prüfung der FZA-Konformität der Landesverweisung) an dieses zurückgewiesen. Im Übrigen wurde die Beschwerde, soweit zulässig, abgewiesen. Dies bedeutet, dass die bundesgerichtliche Prüfung der Härtefallklausel (Art. 66a Abs. 2 StGB) an sich Bestand hätte, wenn die Landesverweisung nicht bereits aufgrund des FZA unzulässig wäre.
Da der Beschwerdeführer teilweise obsiegte, wurden ihm reduzierte Parteikosten zugesprochen, und sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wurde für den verbleibenden Teil der Beschwerde gutgeheissen.
Zusammenfassung der wesentlichen Punkte: