Zusammenfassung von BGer-Urteil 7B_612/2023 vom 20. November 2025

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Detaillierte Zusammenfassung des Urteils 7B_612/2023 des Schweizerischen Bundesgerichts vom 20. November 2025

1. Einleitung und Parteien

Das vorliegende Urteil des Bundesgerichts vom 20. November 2025 (Aktenzeichen 7B_612/2023) betrifft eine Beschwerde in Strafsachen. Der Beschwerdeführer A._, ein Geschäftsmann, hatte Strafanzeige gegen B._, einen im Kanton Waadt eingetragenen Rechtsanwalt und Verwalter der D.__ SA, wegen Untreue (Art. 138 Ziff. 2 StGB), eventualiter Betrug oder gewerbsmässigen Betrug, eingereicht. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Waadt (Ministère public central) hatte eine Nichteintretensverfügung erlassen, welche von der Chambre des recours pénale des Tribunal cantonal du canton de Vaud (kantonale Beschwerdekammer) bestätigt wurde. Gegen diesen Entscheid richtete sich die Beschwerde an das Bundesgericht.

2. Sachverhalt und prozessuale Vorgeschichte

Der Sachverhalt ist komplex und dreht sich um eine Finanztransaktion: * B._ ist Rechtsanwalt und Verwalter der D._ SA, einer im Immobilienbereich tätigen Gesellschaft. * Am 3. September 2010 schloss D._ SA eine Vereinbarung mit E._ SA, wonach D._ SA eine Forderung von CHF 3'306'944 gegen den verstorbenen C._ (ehemaliger Mandant von B._) von E._ SA für CHF 500'000 erwarb. * Der Beschwerdeführer A._ beteiligte sich an der Finanzierung dieses Forderungskaufs mit CHF 125'000. * Die Forderung gegen C._ war durch die Verpfändung eines Schuldbriefs einer weiteren Genfer Gesellschaft, der Société F._ en liquidation, gesichert. * Aus dem Konkurs der Société F._ en liquidation erhielt D._ SA eine Dividende von CHF 3'315'572.18. * Von diesem Betrag wurden CHF 500'000 für die Rückzahlung des ursprünglichen Kaufpreises, CHF 1'404'500 an die Erbengemeinschaft von C._ und CHF 400'000 als Honorare an B._ abgezogen. * Der verbleibende Restbetrag von CHF 1'011'072.18 wurde gemäss einer mündlichen Vereinbarung unter vier Investoren, darunter A._ und B._, gleichmässig aufgeteilt. A._ erhielt somit ein Viertel dieses Betrags, was einem Nettogewinn von mehr als dem Doppelten seiner ursprünglichen Investition entsprach. * A.__ reichte am 10. September 2021 Strafanzeige wegen Untreue etc. ein und forderte zivilrechtlich mindestens CHF 100'000. * Die Staatsanwaltschaft erliess am 14. März 2023 eine Nichteintretensverfügung, welche die kantonale Beschwerdekammer am 2. Mai 2023 bestätigte.

3. Erwägungen des Bundesgerichts

3.1. Zulässigkeit der Beschwerde (Beschwerdebefugnis des Privatklägers) Das Bundesgericht prüfte zunächst die Beschwerdebefugnis des Beschwerdeführers als Privatkläger gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG. Obwohl der Beschwerdeführer seine Zivilforderungen anfänglich nur pauschal mit "mindestens CHF 100'000" bezifferte, ohne die Art des Schadens zu präzisieren, erkannte das Gericht aufgrund der Gesamtschrift, dass er eine Schädigung durch das angebliche Vorenthalten von Vermögenswerten geltend machte. Da die geltend gemachten Delikte (insb. Untreue) schützende Normen darstellen, wurde die Beschwerdebefugnis anerkannt.

3.2. Formeller Rügepunkt: Verletzung von Art. 310 StPO und des Anhörungsrechts Der Beschwerdeführer rügte, die Staatsanwaltschaft habe vor der Nichteintretensverfügung sogenannte "ordres de dépôt" (Aufforderungen zur Ablieferung von Unterlagen) erlassen. Solche Zwangsmassnahmen würden die Eröffnung einer Strafuntersuchung voraussetzen, weshalb danach keine Nichteintretensverfügung mehr zulässig sei und sein Anhörungsrecht verletzt worden sei, da er keine Beweisanträge habe stellen können. Das Bundesgericht wies diese Rüge als unzulässig ab. Es hielt fest, dass Rügen vor dem Bundesgericht grundsätzlich bereits vor der Vorinstanz geltend gemacht werden müssen (Grundsatz der Erschöpfung des Instanzenzugs, vgl. BGE 145 IV 377 E. 2.6). Da der Beschwerdeführer diesen spezifischen formellen Mangel nicht vor der kantonalen Beschwerdekammer vorgebracht hatte, konnte das Bundesgericht nicht darauf eintreten. Es bemerkte zudem am Rande, dass nicht offensichtlich sei, ob ein "ordre de dépôt" tatsächlich eine Untersuchungseröffnung impliziert und die Befugnisse vor einer Nichteintretensverfügung übersteigt (unter Verweis auf BGer-Urteil 6B_89/2022 E. 2.3.2).

3.3. Materieller Rügepunkt: Untreue (Art. 138 Ziff. 2 StGB)

3.3.1. Rechtliche Grundlagen zur Nichteintretensverfügung: Das Bundesgericht legte die Grundsätze für Nichteintretens- und Einstellungsverfügungen gemäss Art. 310 Abs. 1 StPO dar. Eine solche Verfügung darf nur ergehen, wenn die Tatbestandsmerkmale einer Straftat oder die Prozessvoraussetzungen offenkundig nicht erfüllt sind oder Prozesshindernisse bestehen. Dabei ist das Prinzip in dubio pro duriore (bei Zweifeln für die Fortsetzung des Verfahrens) zu beachten, welches aus dem Legalitätsprinzip abgeleitet ist (vgl. BGE 143 IV 241 E. 2.2.1). Die Staatsanwaltschaft und die Beschwerdeinstanz verfügen dabei über einen Ermessensspielraum, den das Bundesgericht nur mit Zurückhaltung auf Willkür hin überprüft. Die Frage, ob in dubio pro duriore korrekt angewendet wurde, ist hingegen eine Rechtsfrage.

3.3.2. Begründung der Vorinstanz: Die kantonale Beschwerdekammer hatte argumentiert, dass D._ SA im Konkursverfahren der Société F._ en liquidation in eigenem Namen gehandelt habe und nicht als Inkassobeauftragte für die Investoren. Daher seien die von D.__ SA einkassierten CHF 3'315'572.18 keine "anvertrauten Vermögenswerte" im Sinne von Art. 138 Ziff. 2 StGB gewesen. Zudem gäbe es keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Beschwerdeführer ein höherer Gewinn zugestanden hätte als der tatsächlich erhaltene, der bereits mehr als das Doppelte seiner ursprünglichen Investition betrug.

3.3.3. Analyse des Bundesgerichts: Das Bundesgericht schloss sich der Argumentation der Vorinstanz an. Es stellte fest, dass der Beschwerdeführer A._ aus seiner Investition von CHF 125'000 einen Nettogewinn von rund CHF 250'000 erzielte. Die Strafanzeige des Beschwerdeführers selbst erwähnte, dass jeder Investor ein Viertel des anerkannten Forderungsbetrags nach Abzug der Anwaltshonorare und des geschuldeten Rests an die Erbengemeinschaft C.__ erhalten sollte. Der genaue Inhalt der rein mündlichen Vereinbarung, insbesondere ob sie die D._ SA band, blieb unklar. Angesichts dieser Sachlage und der Tatsache, dass die erhaltene Konkursdividende gemäss den vertraglichen Abreden nach Abzügen verteilt wurde, war es für das Bundesgericht nicht mit einem minimalen Grad an Wahrscheinlichkeit ersichtlich, dass dem Beschwerdeführer ein höherer Gewinn vertraglich zugesichert war. Daher sei das Tatbestandsmerkmal der "pflichtwidrigen Verwendung anvertrauter Vermögenswerte", welches der Untreue inherent ist, offenkundig nicht erfüllt. Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass die Vorinstanz kein Bundesrecht verletzt und Art. 310 StPO korrekt angewendet hatte.

3.4. Rügepunkt: Verletzung des Beschleunigungsgebots Der Beschwerdeführer rügte schliesslich eine Verletzung des Beschleunigungsgebots wegen der 17 Monate zwischen seiner Strafanzeige und der Nichteintretensverfügung. Auch diese Rüge wies das Bundesgericht als unzulässig ab. Da der gerügte Zeitraum vor der kantonalen Beschwerde stattfand, hätte der Beschwerdeführer diesen Punkt bereits vor der kantonalen Beschwerdekammer vorbringen müssen (Grundsatz der Erschöpfung des Instanzenzugs). Dies war nicht geschehen. Zudem hätte diese Rüge im Falle einer Abweisung der Hauptbeschwerde ohnehin kein praktisches Interesse.

4. Fazit und Kosten

Das Bundesgericht wies die Beschwerde, soweit sie zulässig war, ab. Die Gerichtskosten wurden dem unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht hat die Beschwerde eines Privatklägers gegen die Nichteintretensverfügung in einem Fall von Untreue abgewiesen. Die zentralen Punkte waren:

  1. Formeller Mangel: Eine Rüge bezüglich der Eröffnung der Untersuchung und des Anhörungsrechts wurde vom Bundesgericht nicht behandelt, da sie nicht bereits vor der kantonalen Vorinstanz geltend gemacht wurde (Erschöpfung des Instanzenzugs).
  2. Materieller Mangel (Untreue): Das Bundesgericht bestätigte, dass die Tatbestandsmerkmale der Untreue (Art. 138 Ziff. 2 StGB) offenkundig nicht erfüllt waren. Dies wurde primär damit begründet, dass die inkassierten Gelder nicht als "anvertraute Vermögenswerte" der Investoren galten, sondern der Gesellschaft D.__ SA zustanden. Zudem war nicht glaubhaft, dass dem Beschwerdeführer vertraglich ein höherer Gewinn als der bereits erhaltene zugesichert war, der bereits mehr als dem Doppelten seiner Investition entsprach und gemäss den Abreden nach Abzug der Anwaltshonorare und Nachlassforderungen erfolgte. Das Prinzip in dubio pro duriore war daher nicht verletzt.
  3. Beschleunigungsgebot: Eine Rüge der Verletzung des Beschleunigungsgebots wurde ebenfalls wegen Nichteinhaltung des Erschöpfungsgrundsatzes abgewiesen.