Zusammenfassung von BGer-Urteil 6B_649/2023 vom 20. November 2025

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Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts (6B_649/2023, 6B_890/2024) vom 20. November 2025

1. Einleitung und Verfahrensgeschichte

Das vorliegende Urteil des Bundesgerichts betrifft zwei Beschwerden in Strafsachen des Beschwerdeführers A.__ gegen Urteile der Genfer Cour de justice (Chambre pénale d'appel et de révision). Die beiden Beschwerden (6B_649/2023 gegen den Entscheid vom 27. März 2023 und 6B_890/2024 gegen den Revisionsentscheid vom 30. September 2024) wurden aufgrund des identischen Sachverhalts und der potenziellen gegenseitigen Beeinflussung der Verfahren miteinander verbunden.

Der Kern des Konflikts liegt in einer langjährigen Auseinandersetzung zwischen A._ und dem Beschwerdegegner B._ bezüglich der Gesellschaft D._ SA. B._ wurde ursprünglich am 22. Juni 2018 vom Tribunal correctionnel Genf wegen Betrugs, Veruntreuung, Geldwäscherei, Urkundenfälschung und versuchter Nötigung zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt. Zivilrechtlich wurden A._s Ansprüche im Namen der D._ SA als unzulässig erklärt, ihm persönlich jedoch CHF 389'406 zugesprochen.

Das Berufungsgericht (Chambre pénale d'appel et de révision) hob dieses Urteil am 30. Januar 2020 auf, sprach B._ vom Betrug und der Urkundenfälschung frei und verurteilte ihn wegen Veruntreuung, Geldwäscherei und versuchter Nötigung zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 26 Monaten. A.__s Zivilansprüche im Namen der D._ SA blieben unzulässig, seine persönlichen wurden abgewiesen. Eine Kompensationsforderung von CHF 282'156 zugunsten des Kantons Genf wurde ausgesprochen. A.__ erhielt eine Entschädigung gemäss Art. 433 StPO von CHF 121'500.

Der Bundesgerichtshof hob mit Urteil vom 17. Januar 2022 (Rückweisungsentscheid) Teile des Berufungsurteils auf, insbesondere hinsichtlich der Verurteilung wegen Veruntreuung und Geldwäscherei, des Strafmasses und der Kompensationsforderung. Es wies die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurück, da diese B.__ Handlungen vorgeworfen hatte, die nicht in der Anklageschrift aufgeführt waren, und eine präzisere Prüfung der kriminellen Herkunft der Geldwäschereibeträge sowie der Kompensationsforderung verlangte.

Nach dieser Rückweisung beantragte A._ eine Revision der Freisprüche vom 30. Januar 2020, gestützt auf eine Verurteilung der Ehefrau von B._ im Iran wegen Urkundenfälschung und Gebrauchs gefälschter Dokumente, die in der Schweizer Prozedur verwendet worden waren. Diese Revisionsbegehren wurden vom Berufungsgericht mit Urteil vom 30. September 2024 abgewiesen.

2. Rechtliche Erwägungen des Bundesgerichts zum Rekurs 6B_649/2023 (gegen den Entscheid nach Rückweisung)

Dieser Rekurs richtete sich gegen das Urteil des Berufungsgerichts vom 27. März 2023, das nach der ersten Rückweisung des Bundesgerichts erging.

2.1. Bindungswirkung des Rückweisungsentscheids (Art. 107 Abs. 2 BGG) Das Bundesgericht erinnert daran, dass die Vorinstanz an die rechtlichen Erwägungen des Rückweisungsentscheids gebunden ist. Neue Tatsachen und Beweismittel können nur in den durch den Rückweisungsentscheid abgesteckten Grenzen berücksichtigt werden.

2.2. Neue Beweismittel im Berufungsverfahren nach Rückweisung A._ rügte, die Vorinstanz habe willkürlich die Berücksichtigung neuer Beweismittel (iranische Gerichtsakten) verweigert. Das Bundesgericht verwarf diese Rüge als appellatorisch und unzureichend begründet. A._ habe nicht präzise dargelegt, inwiefern die Zulässigkeit neuer Beweismittel in diesem Stadium des Verfahrens, das durch den Rückweisungsentscheid des Bundesgerichts begrenzt war, geboten gewesen wäre.

2.3. Verletzung des Verbots der reformatio in pejus (Art. 391 Abs. 2 StPO) A._ machte geltend, das Berufungsgericht hätte B._ eine höhere Strafe auferlegen müssen, gestützt auf "neue Tatsachen". Das Bundesgericht stellte klar, dass der Beschwerdeführer als Privatkläger keine Befugnis hat, die Revision des Strafmasses zu verlangen (Art. 382 Abs. 2 StPO). Zudem schützt das Verbot der reformatio in pejus den Beschuldigten, wenn nur dieser ein Rechtsmittel eingelegt hat. Da in diesem Fall beide Parteien Berufung eingelegt hatten, war Art. 391 Abs. 2 StPO nicht verletzt. Auch die Unterscheidung zwischen "neuen Tatsachen" und "neuen Beweismitteln" sowie die Begrenzung des Umfangs der neuen Beweismittel durch den Rückweisungsentscheid wurden hervorgehoben.

2.4. Verletzung der Opfereigenschaft und der Durchgriffstheorie (Art. 118 StPO) A._ rügte, seine Opfereigenschaft sei ihm zu Unrecht abgesprochen worden, indem das Berufungsgericht die Durchgriffstheorie (Durchgriff auf das Vermögen der Gesellschaft) verweigert habe. Das Bundesgericht verwies auf seinen früheren Rückweisungsentscheid (E. 10.1.4), in dem es bereits rechtsverbindlich festgestellt hatte, dass A._ sich nicht auf eine Pseudo-Identität seines Vermögens mit dem der Aktiengesellschaft berufen kann. Diese Frage sei durch die Bindungswirkung des Rückweisungsentscheids endgültig geklärt.

2.5. Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV) und willkürliche Sachverhaltsfeststellung A.__ beklagte, das Berufungsgericht habe sein Gesuch um erneute Einvernahme von B.__s Ehefrau ohne eigene Begründung abgelehnt. Das Bundesgericht hielt fest, die Begründung des Berufungsgerichts – nämlich dass die Einvernahme im Rahmen des durch den Bundesgerichtsentscheid definierten Auftrags nicht erforderlich sei – sei ausreichend gewesen und schliesse eine Verletzung des rechtlichen Gehörs aus. Die Zulässigkeit neuer Beweisanträge sei durch den Umfang der Rückweisung begrenzt.

2.6. Verletzung von Art. 433 StPO (Parteientschädigung) und reformatio in pejus A._ kritisierte, dass seine Parteientschädigung von CHF 121'000 auf CHF 85'000 reduziert wurde. Das Bundesgericht wies dies zurück: * Die reformatio in pejus sei nicht verletzt, da die Entschädigungsfrage bereits im ersten Bundesgerichtsverfahren von beiden Parteien angefochten und vom Bundesgericht nicht abschliessend geklärt, sondern zur Neubegründung an die Vorinstanz zurückgewiesen wurde. Die Vorinstanz war daher weiterhin mit dieser Frage befasst. * Die Reduktion der Entschädigung sei nicht willkürlich. Das Berufungsgericht habe begründet, dass eine präzise Zuordnung der Anwaltsleistungen zu den einzelnen Anklagepunkten oder zur Zivil- und Strafkomponente nicht möglich sei und A._ nur teilweise Erfolg hatte, insbesondere da viele Delikte das Gesellschaftsvermögen und nicht sein eigenes betrafen. Die Schätzung durch das Gericht sei zulässig. Auch die Anwendung des 8%-Mehrwertsteuersatzes für die gesamte Abrechnung sei nicht willkürlich, da der Grossteil der Aktivitäten vor der Satzänderung (1. Januar 2018) stattfand und dieser Satz für den Beschwerdeführer vorteilhafter war.

2.7. Schriftliche Verfahrensführung im Berufungsverfahren A._ rügte die Durchführung des Berufungsverfahrens in schriftlicher Form entgegen seinem Widerspruch. Das Bundesgericht hielt fest, dass ein Wechsel von mündlicher zu schriftlicher Verfahrensführung nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist. Da der Rückweisungsentscheid des Bundesgerichts den Umfang der neu zu prüfenden Fragen klar begrenzte und A._ keine direkten Interessen als Geschädigter im Hinblick auf Delikte gegen das Gesellschaftsvermögen geltend machen konnte, hatte er kein schutzwürdiges Interesse an einer mündlichen Verhandlung zu diesen Punkten. Die Beweiserhebungen, deren A.__ sich beklagte, fielen nicht in den vom Bundesgericht vorgegebenen Prüfungsrahmen.

3. Rechtliche Erwägungen des Bundesgerichts zum Rekurs 6B_890/2024 (gegen den Revisionsentscheid)

Dieser Rekurs richtete sich gegen den Entscheid des Berufungsgerichts vom 30. September 2024, mit dem A._s Revisionsbegehren abgewiesen wurde. A._ stützte sein Revisionsgesuch auf die Verurteilung von B.__s Ehefrau im Iran wegen Urkundenfälschung und des Gebrauchs gefälschter Dokumente in der Schweizer Prozedur.

3.1. Voraussetzungen der Revision (Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO) Eine Revision ist möglich, wenn neue, vor der Fällung des Urteils bestehende Tatsachen oder neue Beweismittel vorliegen, die einen Freispruch, eine wesentlich mildere oder strengere Verurteilung des Verurteilten oder eine Verurteilung des Freigesprochenen begründen könnten.

3.2. Prüfungsumfang des Bundesgerichts Das Bundesgericht prüft als Rechtsfrage, ob die Vorinstanz neue und ernsthafte Tatsachen oder Beweismittel zu Recht angenommen oder abgelehnt hat. Die Frage, ob eine Tatsache oder ein Beweismittel tatsächlich unbekannt war oder geeignet ist, den Sachverhalt zu ändern, ist eine Frage der willkürlichen Sachverhaltsfeststellung. Die rechtliche Relevanz einer Sachverhaltsänderung ist wiederum eine Rechtsfrage.

3.3. Die Durchgriffstheorie und die Opfereigenschaft bei Gesellschaftsvermögen Das Berufungsgericht hat in erster Linie festgestellt, dass die in der Revisionsprozedur vorgebrachten Beweismittel keine Auswirkungen auf die rein rechtliche Beurteilung haben, wonach die Durchgriffstheorie ausgeschlossen ist. Dies bedeutet, dass A._, auch wenn er alleiniger Aktionär der Gesellschaft gewesen wäre, sich nicht auf eine wirtschaftliche Identität seines Vermögens mit dem der Gesellschaft berufen kann (unter Verweis auf BGE 136 I 49 E. 5.4 und frühere Entscheide). Dies ist ein rechtlicher Punkt, der bereits im Rückweisungsentscheid des Bundesgerichts geklärt wurde. Folglich ist A._ kein direkt Geschädigter von Delikten, die ausschliesslich das Gesellschaftsvermögen betreffen. Damit scheitern die meisten Rügen von A._, soweit sie die Freisprüche oder strengere Verurteilungen von B._ im Hinblick auf Delikte zum Nachteil der Gesellschaft betreffen, bereits an dieser Bindungswirkung.

3.4. Beweiswürdigung der Revisionsinstanz zu den iranischen Gerichtsentscheiden Das Bundesgericht hat geprüft, ob das Berufungsgericht bei der Würdigung der neuen Beweismittel (iranische Gerichtsentscheide über die Ehefrau von B._) in Willkür verfallen ist. * Betreffend ursprüngliche/nachträgliche Beteiligung an D.__ SA und B.__s finanzielle Mittel: A._ rügte, die Vorinstanz habe willkürlich angenommen, B._s Ehefrau habe über finanzielle Mittel verfügt, die B._ Investitionen in D._ SA ermöglicht hätten. Das Bundesgericht verwarf dies. Das Berufungsgericht habe detailliert begründet, warum die iranischen Dokumente (die sich auf Immobilienverkäufe und Aussagen von B.__s Ehefrau beziehen) nicht geeignet seien, die ursprüngliche Feststellung zu widerlegen, dass B._ Einzahlungen von CHF 176'386 auf die Konten von D._ SA geleistet hatte und dass es nicht ausgeschlossen werden konnte, dass seine Ehefrau über Mittel verfügte. Die iranischen Dokumente belegten nicht, dass die Ehefrau oder ihre Familie nie über Vermögen verfügten. Die Beweiswürdigung der Vorinstanz, die sich auf mehrere Beweismittel (übereinstimmende Aussagen, Bankkontoinhaber, Buchhaltung, Zahlungsbelege) stützte, sei sorgfältig und nicht willkürlich. * Betreffend Kapitalerhöhung der D.__ SA: A.__s Rüge, er allein habe die Kapitalerhöhung finanziert und B._ habe keine Mittel gehabt, wurde zurückgewiesen. Das Bundesgericht hielt fest, dass A.__ keinen konkreten Zusammenhang zwischen den neuen iranischen Beweismitteln und der Feststellung des Berufungsgerichts darlegte, wonach die Mittel für die Kapitalerhöhung aus der Gesellschaft selbst stammten. Die Rüge sei ungenügend motiviert. * Betreffend Geldabzweigungen und Urkundenfälschung: A.__s Rügen zu Geldabzweigungen wurden primär wegen der bereits dargelegten Unanwendbarkeit der Durchgriffstheorie als unbegründet abgewiesen. Bezüglich Urkundenfälschung wurden keine spezifischen, substanziierten Rügen gegen die Argumentation des Berufungsgerichts vorgebracht, weshalb das Bundesgericht nicht darauf einging.

4. Schlussfolgerung des Bundesgerichts

Beide Beschwerden von A._ werden, soweit sie überhaupt zulässig sind, abgewiesen. A._ hat die Gerichtskosten zu tragen.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht weist die Beschwerden von A.__ ab, welche sich gegen zwei Urteile der Genfer Cour de justice richten: erstens gegen eine Entscheidung, die nach einer früheren Rückweisung des Bundesgerichts erging, und zweitens gegen die Abweisung eines Revisionsgesuchs.

  1. Bindungswirkung: Das Bundesgericht betont die Bindung der Vorinstanzen an die rechtlichen Erwägungen seiner Rückweisungsentscheide. Dies schränkt die Zulässigkeit neuer Beweismittel im weiteren Verlauf des Verfahrens erheblich ein.
  2. Opfereigenschaft und Durchgriffstheorie: Der Beschwerdeführer A._ kann sich nicht auf eine Identität seines Vermögens mit dem der betroffenen Aktiengesellschaft (D._ SA) berufen. Daher ist er kein direkt Geschädigter von Delikten, die sich ausschliesslich gegen das Gesellschaftsvermögen richten. Diese rein rechtliche Frage ist durch frühere Bundesgerichtsentscheide bindend geklärt.
  3. Revisionsbegehren: Das Bundesgericht bestätigt die Abweisung des Revisionsgesuchs durch die Vorinstanz. Die vom Beschwerdeführer vorgelegten neuen Beweismittel (iranische Gerichtsentscheide gegen die Ehefrau des Beschwerdegegners B._) sind nach Ansicht des Bundesgerichts nicht geeignet, eine wesentlich strengere Verurteilung des B._ zu begründen. Die Vorinstanz hat diese Beweismittel willkürfrei gewürdigt und schlüssig dargelegt, warum sie keinen Einfluss auf die bereits getroffenen Feststellungen zur finanziellen Situation oder den Investitionen von B.__ und seiner Ehefrau haben.
  4. Parteientschädigung und reformatio in pejus: Die Reduktion der Parteientschädigung für A.__ ist zulässig, da beide Parteien in der Vorinstanz Berufung eingelegt hatten und das Bundesgericht diese Frage zuvor nicht abschliessend geklärt, sondern zur Neubeurteilung zurückgewiesen hatte. Eine willkürliche Reduktion oder eine Verletzung der reformatio in pejus liegt nicht vor.
  5. Verfahrensführung: Die Rügen A.__s bezüglich des Anspruchs auf rechtliches Gehör und der schriftlichen Verfahrensführung werden abgewiesen, da die Begründung der Vorinstanz ausreichend war und die Beweisanträge aufgrund der Bindungswirkung der früheren Bundesgerichtsentscheide nicht als relevant erachtet wurden.

A.__ trägt die Gerichtskosten beider Verfahren.