Zusammenfassung von BGer-Urteil 1C_129/2024 vom 8. Dezember 2025

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Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 1C_129/2024 vom 8. Dezember 2025 Einleitung und Sachverhalt

Das Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts vom 8. Dezember 2025, Aktenzeichen 1C_129/2024, betrifft eine Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen einen Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau. Gegenstand ist die Baubewilligung für den Neubau einer Mobilfunkanlage der Swisscom (Schweiz) AG (Beschwerdegegnerin) in Münchwilen. Die Anlage umfasst einen 30 Meter hohen Metallturm mit neun Antennen und eine ebenerdige Kabine auf einer gemeindeeigenen Liegenschaft in der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen (OeB), zwischen einem Wald und einem bestehenden Kugelfang eines Schiessstands. Die Beschwerdeführer, Anwohner A._ und B._, wehrten sich gegen die Erteilung der Baubewilligung. Nach erfolglosen Einsprachen und Beschwerden auf kantonaler Ebene gelangten sie an das Bundesgericht.

Prüfungsrahmen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht prüft die Verletzung von Bundesrecht grundsätzlich von Amtes wegen (Art. 106 Abs. 1 BGG), während die Verletzung von Grundrechten nur gerügt und begründet werden muss (Art. 106 Abs. 2 BGG). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt der Vorinstanz zugrunde, es sei denn, dieser ist offensichtlich unrichtig oder beruht auf einer Rechtsverletzung (Art. 105, 97 Abs. 1 BGG). Neue Tatsachen oder Beweismittel sind nur zulässig, wenn sie erst durch den Entscheid der Vorinstanz veranlasst werden (Art. 99 Abs. 1 BGG).

Erwägungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht setzte sich detailliert mit den verschiedenen Rügen der Beschwerdeführer auseinander:

1. Strahlenschutz (NISV)

Die Beschwerdeführer rügten die Nichteinhaltung des Anlagegrenzwerts (AGW) gemäss der Verordnung über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (NISV; SR 814.710) an Orten mit empfindlicher Nutzung (OMEN).

  • Massgebliche Bestimmungen: Gemäss Art. 4 NISV in Verbindung mit Ziff. 65 Anh. 1 NISV müssen Anlagen an OMEN den AGW von 5 V/m (Ziff. 64 lit. c Anh. 1 NISV) einhalten.
  • Streitpunkt: Die Berechnung der elektrischen Feldstärke am am höchsten belasteten OMEN (OMEN Nr. 20, 10,50 m über Boden) ergab leicht unterschiedliche Werte: 5,0 V/m gemäss Beschwerdegegnerin, 4,98 V/m gemäss kantonalem Amt für Umwelt und 5,0046 V/m gemäss Beschwerdeführern.
  • Begründung des Gerichts: Das Bundesgericht folgte der Auffassung des Bundesamtes für Umwelt (BAFU), wonach die unterschiedlichen Ergebnisse auf Rundungsabweichungen zurückzuführen seien. Da Ziff. 64 lit. c Anh. 1 NISV den AGW mit einer Nachkommastelle (5,0 V/m) angibt, sei für die Beurteilung der Einhaltung des AGW die berechnete elektrische Feldstärke auf eine Nachkommastelle genau zu runden. Selbst der Wert der Beschwerdeführer von 5,0046 V/m dürfe gemäss vorgegebener Rundungstoleranz auf 5,0 V/m abgerundet werden. Das Bundesgericht bejahte daher die Einhaltung des AGW.
  • Revidiertes Standortdatenblatt: Die Beschwerdegegnerin reichte im bundesgerichtlichen Verfahren ein revidiertes Standortdatenblatt ein, welches klarstellte, dass für bestimmte Antennen (Nrn. 7-9) kein adaptiver Betrieb mit Korrekturfaktor gemäss Ziff. 63 Abs. 2 Anh. 1 NISV vorgesehen ist. Das Bundesgericht erachtete diese Klarstellung, die der Rechtssicherheit diene und im Einklang mit der Rechtsprechung stehe, dass die Anwendung des Korrekturfaktors ein neues Baubewilligungsverfahren erfordert (vgl. BGE 150 II 379), als zulässig.
2. Unzulässige Projektänderung

Die Beschwerdeführer rügten, die Höherlegung der Technikkabine um 0,50 m zum Schutz vor Hochwasser stelle eine erhebliche Projektänderung dar, die eine erneute öffentliche Auflage erfordert hätte.

  • Begründung des Gerichts: Das Bundesgericht bestätigte die Vorinstanz, wonach diese Änderung keine "erhebliche Projektänderung" darstelle. Angesichts des unverändert bleibenden 30 m hohen Antennenmastes sei die Höherlegung der kleinräumigen Technikkabine optisch kaum in Erscheinung tretend. Weder öffentliche noch private Interessen würden tangiert, und die Erhöhung sei von den Grundstücken der Beschwerdeführer aus nicht wahrnehmbar. Es wies den Vergleich mit früheren Fällen des Verwaltungsgerichts, die grosse Wohnüberbauungen betrafen, zurück, da diese nicht mit der vorliegenden kleinflächigen Technikkabine vergleichbar seien. Willkür wurde verneint.
3. Gewässerschutz und Gewässerabstand (Zentraler Punkt für Rückweisung)

Die Beschwerdeführer machten geltend, der Standort der Mobilfunkanlage befinde sich oberhalb eines eingedolten Gewässers, wodurch der erforderliche Gewässerabstand von 15 m gemäss kantonalem Recht (§ 76 Abs. 1 PBG/TG) bzw. der übergangsrechtliche Gewässerraum des Bundes (Abs. 2 ÜbBst GSchV) verletzt werde.

  • Streitpunkt: Unter dem Antennenstandort befindet sich eine eingedolte Rohrleitung. Die Beschwerdeführer argumentierten, es handle sich um die Fortsetzung eines im Gewässerkataster verzeichneten eingedolten Gewässers, das historisch weiter reichte. Die Vorinstanzen qualifizierten die Rohrleitung als Entwässerungsanlage, die keinen Abstand erfordere, da der Rohrdurchmesser deutlich unter 0,5 m liege (§ 44 Abs. 4 PBV/TG) und der Kataster keinen Eintrag aufweise.
  • Begründung des Gerichts:
    • Bundesrechtlicher Gewässerbegriff: Das Bundesgericht wies darauf hin, dass der bundesrechtliche Gewässerbegriff (Art. 2 und 4 lit. a GSchG) keine Mindestlänge oder -breite vorschreibt und auch keine ständige Wasserführung verlangt (Urteil 1C_539/2021 E. 6.2). Eingedolte Gewässer verlieren ihren Charakter grundsätzlich nicht, solange sie in den natürlichen Wasserkreislauf integriert bleiben (Urteil 1C_539/2021 E. 6.3; 1C_553/2019 E. 3.2).
    • Historische Karten und Beweisantrag: Historische Karten (Siegfriedkarte, Sulzberger Karte) und das BAFU legen nahe, dass der Bach ursprünglich als offenes Fliessgewässer bis zum Waldgebiet reichte. Die Verdolung allein ändert nichts am Gewässercharakter. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Katastereintrag unvollständig ist. Das Bundesgericht bejahte daher eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, da das Verwaltungsgericht den Antrag der Beschwerdeführer auf Einholung eines Gutachtens zur Qualifikation der eingedolten Leitung als Gewässer nicht hätte ablehnen dürfen.
    • Gewässerraum und Standortgebundenheit: Sollte sich die Leitung als Gewässer qualifizieren, käme der geplante Mast plausibel im übergangsrechtlichen Gewässerraum (8,5 m gemäss Abs. 2 ÜbBst GSchV i.V.m. Art. 41c Abs. 1 GSchV) zu liegen. In diesem Raum sind nur standortgebundene und im öffentlichen Interesse liegende Bauten und Anlagen zulässig. Mobilfunkanlagen sind jedoch nicht standortgebunden (Urteil 1C_282/2021 E. 7.7).
    • Fazit zu diesem Punkt: Die Sache ist zur weiteren Abklärung der Gewässereigenschaft der eingedolten Rohrleitung an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen. Die kantonalen Bestimmungen zur Sohlenbreite sind insoweit unbehelflich, als das Bundesrecht einen weitergehenden Schutz vorsieht.
4. Waldabstand

Die Mobilfunkanlage unterschreitet mit 9,5 m bzw. 10,5 m (Technikgebäude) den kantonalrechtlichen Waldabstand von 25 m (§ 75 Abs. 1 PBG/TG).

  • Massgebliche Bestimmungen: Art. 17 WaG erlaubt Bauten und Anlagen in Waldesnähe nur, wenn sie die Erhaltung, Pflege und Nutzung des Waldes nicht beeinträchtigen. Eine Unterschreitung des kantonal festgesetzten Mindestabstands ist aus wichtigen Gründen unter Auflagen und Bedingungen bewilligungsfähig (Art. 17 Abs. 3 WaG).
  • Streitpunkt: Das kantonale Forstamt stimmte der Unterschreitung zu und das Verwaltungsgericht sah wichtige Gründe im Versorgungsauftrag der Swisscom und der besseren Einordnung des Standorts im Hinblick auf den Ortsbild- und Landschaftsschutz (Kaschierung durch Erdwall und Wald). Die Beschwerdeführer bestritten die Kaschierung und forderten die Prüfung von Alternativstandorten in der angrenzenden Gewerbezone.
  • Begründung des Gerichts: Das BAFU bestätigte, dass keine negativen Auswirkungen auf den Wald ersichtlich seien und eine gute Mobilfunkversorgung einen wichtigen Grund darstellen könne, da Antennenstandorte nicht frei wählbar seien. Das Bundesgericht anerkannte zwar das Interesse der Gemeinde, die Anlage ausserhalb von Wohngebieten zu errichten. Es stellte jedoch fest, dass die Frage nach Alternativstandorten in den angrenzenden Arbeits- oder Gewerbezonen (insbesondere Dächer hoher Industriebauten) unbeantwortet blieb und nicht belegt wurde, dass alle anderen Gebiete in der Landwirtschaftszone lägen. Diese Frage bedarf weiterer Abklärung.
5. Orts- und Landschaftsbild (NHG)

Die Beschwerdeführer rügten einen unzulässigen Eingriff in das Orts- und Landschaftsbild und das Fehlen einer Prüfung von Alternativstandorten gemäss Art. 3 NHG.

  • Massgebliche Bestimmungen: Art. 3 NHG gebietet die Schonung des heimatlichen Landschafts- und Ortsbilds und setzt eine Interessenabwägung voraus. Eine Baubewilligung für eine Mobilfunkanlage stellt eine Bundesaufgabe gemäss Art. 78 Abs. 2 BV und Art. 2 NHG dar, wodurch Art. 3 NHG direkt anwendbar ist. Dieser Grundsatz relativiert die Regel, dass innerhalb der Bauzonen grundsätzlich keine Prüfung von Alternativstandorten verlangt wird (Urteil 1C_590/2023 E. 5.2). Art. 3 NHG kann eine Prüfung von Varianten gebieten (Urteil 1C_567/2020 E. 5.2).
  • Streitpunkt: Die Gemeinde wählte den Standort am Schiessstand aufgrund optimaler Abdeckung und teilweiser Kaschierung. Die Beschwerdeführer argumentierten, der 30 m hohe Mast überrage den Wald deutlich und beeinträchtige die durch Wiesen, Äcker und Wald geprägte Landschaft. Auch die kantonale Abteilung Natur und Landschaft sprach sich aus Landschaftsschutzgründen gegen den Standort aus.
  • Begründung des Gerichts: Der 30 m hohe Mast überragt den Wald deutlich und stellt eine Beeinträchtigung der Landschaftskammer dar. Die Interessenabwägung nach Art. 3 NHG erfordert eine Prüfung, ob eine gleich gute Mobilfunkversorgung auch an einem Standort in der nahegelegenen Industriezone erbracht werden könnte, ohne die Landschaft zu beeinträchtigen und unter Einhaltung des Waldabstands. Sollte dies der Fall sein, könnte die Interessenabwägung gegen den gewählten Standort ausfallen. Auch diese Frage muss im weiteren Verfahren geklärt werden. Eine generelle Planungspflicht für Mobilfunkanlagen verneint die bundesgerichtliche Praxis jedoch.
Fazit und Rückweisung

Das Bundesgericht gelangte zum Schluss, dass die Rügen betreffend Strahlenschutz und die geringfügige Projektänderung der Technikkabine unbegründet sind. Die Beschwerde erweist sich jedoch im Hinblick auf die Fragen des Gewässerschutzes und -abstands sowie des Waldabstands und der Prüfung von Alternativstandorten im Kontext des Orts- und Landschaftsbilds als begründet.

Die Sache wird in teilweiser Gutheissung der Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau zurückgewiesen, um eine ergänzende Prüfung im Sinne der dargelegten Erwägungen vorzunehmen, insbesondere: 1. Die definitive Abklärung, ob es sich bei der eingedolten Rohrleitung unter dem Standort um ein Gewässer im Sinne des Bundesrechts handelt und ob der geplante Mast den Gewässerraum respektiert. 2. Die vertiefte Prüfung von Alternativstandorten in den angrenzenden Arbeits- oder Industriezonen, insbesondere im Hinblick auf deren Verfügbarkeit und die Möglichkeit einer gleichwertigen Mobilfunkversorgung, sowie deren Auswirkungen auf den Waldabstand und das Orts- und Landschaftsbild.

Die Gerichtskosten werden der Beschwerdegegnerin auferlegt, und diese hat die Beschwerdeführer zu entschädigen.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht hat die Beschwerde gegen die Baubewilligung einer Mobilfunkanlage in Münchwilen teilweise gutgeheissen. Während die Strahlenschutzvorgaben (NISV) und eine geringfügige Projektänderung der Technikkabine als erfüllt bzw. zulässig erachtet wurden, sind die Fragen des Gewässerschutzes, des Waldabstands und des Orts- und Landschaftsbilds nicht ausreichend geklärt. Das Gericht ordnete an, die Gewässereigenschaft einer eingedolten Rohrleitung unter dem Standort genauer abzuklären. Ausserdem muss die Vorinstanz prüfen, ob gleichwertige Alternativstandorte in nahegelegenen Arbeits- oder Industriezonen existieren und verfügbar sind, um die Auswirkungen auf Wald und Landschaft zu minim minimieren. Die Sache wurde zur Neubeurteilung an das Verwaltungsgericht zurückgewiesen.