Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts detailliert zusammen:
Bundesgerichtsurteil 1C_97/2025, 1C_279/2025 vom 15. Oktober 2025
1. Parteien und Streitgegenstand
- Beschwerdeführer: A.__, Eigentümer der Parzelle Nr. 382 in Lutry (VD).
- Beschwerdegegnerinnen: Gemeinde Lutry und Direction générale de l'environnement du canton de Vaud.
- Streitgegenstand: Wiederherstellungsanordnung (Rückbau unbewilligter Bauten) und die damit verbundene Frage der Mitwirkungspflicht der Parteien im Verwaltungsverfahren.
2. Chronologie und Sachverhalt
Der Beschwerdeführer ist Eigentümer einer Parzelle in einer Bauzone mit geringer Dichte, auf der sich zwei Villen befinden.
- 2015/2016: Der Beschwerdeführer erhielt Baubewilligungen (Nr. 6007 und 6007/B) für die Vergrösserung einer seiner Villen, einschliesslich Untergeschoss, Wohnungen, Technikraum und Parkplätzen, sowie eine spätere Änderung für eine zusätzliche Wohnung.
- 2018: Er reichte ein ergänzendes Baugesuch für verschiedene weitere Umbauten (Dachvorsprung, Liftbereich, verschobene Türen, neue Wände, Umwandlung eines Leerraums in ein Studio, Vergrösserung des Untergeschosses) ein. Dabei wurde festgestellt, dass zahlreiche Arbeiten bereits ohne Bewilligung ausgeführt worden waren und die eingereichten Pläne sowie die Berechnungen der Bruttogeschossfläche (SBPU) von den erteilten Bewilligungen abwichen.
- Reaktion der Gemeinde: Die Gemeinde Lutry forderte den Beschwerdeführer mehrfach auf, sein Dossier zu vervollständigen, um eine Konformität mit den Vorschriften zu ermöglichen. Der Beschwerdeführer vertrat die Auffassung, die beanstandeten Elemente seien bereits bewilligt oder nicht bewilligungspflichtig.
- Strafrechtliches Verfahren: Aufgrund einer Anzeige der Gemeinde wurde der Beschwerdeführer strafrechtlich verurteilt (Urteil des Tribunal de police de l'Est Vaudois vom 27. Mai 2021, bestätigt durch das Tribunal cantonal am 26. Oktober 2021 und das Bundesgericht mit Urteil 6B_145/2022 vom 13. April 2023) wegen Übertretung des kantonalen Bau- und Raumplanungsgesetzes (LATC) infolge der ohne Bewilligung ausgeführten Arbeiten.
- Verwaltungsverfahren (Wiederherstellung): Nach wiederholten und erfolglosen Aufforderungen der Gemeinde, die erforderlichen Informationen und Dokumente für die Identifizierung der unbewilligten Arbeiten einzureichen, erliess die Gemeinde Lutry am 15. März 2022 eine Wiederherstellungsverfügung. Diese ordnete an, die unrechtmässig erstellten Bauten, die bereits Gegenstand der strafrechtlichen Verurteilung waren, bis zum 31. Mai 2022 zu beseitigen.
- Verfahren vor der Vorinstanz (Tribunal cantonal, CDAP):
- Der Beschwerdeführer erhob Beschwerde gegen die Wiederherstellungsverfügung.
- Eine Ortsbesichtigung durch die CDAP am 7. Juni 2023 scheiterte teilweise, da der Beschwerdeführer den Zugang zu angeblich vermieteten Räumlichkeiten verweigerte.
- Die CDAP setzte eine Frist zur Einreichung von Architektendokumenten zur Klärung der regulierbaren Teile. Der Beschwerdeführer widersetzte sich jedoch dem Protokoll der Ortsbesichtigung und behauptete weiterhin, die Arbeiten seien bewilligt. Er reichte Pläne von 2018 und eine CUS-Berechnung ein, die aber als unzureichend erachtet wurden.
- Am 20. Februar 2024 beauftragte die CDAP einen Experten zur Klärung des Sachverhalts. Der Beschwerdeführer lehnte dieses Gutachten ab, verweigerte die Herausgabe editierbarer digitaler Pläne und leistete den Kostenvorschuss von 10'000 Franken nicht. Seine dagegen gerichteten Beschwerden an das Bundesgericht (4A_442/2024 und 1C_443/2024) wurden als unzulässig erklärt. Das Expertengutachten konnte aufgrund des Verhaltens des Beschwerdeführers nicht erstellt werden.
- Entscheide der Vorinstanz: Mit Urteil vom 9. Januar 2025 wies die CDAP die Beschwerde des Beschwerdeführers ab, bestätigte die Wiederherstellungsanordnung und auferlegte ihm die Verfahrenskosten, einschliesslich eines Betrags von 11'877.45 Franken für die Expertise.
- Beschwerden ans Bundesgericht: Der Beschwerdeführer erhob zwei Beschwerden:
- 1C_97/2025: Gegen das Urteil der CDAP vom 9. Januar 2025 (Wiederherstellung).
- 1C_279/2025: Gegen ein Urteil der CDAP vom 3. April 2025, welches ein Berichtigungsgesuch bezüglich des Urteils vom 9. Januar 2025 ablehnte.
3. Rechtliche Erwägungen des Bundesgerichts
3.1. Zulässigkeit und Verfahrensfragen
- Zusammenlegung der Verfahren: Das Bundesgericht ordnete die Zusammenlegung der beiden Beschwerden (1C_97/2025 und 1C_279/2025) aus prozessökonomischen Gründen an (Art. 71 BGG, Art. 24 BZP).
- Unzulässigkeit deklaratorischer Anträge: Die beantragte formelle Feststellung einer Grundrechtsverletzung war unzulässig, da der Beschwerdeführer mit dem Antrag auf Aufhebung der angefochtenen Entscheide ein Sachurteil erwirken kann (BGE 141 II 113 E. 1.7).
- Beschwerde 1C_279/2025 (Berichtigungsgesuch): Diese Beschwerde wurde als unzulässig erachtet. Die Kritik des Beschwerdeführers richtete sich im Wesentlichen gegen den Inhalt und wollte keine offensichtlichen Fehler oder Auslassungen berichtigen. Ein solches Gesuch kann nicht dazu dienen, den Inhalt einer Entscheidung zu ändern oder eine allgemeine Diskussion darüber zu führen (BGE 143 III 420 E. 2.2). Es stellte zudem einen Versuch dar, die gesetzliche Beschwerdefrist zu verlängern. Die vom Beschwerdeführer beanstandete fehlende kantonale Bestimmung zur "Richtigstellung von Redaktionsfehlern" hatte im Übrigen keine praktischen Auswirkungen auf seine Situation, da er die Möglichkeit hatte, das Urteil mit einer Beschwerde an das Bundesgericht anzufechten.
3.2. Kernfrage: Die Mitwirkungspflicht der Parteien
- Rechtliche Grundlagen:
- Im öffentlichen Recht gilt die Untersuchungsmaxime, wonach die Behörde den Sachverhalt von Amtes wegen feststellt. Dies entbindet die Parteien jedoch nicht von ihrer Mitwirkungspflicht (devoir de collaboration). Es obliegt ihnen, ihre eigenen Behauptungen zu untermauern, die Behörde über die Sachverhaltsumstände zu informieren und Beweismittel zu nennen, insbesondere bei Sachverhalten, die sie am besten kennen.
- Bei fehlender Mitwirkung der betroffenen Partei und fehlenden Beweismitteln kann die Behörde die Untersuchung einstellen und davon ausgehen, dass ein Sachverhalt nicht bewiesen ist. Dies stellt weder Willkür noch eine Verletzung der Beweislastregeln (Art. 8 ZGB analog) dar (BGE 140 I 285 E. 6.3.1; Urteil 1C_53/2022 vom 15. Mai 2023 E. 2.1.3).
- Die Mitwirkungspflicht ist besonders hoch, wenn es um die Aufklärung von Tatsachen geht, die der Partei am besten bekannt sind, insbesondere solche, die ihre persönliche Situation betreffen (BGE 148 II 465 E. 8.4; Urteil 1C_612/2024 vom 16. April 2025 E. 1.3).
- Ein Mangel an Mitwirkung kann im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigt werden und zur Folge haben, dass die Behörde "en l'état du dossier" (auf der Grundlage der Aktenlage) entscheidet. In diesem Fall ist die Behörde von ihrer Untersuchungspflicht entbunden, da die Partei die Zusammenarbeit verweigert hat (Moor/Poltier, Droit administratif, vol. II, 3. Aufl., 2011, S. 295; Grisel, L'obligation de collaborer des parties en procédure administrative, 2008, N° 791 ff.).
- Kantonales Recht (Waadt): Art. 30 des kantonalen Gesetzes über das Verwaltungsverfahren (LPA; RS/VD 173.36) konkretisiert diese Pflicht: Die Parteien müssen bei der Sachverhaltsfeststellung mitwirken (Abs. 1); verweigern sie dies, kann die Behörde "en l'état du dossier" entscheiden (Abs. 2).
3.3. Anwendung auf den Fall des Beschwerdeführers
- Systematische Verweigerung der Mitwirkung: Das Bundesgericht bestätigte die Feststellung der Vorinstanz, wonach der Beschwerdeführer die Zusammenarbeit bei der Sachverhaltsfeststellung verweigert hat. Er hatte mehrfach versäumt, ein vollständiges Dossier einzureichen, das eine präzise Beschreibung aller seit den bewilligten Arbeiten vorgenommenen Änderungen, Pläne mit Farbcodes gemäss Art. 69 Ziff. 9 der kantonalen Ausführungsverordnung (RLATC) sowie detaillierte CUS-Berechnungen enthielt.
- Blockade des Expertengutachtens: Die vom Beschwerdeführer eingereichten Pläne waren unzureichend. Die von der CDAP angeordnete Ortsbesichtigung scheiterte an seiner Haltung. Die anschliessende Anordnung eines Expertengutachtens, dessen Zweck die genaue Unterscheidung zwischen bewilligten und unbewilligten Arbeiten war, wurde vom Beschwerdeführer blockiert. Er weigerte sich, editierbare Pläne bereitzustellen, den Kostenvorschuss zu zahlen und dem Experten den Zugang zu seiner Liegenschaft zu gewähren, und drohte ihm mit Strafanzeigen.
- Entscheid "en l'état du dossier": Angesichts dieser systematischen Verweigerung der Mitwirkung konnte die kantonale Behörde keine andere Wahl treffen, als auf der Grundlage der Aktenlage zu entscheiden. Sie durfte davon ausgehen, dass die in der Gemeindeentscheidung vom 15. März 2022 aufgelisteten Arbeiten – welche zudem bereits Gegenstand der strafrechtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers waren – ohne Bewilligung ausgeführt wurden.
- Zurückweisung der Rügen des Beschwerdeführers: Die Behauptungen des Beschwerdeführers, er habe vollumfänglich kooperiert, die Expertise sei eine "fishing expedition" gewesen oder die Vorinstanz habe Treu und Glauben, sein rechtliches Gehör oder den Anspruch auf Rechtsverweigerung verletzt, wurden vom Bundesgericht als unbegründet, offensichtlich falsch und bösgläubig zurückgewiesen. Sein Verhalten habe die Sachverhaltsfeststellung unmöglich gemacht und das Verfahren unnötig verzögert.
- Kosten der Expertise: Auch die Rüge bezüglich der Expertisenkosten (CHF 11'877.45) wurde abgewiesen. Der Experte hatte einen Grossteil der Vorarbeiten (Aktenstudium) geleistet. Da der Beschwerdeführer die Bereitstellung editierbarer Pläne verweigert hatte (obwohl darauf hingewiesen wurde, dass dies die Kosten reduzieren würde), konnte er sich nicht über die Höhe der Kosten beschweren, die zudem nicht als übermässig erschienen.
3.4. Eigentumsgarantie (Art. 26 BV) und Verhältnismässigkeit
- Gesetzliche Grundlage: Die Wiederherstellungsanordnung stützt sich auf eine formelle Gesetzesgrundlage, Art. 105 Abs. 1 LATC.
- Verhältnismässigkeitsprinzip: Eine Abbruchverfügung kann im Einzelfall ausnahmsweise dann unterbleiben, wenn die Abweichungen geringfügig sind, das verletzte öffentliche Interesse den Schaden, den der Abbruch dem Bauherrn zufügen würde, nicht rechtfertigt, der Bauherr gutgläubig von einer Bauberechtigung ausgehen konnte oder ernsthafte Aussichten auf nachträgliche Legalisierung bestehen (BGE 132 II 21 E. 6; 123 II 248 E. 3a/bb).
- Anwendung im vorliegenden Fall:
- Die vom Beschwerdeführer vorgenommenen zahlreichen Änderungen waren nicht geringfügig.
- Der Beschwerdeführer konnte nicht gutgläubig davon ausgehen, dass die Arbeiten bewilligt seien, insbesondere da er bereits strafrechtlich wegen genau dieser unbewilligten Arbeiten verurteilt worden war.
- Wer vollendete Tatsachen schafft, muss damit rechnen, dass die Behörde eher die Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands anordnet, als die daraus entstehenden Nachteile für ihn zu vermeiden (BGE 123 II 248 E. 4a; Urteil 1C_189/2022 vom 13. Januar 2023 E. 2.2).
- Der Beschwerdeführer hat die angebliche Unverhältnismässigkeit der Wiederherstellungsanordnung nicht substanziiert begründet.
- Seine Hartnäckigkeit und die systematische Weigerung, mitzuarbeiten, sprachen gegen ihn. Sein Verhalten – einschliesslich der strafrechtlichen Verurteilung, des Versuchs, unrechtmässige Bauten mit falschen Plänen zu legalisieren, der dilatorischen Taktiken und der respektlosen Äusserungen gegenüber der Gemeinde – zeugte von einer völligen Missachtung der Baupolizeivorschriften und gerichtlicher Entscheidungen und ist daher nicht schützenswert.
- Das Verhältnismässigkeitsprinzip steht der angeordneten Wiederherstellung nicht entgegen.
4. Fazit
Das Bundesgericht wies die Beschwerden, soweit sie zulässig waren, ab und auferlegte dem Beschwerdeführer die Gerichtskosten.
Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:
Das Bundesgericht hat die Wiederherstellungsverfügung für unbewilligte Bauten auf einem Grundstück in Lutry bestätigt. Der Kern des Urteils liegt in der Feststellung, dass der Beschwerdeführer seine Mitwirkungspflicht im Verwaltungsverfahren systematisch und hartnäckig verletzt hat. Er weigerte sich, die notwendigen Dokumente einzureichen, verhinderte eine Ortsbesichtigung und blockierte die Durchführung eines Sachverständigengutachtens, um das Ausmass der unbewilligten Arbeiten zu klären. Das Bundesgericht hielt fest, dass die Vorinstanz in dieser Situation berechtigt war, auf der Grundlage der Aktenlage (en l'état du dossier) zu entscheiden. Zudem konnte der Beschwerdeführer sich nicht auf Gutglauben berufen, da er bereits strafrechtlich wegen der fraglichen Bauten verurteilt worden war. Die Wiederherstellungsanordnung verstösst auch nicht gegen die Eigentumsgarantie oder den Grundsatz der Verhältnismässigkeit, da die Änderungen nicht geringfügig waren und das Verhalten des Beschwerdeführers (Schaffen vollendeter Tatsachen, Missachtung von Vorschriften und Justiz) keinen Schutz verdient.