Zusammenfassung von BGer-Urteil 1C_30/2025 vom 13. November 2025

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Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 1C_30/2025 vom 13. November 2025

1. Einleitung und Sachverhalt

Das Bundesgericht hatte über eine Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zu entscheiden, die sich gegen die Baubewilligung für den Neubau einer Mobilfunkanlage mit neun Antennen in Aedermannsdorf (Kanton Solothurn) richtete. Die Anlage ist auf Grundstück Nr. 523 in der Industriezone geplant. Die Baukommission der Einwohnergemeinde Aedermannsdorf erteilte die Bewilligung am 12. Januar 2023, wobei sämtliche Einsprachen abgewiesen wurden. Sowohl das Bau- und Justizdepartement des Kantons Solothurn als auch das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn wiesen die hiergegen erhobenen Beschwerden der Anwohner A._, B._ und C.__ ab. Die Beschwerdeführenden beantragten vor Bundesgericht die Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts und die Abweisung des Baugesuchs.

Die zentralen Rügen der Beschwerdeführenden betrafen die Zonenkonformität der Anlage, das Fehlen eines Bedürfnisnachweises, die Beeinträchtigung von Natur- und Heimatschutzanliegen (Juraschutzzone, Regionaler Naturpark Thal) sowie die unzureichende Berücksichtigung von Reflexionen bei der rechnerischen Prognose der nichtionisierenden Strahlung (NIS).

2. Begründung des Bundesgerichts

Das Bundesgericht trat auf die Beschwerde ein, da die Beschwerdeführenden als Anwohner im Einspracheperimeter gemäss Art. 89 Abs. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt waren und die übrigen Sachentscheidvoraussetzungen erfüllt waren.

2.1. Zonenkonformität und Bedürfnisnachweis (Erwägung 2)

  • Rechtliche Grundlagen und Grundsätze: Gemäss Art. 22 Abs. 1 RPG bedürfen Bauten und Anlagen einer Baubewilligung, wobei Art. 22 Abs. 2 lit. a RPG verlangt, dass diese dem Zweck der Nutzungszone entsprechen. Mobilfunkanlagen gehören zu den Infrastrukturbauten. Der raumplanerische Grundsatz der Trennung von Bau- und Nichtbaugebiet gebietet, dass solche Anlagen grundsätzlich innerhalb der Bauzonen errichtet werden müssen.
  • Bundesgerichtliche Rechtsprechung zur Zonenkonformität: Das Bundesgericht hat in BGE 141 II 245 E. 2.1 und 2.4 klargestellt, dass Mobilfunkanlagen innerhalb der Bauzonen zonenkonform sind, soweit sie in einer unmittelbaren funktionellen Beziehung zum Ort ihrer Errichtung stehen. Der Umstand, dass sie auch erheblich grössere Gebiete im Nichtbaugebiet mit Mobilfunkdienstleistungen versorgen, verstösst in ländlichen Gebieten nicht gegen den Trennungsgrundsatz.
  • Anwendung im vorliegenden Fall: Da die streitige Mobilfunkanlage im Baugebiet (Industriezone) geplant ist, ist gemäss der Rechtsprechung (z.B. Urteile 1C_616/2023, 1C_308/2023, 1C_547/2022) von Bundesrechts wegen kein Bedürfnisnachweis erforderlich. Die Beschwerdeführenden brachten zudem keine Gründe des kantonalen oder kommunalen Rechts vor, die gegen die Zonenkonformität in der Industriezone sprechen würden. Das Bundesgericht bejahte daher die Zonenkonformität des Bauvorhabens.
  • Abgrenzung zu BGE 145 I 156: Die Beschwerdeführenden konnten aus dem Leitentscheid BGE 145 I 156, der einen minimalen Grenzabstand von der Bau- zur Landwirtschaftszone für grössere Bauten festlegte, nichts ableiten. Im vorliegenden Fall liegt die geplante Mobilfunkanlage nicht unmittelbar an der Grenze zur Landwirtschaftszone, da eine Strassenparzelle zwischen dem Baugrundstück und dem Nichtbaugebiet liegt. Eine "Inanspruchnahme" des angrenzenden landwirtschaftlichen Kulturlands, wie dies bei überragenden Bauteilen der Fall sein kann, ist hier nicht ersichtlich.
  • Keine Interessenabwägung: Da die Anlage zonenkonform ist und keiner Ausnahmebewilligung bedarf, entfällt auch die von den Beschwerdeführenden geforderte Abwägung zwischen dem nationalen Interesse an einer ausreichenden Netzabdeckung und allfälligen entgegenstehenden öffentlichen Interessen. Das Urteil 1C_308/2023 wurde hier als nicht einschlägig erachtet, da in jenem Fall ästhetische und Ortsbildschutzgründe eine solche Abwägung erforderlich machten, die im vorliegenden Fall nicht gegeben sind.

2.2. Schutzanliegen der Juraschutzzone und des Regionalen Naturparks Thal (Erwägung 3)

  • Rechtliche Grundlage: Die Erteilung einer Baubewilligung für Mobilfunkanlagen stellt eine Bundesaufgabe im Sinne von Art. 2 NHG dar, welche die Schonung der in Art. 3 Abs. 1 NHG genannten Schutzobjekte und die grösstmögliche Schonung von Inventarobjekten nach Art. 6 NHG erfordert.
  • Juraschutzzone: Die Vorinstanz und das BAFU stellten übereinstimmend fest, dass der Standort der Mobilfunkanlage ausserhalb der Juraschutzzone liegt und auch nicht direkt an diese angrenzt. Die entsprechenden Bestimmungen finden somit keine Anwendung.
  • Regionaler Naturpark Thal: Der Standort befindet sich zwar im Regionalen Naturpark Thal. Die kantonalen Behörden und das BAFU kamen jedoch zum Schluss, dass die Mobilfunkanlage in der Industriezone, neben einem bestehenden Gebäude, nahe der Kantonsstrasse und umgeben von Gewerbebauten, die Schutz- und Entwicklungsziele des Naturparks (vgl. Art. 23g NHG) nicht beeinträchtigt. Die Beschwerdeführenden konnten keine konkrete Beeinträchtigung des Orts- und Landschaftsbildes nachweisen. Das Bundesgericht folgte dieser Einschätzung und hielt fest, dass die Befürchtung einer erheblichen Abwertung der Natur angesichts des Standorts nicht nachvollziehbar sei. Zusätzliche Abklärungen zur Netzabdeckung oder Auswirkungen auf die Landschaft waren daher nicht erforderlich, und eine Verletzung von Art. 97 Abs. 1 BGG oder Art. 29 Abs. 2 BV wurde verneint.

2.3. Reflexionen bei der rechnerischen Prognose der Strahlung (Erwägung 4)

  • Immissionsschutzrecht: Der Immissionsschutz ist im USG und der NISV geregelt. Art. 11 Abs. 2 USG verankert das Vorsorgeprinzip. Die NISV setzt Immissionsgrenzwerte (Schutz vor thermischen Wirkungen, ICNIRP-basiert) und Anlagegrenzwerte (OMEN, Vorsorgeprinzip, Sicherheitsmarge) fest.
  • Problematik der Reflexionen: Das Bundesgericht hat anerkannt, dass Reflexionen zu substanziellen Abweichungen von berechneten Feldstärken führen können und im Rahmen der rechnerischen Prognose nicht unberücksichtigt bleiben dürfen, soweit dies technisch und mit verhältnismässigem Aufwand möglich ist. Es liegt in der Aufgabe des BAFU, seine Vollzugsempfehlungen diesbezüglich anzupassen.
  • Kompensationsmechanismus (Abnahmemessung): Eine zentrale Rolle spielt die nach Inbetriebnahme der Anlage in der Regel durchzuführende NIS-Abnahmemessung, wenn gemäss rechnerischer Prognose der Anlagegrenzwert an einem OMEN zu 80 % erreicht wird. Ergibt die Messung eine Überschreitung, hat das Messergebnis Vorrang, und die Behörde verfügt eine Reduktion der Sendeleistung oder eine Anpassung der Anlage (Urteile 1C_279/2023, 1C_100/2021).
  • Rüge der Beschwerdeführenden und Gehörsverletzung: Die Beschwerdeführenden bemängelten, dass mögliche Reflexionen an einer 180 m² grossen Metallfläche und anderen Gebäuden nicht ausreichend berücksichtigt wurden und forderten einen Augenschein sowie eine Reflexionsprognose. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör wurde gerügt. Das Bundesgericht verneinte die Gehörsverletzung, da der Verweis auf die Zuständigkeit des BAFU und die Abnahmemessung dem aktuellen Stand der bundesgerichtlichen Rechtsprechung entspricht. Ein Augenschein würde angesichts der Komplexität der Reflexionsphänomene keine zusätzlichen relevanten Erkenntnisse liefern.
  • Stellungnahme des BAFU zur Reflexionsproblematik: Das BAFU erläuterte, dass die derzeitige Berechnungsmethode (Freiraumausbreitungsmodell) keine Reflexionen berücksichtigt, da dies mit den dortigen Vorteilen der Einfachheit und Kontrollierbarkeit einhergeht. Zwar existieren komplexere Ray-Tracing-Modelle, diese sind jedoch extrem rechenaufwändig und erfordern eine ausserordentlich genaue Kenntnis sämtlicher Umgebungsbedingungen (Materialien, Strukturen, Frequenzabhängigkeit, Witterung etc.), die in der Praxis kaum zu erheben sind. Solche Modelle böten eine "scheinbare Genauigkeit", die in Realität nicht zuträfe, und wären schwer überprüfbar. Das BAFU bekräftigte, dass Abnahmemessungen der effizienteste und effektivste Ansatz bleiben, um den Einfluss von Reflexionen zu erkennen und zu berücksichtigen. Die Behörden hätten hierbei ein Ermessen, Abnahmemessungen auch bei Unterschreitung der 80%-Schwelle anzuordnen, wenn kritische Situationen (z.B. grosse Metallfassaden) vermutet werden.
  • Anwendung im konkreten Fall: Das Bundesgericht schloss sich den Ausführungen des BAFU an. Das BAFU habe nachvollziehbar dargelegt, dass Reflexionen bei der rechnerischen Prognose mit verhältnismässigem Aufwand derzeit nicht erfasst werden können. Die vom METAS empfohlenen Messmethoden zur Durchführung von Abnahmemessungen sind zwecktauglich und können Mehrwegausbreitung und Reflexionen Rechnung tragen (Urteil 1C_100/2021).
    • Für das OMEN Nr. 3 im Erdgeschoss der Liegenschaft Thalstrasse 143 wurde der Anlagegrenzwert gemäss Prognose zu fast 99 % erreicht, weshalb eine Abnahmemessung als Auflage in die Baubewilligung integriert wurde.
    • Für das Obergeschoss der Liegenschaft, wo sich das Schlafzimmer der Beschwerdeführenden befindet, liegt keine separate Prognose vor. Da das Obergeschoss zurückversetzt ist, erscheint es plausibel, dass die Strahlenbelastung dort geringer ist als im Erdgeschoss (was auch das kantonale Amt für Umwelt bestätigte). Das BAFU argumentierte zudem schlüssig, dass sich die Reflexionspotenziale im Erd- und Obergeschoss nicht grundsätzlich voneinander unterscheiden (auch im Erdgeschoss metallene Flächen wie Strassenbrücke, parkierte Autos).
    • Daher ist es nach Ansicht des Bundesgerichts ausreichend, die Abnahmemessung am mutmasslich höher belasteten Ort im Erdgeschoss anzuordnen. Sollte diese Messung eine Überschreitung des Anlagegrenzwerts ergeben, würde die Behörde eine Leistungsreduktion verfügen, und gegebenenfalls könnten weitere Messungen angeordnet werden. Dies steht der Erteilung der Baubewilligung nicht entgegen.

3. Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte

Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab und bestätigte die Baubewilligung für die Mobilfunkanlage. Es hielt fest: 1. Zonenkonformität: Die Mobilfunkanlage ist in der Industriezone zonenkonform. Ein Bedürfnisnachweis ist bei Standorten in der Bauzone nicht erforderlich, und die Versorgung von Nichtbaugebiet ist zulässig. Eine Verletzung des Grenzabstands zur Landwirtschaftszone gemäss BGE 145 I 156 liegt nicht vor, da die Anlage nicht unmittelbar an der Zonengrenze liegt. 2. Natur- und Heimatschutz: Die Anlage beeinträchtigt weder die Juraschutzzone (da ausserhalb gelegen) noch die Schutzziele des Regionalen Naturparks Thal. Der Standort in einer Industriezone lässt keine konkrete Beeinträchtigung des Orts- oder Landschaftsbildes erkennen. 3. NIS-Strahlung und Reflexionen: Die rechnerische Prognose der nichtionisierenden Strahlung muss Reflexionen nur mit verhältnismässigem Aufwand berücksichtigen, was mit dem aktuellen Stand der Technik schwierig ist. Der wirksamste Schutzmechanismus ist die Anordnung einer Abnahmemessung nach Inbetriebnahme, insbesondere wenn der Anlagegrenzwert an einem Ort mit empfindlicher Nutzung (OMEN) zu 80 % erreicht wird. Diese Messung hat Vorrang vor der Prognose; bei einer Überschreitung des Anlagegrenzwerts wird die Sendeleistung reduziert. Im konkreten Fall wurde eine solche Abnahmemessung für den mutmasslich am höchsten belasteten OMEN-Standort im Erdgeschoss angeordnet, was als ausreichend erachtet wurde.