Zusammenfassung von BGer-Urteil 6B_399/2024 vom 5. September 2025

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Das Bundesgericht hat in den verbundenen Verfahren 6B_399/2024 und 6B_405/2024 über die Beschwerden des Freiburger Staatsanwalts und der Privatklägerin B._ gegen ein Urteil des Kantonsgerichts Freiburg entschieden. Das Kantonsgericht hatte den Beschwerdegegner A._ von den Vorwürfen der einfachen Körperverletzung, der sexuellen Nötigung und der Vergewaltigung freigesprochen. Das Bundesgericht hiess die Beschwerden gut, hob den Freispruch auf und verurteilte A.__ wegen der genannten Delikte. Die Sache wurde zur Festsetzung der Strafe, der Zivilforderungen und der Entschädigungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.

1. Sachverhalt und Vorinstanzliches Verfahren

Die Anklageschrift vom 6. Oktober 2022 warf A._ vor, am Abend des 7. Dezember 2021 bei B._ zu Hause eine Reihe von gewalttätigen und sexuellen Handlungen vorgenommen zu haben. Gemäss der detaillierten Schilderung der B._ wurde sie von A._, der stark alkoholisiert war, zu sexuellen Handlungen gezwungen. Dies umfasste: * Ein Ansitz auf A._'s Schoss, gefolgt von einem Herunterziehen auf den Boden in Vierfüsslerposition. * Das Ausziehen ihrer Kleidung, ein Versuch der Sodomie, den sie abwehrte. * Das Erzwingen von Fellatio durch Ziehen an den Haaren, wobei er sie filmte, ihr ins Gesicht schlug und auf den Hinterkopf schlug, bis sie mehrfach erbrach. Trotz ihres Erbrechens und Bitten, aufzuhören, hielt er ihren Kopf auf seinem Penis. * Das Ziehen an den Haaren ins Badezimmer, wo er sie in der Dusche zu erneuter Fellatio nötigte. * Das Hineinhalten ihres Kopfes in die Toilette, bis nahe an das Wasser, und das Eindrücken seiner Hand in ihren Hals, um sie zum Erbrechen zu bringen, gefolgt vom Beschmieren ihres Gesichts mit Erbrochenem. * Das erneute Ziehen an den Haaren ins Schlafzimmer, wo er sie zu einer weiteren Fellatio zwang und anschliessend vaginal penetrierte, wobei er ihre Rippen so fest mit seinen Beinen umschloss, dass sie keine Luft bekam. Sie täuschte einen Orgasmus vor, damit er aufhöre. * Erneut zog er sie an den Haaren, erzwang Fellatio und umschlang ihren Nacken mit seinen Beinen, bis sie kaum atmen konnte. * Schliesslich penetrierte er sie ein zweites Mal vaginal, ejakulierte und schlief ein. B._ gab an, während der Taten wiederholt geäussert zu haben, er solle aufhören, und sich in einem Überlebenszustand, gelähmt vor Angst, befunden zu haben. Sie versuchte, sich mit den Händen zu schützen.

A._ und B._ hatten sich im Juni 2021 kennengelernt und zuvor zweimal (am 8. und 9. Juni 2021) einvernehmliche sadomasochistische sexuelle Beziehungen gehabt, bei denen B.__ die submissive Rolle einnahm. Es war ein "Safe Word" vereinbart worden.

Das Strafgericht des Saanebezirks verurteilte A._ wegen einfacher Körperverletzung, sexueller Nötigung und Vergewaltigung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 24 Monaten, einer bedingten Geldstrafe und zivilrechtlichen Entschädigungen für Schmerzensgeld, Heilungskosten und Erwerbsausfall. Das Kantonsgericht Freiburg sprach A._ in der Berufung von allen Vorwürfen (einfache Körperverletzung, Verletzung des Geheim- oder Privatbereichs mittels Aufnahmegerät, sexuelle Nötigung, Vergewaltigung) frei. Es wies die Zivilforderungen von B._ ab. Das Kantonsgericht stützte sich dabei auf die Version von A._, die es als mindestens ebenso glaubwürdig erachtete wie jene von B._, und wandte den Grundsatz in dubio pro reo an. Es ging davon aus, dass die Beziehung einvernehmlich sadomasochistisch gewesen sei und A._ in gutem Glauben davon ausgehen konnte, B.__ habe den Handlungen zugestimmt, da sie kein "Safe Word" verwendet und nicht aktiv um Beendigung gebeten habe. Die Intensität der Taten sei nicht über die der früheren Begegnungen hinausgegangen.

2. Bundesgerichtliche Prüfung der Rechtsfragen

Das Bundesgericht prüfte die Rügen der Beschwerdeführer, wonach die Sachverhaltsfeststellung willkürlich sei und die Vorinstanz die Tatbestände der einfachen Körperverletzung (Art. 123 Ziff. 1 StGB), der sexuellen Nötigung (Art. 189 Abs. 1 aStGB) und der Vergewaltigung (Art. 190 Abs. 1 aStGB) zu Unrecht verneint habe.

2.1. Allgemeine Grundsätze zur Sachverhalts- und Beweiswürdigung sowie zu den Straftatbeständen Das Bundesgericht ist an die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz gebunden, es sei denn, diese wurden willkürlich (Art. 9 BV) oder unter Verletzung des Rechts festgestellt. Die Unschuldsvermutung (in dubio pro reo) bedeutet, dass bei objektiven Zweifeln an der Existenz einer für den Angeklagten ungünstigen Tatsache kein Schuldspruch erfolgen darf. Bei "Aussage gegen Aussage"-Konstellationen obliegt die abschliessende Würdigung dem Sachgericht.

Die Tatbestände der sexuellen Nötigung und Vergewaltigung schützen die sexuelle Selbstbestimmung. Sie setzen voraus, dass das Opfer nicht einwilligt und der Täter dies weiss oder in Kauf nimmt und die Situation ausnutzt oder ein wirksames Zwangsmittel anwendet (Gewalt, Drohung, psychischer Druck, Wehrlosigkeit). Gewalt im strafrechtlichen Sinne erfordert eine über das gewöhnliche Mass hinausgehende körperliche Kraftanwendung, die den Widerstand des Opfers überwindet. Psychischer Druck muss eine besondere Intensität erreichen, um das Opfer zur Aufgabe zu bewegen. Subjektiv erfordern diese Delikte Vorsatz, d.h., der Täter muss wissen, dass das Opfer nicht einwilligt, oder dies in Kauf nehmen (Eventualvorsatz).

Die einfache Körperverletzung (Art. 123 StGB) schützt die körperliche und psychische Integrität und Gesundheit. Sie setzt eine erhebliche Beeinträchtigung voraus, die über eine bloss vorübergehende, unwesentliche Störung des Wohlbefindens hinausgeht (z.B. Verletzungen, Prellungen, Schürfungen).

2.2. Problematik des "Assentiment" (Einverständnis/Einwilligung) bei S&M-Praktiken Das Bundesgericht differenziert zwischen Einverständnis (welches die Tatbestandsmässigkeit ausschliesst, z.B. bei Vergewaltigung) und Einwilligung (welche die Rechtswidrigkeit eines an sich tatbestandsmässigen Verhaltens aufhebt, z.B. bei Körperverletzung). Die Bedingungen für beide sind ähnlich: Der betroffene Rechtsgut muss individualisierbar und verfügbar sein; das Einverständnis muss von der berechtigten und urteilsfähigen Person stammen, frei von Willensmängeln sein, explizit oder konkludent erfolgen, vor der Tat erteilt werden und darf nicht widerrufen worden sein. Ausserdem muss der Täter im Rahmen der vom Berechtigten gesetzten Grenzen handeln.

Besonders im Bereich sadomasochistischer Praktiken betonte das Bundesgericht, dass die Anforderungen an die Äusserung des Opfers umso höher sind, je nach den Umständen der Tat oder der fraglichen sexuellen Praktiken. Ein "Sklave" in einem S&M-Spiel kann gemäss Rechtsprechung als wehrlos im Sinne von Art. 123 Ziff. 2 StGB gelten, was eine Offizialverfolgung nach sich zieht, es sei denn, er hat den ihm zugefügten Körperverletzungen zugestimmt.

2.3. Würdigung der kantonsgerichtlichen Argumentation durch das Bundesgericht

2.3.1. A.__'s Nachrichten nach der Tat: Das Kantonsgericht hatte A._'s Entschuldigungsnachrichten vom 13. Dezember 2021 als Ausdruck von Empathie und Aufrichtigkeit gewertet, nicht als Schuldeingeständnis. B._ hatte ihm geschrieben: "A._, wenn eine Frau dir sagt, du sollst aufhören, musst du aufhören... Ich habe mehrmals darum gebeten, dass du aufhörst. Aber du hast nicht zugehört. Es ist ernst, was du getan hast, wirklich ernst." A._ antwortete: "Ich weiss nicht, was ich zu deiner Nachricht sagen soll. Ich war noch in unserem Spiel, das wir gespielt haben. Ich dachte wirklich nicht, dass ich dir wehtue... Ich bin wirklich aufrichtig leid." Später ergänzte er: "Ich bin schockiert über mich selbst, ich dachte wirklich nicht, dass ich so weit war, ich hatte zu viel getrunken, ich war wirklich nicht in meinem normalen Zustand... Ich bin wirklich dabei geblieben, dass wir in unserem Spiel, unserem Trip waren." Das Bundesgericht rügte zwar die übermässig lobenden Adjektive des Kantonsgerichts gegenüber A.__, erachtete es aber im Ergebnis nicht als willkürlich, in diesen Nachrichten allein kein Schuldeingeständnis zu sehen.

2.3.2. Umfang der physischen Beeinträchtigungen: Die Beschwerdeführer monierten, dass das Kantonsgericht nicht alle von B.__ beschriebenen körperlichen Schäden (z.B. Faustschläge auf den Hinterkopf) berücksichtigt habe. Das Bundesgericht stellte fest, dass es nicht willkürlich war, einige spezifische Gewaltakte zu verwerfen, da die vom Kantonsgericht als gleich intensiv wie die Juni-Beziehungen festgestellten Handlungen (u.a. Würgen bis zur Bewusstlosigkeit in der Vergangenheit) bereits die Definition einfacher Körperverletzungen erfüllten. Entscheidend sei nicht die genaue Intensität im Vergleich zu früheren Akten, sondern das Vorhandensein von Zustimmung.

2.3.3. Das fehlende Einverständnis vom 7. Dezember 2021 (Kernpunkt der Entscheidung): Das Bundesgericht widersprach der Annahme des Kantonsgerichts, dass die früheren sadomasochistischen Beziehungen im Juni 2021 ein Einverständnis für die Handlungen vom 7. Dezember 2021 begründen könnten. * Keine präsumptive Zustimmung: Die Tatsache, dass sexuelle Beziehungen, auch brutaler Art, sechs Monate zuvor einvernehmlich stattfanden, erlaubt keine Vermutung eines Einverständnisses für zukünftige Beziehungen. Ein Einverständnis zu Körperverletzungen kann nicht über die ausdrücklich zugestimmten Handlungen hinausgehen und lässt keine stillschweigende Zustimmung zu künftigen Verletzungen zu. * Deutung der Nachrichten vor der Tat: Die Nachrichten von B._ vor der Ankunft A._'s am 7. Dezember 2021 ("in den Mund sehr tief", "Lust zu vögeln") deuteten auf gewöhnliche sexuelle Beziehungen hin, aber keineswegs auf sadomasochistische Praktiken, die Körperverletzungen, Erniedrigungen (Kopf in Toilettenschüssel, Haareziehen) oder physischen Zwang (Kopf festhalten, Beinklammern) beinhalteten. Der Wortschatz von B._ ("Lust zu vögeln") signalisierte eine aktive Rolle, nicht eine unterwürfige Position. * "Safe Word" irrelevant: Da kein Einverständnis für ein sadomasochistisches Spiel am fraglichen Abend vorlag, konnte auch das Fehlen eines "Safe Word" keine Bedeutung haben. Ein "Safe Word" ist nur in einem einvernehmlichen Unterwerfungsspiel relevant. A._ hatte auch selbst im Nachhinein bedauert, das Befinden von B._ nicht wie früher erfragt zu haben. * Bedingungen des Einverständnisses nicht eingehalten: Bereits in den Juni-Nachrichten hatte B._ die Bedingung gestellt: "man kann alles machen. Ich muss es nur wissen." Am 7. Dezember 2021 gab es jedoch keine Diskussion oder Information über die beabsichtigten Praktiken. Eine für die Gültigkeit des Einverständnisses essentielle Bedingung wurde somit nicht eingehalten. * Erhöhte Anforderungen an das Einverständnis: Bei sexuellen Praktiken, die intrinsisch mit Körperverletzungen und physischer Unterwerfung verbunden sind, sind die Anforderungen an das Einverständnis derart hoch. Es liegt keine Situation vor wie in der Medizin (mutmassliches Einverständnis bei Unerreichbarkeit des Patienten) oder im Sport (Akzeptanz inhärenter Risiken). Die Verletzungen wurden vorsätzlich vom Täter zugefügt, der die Intensität kontrollierte, während das Opfer, in eine physische Unterwerfungsposition gebracht ohne vorherige Vereinbarung, die Kontrolle verlor und kein Risiko akzeptiert haben konnte.

2.4. Subjektiver Tatbestand (Vorsatz/Eventualvorsatz): Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass A._ nicht plausibel an ein Einverständnis von B._ glauben konnte. Indem er sich nicht um die Einholung des Einverständnisses oder dessen Umfang bemühte, wie er es bei früheren Begegnungen teilweise getan hatte, nahm er das Risiko in Kauf, dass B.__ nicht zustimmte. Er fand sich mit der Möglichkeit ab, dass kein Einverständnis zu solchen sadomasochistischen Praktiken vorlag. Somit handelte er vorsätzlich im Sinne des Eventualvorsatzes.

3. Zivilrechtliche Forderungen und Kosten Aufgrund der Aufhebung des Freispruchs und der Verurteilung von A._ wurden die zivilrechtlichen Forderungen der B._ gegenstandslos, da die Vorinstanz neu darüber zu entscheiden hat.

4. Endgültiger Entscheid Die Beschwerden wurden gutgeheissen, das Urteil des Kantonsgerichts wurde reformiert. A.__ wird wegen einfacher Körperverletzung (Art. 123 Ziff. 1 StGB), sexueller Nötigung (Art. 189 Abs. 1 aStGB) und Vergewaltigung (Art. 190 Abs. 1 aStGB) verurteilt. Die Sache wird zur Neufestsetzung der Strafe, der zivilrechtlichen Forderungen sowie der Kosten und Entschädigungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  • Freispruch aufgehoben: Das Bundesgericht hob den Freispruch des A.__ von den Vorwürfen der einfachen Körperverletzung, sexuellen Nötigung und Vergewaltigung auf.
  • Keine präsumptive Zustimmung: Frühere einvernehmliche sadomasochistische Praktiken begründen kein stillschweigendes oder präsumptives Einverständnis für zukünftige, insbesondere sechs Monate später stattfindende sexuelle Handlungen.
  • Erhöhte Anforderungen an das Einverständnis: Bei Praktiken, die körperliche Verletzungen und physischen Zwang beinhalten, sind die Anforderungen an ein klares, spezifisches und vor der Tat erteiltes Einverständnis besonders hoch.
  • "Safe Word" irrelevant ohne vorherige Vereinbarung: Ein vereinbartes "Safe Word" ist bedeutungslos, wenn kein klares Einverständnis für die Aufnahme eines Unterwerfungsspiels am fraglichen Zeitpunkt vorlag.
  • Verletzung von Bedingungen: Eine vom Opfer gestellte Bedingung ("Ich muss es nur wissen") bezüglich der Art der Praktiken wurde vom Täter missachtet, indem er keine vorherige Absprache führte.
  • Eventualvorsatz des Täters: Der Täter handelte mit Eventualvorsatz, da er das Risiko des fehlenden Einverständnisses des Opfers in Bezug auf die gewalttätigen und sexuellen Handlungen in Kauf nahm und sich damit abfand.
  • Rückweisung an Vorinstanz: Die Sache wird zur Neufestsetzung von Strafe und Zivilforderungen an das Kantonsgericht zurückgewiesen.