Zusammenfassung von BGer-Urteil 6B_163/2024 vom 30. September 2025

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Gerne fasse ich das Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts 6B_163/2024 vom 30. September 2025 detailliert zusammen.

Bundesgerichtsurteil 6B_163/2024 vom 30. September 2025

1. Einleitung und Streitgegenstand

Das Bundesgericht hatte über eine Beschwerde in Strafsachen von A.__ (Beschwerdeführer) gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern vom 16. November 2023 zu befinden. Das Kantonsgericht hatte die Schuldsprüche wegen Unterlassung der Nothilfe (Art. 128 Abs. 1 StGB) und mehrfacher Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern ohne Bewilligung (Art. 116 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 117 Abs. 1 AuG a.F., bzw. Art. 116 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 121 Abs. 1 AuG n.F.) bestätigt und eine bedingt vollziehbare Freiheitsstrafe von neun Monaten, eine unbedingt vollziehbare Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu Fr. 410.-- sowie eine Busse von Fr. 2'000.-- ausgesprochen. Der Beschwerdeführer rügte im Wesentlichen eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung und eine Verletzung der Unschuldsvermutung (Art. 9 und Art. 32 Abs. 2 BV, Art. 6 Ziff. 2 EMRK, Art. 10 Abs. 3 StPO). Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab, soweit darauf einzutreten war.

2. Massgebende Rechtsgrundlagen und Prüfungsstandard

Das Bundesgericht legt seinen Urteilen den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Eine Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig (willkürlich im Sinne von Art. 9 BV) ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG). Willkür in der Beweiswürdigung liegt vor, wenn der Entscheid schlechterdings unhaltbar ist, d.h. wenn die Behörde von Tatsachen ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen oder auf einem offenkundigen Fehler beruhen. Nicht ausreichend ist, dass eine andere Lösung ebenfalls möglich erscheint. Die Willkür muss nicht nur in der Begründung, sondern auch im Ergebnis vorliegen und explizit sowie substanziiert gemäss Art. 106 Abs. 2 BGG begründet werden.

Der Grundsatz "in dubio pro reo" (Art. 10 Abs. 3 StPO, Art. 32 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 2 EMRK) als Beweiswürdigungsregel ist verletzt, wenn bei objektiver Würdigung der gesamten Beweise unüberwindliche, schlechterdings nicht zu unterdrückende Zweifel an der Schuld der beschuldigten Person bestehen. Dabei sind bloss abstrakte und theoretische Zweifel unbeachtlich. Das Bundesgericht prüft die Verletzung dieses Grundsatzes ebenfalls unter dem Gesichtspunkt der Willkür, wobei ihm insoweit keine über die Willkürkontrolle hinausgehende freie Kognition zukommt.

3. Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz (Zusammenfassung der relevanten Fakten)

Das Kantonsgericht erachtete folgende Sachverhalte als erwiesen: * Arbeitsunfall von C.__: Am 26. Februar 2020 stürzte C._, ein kosovarischer Staatsbürger, auf der Baustelle U._ in V._ von einem Baugerüst aus ca. 4,5 m Höhe auf harten Boden. Er erlitt schwerste Verletzungen (Schädel-Hirntrauma, Schädelbruch, Epiduralhämatom, Rippenbrüche, Wirbelkörperbrüche) und wurde in kritischem Zustand ins Kantonsspital Z._ eingeliefert, wo er notfallmässig operiert werden musste. * Vorgehen nach dem Unfall: Ein Kranführer beobachtete, wie drei Bauarbeiter (darunter D._, ebenfalls kosovarischer Staatsbürger) den verletzten C._, der nicht mehr stehen konnte, in einen unbeschrifteten roten Brückenwagen verbrachten und damit rasant davonfuhren. Die A.A._ GmbH des Beschwerdeführers verfügte über solche Fahrzeuge und war die einzige Firma am Unfallort. * Beweismittel für C.__s Anwesenheit und Tätigkeit: * C.__s SIM-Karte war am Unfalltag von 8:03 Uhr bis mindestens 9:33 Uhr in der Nähe der Baustelle registriert. * DNA-Spuren von C._ wurden auf Teilen eines Bauhelms gefunden, der an der Absturzstelle sichergestellt wurde. * Der Beschwerdeführer hatte einen Facebook-Messenger-Kontakt mit C._. * Fotos auf dem Mobiltelefon des Beschwerdeführers zeigten C._ (tendenziell) in Arbeitskleidung auf Baustellen. * Beweismittel für C._s unbewilligte Beschäftigung durch A.A._ GmbH: * Die Vorinstanz schloss aus der Gesamtheit der Indizien, dass C._ am 26. Februar 2020 als Gerüstbauer für die A.A._ GmbH tätig war, obwohl ihm die erforderliche Arbeitsbewilligung fehlte. * Zudem wurde die Beschäftigung von C._ am 12. und 18. Februar 2020 durch Standortannäherungen der Mobiltelefone des Beschwerdeführers und C._ sowie durch Baustellenfotos, die C._ dem Beschwerdeführer schickte, als erwiesen erachtet. * Beweismittel für D._s unbewilligte Beschäftigung durch A.A._ GmbH: * Der Beschwerdeführer hatte die Rufnummer 076 6yy yy yy in seinen Kontakten unter "D._" gespeichert. Auch ein WhatsApp-Profilbild war diesem Namen zuzuordnen. * Kurz nach dem 26. Februar 2020 wurde eine auf D._ lautende kosovarische SIM-Karte in dasselbe Mobiltelefongerät eingelegt und in der Schweiz genutzt. * Es gab regelmässigen Austausch von Baustellenfotos zwischen dieser Nummer und dem Beschwerdeführer. * Die Rufnummer 076 6yy yy yy loggte sich am 26. Februar 2020 nahe der Baustelle in eine Mobilfunkzelle ein. * Die Vorinstanz ging daher davon aus, dass D._ diese Nummer am Unfalltag nutzte und als Mitarbeiter der A.A._ GmbH ohne Bewilligung auf der Baustelle tätig war. * A.__s Kenntnis und Handlungen bezüglich Nothilfe: * D._ rief den Beschwerdeführer um 9:48 Uhr, kurz nach dem Unfall, an und informierte ihn über den schweren Sturz und den Zustand von C._. * Der Beschwerdeführer erfuhr somit von der unmittelbaren Lebensgefahr. Er unterliess es willentlich, sofort den Rettungsdienst zu verständigen. * Stattdessen fuhr er C._ später (ca. 11:30 Uhr) von dessen Wohnort in Z._ zur Hausarztpraxis von Dr. med. H.H._ in V1._ (Kanton Nidwalden), wo sie gegen 12:00 Uhr eintrafen. * In der Arztpraxis verschlechterte sich C.__s Zustand rapide; er litt an Krampfanfällen und Erbrechen. Der Beschwerdeführer und seine Begleitperson widerstanden einer Krankenhauseinweisung mit der Begründung, C._ habe keine Papiere. Sie verlangten Stillschweigen vom Arzt. * Erst um 13:03 Uhr alarmierte der Arzt die Rettungskräfte, und um 13:27 Uhr wurde die Rega aufgeboten.

4. Begründung des Bundesgerichts

4.1. Zum Schuldspruch "mehrfache Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern ohne Bewilligung"

Das Bundesgericht prüfte die Rügen des Beschwerdeführers bezüglich Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung und Verletzung der Unschuldsvermutung:

  • Saubere Schuhe von C.__: Der Beschwerdeführer argumentierte, C.__s saubere Schuhe bei Spitaleintritt schlössen eine Bautätigkeit aus. Das Bundesgericht hielt dies für unbegründet, da die Vorinstanz dieses Indiz im Gesamtkontext bewertete: C.__s Socken wiesen Schmutz- und Rostspuren von Sicherheitsschuhen auf, und solche Schuhe wurden in seiner Wohnung gefunden, von wo der Beschwerdeführer ihn zum Arzt transportiert hatte. Die Schlussfolgerung der Vorinstanz, die sauberen Schuhe sprächen nicht gegen die Arbeitstätigkeit, war nicht willkürlich.
  • C.__s fehlende Erinnerung: Die Vorinstanz berücksichtigte, dass C.__ sich aufgrund seines Zustands nicht an den Arbeitsort erinnern konnte, und zog daraus weder positive noch negative Schlüsse. Dies war ebenfalls nicht willkürlich.
  • Aussagen von E._ und F._: Die Rüge, die Aussagen des Kranführers E._ seien widersprüchlich und die des Vorarbeiters F._ irrelevant, wies das Bundesgericht zurück. E._s Angaben waren differenziert bezüglich seiner Beobachtungsmöglichkeiten, und die Identifikation als Gerüstbauer anhand der Arbeitskleidung war plausibel. F.__s Beobachtungen und Fotos erfolgten zeitnah und waren daher als Beweismittel heranziehbar, auch wenn er C._ selbst nicht am Boden liegend antraf.
  • Mobiltelefonortung und DNA-Nachweis: Der Beschwerdeführer kritisierte, die Ortung von C.__s Mobiltelefon und der DNA-Nachweis seien für sich allein kein ausreichender Beweis. Das Bundesgericht stellte klar, dass der Grundsatz "in dubio pro reo" nicht auf einzelne Indizien anwendbar ist. Indizien können gemeinsam, einander ergänzend und verstärkend, ein kohärentes und überzeugendes Gesamtbild ergeben (sogenannter Indizienbeweis, der dem direkten Beweis gleichgestellt ist; vgl. BGE 144 IV 345 E. 2.2.3.4). Die Kombination aus Mobiltelefonortung, DNA am Helm, Zeugenaussagen und den Verbindungen zum Beschwerdeführer bildete eine willkürfreie Grundlage für die Feststellung von C.__s Tätigkeit.
  • Beschäftigung an weiteren Daten (12. und 18. Februar 2020): Das Bundesgericht bestätigte, dass die Vorinstanz auch diese Beschäftigungszeiten willkürfrei als erwiesen annehmen durfte, gestützt auf weitere Indizien wie Standortannäherungen der Mobiltelefone und Baustellenfotos im Facebook-Messenger-Verlauf, die das Gesamtbild der kontinuierlichen Beschäftigung verdichteten.
  • Beschäftigung von D.__: Die Rüge des Beschwerdeführers bezüglich der willkürlichen Annahme von D._s Tätigkeit wies das Bundesgericht ebenfalls ab. Die Vorinstanz hatte schlüssig dargelegt, wie die Rufnummer 076 6yy yy yy D._ zugeordnet werden konnte (Beschwerdeführers Kontaktspeicherung, WhatsApp-Profilbild, spätere Nutzung einer kosovarischen SIM-Karte von D.__ im selben Gerät) und in Kombination mit den Standortdaten und dem Austausch von Baustellenfotos dessen Beschäftigung willkürfrei feststellen durfte.

Insgesamt gelang es dem Beschwerdeführer nicht, eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung hinsichtlich der mehrfachen Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern ohne Bewilligung nachzuweisen.

4.2. Zum Schuldspruch "Unterlassung der Nothilfe"

Auch hier prüfte das Bundesgericht die Rügen des Beschwerdeführers im Hinblick auf Willkür und Unschuldsvermutung:

  • Verfahren gegen F.__: Die Rüge, es sei unnachvollziehbar, weshalb kein Verfahren gegen F.__ geführt wurde, wies das Bundesgericht als unsubstanziierte appellatorische Kritik zurück, da sie sich nicht mit der Begründung der Vorinstanz auseinandersetzte.
  • Kenntnis der Lebensgefahr: Der Beschwerdeführer bestritt, die unmittelbare Lebensgefahr für C._ erkannt zu haben. Er argumentierte, der Zustand C.__s sei erst in der Arztpraxis kritisch geworden. Das Bundesgericht folgte dieser Argumentation nicht. Es hielt fest, dass der Beschwerdeführer spätestens um 9:48 Uhr durch den Anruf von D._ Kenntnis vom schweren Sturz aus 4,5 m Höhe und C._s Zustand erhielt. Diese Feststellung war willkürfrei, gestützt auf den Zeitpunkt des Anrufs, die hohe Frequenz der nachfolgenden Anrufe an D._ und die Arztpraxis sowie die Fahrt des Beschwerdeführers zum Verletzten. Die Einschätzung der Krankenschwester I.H._, C.__s Zustand sei bei Ankunft in der Praxis "nicht so kritisch" gewesen, war für die Beurteilung von A.__s Wissen irrelevant, da dieser I.H._ die entscheidenden Informationen über den Unfallhergang (Sturz aus grosser Höhe) bewusst vorenthalten hatte. Der Beschwerdeführer konnte sich nicht auf ein Wissensdefizit berufen, das er selbst herbeigeführt hatte.
  • Sorgfaltspflicht und Arztbesuch: Die Argumentation, der Beschwerdeführer habe sich um C.__ gesorgt, indem er ihn zum Arzt brachte, wies das Bundesgericht ebenfalls zurück. Massgeblich für die Unterlassung der Nothilfe ist der Zeitpunkt, zu dem die unmittelbare Lebensgefahr erkannt wurde – hier 9:48 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt unterliess es der Beschwerdeführer willentlich, die gebotene Nothilfe (Verständigung des Rettungsdienstes) zu leisten, um C.__s fehlende Papiere und seine unbewilligte Beschäftigung zu vertuschen. Den Transport zu einem Hausarzt deutlich später (ca. 11:30 Uhr) und unter Verschweigen des Unfallhergangs sah das Bundesgericht nicht als Nothilfe im Sinne von Art. 128 StGB an. Es verwies dabei auf seine ständige Rechtsprechung, die eine Handlung als Nothilfe nur anerkennt, wenn sie darauf abzielt, die erforderliche sofortige medizinische Versorgung sicherzustellen (vgl. Urteile 6B_1055/2020 vom 13. Juni 2022 E. 4.3.6; 6B_1109/2020 vom 19. Januar 2022; 6B_649/2012 vom 25. April 2013 E. 3.3). Das Unterlassen der umgehenden Alarmierung der Rettungskräfte stellte demnach eine pflichtwidrige Untätigkeit dar.

Auch in Bezug auf den Schuldspruch der Unterlassung der Nothilfe gelang es dem Beschwerdeführer nicht, eine willkürliche Beweiswürdigung oder eine Verletzung der Unschuldsvermutung darzulegen.

5. Nebenfolgen

Die Anträge des Beschwerdeführers bezüglich der Herausgabe von beschlagnahmtem Bargeld, einer Genugtuung und der Verlegung der Verfahrenskosten waren ausschliesslich mit den beantragten Freisprüchen begründet. Da die Schuldsprüche wegen Unterlassung der Nothilfe und mehrfacher Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern ohne Bewilligung aufrechterhalten blieben, erübrigten sich weitere Ausführungen zu diesen Nebenfolgen.

6. Fazit des Bundesgerichts

Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab, soweit darauf eingetreten werden konnte. Die Gerichtskosten wurden dem Beschwerdeführer auferlegt.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht bestätigte die Verurteilung von A._ wegen Unterlassung der Nothilfe und mehrfacher Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern ohne Bewilligung. Es befand, dass die Vorinstanz die relevanten Sachverhalte – insbesondere den Arbeitsunfall von C._, dessen unbewilligte Beschäftigung durch die A.A._ GmbH, die unbewilligte Beschäftigung von D._ und A.__s Kenntnis der Lebensgefahr sowie sein willentliches Unterlassen der Nothilfe – willkürfrei festgestellt hatte. Die Beweiswürdigung basierte auf einer kohärenten Indizienkette, und die Einwände des Beschwerdeführers gegen die Beweiskraft einzelner Indizien oder die Beurteilung seiner Kenntnis und Handlungspflichten wurden als unbegründet zurückgewiesen. Insbesondere wurde hervorgehoben, dass die Nothilfepflicht des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt seiner Kenntnis des schweren Unfalls entstand und seine späteren Handlungen (Transport zum Hausarzt, Verschweigen von Informationen) nicht als Nothilfe galten.