Zusammenfassung von BGer-Urteil 7B_1067/2025 vom 28. Oktober 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Im Folgenden wird das bereitgestellte Urteil des schweizerischen Bundesgerichts (7B_1067/2025 vom 28. Oktober 2025) detailliert zusammengefasst.

Parteien und Gegenstand

  • Beschwerdeführer: A.__, ein 2003 geborener Schweizer Bürger, vertreten durch Me Flamur Redzepi.
  • Beschwerdegegner: Ministère public de l'arrondissement du Nord vaudois.
  • Gegenstand: Sicherungs- oder Sicherheitshaft (Détention pour des motifs de sûreté).
  • Vorinstanz: Strafrechtliche Beschwerdekammer des Kantonsgerichts des Kantons Waadt (Chambre des recours pénale du Tribunal cantonal du canton de Vaud).

Sachverhalt

A.__, vorbestraft wegen Jugendstraftaten und einer Erwachsenenstrafe (2023), wurde am 23. Dezember 2023 einer strafrechtlichen Untersuchung wegen versuchten Mordes, Gewalt oder Drohung gegen Behörden und Beamte sowie Verstössen gegen das Betäubungsmittelgesetz unterzogen. Am 25. Dezember 2023 wurde er wegen Kollusions- und Wiederholungsgefahr in Untersuchungshaft (détention provisoire) genommen. Diese Haft wurde mehrmals verlängert, wobei zuletzt am 17. März 2025 eine qualifizierte Wiederholungsgefahr bejaht wurde und die Untersuchungshaft bis zum 31. März 2025 verlängert wurde.

Ein psychiatrisches Gutachten vom 21. Februar 2025 kam zum Schluss, dass das Rückfallrisiko für ähnliche Delikte in der damaligen Situation von A.__ gering sei.

Am 31. März 2025 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage wegen versuchten Mordes, Anstiftung zu Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte sowie Verstössen gegen das Betäubungsmittelgesetz. Am 8. April 2025 ordnete das Zwangsmassnahmengericht (TMC) die Sicherungshaft für vier Monate, d.h. bis zum 30. Juli 2025, an. Diese Anordnung wurde kantonal und vom Bundesgericht (7B_428/2025) bestätigt.

Am 29. Juli 2025 sprach das Strafgericht von Lausanne A.__ der ihm vorgeworfenen Delikte schuldig und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten. Gleichzeitig ordnete es im Dispositiv-Punkt V die Aufrechterhaltung der Sicherungshaft an. Die Begründung dieser Anordnung erfolgte mündlich und wurde dem Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt lediglich kurz dargelegt.

Gegen diese Anordnung (Dispositiv-Punkt V) reichte A.__ Beschwerde bei der Strafrechtlichen Beschwerdekammer des Kantonsgerichts ein, welche diese am 8. September 2025 abwies. Die Strafrechtliche Beschwerdekammer stellte fest, dass die mangelnde schriftliche Begründung des Strafgerichts eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör darstellte, diese aber im Verlauf des kantonalen Beschwerdeverfahrens geheilt werden konnte. Das Strafgericht hatte seine mündliche Begründung in seiner Stellungnahme vom 14. August 2025 schriftlich präzisiert, worauf der Beschwerdeführer am 27. August 2025 Stellung nehmen konnte. Die Kosten der kantonalen Beschwerdeverfahren wurden dem Kanton auferlegt.

Rügen des Beschwerdeführers vor Bundesgericht

Der Beschwerdeführer führte im Wesentlichen zwei Hauptargumente gegen den kantonalen Gerichtsentscheid an:

  1. Fehlender gültiger Hafttitel: Er rügte, seit der Anordnung des Zwangsmassnahmengerichts vom 8. April 2025, die die Sicherungshaft auf den 30. Juli 2025 befristete, habe kein gültiger Hafttitel mehr bestanden.
  2. Verletzung des rechtlichen Gehörs: Er beanstandete, die Vorinstanz habe zu Unrecht angenommen, dass die fehlende schriftliche Begründung des Strafgerichts bezüglich der Fortsetzung der Sicherungshaft eine Gehörsverletzung darstelle, die im kantonalen Rekursverfahren geheilt werden könne.

Erwägungen des Bundesgerichts

1. Zulässigkeit der Beschwerde (Considerandum 1)

Das Bundesgericht trat auf die Beschwerde in Bezug auf die Fortsetzung der Sicherungshaft ein, da es sich um einen anfechtbaren Zwischenentscheid handelt, der dem Beschwerdeführer einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG zufügt und ein rechtlich geschütztes Interesse an seiner sofortigen Freilassung besteht (Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG).

Hinsichtlich des "mehr subsidiären" Antrags des Beschwerdeführers, die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (wegen fehlender schriftlicher Begründung) lediglich festzustellen, trat das Bundesgericht nicht ein. Es begründete dies mit dem Fehlen eines aktuellen und praktischen Interesses. Die Vorinstanz hatte die Gehörsverletzung bereits festgestellt und diese im Rahmen des kantonalen Verfahrens als geheilt betrachtet. Zudem hatte sie die Prozesskosten und die Verteidigerentschädigung zulasten des Kantons auferlegt, was bereits eine Konsequenz der festgestellten Verletzung war. Da der Beschwerdeführer weder rügte, dass die Feststellung nicht im Dispositiv des vorinstanzlichen Entscheids erschien, noch ein Interesse an einer zusätzlichen Feststellung darlegte, war dieser Antrag unzulässig.

2. Fehlender Hafttitel (Considerandum 2)

Das Bundesgericht wies die Rüge des fehlenden Hafttitels ab. Es führte aus, dass die kantonale Beschwerdekammer über die vom Strafgericht am 29. Juli 2025 (also vor Ablauf der damaligen Befristung am 30. Juli 2025) erlassene Anordnung zur Fortsetzung der Sicherungshaft zu befinden hatte. Diese Anordnung betraf die Haft für die anschliessende Zeit. Die Vorinstanz hatte diese neue Anordnung bestätigt, insbesondere da sie das Vorliegen hinreichender Tatverdachtsgründe, eine qualifizierte Wiederholungsgefahr sowie eine Fluchtgefahr bejaht hatte und keine Ersatzmassnahmen zur Abwendung dieser Gefahren sah und die Haft für verhältnismässig befunden hatte. Da der Beschwerdeführer vor Bundesgericht die materiellen Voraussetzungen der Haft (wie hinreichender Tatverdacht, Flucht- oder Wiederholungsgefahr) nicht mehr in Frage stellte, waren seine Anträge auf Freilassung ohnehin abzuweisen. Formelle Mängel führen nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung (BGE 139 IV 94 E. 2.3.2 und 2.4) grundsätzlich nicht zur Freilassung, wenn die materiellen Voraussetzungen der Haft gegeben sind.

3. Verletzung des rechtlichen Gehörs und deren Heilung (Considerandum 3)

Dies war der zentrale Punkt der bundesgerichtlichen Prüfung.

  • Allgemeine Grundsätze: Das rechtliche Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) ist eine formelle Verfassungsgarantie. Eine Verletzung führt grundsätzlich zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids, unabhängig von den Erfolgsaussichten in der Sache. Eine Verletzung kann jedoch geheilt werden, wenn die verletzte Partei die Möglichkeit erhält, sich vor einer Beschwerdeinstanz mit voller Kognition (Art. 393 Abs. 2 StPO) umfassend zu äussern. Eine solche Heilung sollte die Ausnahme bleiben und ist grundsätzlich nur bei weniger schwerwiegenden Verletzungen zulässig. Sie kann aber auch bei schwerwiegenden Mängeln gerechtfertigt sein, wenn eine Rückweisung eine "leere Förmlichkeit" darstellen und zu einer unnötigen Verfahrensverlängerung führen würde, was mit dem Beschleunigungsgebot (Art. 5 Abs. 2 StPO) unvereinbar wäre (vgl. BGE 147 IV 340 E. 4.11.3).

  • Anwendung auf den Fall:

    • Das Bundesgericht bestätigte, dass die anfänglich nur mündliche und knappe Begründung des Strafgerichts bezüglich der Fortsetzung der Sicherungshaft, ohne die Übermittlung einer schriftlichen Begründung bis zum Zeitpunkt des vorinstanzlichen Entscheids, eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör darstellte.
    • Die Heilung der Verletzung erfolgte dadurch, dass das Strafgericht im kantonalen Beschwerdeverfahren seine mündliche Begründung schriftlich präzisierte (in seiner Stellungnahme vom 14. August 2025). Der Beschwerdeführer hatte daraufhin die Möglichkeit, am 27. August 2025 Stellung zu nehmen und bestätigte, dass der schriftliche Text den mündlich gegebenen Informationen entsprach.
    • Der Beschwerdeführer konnte anhand der schriftlichen Präzisierung die Grundlagen der Haftanordnung (hinreichender Tatverdacht, Fluchtgefahr, Wiederholungsgefahr aufgrund mangelnder Einsicht und Notwendigkeit der Fortsetzung der Introspektion) vollumfänglich nachvollziehen. Er konnte insbesondere die Argumente der Vorinstanz widerlegen, indem er auf seine persönliche Situation, seine Introspektionsarbeit, die Schlussfolgerungen des psychiatrischen Gutachtens und ein Stellenangebot verwies.
    • Angesichts dieser Umstände und der vollen Kognition der kantonalen Beschwerdekammer (Art. 393 Abs. 2 StPO), die Sachverhalt und Recht umfassend überprüfen konnte, war es nach Ansicht des Bundesgerichts nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz die Gehörsverletzung als im kantonalen Beschwerdeverfahren geheilt betrachtete. Eine Rückweisung wäre unter Berücksichtigung des Beschleunigungsgebots (Art. 5 Abs. 2 StPO) eine unnötige Formalität gewesen.

Schlussfolgerung des Bundesgerichts

Das Bundesgericht wies die Beschwerde, soweit sie zulässig war, ab. Es lehnte auch das Gesuch des Beschwerdeführers um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ab, da der Rekurs von vornherein aussichtslos war. Die Gerichtskosten wurden dem Beschwerdeführer auferlegt, unter Berücksichtigung seiner finanziellen Verhältnisse.

Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  1. Hafttitel: Das Bundesgericht stellte klar, dass die kantonale Instanz über eine aktuelle Anordnung zur Fortsetzung der Sicherungshaft befunden hatte, welche die zuvor befristete Haft ablöste. Da der Beschwerdeführer die materiellen Voraussetzungen der Sicherungshaft (hinreichende Gründe, Flucht- und qualifizierte Wiederholungsgefahr, fehlende Ersatzmassnahmen, Verhältnismässigkeit) vor Bundesgericht nicht mehr bestritt, war der Antrag auf Freilassung unbegründet.
  2. Verletzung des rechtlichen Gehörs (fehlende schriftliche Begründung): Eine ursprüngliche Verletzung des rechtlichen Gehörs durch die nur mündliche Begründung der Haftfortsetzung durch das Strafgericht wurde bejaht.
  3. Heilung der Gehörsverletzung: Das Bundesgericht bestätigte, dass diese Verletzung durch das kantonale Beschwerdeverfahren geheilt wurde. Dies, weil die Begründung des Strafgerichts nachträglich schriftlich präzisiert wurde und der Beschwerdeführer vor der kantonalen Beschwerdekammer, die über volle Kognition verfügt, die Möglichkeit hatte, umfassend Stellung zu nehmen. Eine Rückweisung an die Erstinstanz wäre unter diesen Umständen eine "leere Förmlichkeit" und mit dem Beschleunigungsgebot unvereinbar gewesen.