Im Folgenden wird das Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts 7B_67/2023 vom 5. November 2025 detailliert zusammengefasst.
1. Einleitung
Das Bundesgericht hatte über eine Beschwerde in Strafsachen des Beschwerdeführers A.__ gegen ein Urteil der Chambre pénale d'appel et de révision der Cour de justice des Kantons Genf vom 26. Januar 2023 zu befinden. Gegenstand der Beschwerde waren Verurteilungen wegen versuchter betrügerischer Verhaltensweise gegenüber den Behörden (Art. 22 Abs. 1 StGB i.V.m. Art. 118 Abs. 1 AuG), illegalen Aufenthalts (Art. 115 lit. b AuG) und unerlaubter Erwerbstätigkeit (Art. 115 Abs. 1 lit. c AuG).
2. Vorinstanzliche Verfahren und Sachverhalt
- Erste Instanz (Tribunal de police, 10. Juni 2022): Der Beschwerdeführer A.__ wurde wegen unerlaubter Erwerbstätigkeit für den Zeitraum vom 10. Juni 2015 bis 26. Juni 2018 sowie wegen illegalen Aufenthalts vom 21. Dezember 2013 bis 26. Juni 2018 verurteilt. Er wurde jedoch von der Anklage der versuchten betrügerischen Verhaltensweise gegenüber den Behörden (Art. 22 Abs. 1 StGB i.V.m. Art. 118 Abs. 1 AuG) und Urkundenfälschung (Art. 251 Ziff. 1 StGB) freigesprochen. Die Strafe betrug 60 Tagessätze à 30 CHF bedingt und eine Busse von 450 CHF.
- Zweite Instanz (Chambre pénale d'appel et de révision, 26. Januar 2023): Die kantonale Appellationsinstanz hiess die Berufung der Staatsanwaltschaft teilweise gut. Sie sprach A.__ zusätzlich der versuchten betrügerischen Verhaltensweise gegenüber den Behörden schuldig und verlängerte die Strafzeiträume für illegalen Aufenthalt (vom 27. Juni 2018 bis 21. Dezember 2020) und unerlaubte Erwerbstätigkeit (vom 10. Juni 2015 bis 21. Dezember 2020). Die Gesamtstrafe wurde auf 130 Tagessätze à 30 CHF bedingt festgesetzt.
- Massgebender Sachverhalt (Feststellungen der kantonalen Instanz):
- Am 27. Juni 2018 reichte A._, ein 1987 geborener B._-Staatsangehöriger, beim Amt für Bevölkerung und Migration Genf (OCPM) ein Gesuch um Aufenthaltsbewilligung im Rahmen der "C.__"-Operation ein. Diese Operation zielte darauf ab, Personen, die sich illegal in der Schweiz aufhielten, zu regularisieren.
- Zur Unterstützung seines Gesuchs legte er unter anderem zwei Arbeitsverträge mit der Firma D.__ SARL (angeblich vom 7. Januar 2008 als Reiniger und vom 29. Januar 2010 als Hilfsmaurer/Gipserhelfer) sowie vier jährliche Lohnausweise für die Jahre 2008 bis 2011 vor, die Sozialversicherungsabzüge enthielten.
- Weitere Belege aus seinem individuellen Konto bei der Genfer Ausgleichskasse zeigten Beitragszahlungen für andere Arbeitgeber (E._ SA, F._ SA, G._ SARL, H._) für Zeiträume zwischen 2013 und 2017.
- Das OCPM zeigte A.__ im November 2019 wegen dieser als irreführend erachteten Dokumente bei der Staatsanwaltschaft an.
- Im September 2020 wurde I._ in einem parallelen Verfahren im Zusammenhang mit "C._"-Dossiers angehört, da er angeblich gegen Bezahlung falsche Dokumente geliefert hatte.
- Die Staatsanwaltschaft legte im Berufungsverfahren einen Geheimdienstbericht vom 7. Juli 2022 und einen Polizeibericht vom 7. Dezember 2020 vor. Diese Berichte zeigten, dass die Firma D._ SARL in sehr viele "C._"-Gesuche involviert war und J._ als faktischer Direktor agierte. Viele angehörte Personen gaben zu, dass Dokumente von D._ SARL, die sie für ihre Anträge vorgelegt hatten, fehlerhaft waren und von K._ oder J._ stammten.
- Die Analyse der Computer von K._ ergab zahlreiche Dokumente im Namen der D._ SARL, die in 22 "C.__"-Dossiers verwendet wurden. Darunter befanden sich Arbeitsverträge, Kündigungsschreiben und Lohnausweise, die mit jenen des Beschwerdeführers identisch waren (nur Name und Daten änderten sich).
- Laut kantonaler Sozialversicherungsanstalt waren zwischen 2005 und 2015 nur drei Personen bei D._ SARL als Angestellte registriert, darunter J._.
- Neun Personen, die solche D._ SARL-Dokumente vorgelegt hatten, gaben an, gefälschte Dokumente erhalten zu haben. Die Metadaten der Dokumente bei K._ zeigten, dass diese zwischen 2014 und 2019 erstellt wurden. Ein angeblich 2007 unterzeichneter Arbeitsvertrag wurde beispielsweise 2017 erstellt.
- Der Arbeitsvertrag von A._, datiert 2008, wurde am 7. Juni 2018 in einem Dokument namens "contrat de travail - 2007 A._" erstellt. Andere Dokumente, die den Namen "A._" enthielten, waren ebenfalls später erstellt worden (z.B. ein Vertrag von M._ (2009) unter dem Namen "contrat de travail - 2008 A.__" 2012 erstellt).
- L._, J.__s Schwiegersohn, gab an, zwar von 2008 bis 2011 für D._ SARL gearbeitet zu haben, die von K.__ gelieferten Dokumente seien jedoch inhaltlich falsch gewesen. Sein angeblich 2007 unterzeichneter Vertrag war 2017 erstellt worden.
3. Rügen des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer beantragte im Wesentlichen seinen Freispruch von der versuchten betrügerischen Verhaltensweise gegenüber den Behörden sowie die Verkürzung der Zeiträume für den illegalen Aufenthalt und die unerlaubte Erwerbstätigkeit. Er rügte eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung sowie eine Verletzung der Unschuldsvermutung.
4. Erwägungen des Bundesgerichts
4.1. Formelle Rüge (Verletzung des rechtlichen Gehörs)
Der Beschwerdeführer rügte eine Verletzung seines Rechts auf rechtliches Gehör (Art. 6 § 3 EMRK; Art. 147 StPO), da keine Konfrontation mit I._ und K._ stattgefunden habe, deren Aussagen und Dokumente als Beweismittel herangezogen wurden. Das Bundesgericht wies diese Rüge als unzulässig ab, da der Beschwerdeführer sie nicht bereits im kantonalen Berufungsverfahren erhoben hatte und somit vor Bundesgericht präkludiert war (vgl. ATF 135 I 91 E. 2.1).
4.2. Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung (Art. 9 Cst., Art. 105 Abs. 2 LTF, Unschuldsvermutung)
- Rechtliche Grundlagen: Das Bundesgericht ist keine Appellationsinstanz und an die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz gebunden (Art. 105 Abs. 1 LTF), es sei denn, diese wurden offensichtlich willkürlich (Art. 9 Cst.) oder sonstwie rechtsverletzend festgestellt (Art. 97 Abs. 1 und 105 Abs. 2 LTF). Willkür in der Beweiswürdigung liegt nur vor, wenn die Behörde ein Beweismittel ohne ernsthaften Grund nicht berücksichtigt, dessen Sinn und Tragweite offensichtlich verkennt oder unhaltbare Schlussfolgerungen daraus zieht. Rein appellatorische Kritik ist unzulässig (Art. 106 Abs. 2 LTF, vgl. ATF 148 IV 409 E. 2.2). Die Unschuldsvermutung (in dubio pro reo), als Beweiswürdigungsregel, verlangt, dass bei objektiv ernsthaften und unüberwindbaren Zweifeln an einem für den Angeklagten nachteiligen Sachverhalt von dessen Nichtexistenz auszugehen ist. Sie hat in diesem Kontext keine weitergehende Bedeutung als das Willkürverbot (ATF 148 IV 409 E. 2.2). Bei der Würdigung eines Bündels konvergierender Indizien genügt es nicht, einzelne Elemente isoliert zu kritisieren; die Gesamtbetrachtung muss willkürfrei sein.
- Anwendung im vorliegenden Fall: Die kantonale Instanz stützte ihre Verurteilung auf eine Vielzahl konvergierender Indizien, die den Vorwurf der Täuschungsabsicht stützten:
- Der vom Beschwerdeführer eingereichte Arbeitsvertrag, angeblich vom Januar 2008, wurde tatsächlich im Juni 2018 erstellt, kurz vor seinem Gesuch.
- Im Rahmen der "C._"-Operation gaben zahlreiche andere Beschuldigte zu, fiktive Verträge der D._ SARL vorgelegt zu haben, die von K.__ angefertigt wurden und mit den Dokumenten des Beschwerdeführers identisch waren.
- Obwohl der Beschwerdeführer angab, drei Jahre für D._ SARL gearbeitet zu haben, konnte er nur J._ als Kontaktperson nennen. Andere genannte Namen entsprachen Kollegen, die er erst später (2014-2016) bei F.__ SA kennengelernt hatte.
- Der Beschwerdeführer gab an, L._ in diesem Zusammenhang kennengelernt zu haben, obwohl die Dokumente sie zwischen 2008 und 2011 als Angestellte der D._ SARL auswiesen. L.__ selbst gab zu, gefälschte Dokumente vorgelegt zu haben.
- Die vom Beschwerdeführer angegebene Wohnadresse war falsch und wurde von I.__ auch anderen Personen gegen Bezahlung zur Verfügung gestellt.
- Aus diesen Gründen war es gemäss kantonaler Instanz erstellt, dass der Beschwerdeführer nicht tatsächlich zwischen 2008 und 2011 für D.__ SARL gearbeitet hatte und das OCPM diesbezüglich täuschen wollte, um eine Aufenthaltsbewilligung zu erhalten.
- Schlussfolgerung des Bundesgerichts: Der Beschwerdeführer beschränkte sich darauf, die einzelnen Indizien neu zu diskutieren und seine eigene Würdigung der Beweise derjenigen der kantonalen Instanz entgegenzusetzen. Er zeigte jedoch keine Willkür in der Beweiswürdigung der Vorinstanz auf. Insbesondere war die Heranziehung der Aussage von I._, die Auswertung des Geheimdienstberichts und die Schlussfolgerung bezüglich der Anzahl der Personen, die Fälschungen zugaben, nicht willkürlich. Auch die Tatsache, dass Dokumente mit dem Namen "A._" bereits vor 2018 erstellt wurden, widerlegte die Feststellung der kantonalen Instanz nicht. Das Bundesgericht verneinte daher Willkür und eine Verletzung der Unschuldsvermutung.
4.3. Versuchter betrügerischer Verhaltensweise gegenüber den Behörden (Art. 118 Abs. 1 AuG i.V.m. Art. 22 StGB)
- Rechtliche Grundlagen: Gemäss Art. 118 Abs. 1 AuG wird mit Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bestraft, wer die mit der Anwendung des Gesetzes betrauten Behörden irreführt, indem er falsche Angaben macht oder wesentliche Tatsachen verschweigt und dadurch für sich oder einen Dritten eine Bewilligung erschleicht oder den Entzug einer Bewilligung verhindert. Eine Angabe oder Verschweigung ist dann "wesentlich", wenn sie die Entscheidung der Behörde (zu Recht) beeinflussen kann. Das objektive Tatbestandsmerkmal ist nicht erfüllt, wenn die falsche Angabe oder das Verschweigen eine Tatsache betrifft, die für den Entscheid unerheblich ist oder sein muss. Die Täuschung muss mithin derart sein, dass die entsprechende Bewilligung ohne sie zu Recht nicht erteilt oder nicht in dieser Form erteilt worden wäre. Entscheidend ist, dass der Täter durch sein Verhalten die Bewilligungsbehörden täuscht, weil diese ohne Kenntnis der tatsächlichen Umstände keine Bewilligung erteilt hätten (vgl. BGE 6B_1490/2021 E. 1.2.2; Botschaft zum Ausländergesetz vom 8. März 2002, BBl 2002 3469 S. 3588 f.).
- Anwendung im vorliegenden Fall: Die kantonale Instanz stellte fest, dass die Voraussetzungen von Art. 118 Abs. 1 AuG erfüllt waren, da der Beschwerdeführer das OCPM mit falschen Angaben täuschen wollte, um eine Aufenthaltsbewilligung zu erlangen. Da die Bewilligung letztlich nicht erteilt wurde, blieb die Tat im Stadium des Versuchs (Art. 22 StGB).
- Schlussfolgerung des Bundesgerichts: Der Beschwerdeführer konnte mit einer den Anforderungen des Art. 42 Abs. 2 LTF genügenden Begründung nicht darlegen, inwiefern die kantonale Instanz Bundesrecht verletzt hätte, indem sie die versuchte betrügerische Verhaltensweise gegenüber den Behörden als erfüllt ansah. Angesichts der willkürfrei festgestellten Tatsachen war dies auch nicht der Fall.
4.4. Illegaler Aufenthalt und unerlaubte Erwerbstätigkeit
Die Rügen des Beschwerdeführers bezüglich seiner Verurteilung wegen illegalen Aufenthalts und unerlaubter Erwerbstätigkeit für den verlängerten Zeitraum vom 27. Juni 2018 bis 21. Dezember 2020 beruhten auf der Prämisse seines Freispruchs von der versuchten betrügerischen Verhaltensweise. Da dieser Freispruch nicht erfolgte, waren diese Rügen gegenstandslos. Die Verlängerung der Strafzeiträume war eine direkte Folge der Verurteilung wegen der Täuschungshandlung, da sein illegaler Status und die unerlaubte Erwerbstätigkeit während des Antragsverfahrens fortbestanden.
5. Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte
Das Bundesgericht bestätigte die Verurteilung des Beschwerdeführers A.__ wegen versuchter betrügerischer Verhaltensweise gegenüber den Behörden, illegalen Aufenthalts und unerlaubter Erwerbstätigkeit.
- Willkür und Unschuldsvermutung: Die Rüge der willkürlichen Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung wurde abgewiesen. Das Bundesgericht befand, dass die kantonale Instanz aufgrund eines Bündels konvergierender Indizien (gefälschte Dokumentenerstellungsdaten, fehlende Unternehmenskontakte, falsche Adresse, Verstrickung in ein grösseres Fälschungssystem) willkürfrei zum Schluss kommen durfte, dass der Beschwerdeführer nicht für die Firma D.__ SARL gearbeitet hatte und versuchte, die Migrationsbehörden zu täuschen.
- Versuchter Behördenbetrug (Art. 118 Abs. 1 AuG i.V.m. Art. 22 StGB): Die Verurteilung wegen versuchter betrügerischer Verhaltensweise wurde bestätigt. Die falschen Angaben zur Arbeitserfahrung wurden als "wesentliche Tatsachen" im Sinne von Art. 118 Abs. 1 AuG eingestuft, da sie kausal die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung hätten beeinflussen können. Da die Bewilligung nicht erteilt wurde, lag ein Versuch vor.
- Abhängige Delikte: Die Ausdehnung der Verurteilungszeiträume für illegalen Aufenthalt und unerlaubte Erwerbstätigkeit wurde als Folge der Bestätigung der versuchten betrügerischen Verhaltensweise aufrechterhalten, da die Argumentation des Beschwerdeführers diesbezüglich auf dem Freispruch der letztgenannten Tat beruhte.
- Formelle Rüge: Eine Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs wurde als verspätet und daher unzulässig abgewiesen.
Die Beschwerde wurde folglich vollumfänglich abgewiesen.