Zusammenfassung von BGer-Urteil 7B_652/2023 vom 4. November 2025

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Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des schweizerischen Bundesgerichts detailliert zusammen:

Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 7B_652/2023 vom 4. November 2025

1. Einleitung und Verfahrensgegenstand

Das Bundesgericht hatte im vorliegenden Fall über eine Beschwerde in Strafsachen von A.__ (nachfolgend: die Beschwerdeführerin) gegen ein Urteil der Chambre pénale de recours des Kantons Genf vom 25. Juli 2023 zu befinden. Gegenstand der Beschwerde war die Entschädigung für wirtschaftlichen Schaden und Genugtuung, welche die Beschwerdeführerin im Rahmen einer Einstellungsverfügung beantragt hatte.

Die ursprüngliche Strafuntersuchung richtete sich gegen G._ wegen sexueller Handlungen mit Kindern (Art. 187 StGB) und gegen die Beschwerdeführerin wegen Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht (Art. 219 StGB). Die Beschwerdeführerin war als Nanny für die mutmasslichen Opfer tätig und lebte mit G._ zusammen. Nachdem das Ministère public de la République et canton de Genève die Verfahren gegen beide Personen eingestellt hatte, sprach es der Beschwerdeführerin eine Genugtuung von 2'000 CHF zu, verweigerte jedoch eine Entschädigung für den geltend gemachten wirtschaftlichen Schaden. Die Beschwerdeführerin verlangte vor der Vorinstanz und nun vor dem Bundesgericht höhere Entschädigungen, namentlich 26'579.10 CHF für wirtschaftlichen Schaden und 50'000 CHF für Genugtuung.

Das Bundesgericht trat auf die Beschwerde ein, da sie gegen eine gemäss Art. 429 ff. StPO statthafte Entscheidung über Entschädigungsansprüche gerichtet und fristgerecht eingereicht wurde (Art. 90, 100 Abs. 1 BGG).

2. Rechtliche Würdigung durch das Bundesgericht

2.1. Entschädigung für wirtschaftlichen Schaden (Art. 429 Abs. 1 Bst. b StPO)

2.1.1. Grundlagen der Entschädigung und des Kausalzusammenhangs Gemäss Art. 429 Abs. 1 Bst. b StPO hat der teilweise oder ganz freigesprochene oder durch eine Einstellungsverfügung begünstigte Beschuldigte Anspruch auf Entschädigung des wirtschaftlichen Schadens, der ihm durch die notwendige Beteiligung am Strafverfahren entstanden ist. Diese Bestimmung begründet eine kausale Haftung des Staates, der den gesamten Schaden zu ersetzen hat, der in einem adäquaten Kausalzusammenhang mit dem Strafverfahren steht (vgl. BGE 142 IV 237 E. 1.3.1).

Der wirtschaftliche Schaden umfasst im Wesentlichen Lohn- und Erwerbsausfälle, die auf die Teilnahme an Gerichtsverhandlungen oder eine Untersuchungshaft zurückzuführen sind. Auch eine mögliche Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Zukunft infolge des Verfahrens sowie andere verfahrensbedingte Kosten (Reise-, Unterkunftskosten) fallen darunter. Die Schadensberechnung erfolgt nach den allgemeinen zivilrechtlichen Regeln (Art. 41 ff. OR; BGE 142 IV 237 E. 1.3.1). Entscheidend ist das Vorhandensein eines natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen dem erlittenen Schaden und dem Strafverfahren.

2.1.2. Definition von Kausalität * Natürliche Kausalität: Ein Umstand ist die natürliche Ursache eines schädigenden Ergebnisses, wenn er eine conditio sine qua non dafür ist; es ist nicht erforderlich, dass das Ereignis die alleinige oder unmittelbare Ursache ist. Die Feststellung der natürlichen Kausalität ist eine Sachverhaltsfrage. * Adäquate Kausalität: Ein Verhalten ist adäquat kausal, wenn es nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet war, ein Ergebnis der eingetretenen Art herbeizuführen. Hierbei ist die objektive Wahrscheinlichkeit massgebend. Eine solche Folge muss im vernünftigen Bereich des objektiv Vorhersehbaren bleiben. Die adäquate Kausalität kann durch ein aussergewöhnliches oder unerwartetes Ereignis (höhere Gewalt, Handlung des Geschädigten oder eines Dritten) unterbrochen werden, wenn dieses so gravierend ist, dass es sich als unmittelbarste Schadensursache aufdrängt und andere Faktoren in den Hintergrund drängt. Die adäquate Kausalität ist eine Rechtsfrage, die das Bundesgericht frei prüft (BGE 143 III 242 E. 3.7).

2.1.3. Argumentation der Beschwerdeführerin und Würdigung durch das Bundesgericht Die Beschwerdeführerin machte geltend, ihre Entlassung (16. September 2020) stehe zwar zeitlich vor der Eröffnung des Strafverfahrens (22. September 2020), das Verfahren habe aber dennoch zu ihrem wirtschaftlichen Schaden beigetragen, indem es ihre berufliche Reputation im sensiblen Bereich der Kinderbetreuung "endgültig besiegelt" und ihre berufliche Zukunft "zunichtegemacht" habe. Die strafrechtlichen Vorwürfe hätten sich gegen jede Wiedereingliederungschance gestellt.

Das Bundesgericht stützte sich auf die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz, an die es grundsätzlich gebunden ist (Art. 105 Abs. 1 BGG), sofern diese nicht willkürlich sind (Art. 9 Cst.). Die Vorinstanz hatte festgestellt, dass die Beschwerdeführerin am 16. September 2020 – also rund drei Wochen vor der Eröffnung der Strafuntersuchung und über sechs Monate vor ihrer formellen Beschuldigung – entlassen wurde. Zudem hatte die Beschwerdeführerin keine Belege für abgelehnte Stellenangebote oder für eine aktive Stellensuche im Bereich der Kinderbetreuung vorgelegt.

Das Bundesgericht befand, dass die Beschwerdeführerin nicht dargelegt hatte, dass diese Sachverhaltsfeststellungen willkürlich seien. Ihre allgemeinen Behauptungen, wonach die strafrechtlichen Verdächtigungen ihre berufliche Reputation zerstört und eine Wiedereingliederung verhindert hätten, waren ohne konkrete Beweise (z.B. Nachweis von abgewiesenen Bewerbungen) nicht ausreichend, um einen natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Strafverfahren und dem geltend gemachten wirtschaftlichen Schaden zu belegen. Der Schaden aus der Entlassung war bereits vor Verfahrenseröffnung eingetreten, und es fehlten Nachweise, dass das Verfahren die überragende oder ausschliessliche Ursache für den nachfolgenden Erwerbsausfall war.

Folglich sah das Bundesgericht keine Verletzung des Bundesrechts durch die Vorinstanz, die es abgelehnt hatte, der Beschwerdeführerin eine Entschädigung gemäss Art. 429 Abs. 1 Bst. b StPO für den geltend gemachten wirtschaftlichen Schaden zuzusprechen.

2.2. Genugtuung (Art. 429 Abs. 1 Bst. c StPO)

2.2.1. Grundlagen der Genugtuung bei Persönlichkeitsverletzung Art. 429 Abs. 1 Bst. c StPO gewährt dem Beschuldigten, der freigesprochen oder dessen Verfahren eingestellt wird, einen Anspruch auf Genugtuung für immateriellen Schaden, der durch eine besonders schwere Persönlichkeitsverletzung, insbesondere durch Freiheitsentzug, entstanden ist.

Der Anspruch auf Genugtuung setzt eine Intensität der Persönlichkeitsverletzung voraus, die mit jener vergleichbar ist, wie sie im Rahmen von Art. 49 OR gefordert wird (BGE 143 IV 339 E. 3.1). Eine Genugtuung wird regelmässig zugesprochen, wenn sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft befand. Darüber hinaus können eine öffentliche Verhaftung oder Hausdurchsuchung, eine starke Medienberichterstattung, eine sehr lange Verfahrensdauer, schwerwiegende familiäre, berufliche oder politische Folgen eines Strafverfahrens sowie persönlichkeitsverletzende Äusserungen der Strafverfolgungsbehörden eine besonders schwere Persönlichkeitsverletzung darstellen. Hingegen sind die normalen Unannehmlichkeiten, die mit jeder Strafverfolgung einhergehen, wie die übliche psychische Belastung, nicht zu berücksichtigen (BGE 143 IV 339 E. 3.1; BGE 146 IV 231 E. 2.3.1).

2.2.2. Argumentation der Beschwerdeführerin und Würdigung durch das Bundesgericht Die Beschwerdeführerin verlangte eine Genugtuung von 50'000 CHF und argumentierte, die ihr zugesprochenen 2'000 CHF seien unzureichend. Sie führte an, sie sei in einem besonders exponierten Umfeld (Kinderbetreuung) tätig, die Anschuldigungen seien "infam und stigmatisierend" gewesen und hätten weitreichende Auswirkungen auf ihren sozialen und beruflichen Ruf gehabt. Sie sei Mutter von drei Kindern, als Partnerin eines wegen sexueller Handlungen mit Kindern beschuldigten Mannes selbst wegen Verletzung der Fürsorgepflicht angeklagt. Zudem habe ein "Einwohnerkomitee" ihres Wohnorts Drohbriefe verbreitet, und die "gehässigen und abscheulichen Anschuldigungen" des Anwalts der Kläger hätten ihren Leidensdruck erhöht.

Das Bundesgericht prüfte die Argumente der Beschwerdeführerin im Lichte der Rechtsprechung zu Art. 429 Abs. 1 Bst. c StPO: * Sensibles Umfeld und Rufschädigung: Die Vorinstanz hatte bereits anerkannt, dass die Beschwerdeführerin in einem sensiblen Bereich tätig war und die Anschuldigungen ("infam und stigmatisierend") erhebliche Auswirkungen auf ihren sozialen und beruflichen Ruf gehabt haben könnten. Das Bundesgericht sah hier keine Unterlassung der Vorinstanz. * Persönliche und familiäre Beziehungen: Die Beschwerdeführerin konnte nicht beweisen, dass ihre persönlichen Beziehungen oder ihre Familie unter dem Verfahren besonders gelitten hätten. Auch die von ihr erwähnten Drohbriefe des "Einwohnerkomitees" hatten laut Vorinstanz ihren Alltag nicht ernsthaft beeinflusst oder gar zu konkreten Handlungen geführt. Das Bundesgericht hielt fest, dass die blosse Behauptung einer besonderen psychischen Belastung ohne Nachweis (z.B. durch ein ärztliches Zeugnis) nicht ausreicht. * Berufliche Zukunft: Wie bereits beim wirtschaftlichen Schaden fehlten auch hier konkrete Beweise (z.B. abgelehnte Bewerbungen), die belegen würden, dass die berufliche Zukunft der Beschwerdeführerin durch das Verfahren zerstört wurde. Der Hinweis auf die Notwendigkeit eines unbefleckten Strafregisters im Bereich der Kinderbetreuung sei zwar bekannt, beweise aber nicht, dass das vorliegende Verfahren die alleinige oder ausschlaggebende Ursache für fehlende Berufsperspektiven war, insbesondere angesichts ihrer Entlassung vor Verfahrenseröffnung. Es obliege der Beschwerdeführerin, die konkreten Auswirkungen auf ihre Person, Familie oder berufliche Zukunft darzulegen. * Anschuldigungen des Klägeranwalts: Diese wurden als "Unannehmlichkeiten, die Personen, die von einer Einstellungsverfügung profitieren, erleiden" qualifiziert und nicht als "besonders schwere Persönlichkeitsverletzung", die über das übliche Mass hinausgeht.

Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass die Vorinstanz bei der Festsetzung der Genugtuung kein Ermessen missbraucht hatte. So belastend und prägend die Auswirkungen eines Strafverfahrens wegen Verletzung der Fürsorgepflicht im Zusammenhang mit sexuellen Handlungen des Partners auch sein mögen, der zugesprochene Betrag von 2'000 CHF trage der Schwere der Beeinträchtigung Rechnung und erscheine nicht als offensichtlich zu gering im Vergleich zu den erlittenen moralischen Leiden, zumal konkrete, über das Übliche hinausgehende Auswirkungen auf die Persönlichkeit nicht hinreichend belegt wurden.

3. Schlussfolgerung des Bundesgerichts

Das Bundesgericht wies die Beschwerde in dem Umfang, in dem sie zulässig war, ab. Da die Beschwerde von vornherein aussichtslos war, wurde auch das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege abgelehnt (Art. 64 Abs. 1 BGG). Die Gerichtskosten wurden der Beschwerdeführerin auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG), wobei deren Höhe aufgrund der finanziellen Situation der Beschwerdeführerin auf 1'200 CHF festgesetzt wurde.

Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht hat die Beschwerde von A.__, welche höhere Entschädigungen für wirtschaftlichen Schaden und Genugtuung nach einer Einstellungsverfügung forderte, abgewiesen.

  1. Wirtschaftlicher Schaden (Art. 429 Abs. 1 Bst. b StPO): Der Anspruch wurde verneint, da kein natürlicher Kausalzusammenhang zwischen dem Strafverfahren und dem geltend gemachten wirtschaftlichen Schaden nachgewiesen werden konnte. Die Beschwerdeführerin wurde bereits vor Eröffnung des Strafverfahrens entlassen, und es fehlten konkrete Beweise (z.B. abgelehnte Bewerbungen), die belegen würden, dass das Verfahren die ausschlaggebende Ursache für den nachfolgenden Erwerbsausfall war oder ihre berufliche Wiedereingliederung verhindert hätte.
  2. Genugtuung (Art. 429 Abs. 1 Bst. c StPO): Die zugesprochene Genugtuung von 2'000 CHF wurde bestätigt. Obwohl das Gericht das sensible Arbeitsumfeld und die stigmatisierenden Anschuldigungen anerkannte, sah es keine besonders schwere Persönlichkeitsverletzung, die über die üblichen Unannehmlichkeiten eines Strafverfahrens hinausging und einen höheren Betrag rechtfertigen würde. Es fehlten konkrete und substanziierte Nachweise für gravierende Auswirkungen auf persönliche Beziehungen, die berufliche Zukunft oder eine über das Normale hinausgehende psychische Belastung (z.B. durch ärztliche Atteste). Die Vorinstanz hatte ihr Ermessen bei der Festsetzung der Genugtuung nicht überschritten.

Das Bundesgericht betonte in beiden Punkten die Beweislast der Beschwerdeführerin für den konkreten Schaden und den Kausalzusammenhang sowie seine Bindung an die nicht-willkürlichen Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz.