Zusammenfassung von BGer-Urteil 6B_354/2025 vom 21. Oktober 2025

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Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 6B_354/2025 vom 21. Oktober 2025

1. Einleitung und Prozessübersicht

Das vorliegende Urteil des Bundesgerichts, 1. Strafrechtliche Abteilung, befasst sich mit der Beschwerde eines amtlichen Verteidigers (A.__) gegen die von der Strafrechtlichen Abteilung des Kantonsgerichts Neuenburg (Vorinstanz) festgesetzte Entschädigung für seine Tätigkeit in zweiter Instanz. Der Beschwerdeführer beantragte eine höhere Entschädigung und rügte Willkür sowie eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV) seitens der Vorinstanz. Das Bundesgericht hiess die Beschwerde gut, hob das angefochtene Urteil auf und wies die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurück.

2. Sachverhalt und Vorinstanzliches Verfahren

A._ war als amtlicher Verteidiger für B._ im Rahmen eines Berufungsverfahrens vor dem Kantonsgericht Neuenburg tätig. Das Kantonsgericht wies die Berufung von B._ ab und setzte die Entschädigung für A._ auf CHF 4'395.95 (inkl. Spesen und MwSt.) fest, wobei diese Entschädigung gemäss Art. 135 Abs. 4 StPO vollumfänglich von B._ zu erstatten war. A._ war mit der Höhe dieser Entschädigung nicht einverstanden und forderte ursprünglich CHF 5'571.65. Er reichte daraufhin eine Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht ein. Das Ministerium public Neuenburg äusserte sich im Bundesgerichtsverfahren dahingehend, dass die Rügen des Beschwerdeführers begründet erscheinen.

3. Rechtliche Würdigung durch das Bundesgericht

3.1. Zur Zulässigkeit der Beschwerde

Das Bundesgericht stellte eingangs fest, dass die Beschwerde des amtlichen Verteidigers gegen die Festsetzung seines Honorars seit dem 1. Januar 2024 (Änderung der StPO; RO 2023 468, FF 2019 S. 6351, insb. 6386) direkt beim Bundesgericht anzufechten ist und nicht mehr, wie zuvor (Art. 135 Abs. 3 lit. b aStPO), beim Bundesstrafgericht. Die Beschwerde in Strafsachen ist gemäss Art. 81 BGG zulässig, da der amtliche Verteidiger ein schutzwürdiges Interesse an der Höhe seiner Entschädigung hat, auch wenn er nicht explizit unter die Kategorien von Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG fällt.

3.2. Grundsätze der Honorarfestsetzung für amtliche Verteidiger

Das Bundesgericht führte die massgebenden Kriterien für die Festsetzung der Entschädigung des amtlichen Verteidigers gemäss Art. 135 StPO und der ständigen Rechtsprechung aus (vgl. ATF 122 I 1 E. 3a; 6B_397/2024 E. 2.1; 6B_1231/2018 E. 2.1.1): * Die Behörde, die das Honorar festsetzt, verfügt über einen weiten Ermessensspielraum. * Zu berücksichtigen sind: Natur und Bedeutung der Sache, besondere Schwierigkeiten des Falls (sachlich und rechtlich), vom Anwalt aufgewendeter Zeitaufwand, Qualität der Arbeit, Anzahl der Konferenzen, Verhandlungen und Instanzen, das erzielte Ergebnis sowie die übernommene Verantwortung. * Das Bundesgericht interveniert nur bei Ermessensmissbrauch oder -überschreitung. Dies liegt vor, wenn der Entscheid auf einer unhaltbaren Beurteilung der Umstände beruht, mit Recht und Billigkeit unvereinbar ist, relevante Tatsachen ausser Acht lässt oder irrelevante Umstände berücksichtigt (vgl. ATF 141 I 124 E. 3.2; 125 V 408 E. 3a). * Gegenüber der Schätzung des Zeitaufwands oder der geltend gemachten Tätigkeiten durch die Vorinstanzen übt das Bundesgericht grosse Zurückhaltung. Eine Aufhebung erfolgt nur, wenn unbestreitbar zum Mandatsumfang gehörende Tätigkeiten nicht entschädigt wurden (vgl. ATF 118 Ia 133 E. 2d; 8C_832/2012 E. 2.3). * Es genügt nicht, dass ein einzelner Posten fehlerhaft beurteilt wurde; der Gesamtbetrag muss willkürlich erscheinen (ATF 109 Ia 107 E. 3d; 6B_273/2009 E. 2.1).

3.3. Die Argumentation der Vorinstanz

Die Vorinstanz hatte den vom Beschwerdeführer in seinem Honorarverzeichnis deklarierten Zeitaufwand von 39 Stunden und 2 Minuten für das gesamte Verfahren der zweiten Instanz als übermässig erachtet. Sie begründete dies damit, dass der Beschwerdeführer bereits in erster Instanz plädiert habe und daher über eine gute Dossierkenntnis verfüge. Die Vorbereitung der Berufungserklärung und der Verhandlung habe keine komplexe oder neue Problematik beinhaltet. Folglich reduzierte die Vorinstanz den notwendigen Zeitaufwand für das Berufungsverfahren auf 21 Stunden, welche sich wie folgt aufschlüsselten: 12 Stunden für die Berufungserklärung, 6 Stunden für die Vorbereitung der Verhandlung, 1 Stunde für das Gespräch mit dem Klienten und 1 Stunde 30 Minuten für "Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Korrespondenz mit dem Klienten".

3.4. Beurteilung der Rügen des Beschwerdeführers durch das Bundesgericht

3.4.1. Erfolgloser Punkt: Berücksichtigung von Korrespondenzzeit

Der Beschwerdeführer rügte zunächst, dass die Vorinstanz die Posten "Kenntnisnahme des CNP-Berichts" und "Klientenkorrespondenz und Analyse des CNP-Berichts" (total 45 Minuten) in seinem Honorarverzeichnis nicht berücksichtigt habe. Das Bundesgericht verortete diese Tätigkeiten innerhalb der von der Vorinstanz pauschal als notwendig erachteten 1 Stunde 30 Minuten für "Korrespondenz mit dem Klienten". Das Bundesgericht sah hier keinen Ermessensmissbrauch oder eine Überschreitung des Ermessensspielraums der Vorinstanz, zumal der Beschwerdeführer dies nicht hinreichend dargelegt habe. Dieser Punkt der Beschwerde war demnach unbegründet.

3.4.2. Erfolgreicher Punkt: Nichtberücksichtigung von Verhandlungs- und Urteilsverlesungszeiten

Deutlich anders beurteilte das Bundesgericht die Rüge des Beschwerdeführers, die Vorinstanz habe die Berufungsverhandlung (4 Stunden 35 Minuten) und die Urteilsverlesung (35 Minuten) nicht berücksichtigt. Diese Posten waren vom Beschwerdeführer im Honorarverzeichnis klar aufgeführt und in seinen Ausführungen geltend gemacht worden.

Das Bundesgericht stellte fest, dass die Vorinstanz in der Tat diese beiden Posten bei der Festsetzung des Zeitaufwands von 21 Stunden unberücksichtigt gelassen hatte. Es hielt fest, dass es sich hierbei um unbestreitbar zum Mandatsumfang des amtlichen Verteidigers gehörende Tätigkeiten handelt. Die Vorinstanz hatte zudem keinerlei Begründung für die Nichtberücksichtigung dieser Posten geliefert. Das Bundesgericht verwies zudem auf die Inkonsistenz, dass die Vorinstanz dem amtlichen Verteidiger der Gegenpartei (der Privatklägerin) diese Tätigkeiten offenbar entschädigt hatte.

Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass die Vorinstanz durch die Nichtberücksichtigung dieser Tätigkeiten ohne jegliche Begründung Art. 135 StPO verletzt und auch das Recht des Beschwerdeführers auf einen begründeten Entscheid gemäss Art. 29 Abs. 2 BV missachtet hat.

4. Entscheid und Kostenfolgen

Aufgrund der festgestellten Verletzungen hiess das Bundesgericht die Beschwerde gut. Das angefochtene Urteil wurde aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung an das Kantonsgericht Neuenburg zurückgewiesen. Die Vorinstanz wurde angewiesen, bei der Neufestsetzung des Honorars den Zeitaufwand für die Berufungsverhandlung und die Urteilsverlesung zu berücksichtigen.

Da der Beschwerdeführer mit seiner Beschwerde obsiegte, wurden ihm keine Gerichtskosten auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der Kanton Neuenburg wurde zur Zahlung einer Parteikostenentschädigung von CHF 1'000 an den Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Bundesgericht verpflichtet (Art. 68 Abs. 1 BGG).

5. Wesentliche Punkte des Urteils

  • Zuständigkeit: Das Bundesgericht ist seit dem 1. Januar 2024 zuständig für Beschwerden amtlicher Verteidiger gegen die Honorarfestsetzung der kantonalen Berufungsinstanz (Art. 135 Abs. 3 StPO n.F.).
  • Ermessensmissbrauch bei Honorarfestsetzung: Die Weigerung einer Behörde, unbestreitbar zum Mandat eines amtlichen Verteidigers gehörende Tätigkeiten (wie die Teilnahme an einer Hauptverhandlung oder Urteilsverlesung) zu entschädigen, stellt einen Ermessensmissbrauch dar.
  • Recht auf begründeten Entscheid: Die unbegründete Nichtberücksichtigung klar geltend gemachter und zum Kernmandat gehörender Tätigkeiten verletzt das Recht auf einen begründeten Entscheid (Art. 29 Abs. 2 BV).
  • Rückweisungspflicht: Das Bundesgericht hebt das Urteil auf und weist die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurück, wenn wesentliche Aspekte der Honorarberechnung willkürlich oder unbegründet ausser Acht gelassen wurden.