Zusammenfassung von BGer-Urteil 7B_848/2025 vom 3. November 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des schweizerischen Bundesgerichts detailliert zusammen:

Bundesgerichtsentscheid 7B_848/2025 vom 3. November 2025

1. Parteien und Gegenstand Der Beschwerdeführer A.__ rekurrierte gegen einen Entscheid der Chambre pénale des recours des Tribunal cantonal de la République et canton du Jura vom 25. Juli 2025. Dieser Entscheid bestätigte Ersatzmassnahmen zur Untersuchungshaft gemäss Art. 237 ff. StPO. Streitgegenstand vor Bundesgericht war die Rechtmässigkeit dieser Ersatzmassnahmen.

2. Sachverhalt (Zusammenfassung der relevanten Fakten) Im Mai 2025 eröffnete die Staatsanwaltschaft des Kantons Jura eine Strafuntersuchung gegen A._ wegen Gewalt oder Drohung gegen Behörden und Beamte, eventuell Nötigung. Ihm wurde vorgeworfen, im März 2025 gegenüber einer Angestellten der Kindertagesstätte "B._" beleidigende und drohende Äusserungen gegenüber der Staatsanwältin E._ gemacht zu haben. A._ machte die Staatsanwältin für seine frühere Untersuchungshaft und eine Verurteilung wegen wiederholter Tätlichkeiten und einfacher Körperverletzung (Urteil vom 21. März 2024, noch im Berufungsverfahren) verantwortlich.

Angesichts einer befürchteten Durchführungsgefahr ("risque de passage à l'acte") beantragte die Staatsanwaltschaft Ersatzmassnahmen, die vom Zwangsmassnahmengericht (TMC) am 30. Mai 2025 für drei Monate angeordnet wurden. Diese umfassten insbesondere ein Kontakt- und Annäherungsverbot gegenüber der Staatsanwältin und ihrer Familie, ein Redeverbot gegenüber Dritten (ausser dem Verteidiger) sowie die Pflicht zur Betreuung durch den Bewährungsdienst. Nachdem eine erste Entscheidung des TMC wegen Gehörsverletzung und mangelnder Begründung von der kantonalen Beschwerdekammer aufgehoben wurde, erliess das TMC am 1. Juli 2025 eine neue, inhaltlich gleiche Anordnung. Die kantonale Beschwerdekammer wies die daraufhin erhobene Beschwerde von A._ am 25. Juli 2025 ab und bestätigte die Massnahmen. Dagegen legte A._ eine strafrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht ein.

3. Rechtliche Erwägungen des Bundesgerichts

3.1. Sachverhaltsfeststellung und Willkür (Art. 221 Abs. 2 StPO i.V.m. Art. 9 BV) Der Beschwerdeführer rügte eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung und bestritt, die inkriminierten Drohungen ("ihr die Faust ins Gesicht schlagen", "ihr das Leben zur Hölle machen") gegenüber der Staatsanwältin E.__ geäussert zu haben. Das Bundesgericht hielt fest, dass es Willkür nur annimmt, wenn die Beweiswürdigung einer Behörde unhaltbar ist, d.h. wenn sie wesentliche Beweise unberücksichtigt lässt, deren Tragweite verkennt oder darauf gestützte Schlussfolgerungen offensichtlich unhaltbar sind. Reine appellatorische Kritik, bei der die eigene Beweiswürdigung derjenigen der Vorinstanz gegenübergestellt wird, ist unzulässig (Art. 106 Abs. 2 BGG).

Die Vorinstanz hatte festgestellt, dass die Ko-Direktorin der Kindertagesstätte die Aussage des Beschwerdeführers, er wolle der Staatsanwältin "die Faust ins Gesicht schlagen", weitergegeben habe, was die Angestellte F.__ ihr berichtet hatte. Auch die Äusserung, er wolle ihr "das Leben zur Hölle machen", wurde als glaubhaft erachtet. Die Vorinstanz begründete dies mit dem im Rahmen seiner Einvernahme gezeigten Groll des Beschwerdeführers gegenüber der Staatsanwältin, die er für seine Inhaftierung und Verurteilung verantwortlich machte. Das Bundesgericht verwarf die Rüge des Beschwerdeführers als appellatorisch, da dieser lediglich seine eigene Sichtweise der Beweismittel derjenigen der kantonalen Instanz entgegenhielt, ohne Willkür im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung darzulegen. Die Feststellungen der Vorinstanz zu den Drohungen waren somit für das Bundesgericht bindend.

3.2. Recht auf Gehör und Begründungspflicht (Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 3 Abs. 2 lit. c StPO) Der Beschwerdeführer beanstandete eine Verletzung seines Rechts auf rechtliches Gehör, da die Vorinstanz nicht spezifiziert habe, welche "schweren Verbrechen" er befürchtete, was ihm eine sachgerechte Stellungnahme verunmöglicht habe. Das Bundesgericht präzisierte, dass das Recht auf Gehör eine ausreichende Begründung erfordert, damit der Adressat die Tragweite der Entscheidung verstehen und anfechten kann. Es ist jedoch nicht erforderlich, alle Argumente detailliert zu widerlegen, sondern nur die entscheidwesentlichen Fragen zu behandeln.

Im vorliegenden Fall hatte die kantonale Beschwerdekammer ausdrücklich erklärt, dass die Äusserungen des Beschwerdeführers als Drohungen nicht nur einfacher, sondern auch schwerer Körperverletzungen, ja sogar als Lebensbedrohung verstanden werden könnten. Obwohl keine konkreten Gesetzesartikel (wie Art. 111 StGB für Tötung oder Art. 122 StGB für schwere Körperverletzung) genannt wurden, hatte der Beschwerdeführer genügend Informationen, um zu verstehen, auf welche Delikte sich die Vorinstanz bezog. Dies zeigte sich daran, dass er den Entscheid inhaltlich anfechten konnte. Eine Verletzung des Rechts auf Gehör wurde daher verneint.

3.3. Haftgrund der ernsthaften und unmittelbaren Durchführungsgefahr eines schweren Verbrechens (Art. 221 Abs. 2 StPO) Dies bildete den Kern der bundesgerichtlichen Prüfung. Der Beschwerdeführer bestritt das Vorliegen einer ernsthaften und unmittelbaren Durchführungsgefahr eines schweren Verbrechens.

3.3.1. Rechtlicher Rahmen Das Bundesgericht legte die revidierte Fassung von Art. 221 Abs. 2 StPO (in Kraft seit 1. Januar 2024) dar. Demnach kann Haft angeordnet werden, wenn eine ernsthafte und unmittelbare Gefahr besteht, dass eine Person nach Androhung eines schweren Verbrechens zur Tat schreitet. Dieser Haftgrund ist als autonomer Haftgrund ausgestaltet und ist mit Art. 5 Abs. 1 lit. c EMRK vereinbar. * Schweres Verbrechen: Die Drohung muss sich auf ein schweres Verbrechen beziehen (analog Art. 221 Abs. 1bis lit. b StPO). Es ist Zurückhaltung bei der Annahme dieses Risikos geboten; es darf nur bei einer sehr ungünstigen Prognose angenommen werden. Konkrete Vorbereitungen sind jedoch nicht zwingend erforderlich. * Unmittelbar: Die Ergänzung des Begriffs "unmittelbar" präzisiert, dass eine schwere Bedrohung vorliegen muss, bei der schwere Straftaten in naher Zukunft drohen und daher eine dringende Haftanordnung gerechtfertigt ist. Zu berücksichtigen sind der psychische Zustand der Person, ihre Unberechenbarkeit oder Aggressivität. Je schwerwiegender die befürchtete Straftat, desto eher ist die Haft gerechtfertigt, wenn die verfügbaren Elemente keine präzise Einschätzung des Risikos erlauben. Ein psychiatrisches Gutachten kann zur Einschätzung der Durchführungsgefahr beitragen. * Ersatzmassnahmen: Gemäss Art. 237 Abs. 4 StPO gelten die Bestimmungen zur Untersuchungshaft analog für Ersatzmassnahmen. Diese müssen die gleichen Ziele wie die Haft erreichen und setzen ebenfalls hinreichenden Tatverdacht sowie Flucht-, Kollusions- oder Wiederholungs-/Durchführungsgefahr voraus (Art. 221 StPO).

3.3.2. Würdigung der Vorinstanz Die Vorinstanz hatte aufgrund der Drohungen eine konkrete Gefahr angenommen, dass der Beschwerdeführer der Staatsanwältin physische Schäden zufügen, schwere Körperverletzungen begehen oder sogar ihr Leben bedrohen könnte. Trotz fehlender Vorstrafen hätten die Äusserungen und der Groll des Beschwerdeführers eine ernsthafte und unmittelbare Durchführungsgefahr begründet. Seine Animierung und die Tatsache, dass ein Berufungsurteil bevorstand, sprächen für eine sehr ungünstige Prognose. Das Fehlen von Informationen über die Staatsanwältin und ihre Familie schliesse die Gefahr nicht aus, und die bisherige Untätigkeit sei auf die polizeiliche Überwachung zurückzuführen. Die Aussagen der aktuellen Beiständin der Kinder, er sei nicht gewalttätig, seien unerheblich, da die frühere Beiständin auf seine Schwierigkeiten bei der Wutbewältigung hingewiesen und befürchtet habe, er könne nach dem Berufungsentscheid seine Emotionen und Handlungen nicht mehr kontrollieren.

3.3.3. Kritik des Bundesgerichts Das Bundesgericht widerlegte die Argumentation der Vorinstanz: * Kein schweres Verbrechen: Die angedrohten Äusserungen ("Faust ins Gesicht schlagen", "ihr das Leben zur Hölle machen") reichen nach Ansicht des Bundesgerichts nicht aus, um die Androhung eines schweren Verbrechens zu begründen. * Keine sehr ungünstige Prognose: Der Beschwerdeführer sei nicht vorbestraft und habe sich weder gegenüber der Angestellten der Kindertagesstätte noch gegenüber der Staatsanwältin je gewalttätig gezeigt. * Obwohl sein starker Groll gegenüber der Staatsanwältin anerkannt wurde, sei er bestrebt gewesen, seine Verurteilung auf legalem Weg (Berufung) anzufechten. * Die aktuelle Beiständin seiner Kinder beschrieb ihn als nicht gewalttätig. Die frühere Beiständin hatte zwar Schwierigkeiten bei der Wutbewältigung erwähnt, aber nur Befürchtungen geäussert, er könnte nach dem Berufungsentscheid die Kontrolle verlieren – dies stellte keine konkrete Bestätigung einer Durchführungsgefahr dar. * Zudem habe der Beschwerdeführer während seiner Befragungen und der Verhaftung keine Gewalt oder Aggressivität gezeigt. * Fehlendes psychiatrisches Gutachten: Massgeblich war auch, dass kein psychiatrisches Gutachten zur Existenz und Wahrscheinlichkeit einer Tatausführung im Sinne von Art. 221 Abs. 2 StPO eingeholt wurde.

3.3.4. Schlussfolgerung Angesichts der objektiven Aktenlage sah das Bundesgericht keine ernsthafte Grundlage für die Befürchtung, dass der Beschwerdeführer in naher Zukunft die körperliche Unversehrtheit oder das Leben der Staatsanwältin in einem Ausmass beeinträchtigen würde, das seine dringende Untersuchungshaft oder die Anordnung von Ersatzmassnahmen rechtfertigen würde. Die Vorinstanz hatte somit Bundesrecht verletzt, indem sie eine ernsthafte und unmittelbare Gefahr der Begehung eines schweren Verbrechens bejahte und die Ersatzmassnahmen bestätigte.

4. Ergebnis des Bundesgerichts Die strafrechtliche Beschwerde wurde gutgeheissen. Der angefochtene Entscheid der kantonalen Beschwerdekammer wurde abgeändert: Die am 1. Juli 2025 angeordneten und am 2. Oktober 2025 verlängerten Ersatzmassnahmen zur Untersuchungshaft wurden mit sofortiger Wirkung aufgehoben. Die Sache wurde zur Neuentscheidung über die Kosten und Entschädigungen des kantonalen Verfahrens an die Vorinstanz zurückgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde eine Parteientschädigung von CHF 1'500.- zu Lasten des Kantons Jura zugesprochen.

Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht hat in diesem Fall die Voraussetzungen für die Anordnung von Ersatzmassnahmen zur Untersuchungshaft wegen Durchführungsgefahr eines schweren Verbrechens (Art. 221 Abs. 2 StPO) präzisiert. Es hielt fest, dass selbst bei Vorliegen von Drohungen eine solche Gefahr nur bei einer sehr ungünstigen Prognose und bei Bedrohung eines tatsächlich schweren Verbrechens (nicht nur bei allgemeinen Drohungen) angenommen werden darf. Das Gericht betonte die Notwendigkeit objektiver Anhaltspunkte, wie z.B. Vorstrafen für Gewalt, aggressives Verhalten während der Untersuchung oder das Fehlen eines psychiatrischen Gutachtens, um eine solche schwerwiegende Massnahme zu rechtfertigen. Im konkreten Fall wurden die Drohungen des Beschwerdeführers, sein Groll und die nur befürchteten Kontrollverluste durch frühere Beiständinnen nicht als ausreichend erachtet, um die Schwelle der ernsthaften und unmittelbaren Durchführungsgefahr eines schweren Verbrechens zu erreichen, zumal keine Gewaltvorstrafen vorlagen und der Beschwerdeführer auf legalem Wege (Berufung) gegen seine Verurteilung vorging.