Zusammenfassung von BGer-Urteil 7B_425/2024 vom 7. November 2025

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Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des schweizerischen Bundesgerichts detailliert zusammen:

Zusammenfassung des Urteils des Bundesgerichts 7B_425/2024 vom 7. November 2025

1. Parteien und Gegenstand des Verfahrens Der Beschwerdeführer A._ wandte sich mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht gegen ein Urteil der Beschwerdekammer des Tessiner Appellationsgerichts (Corte dei reclami penali), das seine Beschwerde gegen eine Einstellungsverfügung des Staatsanwalts des Kantons Tessin abgewiesen hatte. Gegenstand des Verfahrens war eine von A._ erhobene Strafanzeige gegen die Mitglieder der regionalen Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (ARP1, im Folgenden: KESB) wegen Amtsmissbrauchs (Art. 312 StGB) und Nötigung (Art. 181 StGB).

2. Sachverhalt und Verfahrensgeschichte * Ausgangslage: Das Ehepaar A._ und B._ wurde 2020 geschieden. Die elterliche Sorge für die beiden minderjährigen Kinder (geb. 2006 und 2009) wurde gemeinsam ausgeübt, die Obhut bei der Mutter belassen, dem Vater ein Besuchsrecht eingeräumt. * Umzugspläne und KESB-Entscheide: Die Mutter B._ beabsichtigte, mit den Kindern nach Frankreich umzuziehen. Der Vater beantragte ein Umzugsverbot und die Zuweisung der Obhut. Die KESB lehnte den Umzug zunächst ab (August 2021), genehmigte ihn jedoch später mit Entscheid vom 6. Juli 2022, welcher sofort vollstreckbar erklärt wurde. Der Vater beantragte am 13. Juli 2022 eine Modifikation der sofortigen Vollstreckbarkeit, worauf der Präsident der KESB am 14. Juli 2022 die sofortige Vollstreckbarkeit widerrief und festhielt, dass ein allfälliger Rekurs aufschiebende Wirkung hätte. * Strafanzeige des Vaters: A._ zeigte die KESB-Mitglieder am 28./29. Juli 2022 an. Er machte geltend, die KESB habe die (spätere) Widerrufung der sofortigen Vollstreckbarkeit absichtlich verzögert, da seine Ex-Frau bereits am 8. Juli 2022 den Wegzug angekündigt habe. Er warf den KESB-Mitgliedern vor, die bundesgerichtliche Rechtsprechung zur aufschiebenden Wirkung bewusst nicht angewendet und damit seine Rechte zur Anfechtung des Umzugs beschnitten zu haben, um die Mutter zu bevorteilen. Dies stelle einen "eindeutigen Amtsmissbrauch" und "Nötigung" dar. * Strafuntersuchung und erste Einstellungsverfügung: Der stellvertretende Generalstaatsanwalt des Kantons Tessin (im Folgenden: Staatsanwalt) erliess am 2. August 2022 eine Einstellungsverfügung mangels Tatverdachts. * Erste Anfechtung und Rückweisung: Auf Beschwerde des Vaters hin hob die Beschwerdekammer des Tessiner Appellationsgerichts am 3. Februar 2023 die Einstellungsverfügung auf. Sie rügte, die Untersuchung sei mangelhaft gewesen. Insbesondere sei nicht geklärt worden, ob die KESB-Mitglieder zum Zeitpunkt des Entscheids vom 6. Juli 2022 die einschlägige Rechtsprechung zur aufschiebenden Wirkung gekannt und sich der möglichen Konsequenzen für den Vater bewusst gewesen seien. Diese Frage sei "entscheidend" für die Beurteilung des subjektiven Tatbestands (Vorsatz vs. Fahrlässigkeit). * Zweite Untersuchungshandlung und Einstellungsverfügung: Nach der Rückweisung ersuchte der Staatsanwalt die KESB mit Schreiben vom 22. März 2023 um einen schriftlichen Bericht über die Gründe für den Entzug der aufschiebenden Wirkung, unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung. Die KESB reichte einen solchen Bericht am 27. April 2023 ein, in dem sie ihre Gründe für die Annahme eines "Ausnahmefalls" darlegte und anmerkte, die spätere Wiedereinsetzung der aufschiebenden Wirkung sei nach Konsultation der Inspektionsbehörde erfolgt. Der Vater reichte daraufhin eine schriftliche Stellungnahme ein, beantragte aber keine weiteren spezifischen Beweiserhebungen. Am 19. Juni 2023 erliess der Staatsanwalt eine erneute Einstellungsverfügung. * Zweite Anfechtung und bundesgerichtlicher Rekurs: A._ rekurrierte erneut an die Beschwerdekammer, welche die Einstellungsverfügung am 29. Februar 2024 abwies. Dagegen legte A._ Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht ein.

3. Massgebende rechtliche Argumente und Begründung des Bundesgerichts

3.1. Legitimation zur Bundesgerichtsbeschwerde Das Bundesgericht prüfte zunächst die Legitimation des Beschwerdeführers. Gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG ist der Privatkläger zur Beschwerde in Strafsachen nur legitimiert, wenn der angefochtene Entscheid sich auf seine Zivilforderungen auswirken kann. Da der Beschwerdeführer keine spezifischen Zivilforderungen geltend machte und allfällige Schadenersatzansprüche gegen die KESB-Mitglieder dem kantonalen öffentlichen Haftungsrecht (LResp/TI) unterliegen und somit keine "Zivilforderungen" im Sinne von Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG darstellen, fehlt ihm die Legitimation zur Rüge materieller Rechtsverletzungen oder der Sachverhaltsfeststellung.

Er ist jedoch gemäss konstanter Rechtsprechung befugt, die Verletzung verfahrensrechtlicher Garantien, die ihm als Verfahrenspartei zustehen, geltend zu machen, da dies einer formellen Rechtsverweigerung gleichkommt. Im vorliegenden Fall rügte der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Rechts, an der Beweisabnahme teilzunehmen (Art. 147 StPO), was vom Bundesgericht als zulässige formelle Rüge anerkannt wurde.

3.2. Verletzung des Rechts auf Teilnahme am Beweisverfahren (Art. 147 StPO) Der zentrale Punkt der bundesgerichtlichen Prüfung betraf die Frage, ob der Staatsanwalt das Recht des Beschwerdeführers auf Teilnahme an der Beweisabnahme verletzt hatte, indem er von mündlichen Einvernahmen der KESB-Mitglieder absah und stattdessen lediglich einen schriftlichen Bericht anforderte.

  • Grundlagen zum rechtlichen Gehör und Beweisverfahren:

    • Das Recht auf Gehör (Art. 107 StPO) gewährleistet den Parteien im Strafverfahren insbesondere das Recht, Beweismittel zu substanziieren und an deren Abnahme teilzunehmen oder sich zumindest zu deren Ergebnissen zu äussern.
    • Art. 147 Abs. 1 StPO statuiert ausdrücklich das Recht der Parteien, bei Beweisabnahmen durch die Staatsanwaltschaft und das Gericht anwesend zu sein und den einvernommenen Personen Fragen zu stellen.
    • Art. 145 StPO erlaubt es der Strafbehörde, von Personen, die einzuvernehmen sind oder waren, einen schriftlichen Bericht anstelle oder zur Ergänzung einer Einvernahme zu verlangen. Das Bundesgericht betont jedoch, dass diese Bestimmung mit Zurückhaltung anzuwenden ist. Sie dient in erster Linie komplexen Fallkonstellationen oder technischen Informationen. Die Möglichkeit, einen schriftlichen Bericht einzuholen, darf keinesfalls die Rechte der Parteien beschneiden, insbesondere dann nicht, wenn diese eine mündliche Einvernahme verlangen. Das Strafverfahren sei grundsätzlich auf die mündliche Einvernahme ausgerichtet, und der persönliche Eindruck habe insbesondere bei der Einvernahme von Beschuldigten oder anderen wichtigen Personen eine gewisse Bedeutung. Die Strafbehörden sind zudem verpflichtet, die Wahrheit zu erforschen und Widersprüche zu klären (Art. 139 Abs. 1 und 143 Abs. 5 StPO).
  • Anwendung auf den vorliegenden Fall:

    • Fehler der Staatsanwaltschaft: Das Bundesgericht stellte fest, dass die Staatsanwaltschaft die KESB-Mitglieder nicht persönlich einvernommen hatte, obwohl keine stichhaltigen Gründe vorlagen, eine mündliche Einvernahme durch einen schriftlichen Bericht zu ersetzen. Die Staatsanwaltschaft wäre verpflichtet gewesen, die KESB-Mitglieder persönlich einzuvernehmen und dem Beschwerdeführer das Recht auf Teilnahme und Fragenstellung gemäss Art. 147 Abs. 1 StPO zu garantieren.
    • Kein Verzicht des Beschwerdeführers: Die Tatsache, dass der unassistierte Beschwerdeführer am Ende der Instruktion nicht explizit die Einvernahme der KESB-Mitglieder beantragt hatte, wurde vom Bundesgericht nicht als Verzicht auf sein Fragerecht ausgelegt. Es obliegt den Strafverfolgungsbehörden, die Einvernahmen durchzuführen und die Rechte der Parteien zu wahren. Die Beschwerdekammer hatte in ihrem Entscheid (zwar ohne Konsequenz) ebenfalls die Wahl des Staatsanwalts, Art. 145 StPO anzuwenden, als "nicht teilbar" und "dem Geist der Norm zuwiderlaufend" beurteilt.
    • Verbot der antizipierten Beweiswürdigung: Die von der Beschwerdekammer zur Begründung des Verzichts auf weitere Einvernahmen angeführten prozessökonomischen Gründe und die Annahme, die KESB-Mitglieder würden in einer mündlichen Einvernahme ohnehin nur das bereits schriftlich Gesagte bestätigen, wurden vom Bundesgericht als nicht stichhaltig erachtet.
      • Erstens hatte ein an der ursprünglichen Entscheidung vom 6. Juli 2022 beteiligtes KESB-Mitglied (der Gemeindelegierte) den schriftlichen Bericht vom 27. April 2023 nicht unterzeichnet, was eine Lücke darstellt.
      • Zweitens ging aus dem schriftlichen Bericht der KESB zwar hervor, dass die KESB-Mitglieder die Rechtsprechung zum Entzug der aufschiebenden Wirkung "in Erinnerung gerufen" hatten, nicht aber, ob sie diese Kenntnis bereits zum Zeitpunkt des Erlasses des Entscheids vom 6. Juli 2022 hatten. Genau diese Kenntnis wurde aber von der Beschwerdekammer in ihrer ersten Aufhebungsentscheidung vom 3. Februar 2023 als "entscheidend" für die Beurteilung des subjektiven Tatbestands erachtet.
      • Daher konnte nicht davon ausgegangen werden, dass mündliche Einvernahmen keine neuen, für den Ausgang des Verfahrens relevanten Erkenntnisse liefern würden. Es ging nicht um die Ablehnung eines überflüssigen Beweismittels, sondern um die formell korrekte Erhebung eines bereits als relevant erachteten Beweismittels unter Wahrung der Parteirechte.

4. Schlussfolgerung des Bundesgerichts Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass die kantonale Instanz das verfahrensrechtliche Recht auf Gehör des Beschwerdeführers verletzt hatte. Die angefochtene Entscheidung wurde daher aufgehoben und die Sache an die Beschwerdekammer zurückgewiesen. Die Beschwerdekammer wurde angewiesen, die Einstellungsverfügung des Staatsanwalts aufzuheben und diesen anzuweisen, die KESB-Mitglieder, die den Entscheid vom 6. Juli 2022 gefällt hatten, ordnungsgemäss einzuvernehmen.

5. Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte

Das Bundesgericht hob das Urteil der kantonalen Beschwerdeinstanz und damit die Einstellungsverfügung des Staatsanwalts auf. Die wesentlichen Punkte sind:

  • Verletzung des rechtlichen Gehörs: Der Staatsanwalt hatte die KESB-Mitglieder, gegen die Anzeige erstattet wurde, nicht persönlich einvernommen, sondern lediglich einen schriftlichen Bericht eingeholt. Dies verstösst gegen das Recht des Beschwerdeführers, an der Beweisabnahme teilzunehmen und Fragen zu stellen (Art. 147 StPO).
  • Restriktive Anwendung von Art. 145 StPO: Das Bundesgericht betonte, dass die Einholung schriftlicher Berichte anstelle von Einvernahmen (Art. 145 StPO) nur in Ausnahmefällen und mit Zurückhaltung zulässig ist und die Rechte der Parteien nicht beschneiden darf. Das Strafverfahren bleibt auf mündliche Einvernahmen ausgerichtet.
  • Mangelhafte Sachverhaltsabklärung: Der schriftliche Bericht der KESB war unvollständig, insbesondere zur entscheidenden Frage, ob die KESB-Mitglieder zum massgeblichen Zeitpunkt Kenntnis von der einschlägigen Rechtsprechung zur aufschiebenden Wirkung hatten. Zudem unterzeichnete ein beteiligtes Mitglied den Bericht nicht.
  • Keine antizipierte Beweiswürdigung: Die Annahme, mündliche Einvernahmen würden keine neuen Erkenntnisse bringen, wurde als unzulässige antizipierte Beweiswürdigung zurückgewiesen.
  • Rückweisung zur ordnungsgemässen Einvernahme: Die Sache wird zur Durchführung der erforderlichen mündlichen Einvernahmen an die Staatsanwaltschaft zurückgewiesen, um den Sachverhalt korrekt und unter Wahrung der Parteirechte abzuklären.