Zusammenfassung von BGer-Urteil 5A_693/2024 vom 9. Oktober 2025

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Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts (5A_693/2024) Einleitung

Das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (BGer) vom 9. Oktober 2025 (5A_693/2024) befasst sich mit einem Streit um die Einräumung und Eintragung eines Notwegrechts gemäss Art. 694 ZGB. Die Beschwerdeführer, Miteigentümer eines Grundstücks in der Landwirtschaftszone, das lediglich über einen Fussweg erschlossen ist, beantragten die Einräumung eines unbeschränkten Fuss- und Fahrwegrechts oder eventualiter eines unbeschränkten Fusswegrechts und eines beschränkten Fahrwegrechts zulasten der angrenzenden Grundstücke des Beschwerdegegners. Das BGer hatte zu prüfen, ob die Vorinstanz (Obergericht Appenzell Ausserrhoden) Bundesrecht verletzt hat, indem sie die Klage der Beschwerdeführer abwies.

Sachverhalt

Die Beschwerdeführer sind Miteigentümer des Grundstücks Nr. vvv in U.__, auf dem sich ihr Wohnhaus befindet. Dieses Grundstück liegt vollständig in der Landwirtschaftszone und wird vom Grundstück Nr. www des Beschwerdegegners umschlossen. Im Jahr 1987 erwarben die Eltern einer Beschwerdeführerin die Liegenschaft als "Wohnhaus mit Anbau, Hofraum, Garten und Wege". Im Jahr 2016 erhielten die Beschwerdeführer eine Baubewilligung zur Instandstellung und zum Ausbau von Teilen der Scheune zu Wohnzwecken.

Das Grundstück Nr. vvv ist lediglich über einen öffentlichen Fussweg erschlossen, der über die Grundstücke Nr. www und xxx zu einem Parkplatz auf einem weiteren Grundstück führt, von dem aus eine Zufahrt zur Kantonsstrasse besteht. Dieser Fussweg ist 180 Meter lang und weist eine Höhendifferenz von 35 Metern auf. Obwohl weitere Fusswegrechte zugunsten von Nr. vvv bestehen, fehlt es an einem zum öffentlichen Strassennetz führenden Fahrwegrecht. Die Beschwerdeführer sind nach den Feststellungen der Vorinstanz nicht in der Landwirtschaft tätig.

Vorinstanzlicher Verfahrensgang

Die Beschwerdeführer klagten am 5. Mai 2021 beim Kantonsgericht Appenzell Ausserrhoden auf Einräumung eines unbeschränkten Fuss- und Fahrwegrechts zugunsten ihres Grundstücks und zulasten der Grundstücke des Beschwerdegegners. Das Kantonsgericht wies die Klage am 21. April 2022 ab. Die dagegen erhobene Berufung beim Obergericht Appenzell Ausserrhoden, in der die Beschwerdeführer ihre bisherigen Begehren wiederholten und eventualiter ein unbeschränktes Fusswegrecht sowie ein eingeschränktes Fahrwegrecht (Nutzung nur bei geeigneten Verhältnissen) beantragten, wurde am 27. August 2024 ebenfalls abgewiesen.

Erwägungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht trat auf die Beschwerde in Zivilsachen ein, da die Voraussetzungen (Endentscheid, vermögensrechtliche Zivilsache, Streitwert über Fr. 30'000.-, Parteifähigkeit, Frist) erfüllt waren (E. 1). Es wies darauf hin, dass es grundsätzlich nur die Verletzung von Bundesrecht und Völkerrecht prüft (Art. 95 BGG) und sich an den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt hält, es sei denn, dieser sei offensichtlich unrichtig (willkürlich) oder beruhe auf einer anderen Bundesrechtsverletzung (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG). Eine blosse appellatorische Kritik oder die Berufung auf neue Beweismittel wurde abgewiesen (E. 2.1, 2.2).

1. Rechtliche Grundlagen und Voraussetzungen des Notwegrechts (Art. 694 ZGB)

Das Bundesgericht wiederholte die gefestigte Rechtsprechung zum Notwegrecht gemäss Art. 694 Abs. 1 ZGB:

  • Definition und Charakter: Das Notwegrecht stellt eine "privatrechtliche Enteignung" dar und kann nur unter strengen Voraussetzungen, d.h. in einer eigentlichen Notlage (sog. Wegnot), geltend gemacht werden.
  • Wegnot: Eine Wegnot liegt vor, wenn dem Grundeigentümer die zur bestimmungsgemässen Benutzung seines Grundstücks erforderliche Verbindung zur öffentlichen Strasse entweder gänzlich fehlt oder der vorhandene Weg sich als ungenügend erweist (BGE 136 III 130 E. 3.1).
  • Bestimmungsgemässe Nutzung:
    • Diese ergibt sich aus dem öffentlichen Recht, insbesondere dem Raumplanungsgesetz (RPG).
    • Liegt das Grundstück in der Bauzone oder in Streu- und Hofsiedlungsgebieten, ist das Erstellen und Bewohnen eines Wohnhauses eine bestimmungsgemässe Nutzung (BGE 136 III 130 E. 3.2; Urteile 5A_713/2017 E. 1.3.2; 5C.142/2003 E. 2.4).
    • Entscheidend für den vorliegenden Fall: Das Bewohnen einer in der Landwirtschaftszone gelegenen Liegenschaft durch landwirtschaftsfremde Personen ist grundsätzlich keine bestimmungsgemässe Nutzung (Urteil 5A_713/2017 E. 2.1.2 und 2.4.1 mit Hinweis auf BGE 125 III 175 E. 2b und 112 Ib 259 E. 2b). Eine Ausnahmebewilligung nach Art. 24 ff. RPG kann dies zwar ändern, wurde hier jedoch nicht festgestellt.
  • Umfang des Notwegs:
    • In Gebieten, in denen Wohn- oder Ferienhäuser stehen, ist grundsätzlich eine allgemeine Zufahrt mit Motorfahrzeugen zu ermöglichen (BGE 136 III 130 E. 3.3.3; Urteil 5A_670/2019 E. 4.1).
    • Entscheidend für den vorliegenden Fall: Bei Grundstücken ausserhalb derartiger Gebiete reicht ein Fussweg aus, sofern ausnahmsweise Transporte, die sich gewöhnlich nur mit Motorfahrzeugen ausführen lassen (z.B. für Möbel, Heizmaterialien), möglich bleiben (BGE 107 II 323 E. 4; Urteile 5D_155/2021 E. 3.1; 5A_853/2015 E. 3.1.2.1).
    • Vorausgesetzt ist in allen Fällen, dass die topographischen Verhältnisse den entsprechenden Zugang zulassen (E. 3.1, 3.2).
2. Anwendung auf den Hauptantrag der Beschwerdeführer

Das Obergericht hatte festgestellt, dass die Liegenschaft der Beschwerdeführer fernab vom Wohngebiet in der Landwirtschaftszone ausserhalb der Ortschaft U.__ liege und sich weder in einer Weilerzone noch im Streusiedlungsgebiet befinde. Zudem seien die Beschwerdeführer nicht in der Landwirtschaft tätig.

Die Beschwerdeführer rügten diese Feststellungen und machten geltend, ihre Liegenschaft befinde sich im Streusiedlungsgebiet, da das gesamte Kantonsgebiet Appenzell Ausserrhoden (ausser Ortskerne und Alpen) gemäss kantonalem Baugesetz und Richtplan ein solches bilde.

Das Bundesgericht wies diese Rüge zurück. Es hielt fest, dass die Beschwerdeführer damit dem Obergericht die falsche Anwendung kantonalen Rechts vorwerfen. Eine solche Rüge ist vor Bundesgericht jedoch grundsätzlich kein Beschwerdegrund (Art. 95 BGG), es sei denn, es werde gleichzeitig eine Verletzung verfassungsmässiger Rechte oder von Bundesrecht geltend gemacht, was hier nicht geschehen sei.

Somit verblieb es bei der obergerichtlichen Feststellung, dass das Grundstück der Beschwerdeführer weder in einer Wohn- oder Weilerzone noch im Streusiedlungsgebiet liegt und die Beschwerdeführer landwirtschaftsfremde Personen sind. Unter diesen Umständen, und angesichts der Rechtsprechung, dass das Bewohnen einer Liegenschaft in der Landwirtschaftszone durch landwirtschaftsfremde Personen nicht als bestimmungsgemässe Nutzung gilt, besteht kein Anspruch auf ein ungehindertes und unbeschränktes Fuss- und Fahrwegrecht. Das Bundesgericht erachtete die Abweisung des Hauptbegehrens durch die Vorinstanz als nicht zu beanstanden (E. 4.1, 4.2).

3. Anwendung auf den Eventualantrag der Beschwerdeführer

Im Eventualantrag ersuchten die Beschwerdeführer um ein unbeschränktes Fusswegrecht und ein nach Witterung und Bodennutzung eingeschränktes Fahrwegrecht. Das Bundesgericht führte aus, dass auch ein Notwegrecht in diesem Umfang ausserhalb von Gebieten, in denen Wohn- oder Ferienhäuser stehen, nicht in Betracht kommt, da es über das Mass eines blossen Fusswegs mit der Möglichkeit von Ausnahmetransporten hinausgeht.

Obwohl die Beschwerdeführer in ihrer Begründung sporadische Zufahrten für Transporte (Möbel, Heizmaterial etc.) erwähnten, stellte das Bundesgericht fest, dass ihr konkretes Eventualbegehren ausdrücklich über solche blosse Ausnahmetransporte hinausgeht. Eine einschränkende Auslegung des Antrags sei daher nicht möglich. Die Frage, ob allenfalls Anspruch auf ein Notwegrecht für blosse Ausnahmetransporte bestünde, konnte das BGer mangels eines hinreichenden Antrags (Art. 42 Abs. 1 BGG) und aufgrund der Tatsache, dass ein solches Begehren im kantonalen Verfahren nicht strittig war (Art. 75 BGG), nicht prüfen (E. 5.1, 5.2).

4. Ergebnis

Basierend auf diesen Erwägungen wies das Bundesgericht die Beschwerde ab. Es sah auch keinen Anlass, die Sache gemäss dem subeventual gestellten Antrag an die Vorinstanz zurückzuweisen (E. 5.3, 6).

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte

Das Bundesgericht wies die Beschwerde gegen die Abweisung eines Notwegrechts ab. Es bestätigte, dass ein Notwegrecht nur bei Wegnot für die bestimmungsgemässe Nutzung eines Grundstücks besteht. Da das Grundstück der Beschwerdeführer in der Landwirtschaftszone liegt und sie nicht landwirtschaftlich tätig sind, gilt das Bewohnen nicht als bestimmungsgemässe Nutzung im Sinne von Art. 694 ZGB, welche eine allgemeine Motorfahrzeugzufahrt rechtfertigen würde. Die Rüge der Beschwerdeführer, ihr Grundstück liege in einem Streusiedlungsgebiet gemäss kantonalem Recht, wurde als unzulässige Rüge der Anwendung kantonalen Rechts zurückgewiesen. Der beantragte Umfang des Wegrechts ging zudem über die für solche Fälle maximal zulässigen Ausnahmetransporte hinaus, weshalb die Begehren der Beschwerdeführer abgewiesen wurden.