Zusammenfassung von BGer-Urteil 2C_639/2024 vom 14. Oktober 2025

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Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts (2C_639/2024) vom 14. Oktober 2025

Einleitung Das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (Verfahren 2C_639/2024) vom 14. Oktober 2025 betrifft die Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung und die damit verbundene Wegweisung der kosovarischen Staatsangehörigen A.__ (Beschwerdeführerin). Die Beschwerdeführerin legte gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau vom 14. November 2024, welches die entsprechende Verfügung des kantonalen Migrationsamts bestätigte, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ein. Sie beantragte die Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und die Erteilung bzw. Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligung.

Sachverhalt Die 1990 geborene Beschwerdeführerin heiratete am 29. Mai 2019 den in der Schweiz niederlassungsberechtigten B._ (geb. 1990) aus Nordmazedonien. Nach ihrer Einreise in die Schweiz am 27. Juni 2020 erhielt sie eine Aufenthaltsbewilligung zum Verbleib bei ihrem Ehemann, die zuletzt bis zum 30. Juni 2022 verlängert wurde. Bereits am 1. April 2021 zog A._ ohne ihren Ehemann an eine neue Adresse. Die Ehe wurde am 30. November 2021 in Nordmazedonien geschieden, wobei die Scheidung in der Schweiz später anerkannt wurde.

Das Amt für Migration und Integration des Kantons Aargau verfügte am 21. September 2022 die Nichtverlängerung der abgelaufenen Aufenthaltsbewilligung und die Wegweisung von A._. Nach Ablehnung ihrer Einsprache durch den Rechtsdienst des Migrationsamts und ihrer Beschwerde durch das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau gelangte A._ an das Bundesgericht.

Rechtliche Problematik und Vorgehen des Bundesgerichts

1. Zulässigkeit der Beschwerde Das Bundesgericht trat auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ein, soweit sich die Beschwerdeführerin auf einen Bewilligungsanspruch gestützt auf Art. 50 Abs. 1 lit. b i.V.m. Abs. 2 des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG) berief, namentlich im Kontext eines nachehelichen Härtefalls aufgrund behaupteter häuslicher Gewalt. Ein solcher Anspruch stellt einen potenziellen Rechtsanspruch dar, der die Beschwerde zulässig macht (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG e contrario).

Unzulässig erklärte das Bundesgericht die Beschwerde hingegen, soweit sie sich auf Art. 30 Abs. 1 lit. a AIG stützte, da auf eine Bewilligung gestützt auf diese Bestimmung kein Rechtsanspruch besteht (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG). Auch auf den subeventualiter gestellten Antrag auf Verlängerung der Ausreisefrist wurde nicht eingetreten, da es sich hierbei um eine Modalität der Wegweisung handelt (Art. 83 lit. c Ziff. 4 BGG) und dieser Antrag zudem der qualifizierten Rüge- und Begründungspflicht gemäss Art. 106 Abs. 2 BGG nicht genügte.

2. Anwendbares Recht und Rügepflicht Das Bundesgericht prüft die Verletzung von Bundes- und Völkerrecht von Amtes wegen (Art. 95 lit. a und b, Art. 106 Abs. 1 BGG), jedoch unter Berücksichtigung der geltend gemachten Rechtsverletzungen (Art. 42 Abs. 2 BGG). Für die Verletzung von Grundrechten und kantonalem Recht gilt eine qualifizierte Rüge- und Begründungspflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG), die eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Erwägungen des angefochtenen Entscheids verlangt. Die Anwendung kantonalen Rechts wird nur unter dem Gesichtspunkt der Willkür geprüft.

Hauptpunkte der Beschwerde und deren Beurteilung durch das Bundesgericht

I. Formelle Rügen (Verletzung des rechtlichen Gehörs)

1. Akteneinsichtsrecht (Strafakten des Ex-Ehemanns) Die Beschwerdeführerin rügte eine Verletzung ihres Akteneinsichtsrechts (Art. 29 Abs. 2 BV), da ihr keine Einsicht in die Strafakten ihres Ex-Ehemannes gewährt wurde. Das Bundesgericht hielt fest, dass das Akteneinsichtsrecht grundsätzlich umfassend ist, aber durch überwiegende Interessen eingeschränkt werden kann.

Das Gericht stellte fest, dass die Beschwerdeführerin nicht substanziiert darlegte, inwiefern ihre Interessen an der Akteneinsicht diejenigen ihres Ex-Ehemannes an der Vertraulichkeit der Akten überwiegen sollten. Entscheidend war zudem, dass weder das Migrationsamt noch die Vorinstanz auf die betreffenden Akten abgestellt hatten. Da im Zusammenhang mit der behaupteten ehelichen Gewalt auch keine Strafverfahren eingeleitet worden waren, war für das Bundesgericht nicht ersichtlich, inwiefern die Strafakten zur Klärung des Sachverhalts hätten beitragen können. Die Vorinstanz durfte die Aussonderung der Akten somit aufgrund eines überwiegenden privaten Geheimhaltungsinteresses des Ex-Ehemannes für gerechtfertigt erachten.

2. Antizipierte Beweiswürdigung Die Beschwerdeführerin beanstandete weiter, die Vorinstanz habe in antizipierter Beweiswürdigung von weiteren Befragungen und der Edition von Akten ihres Ex-Ehemannes abgesehen. Das Bundesgericht erinnerte daran, dass Gerichte auf die Abnahme von Beweisen verzichten können, wenn sie ihre Überzeugung bereits gebildet haben und ohne Willkür annehmen können, dass weitere Beweiserhebungen nichts ändern würden.

Die Vorinstanz hatte die Abweisung der Beweisanträge damit begründet, dass bereits Referenzschreiben der von der Beschwerdeführerin gewünschten Zeugen vorlagen und die Drogenabhängigkeit sowie der Gefängnisaufenthalt des Ex-Ehemannes bereits in die Würdigung eingeflossen waren. Die Beschwerdeführerin legte ihrerseits nicht substanziiert dar, welche zusätzlichen rechtserheblichen Erkenntnisse aus den verlangten Beweismassnahmen hätten gewonnen werden können und inwiefern die kantonalen Behörden willkürlich vorgegangen seien. Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs wurde daher abgewiesen.

II. Materielle Rügen (Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung)

1. Nachehelicher Härtefall (Häusliche Gewalt gemäss Art. 50 Abs. 1 lit. b i.V.m. Abs. 2 AIG) Die Beschwerdeführerin machte geltend, während der Ehe Opfer häuslicher Gewalt geworden zu sein, was einen nachehelichen Härtefall begründen würde.

a) Rechtliche Grundlagen: Gemäss Art. 50 Abs. 1 lit. b AIG kann ein Bewilligungsanspruch nach Auflösung der Ehegemeinschaft bestehen bleiben, wenn wichtige persönliche Gründe einen weiteren Aufenthalt in der Schweiz erforderlich machen. Art. 50 Abs. 2 AIG nennt als möglichen wichtigen persönlichen Grund die eheliche Gewalt. Hinweise von spezialisierten Fachstellen werden dabei mitberücksichtigt (Art. 77 Abs. 6bis VZAE). Die Bestimmung ist verfassungs- und konventionskonform, insbesondere im Lichte der Istanbul-Konvention, anzuwenden.

b) Definition und Beweisanforderungen häuslicher Gewalt: Das Bundesgericht verweist auf seine ständige Rechtsprechung: Jede Form ehelicher Gewalt, ob körperlich oder psychisch, ist relevant. Häusliche Gewalt erfordert eine systematische Misshandlung mit dem Ziel, Macht und Kontrolle auszuüben, nicht bloss punktuelle Spannungen oder einmalige Vorfälle. Die Zwangsausübung und ihre Auswirkungen müssen von einer gewissen Konstanz bzw. Intensität sein. Bei psychischer Oppression muss die psychische Integrität des Opfers schwer beeinträchtigt werden, und es muss der betroffenen Person unter Berücksichtigung aller Umstände unzumutbar sein, die Ehe aufrechtzuerhalten. Die ausländische Person trifft eine weitreichende Mitwirkungspflicht (Art. 90 AIG) und muss die Gewalt in geeigneter Weise glaubhaft machen (z.B. durch Arztberichte, Polizeirapporte, Berichte von Fachstellen, Zeugenaussagen). Allgemeine Behauptungen oder Hinweise auf punktuelle Spannungen genügen nicht; die Systematik und die daraus resultierende subjektive Belastung müssen objektiv nachvollziehbar konkretisiert und beweismässig unterlegt werden (BGE 138 II 229 E. 3.2.3).

c) Analyse des Bundesgerichts: Die Vorinstanz hatte festgehalten, dass die geltend gemachte Drogenabhängigkeit des Ex-Ehemannes und die ohne Wissen der Beschwerdeführerin eingeleiteten Scheidungsverfahren in Nordmazedonien keine eheliche Gewalt in der rechtsprechungsgemäss geforderten Intensität belegen. Die Beschwerdeführerin habe keine systematische psychische Oppression oder andere konkrete Vorfälle dargelegt. Auch die eingereichten Referenzschreiben und das Überweisungsschreiben wegen Verdachts auf Anpassungsstörung zeigten keine schwere Beeinträchtigung ihrer psychischen Integrität in erforderlichem Masse auf. Der unglückliche Verlauf der Ehe und punktuelle Spannungen begründeten keinen wichtigen Grund nach Art. 50 AIG.

Das Bundesgericht qualifizierte die Vorbringen der Beschwerdeführerin als appellatorisch, da sie lediglich ihre eigene Sichtweise den vorinstanzlichen Feststellungen gegenüberstellte, ohne eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung oder Beweiswürdigung substanziiert darzutun. Daher stützte sich das Bundesgericht auf den willkürfrei erstellten Sachverhalt der Vorinstanz und verneinte das Vorliegen von häuslicher Gewalt im Sinne der Rechtsprechung. Eine Verletzung der Istanbul-Konvention ergab sich daraus ebenfalls nicht, da die Auslegung von Art. 50 AIG den Schutzpflichten bereits Rechnung trägt.

2. Wiedereingliederung im Herkunftsland und Integration in der Schweiz (Art. 50 AIG und Art. 8 EMRK) Die Beschwerdeführerin machte geltend, ihre Wiedereingliederung im Kosovo sei gefährdet und ihre Integration in der Schweiz sei derart ausgeprägt, dass dies der Nichtverlängerung entgegenstehen müsse. Sie rügte zudem eine Verletzung ihres Rechts auf Privatleben (Art. 8 EMRK).

a) Rechtliche Grundlagen: Wichtige persönliche Gründe nach Art. 50 Abs. 1 lit. b AIG können auch vorliegen, wenn die soziale Wiedereingliederung im Herkunftsland stark gefährdet erscheint. Dabei sind alle Aspekte des Einzelfalls (Integration, Familienverhältnisse, Aufenthaltsdauer, Gesundheitszustand, finanzielle Verhältnisse, Wiedereingliederungsmöglichkeit) zu berücksichtigen (Art. 31 Abs. 1 VZAE). Eine erfolgreiche Integration allein genügt jedoch nicht. Entscheidend ist die starke Gefährdung der Wiedereingliederung, nicht ob ein Leben in der Schweiz einfacher wäre. Im Rahmen von Art. 8 EMRK kann die Nichtverlängerung einer Aufenthaltsbewilligung das Privatleben beeinträchtigen. Nach einer längeren bewilligten Aufenthaltsdauer (nicht zwingend zehn Jahre) kann eine besonders ausgeprägte Integration ("intégration particulièrement réussie") einen Bewilligungsanspruch begründen. Eine normale Integration ist dafür nicht ausreichend; es bedarf besonders intensiver, über eine normale Integration hinausgehender privater, beruflicher oder gesellschaftlicher Beziehungen bzw. einer besonderen Verwurzelung ("enracinement particulier") in der Schweiz.

b) Analyse des Bundesgerichts: Das Bundesgericht befand, dass die Beschwerdeführerin weder eine besonders ausgeprägte Integration in der Schweiz noch eine stark gefährdete Wiedereingliederung im Kosovo darlegen konnte. Bessere ökonomisch-soziale Rahmenbedingungen in der Schweiz begründen für sich allein keinen Härtefall. Eine gelungene Integration nach einer Aufenthaltsdauer von lediglich rund vier Jahren genügt nicht, um ausnahmsweise einen Aufenthaltsanspruch gestützt auf Art. 8 EMRK zu begründen. Die Argumente der Beschwerdeführerin, ihre Ausbildung abbrechen zu müssen oder als geschiedene Christin im Kosovo schwer Fuss fassen zu können, wurden als nicht ausreichend erachtet, um die Schwelle der stark gefährdeten Wiedereingliederung zu erreichen. Auch das behauptete öffentliche Interesse an ihrem Verbleib aufgrund des Ärztemangels wurde nicht als überzeugend befunden.

3. Vertrauensschutz (Art. 5 Abs. 3 und Art. 9 BV) Die Beschwerdeführerin rügte eine Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben, da das Migrationsamt ihre Aufenthaltsbewilligung nach Kenntnis der Trennung bereits einmal vorbehaltlos verlängert habe.

a) Rechtliche Grundlagen: Der Grundsatz von Treu und Glauben schützt das berechtigte Vertrauen in behördliche Zusicherungen oder bestimmtes Erwartungen begründendes Verhalten (Art. 5 Abs. 3, Art. 9 BV). Die blosse Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung begründet jedoch grundsätzlich kein geschütztes Vertrauen im Hinblick auf weitere Verlängerungen (BGE 126 II 377 E. 3b).

b) Analyse des Bundesgerichts: Das Bundesgericht stellte fest, dass die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung am 6. August 2021 im ordentlichen Verfahren (auf Einreichung der Verfallsanzeige hin) und ohne vorgängige Gewährung des rechtlichen Gehörs erfolgte. Darin konnte keine verbindliche Zusicherung für weitere Verlängerungen erblickt werden. Der Hinweis der Beschwerdeführerin in der Verfallsanzeige auf einen getrennten Haushalt änderte nichts daran, da eine Trennung nicht zwingend einer Bewilligungsverlängerung entgegensteht (z.B. im Hinblick auf einen allfälligen nachehelichen Härtefallanspruch, der noch zu klären war). Das Migrationsamt musste bei dieser Ausgangslage keinen ausdrücklichen Vorbehalt anbringen, dass eine Nichtverlängerung der Bewilligung wegen der Trennung vorbehalten bleibe. Somit fehlte es bereits an einer Vertrauensgrundlage. Die Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung war mit dem Grundsatz von Treu und Glauben vereinbar und erfolgte nicht willkürlich.

Schlussfolgerung und Entscheid Die Beschwerde erwies sich in allen Haupt- und Eventualbegehren als unbegründet und wurde abgewiesen, soweit darauf einzutreten war. Die Gerichtskosten wurden der Beschwerdeführerin auferlegt.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:
  • Kein nachehelicher Härtefall: Das Bundesgericht verneinte das Vorliegen von häuslicher Gewalt im Sinne von Art. 50 Abs. 1 lit. b i.V.m. Abs. 2 AIG. Die vorgebrachten Argumente und Beweismittel (wie Drogenabhängigkeit des Ex-Ehemannes, Scheidung in Nordmazedien, Referenzschreiben, ärztliches Überweisungsschreiben für Anpassungsstörung) belegten weder eine systematische und intensive psychische Oppression noch eine schwere Beeinträchtigung der psychischen Integrität der Beschwerdeführerin gemäss der strengen bundesgerichtlichen Rechtsprechung. Die Vorbringen der Beschwerdeführerin wurden als appellatorisch beurteilt.
  • Keine "besonders ausgeprägte Integration" und keine "stark gefährdete Wiedereingliederung": Die rund vierjährige Aufenthaltsdauer und eine gelungene Integration reichten nicht aus, um eine "besonders ausgeprägte Integration" im Sinne von Art. 8 EMRK zu begründen. Auch die vorgebrachten Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung im Kosovo (Abbruch der Ausbildung, soziale Schwierigkeiten als geschiedene Christin) erreichten nicht die Schwelle einer "stark gefährdeten" Wiedereingliederung nach Art. 50 Abs. 1 lit. b AIG.
  • Kein Vertrauensschutz: Die frühere Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung durch das Migrationsamt erfolgte im ordentlichen Verfahren und ohne vorgängige Anhörung. Sie begründete kein geschütztes Vertrauen auf weitere Verlängerungen, auch wenn die Trennung der Ehegatten bekannt war. Eine ausdrückliche Vorbehaltung seitens der Behörde war in dieser Situation nicht erforderlich.
  • Verletzung des rechtlichen Gehörs verneint: Die Rügen betreffend Akteneinsichtsrecht (Strafakten des Ex-Ehemanns) und antizipierte Beweiswürdigung wurden abgewiesen, da die Behörden die Akten nicht zur Entscheidfindung herangezogen hatten und die Beweisanträge der Beschwerdeführerin keine neuen rechtserheblichen Erkenntnisse versprachen.