Zusammenfassung von BGer-Urteil 1C_182/2025 vom 7. Oktober 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Nachfolgend wird das Urteil des schweizerischen Bundesgerichts vom 7. Oktober 2025 (1C_182/2025) detailliert zusammengefasst.

Parteien und Streitgegenstand: Der Beschwerdeführer A.__ reichte beim Bundesgericht eine Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen ein Urteil des Kantonsgerichts Wallis, Cour de droit public, vom 25. Februar 2025 ein. Streitgegenstand ist der Entzug des Führerausweises nach einer Verkehrsregelverletzung.

Sachverhalt: Am 19. Oktober 2018 lenkte A._ in Martigny ein leichtes Strassenfahrzeug (VW-Bus mit hohem Anhänger). Beim Verlassen eines Kreisverkehrs bog er rechts in eine Parkrampe ein. Dabei kollidierte er mit einem Roller, der parallel auf dem durch eine unterbrochene Linie abgegrenzten Radstreifen fuhr. Der Rollerfahrer wurde schwer verletzt. In der Folge wurde gegen A._ ein Strafverfahren eröffnet. Er wurde am 13. Oktober 2020 vom Bezirksrichter Martigny und St-Maurice der fahrlässigen schweren Körperverletzung für schuldig befunden, ein Urteil, das am 19. Januar 2023 vom Kantonsgericht Wallis bestätigt wurde und in Rechtskraft erwuchs. Am 20. März 2023 nahm der Strassenverkehrs- und Schifffahrtsdienst des Kantons Wallis (SCN) das Verwaltungsverfahren wieder auf. Mit Entscheid vom 24. April 2023 qualifizierte der SCN das Verschulden des Beschwerdeführers als schwerwiegend, da er ohne Vorselektionierung auf dem Radstreifen nach rechts abgebogen sei. Der Führerausweis wurde ihm für zwölf Monate entzogen. Dieser Entscheid wurde vom Staatsrat des Kantons Wallis am 28. Februar 2024 und vom Kantonsgericht Wallis am 25. Februar 2025 bestätigt. Das Kantonsgericht begründete den Entzug mit einer Kombination aus Fahrlässigkeit (Nichtwahrnehmen des Rollers) und schwerem Verschulden (Verzicht auf die Vorselektionierung). Die Dauer des Entzugs von zwölf Monaten erfolgte gestützt auf Art. 16c Abs. 2 lit. c des Strassenverkehrsgesetzes (SVG), da der Beschwerdeführer bereits 2016, also innerhalb der letzten fünf Jahre, einen Führerausweisentzug hatte.

Rechtliche Würdigung des Bundesgerichts:

  1. Massgebender Sachverhalt: Das Bundesgericht legt seinem Urteil grundsätzlich den Sachverhalt zugrunde, wie er von der Vorinstanz festgestellt wurde (Art. 105 Abs. 1 BGG). Der Beschwerdeführer rügte die Sachverhaltsfeststellung nicht als willkürlich, weshalb das Bundesgericht keine weiteren Tatsachen berücksichtigte.

  2. Qualifikation der Widerhandlung (Art. 16c SVG): Die zentrale Frage war, ob das Kantonsgericht die Widerhandlung des Beschwerdeführers korrekt als schwere Widerhandlung im Sinne von Art. 16c SVG qualifiziert hatte.

    • Grundlagen der Klassifizierung von Verkehrsregelverletzungen: Das SVG unterscheidet zwischen leichten (Art. 16a Abs. 1 lit. a SVG), mittelschweren (Art. 16b Abs. 1 lit. a SVG) und schweren (Art. 16c Abs. 1 lit. a SVG) Verkehrsregelverletzungen. Eine leichte Widerhandlung liegt vor, wenn der Täter durch Verletzung von Verkehrsregeln eine leichte Gefahr für die Sicherheit anderer schafft und ihn nur ein leichtes Verschulden trifft. Eine schwere Widerhandlung erfordert eine schwerwiegende Verletzung von Verkehrsregeln, die eine ernste Gefahr für die Sicherheit anderer schafft oder in Kauf nimmt. Das Bundesgericht präzisiert, dass eine schwere Widerhandlung stets eine Kumulation eines schweren Verschuldens und einer schweren Gefährdung voraussetzt (vgl. BGE 135 II 138 E. 2.2.3; 136 II 447 E. 3.2). Ist lediglich die Gefährdung oder das Verschulden nicht leicht, handelt es sich um eine mittelschwere Widerhandlung.

    • Begriff des "schweren Verschuldens": Gemäss Art. 16c Abs. 1 lit. a SVG, dessen Tragweite mit Art. 90 Ziff. 2 SVG identisch ist, erfordert ein schweres Verschulden ein rücksichtsloses oder grob verkehrsregelwidriges Verhalten, das heisst grobe Fahrlässigkeit. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Täter sich der von seiner Fahrweise ausgehenden Gefahr bewusst ist oder – seinen Pflichten zuwider – die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausser Acht lässt (bewusste Fahrlässigkeit). Im Falle unbewusster Fahrlässigkeit muss die Nichtbeachtung der geschaffenen Gefahr besonders vorwerfbar sein – insbesondere durch Missachtung eines klaren Risikos – oder selbst auf Rücksichtslosigkeit beruhen (BGE 142 IV 93 E. 3.1). Je schwerwiegender die objektive Verkehrsregelverletzung, desto eher wird Rücksichtslosigkeit angenommen, sofern keine besonderen gegenteiligen Anzeichen vorliegen. Mittelschwere Fahrlässigkeit hingegen entspricht der Missachtung von Unfallrisiken, die für einen durchschnittlichen, normal vorsichtigen Fahrer erkennbar waren (BGE 126 II 192 E. 2b).

    • Massgebende Verkehrsregeln und deren Auslegung:

      • Beherrschung des Fahrzeugs und Aufmerksamkeit (Art. 31 Abs. 1 SVG, Art. 3 Abs. 1 VRV): Der Fahrzeugführer muss sein Fahrzeug stets so beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten nachkommen kann und seine Aufmerksamkeit der Strasse und dem Verkehr widmen. Das Mass der Aufmerksamkeit bemisst sich nach den Umständen wie Verkehrsdichte, örtlichen Verhältnissen, Sicht und vorhersehbaren Gefahren (BGE 137 IV 290 E. 3.6).
      • Richtungsänderung und Anzeigepflicht (Art. 34 Abs. 3 SVG, Art. 39 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 SVG): Wer die Fahrtrichtung ändern will (z.B. Abbiegen, Überholen, Vorselektionieren), muss auf den Gegenverkehr und die folgenden Fahrzeuge achten. Die Absicht muss rechtzeitig mit Blinkern oder Handzeichen angezeigt werden. Das Setzen des Blinkers entbindet jedoch nicht von der nötigen Vorsicht, da das Zeichen oft übersehen oder zu spät bemerkt wird (BGE 97 IV 34).
      • Rechtsabbiegen und Vorselektionierung (Art. 36 Abs. 1 SVG, Art. 40 Abs. 3 VRV): Wer rechts abbiegen will, muss sich am rechten Fahrbahnrand halten (Art. 36 Abs. 1 SVG). Wer unnötigerweise einen derartigen Abstand zum rechten Fahrbahnrand hält, dass er rechts überholt werden könnte, muss besonders vorsichtig sein und sich vor dem Abbiegen vergewissern, dass keine Kollision mit anderen Verkehrsteilnehmern erfolgt (BGE 127 IV 34 E. 2b). Dabei ist gemäss Art. 40 Abs. 3 VRV der Führer eines Motorfahrzeugs bei einer unterbrochenen Linie auf einem Radstreifen verpflichtet, diesen für die Vorselektionierung zu befahren, sofern er den Fahrradverkehr nicht behindert. Die Vorselektionierung ist die deutlichste Warnung vor einer Abbiegeabsicht.
      • Rechtsüberholen durch Fahrräder/Motorräder (Art. 42 Abs. 3 VRV): Fahrräder und Motorräder dürfen eine Kolonne von Motorfahrzeugen rechts überholen, wenn sie die gleiche Fahrbahn benutzen und genügend freier Raum vorhanden ist.
      • Vertrauensgrundsatz (Art. 26 Abs. 1 SVG): Wer sich im Verkehr regelkonform verhält, darf erwarten, dass auch andere Verkehrsteilnehmer sich regelkonform verhalten und ihn nicht gefährden. Diesen Grundsatz kann aber nur in Anspruch nehmen, wer sich selbst regelkonform verhalten hat (BGE 143 IV 500 E. 1.2.4). Wer Verkehrsregeln verletzt und dadurch eine unklare oder gefährliche Situation schafft, kann nicht von anderen erwarten, dass sie diese Gefahr durch erhöhte Aufmerksamkeit ausgleichen.
    • Anwendung auf den vorliegenden Fall durch das Bundesgericht: Das Bundesgericht bestätigte die Einschätzung des Kantonsgerichts.

      • Erhöhte Sorgfaltspflicht: Der Beschwerdeführer führte einen VW-Bus mit hohem Anhänger, was das Manövrieren erschwert und die Sicht nach hinten beeinträchtigt (keine Sicht durch Heckscheibe, erschwerte Spiegel-/Kopfblickkontrolle). Dies erforderte eine erhöhte Vorsicht.
      • Kenntnis der Örtlichkeiten: Der Beschwerdeführer kannte die Örtlichkeiten und das Vorhandensein des Radstreifens, was seine Pflicht zur Vorsicht verstärkte.
      • Verzicht auf Vorselektionierung: Trotz des rechtzeitigen Setzens des Blinkers verzichtete der Beschwerdeführer bewusst darauf, sich gemäss Art. 40 Abs. 3 VRV für das Rechtsabbiegen auf den Radstreifen vorzuselektieren. Er liess somit einen freien Raum von ca. 2,10 m (Breite des Radstreifens), was in Kombination mit seiner geringen Geschwindigkeit (ca. 10 km/h in einer 50er-Zone) eine Situation schuf, die andere Verkehrsteilnehmer zum rechtsseitigen Überholen animierte, selbst wenn dies unzulässig wäre.
      • Unzureichende Vorsichtsmassnahmen: Das Bundesgericht rügte, dass die vom Beschwerdeführer getroffenen Vorkehrungen (Verlangsamen, Blinker setzen, Blick in den Rückspiegel) eindeutig unzureichend waren. Er hätte sich durch Vorselektionierung oder, falls dies nicht möglich war, durch das Einholen der Gewissheit, dass er gefahrlos abbiegen konnte, absichern müssen. Dies hätte zusätzliche Massnahmen wie eine erneute Sichtkontrolle im rechten Rückspiegel und insbesondere des toten Winkels erfordert, allenfalls sogar einen Sicherheitsstopp. Der Beschwerdeführer gab an, in den Rückspiegel geschaut zu haben, aber nie den toten Winkel überprüft zu haben, obwohl dies ein wesentlicher Bestandteil einer korrekten Rückspiegel-Toter-Winkel-Blinker-Reihenfolge (RTI) ist und den Unfall wahrscheinlich verhindert hätte. Zudem sei die Reihenfolge des RTI falsch gewesen (Blinker vor Blick in Rückspiegel).
      • Grobe Fahrlässigkeit: Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass das Verschulden des Beschwerdeführers nicht auf eine blosse Unaufmerksamkeit beschränkt war. Es umfasste vielmehr den bewussten Verzicht auf die Vorselektionierung und unzureichende Vorsichtsmassnahmen, um die dadurch geschaffene gefährliche Situation zu entschärfen. Dies qualifizierte es als rücksichtsloses Verhalten, das grober Fahrlässigkeit entspricht und somit eine schwere Widerhandlung im Sinne von Art. 16c SVG darstellt.
    • Ablehnung der Einwände des Beschwerdeführers:

      • Keine grobe Fahrlässigkeit: Die Argumentation des Beschwerdeführers, er habe nicht grobfahrlässig gehandelt, wurde zurückgewiesen. Seine Massnahmen (Verlangsamen, Blinker, Rückspiegel) entbanden ihn nicht von der Pflicht zur korrekten Totwinkelkontrolle und Vorselektionierung.
      • Vorselektionierung nicht möglich/zweckmässig: Der Einwand, er hätte bei Vorselektionierung wegen der Fahrzeuglänge den Kurvenradius schneiden müssen, wurde ebenfalls verworfen. Wer eine gefährliche Situation schafft, kann sich nicht auf den Vertrauensgrundsatz berufen und muss alle nötigen Massnahmen treffen, um Gefahren abzuwenden (vgl. BGE 127 IV 34 E. 2b).
      • Vergleich mit anderen Urteilen: Ein Vergleich mit einem Fall (6A.40/2002), in dem das Abwischen einer beschlagenen Windschutzscheibe bei geringer Geschwindigkeit als leichtes Verschulden qualifiziert wurde, wurde als nicht vergleichbar beurteilt.
      • Mitverschulden des Rollerfahrers: Das Bundesgericht anerkannte zwar, dass der Rollerfahrer durch Rechtsüberholen auf dem Radstreifen und Fahren ohne Ausweis gegen Verkehrsregeln verstossen hatte. Da der Beschwerdeführer selbst nicht regelkonform gehandelt hatte, konnte er sich jedoch nicht auf den Vertrauensgrundsatz berufen. Zudem sei das rechtsseitige Überholen durch einen Motorradfahrer nicht unvorhersehbar, weshalb gerade in solchen Situationen die besonderen Vorsichtsmassnahmen des Abbiegenden gefordert sind (vgl. Urteil 6S.201/2006 E. 2.1). Das Mitverschulden des Rollerfahrers relativierte die Schwere des Verschuldens des Beschwerdeführers nicht derart, dass eine mildere Qualifikation gerechtfertigt wäre.
  3. Dauer des Führerausweisentzugs: Da die Widerhandlung als schwer im Sinne von Art. 16c SVG qualifiziert wurde und der Beschwerdeführer bereits 2016 einen Führerausweisentzug hatte, entsprach die angeordnete Dauer von zwölf Monaten dem gesetzlichen Minimum gemäss Art. 16c Abs. 2 lit. c SVG. Die Dauer wurde daher bestätigt.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  • Schwere Widerhandlung: Das Bundesgericht bestätigte die Qualifikation der Verkehrsregelverletzung als schwere Widerhandlung im Sinne von Art. 16c SVG, da eine Kumulation von schwerer Gefährdung (schwere Verletzungen des Rollerfahrers) und schwerem Verschulden vorlag.
  • Schweres Verschulden (grobe Fahrlässigkeit): Dieses resultierte nicht nur aus der Unaufmerksamkeit des Beschwerdeführers (Nichtwahrnehmen des Rollers), sondern insbesondere aus seinem bewussten Verzicht auf die vorgeschriebene Vorselektionierung auf dem Radstreifen bei gleichzeitig unzureichenden zusätzlichen Vorsichtsmassnahmen (fehlende Kontrolle des toten Winkels, falsche Reihenfolge der Blickbewegungen), obwohl die Situation (langes Fahrzeug, bekannter Gefahrenort) erhöhte Sorgfalt erforderte.
  • Vertrauensgrundsatz: Der Beschwerdeführer konnte sich nicht auf den Vertrauensgrundsatz berufen, da er selbst nicht regelkonform gehandelt hatte.
  • Mitverschulden Dritter: Das Mitverschulden des Rollerfahrers relativierte die Schwere des Verschuldens des Beschwerdeführers nicht massgeblich, da das rechtsseitige Überholen nicht als unvorhersehbare Gefahr galt.
  • Dauer des Entzugs: Der Führerausweisentzug von zwölf Monaten wurde als gesetzliches Minimum gemäss Art. 16c Abs. 2 lit. c SVG, unter Berücksichtigung eines Voreintrags, bestätigt.