Zusammenfassung von BGer-Urteil 7B_1325/2024 vom 5. November 2025

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Das Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts 7B_1325/2024 vom 5. November 2025 betrifft eine Beschwerde in Strafsachen gegen eine Verurteilung wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit einem Kind und mehrfacher sexueller Nötigung. Der Beschwerdeführer A.__ focht das Urteil des Obergerichts des Kantons Zug vom 21. Dezember 2023 an, welches ihn zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 35 Monaten verurteilt und weitere Massnahmen angeordnet hatte. Die zentralen Streitpunkte vor Bundesgericht waren die Verwertbarkeit einer heimlich erstellten Audioaufnahme sowie die willkürliche Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung der Vorinstanz.

Detaillierte Zusammenfassung des Urteils

I. Sachverhalt und Vorinstanzen

Der Beschwerdeführer A._ wurde angeklagt, zwischen dem 22. März 2017 und dem 3. Dezember 2019 rund 40 bis 50 sexuelle Handlungen zum Nachteil der damals 12- bis 14-jährigen B._, der Tochter seiner Lebensgefährtin, vorgenommen zu haben. Die Handlungen umfassten das Anweisen, eine Trainerhose anzuziehen und sich mit heruntergezogener Hose hinzulegen, um die Beine gespreizt zu halten, während A._ unter dem Vorwand, die Jungfräulichkeit zu überprüfen, seinen Finger oder seine Zunge in die Vagina von B._ steckte. Einmal soll er zudem versucht haben, mit seinem entblössten Penis den Vaginalbereich zu berühren. A._ setzte B._ unter Druck, indem er drohte, Informationen über sie an ihre Mutter weiterzugeben (z.B. Rauchen, Unterschriftenfälschung, Pornokonsum).

Das Strafgericht des Kantons Zug sprach A._ in Bezug auf bestimmte Zeiträume frei, verurteilte ihn aber für andere Zeiträume wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit Kindern und mehrfacher sexueller Nötigung zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 35 Monaten. Zudem wurden ein lebenslängliches Tätigkeitsverbot mit Minderjährigen, eine Landesverweisung von sieben Jahren, eine Genugtuung, Schadenersatz und eine Parteientschädigung zugunsten von B._ angeordnet.

Das Obergericht des Kantons Zug bestätigte im Wesentlichen das erstinstanzliche Urteil, wies die Berufung von A._ ab und hiess die Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft teilweise gut. Es sprach A._ vom Tatzeitraum 22. März 2017 bis 30. Juni 2017 frei, verurteilte ihn aber für den Zeitraum vom 1. Juli 2017 bis 3. Dezember 2019 wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit Kindern, mehrfacher sexueller Nötigung, versuchter sexueller Handlungen mit Kindern und mehrfacher versuchter sexueller Nötigung. Die Strafe und die weiteren Massnahmen blieben unverändert.

II. Massgebende Punkte und rechtliche Argumente des Bundesgerichts

Der Beschwerdeführer beantragte vor Bundesgericht einen vollumfänglichen Freispruch und die Aufhebung der angeordneten finanziellen Leistungen und Massnahmen.

1. Verwertbarkeit der Audioaufnahme (Art. 141 Abs. 2 StPO)

Dies bildete den Kern der rechtlichen Auseinandersetzung. B.__ hatte am 3. Dezember 2019 ein privates Gespräch mit dem Beschwerdeführer heimlich mit ihrem Mobiltelefon aufgezeichnet.

  • Rüge des Beschwerdeführers: A.__ machte geltend, die Vorinstanz gehe zu Unrecht davon aus, dass ein Rechtfertigungsgrund für das heimliche Aufnehmen vorliege. Er argumentierte, die Interessenabwägung müsse zu seinen Gunsten ausfallen, da seine Verfahrensrechte verletzt worden seien, insbesondere da das Fairnessgebot tangiert sei und der Kontext der Aufnahme unklar sei. Die Rechtsprechung, wonach das öffentliche Interesse an der Wahrheitsfindung mit der Schwere der Straftat zunehme, sei nicht folgerichtig, da auch das Interesse des Beschuldigten an der Einhaltung seiner Verfahrensrechte bei schweren Anschuldigungen steige.

  • Begründung der Vorinstanz: Die Vorinstanz hatte erwogen, die Aufnahme verstosse zwar gegen das Datenschutzgesetz und stelle ein unbefugtes Aufnehmen von Gesprächen im Sinne von Art. 179ter StGB dar. Die Handlung sei jedoch durch ein überwiegendes privates Interesse von B.__ bzw. aufgrund eines Beweisnotstands gerechtfertigt gewesen. Eventualiter hielt die Vorinstanz fest, dass die Verwertung auch unter dem Gesichtspunkt der Rechtsprechung zur Verwertbarkeit von gesetzwidrig erhobenen Privatbeweisen (Art. 141 Abs. 2 StPO) nicht zu beanstanden sei. Sie begründete dies damit, dass es sich bei den vorgeworfenen Delikten um schwere Straftaten handle, welche die Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweise ausnahmsweise rechtfertigten. Zudem hätte die Beweiserhebung alternativ auch durch die Staatsanwaltschaft mittels einer technischen Überwachung auf legalem Weg erfolgen können.

  • Würdigung des Bundesgerichts:

    • Das Bundesgericht bekräftigte seine ständige Rechtsprechung zur Verwertbarkeit von Beweismitteln, die von Privatpersonen erhoben wurden (vgl. BGE 147 IV 16 E. 1.2; 151 IV 124 E. 2.3; 147 IV 9 E. 1.3.1). Demnach sind von Privaten rechtmässig erlangte Beweismittel ohne Einschränkungen verwertbar. Von Privaten rechtswidrig erlangte Beweise sind hingegen nur verwertbar, wenn zwei kumulative Voraussetzungen erfüllt sind:
      1. Die Beweismittel hätten von den Strafverfolgungsbehörden hypothetisch rechtmässig erhoben werden können.
      2. Eine Interessenabwägung spricht für ihre Verwertung, wobei dieselben Massstäbe wie bei von staatlichen Behörden rechtswidrig erhobenen Beweisen (Art. 141 Abs. 2 StPO) anzuwenden sind. Dies ist der Fall, wenn die Verwertung zur Aufklärung einer schweren Straftat unerlässlich ist.
    • Anwendung auf den Fall:
      • Schwere Straftat: Das Bundesgericht bestätigte die Auffassung der Vorinstanz, dass es sich beim Delikt der sexuellen Handlungen mit einem Kind um eine schwere Straftat im Sinne von Art. 141 Abs. 2 StPO handle. Es erinnerte daran, dass als schwere Straftaten vorab Verbrechen in Betracht kämen und der Begriff im Lichte der Schwere der konkreten Tat sowie der begleitenden Umstände zu prüfen sei, nicht nur nach dem abstrakt angedrohten Strafmass (vgl. BGE 147 IV 9 E. 1.3.1; 147 IV 16 E. 6).
      • Hypothetisch rechtmässige Erlangbarkeit: Das Bundesgericht bejahte die hypothetische Erhebbarkeit der Audioaufnahme durch die Behörden. Wäre die Meldung über die sexuellen Übergriffe früher erfolgt, hätten die Strafverfolgungsbehörden zum Zeitpunkt des Gesprächs aufgrund des dringenden Tatverdachts und mit Blick auf eine Katalogtat gemäss Art. 269 Abs. 2 lit. a StPO eine technische Überwachungsmassnahme anordnen können.
      • Interessenabwägung: Das Bundesgericht wies die Argumentation des Beschwerdeführers zurück, wonach die Interessenabwägung aufgrund der schwerwiegenden Konsequenzen einer Verurteilung zu seinen Gunsten ausfallen müsse. Es betonte, diese Auffassung widerspreche dem klaren Wortlaut und der Wertung von Art. 141 Abs. 2 StPO, wonach das öffentliche Interesse an der Wahrheitsfindung umso eher überwiege, je schwerer die Straftat sei (vgl. BGE 131 I 272 E. 4). Angesichts der Schwere und Vielzahl der vorgeworfenen sexuellen Übergriffe falle die Interessenabwägung offenkundig zugunsten des öffentlichen Interesses an der Wahrheitsfindung aus.
      • Fairnessgebot: Das Bundesgericht stellte klar, dass das Fairnessgebot im vorliegenden Fall keine eigenständige Bedeutung habe, da es seinen Ausdruck in den strafprozessualen Regelungen zur Verwertbarkeit von Beweismitteln finde.
    • Aufgrund dieser Erwägungen erachtete das Bundesgericht die Verwertbarkeit der Audioaufnahme als gegeben, unabhängig davon, ob ein Rechtfertigungsgrund für die Aufnahme vorlag. Es musste sich somit nicht weiter mit der Frage eines Rechtfertigungsgrundes auseinandersetzen.

2. Willkürliche Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung (Art. 9 BV)

Der Beschwerdeführer rügte die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung als willkürlich.

  • Prüfungsstandard: Das Bundesgericht erinnerte daran, dass es die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung nur prüft, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung beruht und die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Willkür liegt vor, wenn der Entscheid schlechterdings unhaltbar ist oder in klarem Widerspruch zur tatsächlichen Situation steht. Eine erhöhte Begründungsanforderung (Art. 106 Abs. 2 BGG) gilt für Willkürrügen. Dem Grundsatz "in dubio pro reo" kommt dabei keine über das Willkürverbot hinausgehende Bedeutung zu (BGE 148 IV 409 E. 2.2).

  • Würdigung der Aussagen des Beschwerdeführers:

    • Die Vorinstanz hatte festgehalten, die Aussagen des Beschwerdeführers seien zwar bezüglich des Kerngeschehens konstant, wiesen jedoch Unstimmigkeiten hinsichtlich des verwendeten Druckmittels und insbesondere der Erklärung der Audioaufnahme auf. Aus der Aufnahme gehe hervor, dass der Beschwerdeführer B.__ aufforderte, sich umzuziehen und sich "zeigen zu kommen". Der Beschwerdeführer erklärte dies als Kontrolle ihres Mobiltelefons.
    • Das Bundesgericht bestätigte die Vorinstanz: Es sei nicht nachvollziehbar, warum B._ sich zum "Umziehen" und "Zeigen" hätte bereitmachen sollen, um ein Mobiltelefon zu zeigen. Auch sei eine Kontrolle aus erzieherischen Gründen nicht sinnvoll, wenn B._ die Gelegenheit gehabt hätte, zuvor nachteilige Chats oder Bilder zu löschen. Die Erläuterungen des Beschwerdeführers seien wechselhaft, widersprüchlich und wiesen typische Merkmale einer spontanen Schutzbehauptung auf.
  • Würdigung der Aussagen der Beschwerdegegnerin 2:

    • Die Vorinstanz stufte B._ als glaubwürdig ein. Ihre Aussagen enthielten Realkennzeichen von hoher Quantität und Qualität, die sie glaubhaft erscheinen liessen. Insbesondere wurde der hohe Grad an Originalität und Individualität der "Jungfräulichkeitsprüfungen" hervorgehoben, die eine fiktive Erfindung durch eine damals 14-Jährige als schwer vorstellbar erscheinen liessen, zumal B._ bis zum Aufklärungsunterricht 2019 nicht wusste, dass solche "Prüfungen" physiologisch unmöglich seien. Sie habe zudem auf Mehrbelastungen verzichtet. Die Vorinstanz verwarf detailliert verschiedene Suggestions-, Anpassungs- und Falschanschuldigungshypothesen.
    • Das Bundesgericht teilte diese Einschätzung. Es wies die Behauptung des Beschwerdeführers zurück, B.__ habe lediglich einen Standardablauf geschildert und nicht genügend Details zu den einzelnen Vorfällen. Angesichts von 40 bis 50 Übergriffen über einen längeren Zeitraum und dem damaligen Alter der Geschädigten sei eine exakte zeitliche Einordnung und detaillierte Schilderung jedes einzelnen Übergriffs nicht zu erwarten. Der generalisierte Ablauf sei angesichts des angeblichen Charakters als unangenehme Erziehungsmassnahme glaubhaft.
  • Spezifische Streitpunkte:

    • Übersetzung und Interpretation der Audioaufnahme: Der Beschwerdeführer beanstandete die Übersetzung des portugiesischen Wortes "essa" und die Interpretation der Äusserung "essa mierda". Das Bundesgericht bestätigte die vorinstanzliche Auslegung, wonach B.__ sich mit diesem Ausdruck nicht auf einen Körperteil, sondern auf den gesamten Vorgang der "Jungfräulichkeitsprüfung" bezog, und sah darin keine Willkür.
    • Glaubwürdigkeit von B.__: Die Behauptung des Beschwerdeführers, B.__s Äusserungen, er solle weggehen oder sie wolle zum Vater ziehen, indizierten eine eingeschränkte Glaubwürdigkeit und Falschanschuldigungen, wurde vom Bundesgericht zurückgewiesen.
    • Nebensächlichkeiten: Weitere Kritikpunkte des Beschwerdeführers bezogen sich auf Nebensächlichkeiten (z.B. Einsehbarkeit des Tatorts, Abkleben der Handykamera, Akkuladestand), die nicht geeignet waren, eine bundesrechtswidrige Sachverhaltsfeststellung aufzuzeigen.

3. Weitere Anträge

Die rechtliche Würdigung der Tatvorwürfe durch die Vorinstanz beanstandete der Beschwerdeführer nicht. Seine Anträge bezüglich der Rückerstattung der Kaution, der Entschädigung für wirtschaftliche Einbussen, Persönlichkeitsverletzung und Freiheitsentzug wurden vom Bundesgericht abgewiesen, da sie entweder nicht hinreichend begründet wurden oder direkt vom beantragten Freispruch abhingen.

III. Ergebnis

Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab, soweit darauf eingetreten werden konnte. Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wurde wegen offensichtlicher Aussichtslosigkeit der Begehren ebenfalls abgewiesen. Die Gerichtskosten wurden dem Beschwerdeführer auferlegt. Das Gesuch der Beschwerdegegnerin 2 um unentgeltliche Rechtspflege wurde als gegenstandslos abgeschrieben, da keine Vernehmlassung eingeholt und ihr keine Umtriebe entstanden waren.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte

Das Bundesgericht bestätigte die Verurteilung des Beschwerdeführers A.__ wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit einem Kind und mehrfacher sexueller Nötigung.

  1. Verwertbarkeit der Audioaufnahme: Die heimlich von der Geschädigten erstellte Audioaufnahme wurde als verwertbar erachtet. Dies gestützt auf Art. 141 Abs. 2 StPO, da die Taten als schwere Straftaten gelten, die Aufnahme hypothetisch auch durch staatliche Behörden hätte erlangt werden können und das öffentliche Interesse an der Wahrheitsfindung das private Interesse des Beschwerdeführers an der Unverwertbarkeit überwiegt.
  2. Beweiswürdigung nicht willkürlich: Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung, einschliesslich der Glaubwürdigkeit der Geschädigten und der Unglaubwürdigkeit der Erklärungen des Beschwerdeführers (insbesondere zur Audioaufnahme), wurde vom Bundesgericht als nicht willkürlich bestätigt. Die Argumente des Beschwerdeführers stellten lediglich eine von der Vorinstanz abweichende Würdigung dar, ohne Willkür aufzuzeigen.
  3. Abweisung weiterer Anträge: Sämtliche weiteren Anträge des Beschwerdeführers, einschliesslich des Freispruchs und Entschädigungsforderungen, wurden mangels Begründung oder wegen Abhängigkeit vom Hauptbegehren abgewiesen. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wurde wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerde ebenfalls abgelehnt.