Zusammenfassung von BGer-Urteil 7B_1101/2025 vom 30. Oktober 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Gerne fasse ich das Urteil des schweizerischen Bundesgerichts 7B_1101/2025 vom 30. Oktober 2025 detailliert zusammen:

Einleitung Das Bundesgericht hatte über eine Beschwerde in Strafsachen von A.__ (Beschwerdeführer) gegen das Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen vom 16. September 2025 zu entscheiden. Gegenstand der Beschwerde war die vom Kantonsgericht verfügte Verlängerung der Sicherheitshaft des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer beantragte die Aufhebung der Haftverlängerung und seine sofortige Entlassung.

Sachverhalt Der Beschwerdeführer wurde vom Kreisgericht St. Gallen am 16. Januar 2025 des versuchten Mordes, der mehrfachen Sachbeschädigung und der Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe von siebeneinhalb Jahren, einer Geldstrafe und einer Busse sowie einer Landesverweisung von zehn Jahren verurteilt. Im Rahmen des darauf folgenden Berufungsverfahrens ordnete das Kantonsgericht St. Gallen am 19. Juni 2025 die Sicherheitshaft gegen den Beschwerdeführer an, ein Entscheid, der unangefochten in Rechtskraft erwuchs.

Mit dem angefochtenen Urteil vom 16. September 2025 bestätigte das Kantonsgericht die Schuldsprüche, erhöhte jedoch aufgrund der Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft die Freiheitsstrafe auf zehn Jahre und die Landesverweisung auf zwölf Jahre. Gleichzeitig verlängerte es die gegen den Beschwerdeführer bestehende Sicherheitshaft.

Rechtliche Grundlagen und Prüfungsrahmen Gemäss Art. 221 Abs. 1 StPO ist Untersuchungs- oder Sicherheitshaft zulässig, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und ein besonderer Haftgrund (Flucht-, Kollusions- oder Wiederholungsgefahr) vorliegt. Anstelle der Haft sind Ersatzmassnahmen anzuordnen, wenn diese den gleichen Zweck wie die Haft erfüllen (Art. 212 Abs. 2 lit. c i.V.m. Art. 237 ff. StPO).

Der Beschwerdeführer bestreitet den dringenden Tatverdacht nicht, wendet sich jedoch gegen die Bejahung der Fluchtgefahr durch die Vorinstanz.

Das Bundesgericht prüft bei Beschwerden, die auf das Recht der persönlichen Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV) gestützt werden, die Auslegung und Anwendung der StPO grundsätzlich frei. Reine Sachverhaltsfragen und Fragen der Beweiswürdigung werden jedoch nur dann korrigiert, wenn die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz offensichtlich unrichtig (willkürlich im Sinne von Art. 9 BV) sind oder auf einer Rechtsverletzung beruhen (Art. 97 Abs. 1 i.V.m. Art. 105 Abs. 2 BGG).

Definition und Indikatoren der Fluchtgefahr (Erw. 3.1) Fluchtgefahr setzt ernsthafte Anhaltspunkte dafür voraus, dass sich die beschuldigte Person dem Strafverfahren oder der zu erwartenden Sanktion durch Flucht entziehen könnte. Eine abstrakte Fluchtmöglichkeit genügt nicht; es bedarf einer gewissen Wahrscheinlichkeit, dass die Person im Falle einer Entlassung die Flucht ergreifen würde. Die Beurteilung erfolgt im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller wesentlichen Umstände, darunter der Charakter der Person, ihre moralische Integrität, finanzielle Mittel, Verbindungen zur Schweiz und zum Ausland sowie die Höhe der drohenden Strafe. Die Schwere der drohenden Strafe ist zwar ein Indiz, genügt aber für sich allein nicht zur Bejahung der Fluchtgefahr (BGE 145 IV 503 E. 2.2; 143 IV 160 E. 4.3). Die Wahrscheinlichkeit einer Flucht nimmt mit zunehmender Haftdauer tendenziell ab, da die anzurechnende Prozesshaft die zu verbüssende Strafe reduziert. Jedoch können Anklageerhebungen oder gerichtliche Verurteilungen, wie im vorliegenden Fall, je nach den Umständen auch neue Fluchtanreize auslösen (BGE 145 IV 503 E. 2.2).

Begründung des Bundesgerichts

  1. Erhöhung der Strafe als neuer Fluchtanreiz (Erw. 3.3) Der Beschwerdeführer führte an, er sei während des erstinstanzlichen Verfahrens stets zu gerichtlichen Terminen erschienen und habe keine Fluchtversuche unternommen. Das Bundesgericht folgte dieser Argumentation nicht. Es hielt fest, dass die erstinstanzliche Verurteilung zu einer langjährigen Freiheitsstrafe – und insbesondere deren Verschärfung durch das Berufungsurteil aufgrund der Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft – einen neuen und konkreten Fluchtanreiz darstellt, der die Situation im Vergleich zum Zeitpunkt des erstinstanzlichen Hauptverfahrens wesentlich verändert hat. Damit bestätigte es die vorinstanzliche Anwendung der bundesgerichtlichen Praxis (vgl. BGE 145 IV 503 E. 2.2).

  2. Weitere konkrete Indizien für Fluchtgefahr (Erw. 3.4)

    • Versuchte Beschaffung eines gefälschten Ausweises (Erw. 3.4.1): Gegen den Beschwerdeführer war ein Strafverfahren wegen versuchten Gebrauchs eines gefälschten Ausweises eröffnet worden. Obwohl dieses Verfahren gemäss den bundesgerichtlich verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz eingestellt wurde, erfolgte dies nicht wegen fehlenden Tatverdachts. Vielmehr wurde es gestützt auf Art. 319 Abs. 1 lit. e i.V.m. Art. 8 Abs. 2 lit. a StPO (Opportunitätsprinzip) eingestellt, da der Vorwurf im Vergleich zum angeklagten versuchten Mord keinen nennenswerten Einfluss auf die Gesamtstrafe gehabt hätte. Das Bundesgericht befand es als nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz die konkreten Verdachtsmomente rund um die Beschaffung eines gefälschten Ausweispapiers als gewichtiges Fluchtindiz wertete.
    • Fluchtabsichten im Zusammenhang mit Auslandreise (Erw. 3.4.1): Die Vorinstanz hatte zudem ausgeführt, dass der Beschwerdeführer direkt nach der Anklageerhebung im Oktober 2022 in den Kosovo reiste und während dieses Aufenthalts Textnachrichten versendete, die den Schluss eines Untertauchens nahelegten. Obwohl der Beschwerdeführer später in die Schweiz zurückkehrte, bewertete die Vorinstanz – und das Bundesgericht bestätigte dies – die expliziten Äusserungen in Textnachrichten gegenüber seinem Bruder, wonach er "auf der Flucht" sei, als haltbares Indiz für eine Fluchtneigung, insbesondere in Verbindung mit dem Verdacht der Ausweisbeschaffung.
    • Ungereimtheiten bezüglich Staatsbürgerschaft (Erw. 3.4.1): Die Vorinstanz stellte Ungereimtheiten in Bezug auf die Staatsbürgerschaft des Beschwerdeführers fest (zunächst serbische und kosovarische, später nur noch serbische Staatsbürgerschaft). Da der Beschwerdeführer hierzu keine substanziierte Stellungnahme abgab, war es gemäss Bundesgericht nicht willkürlich, dies als weiteren Anhaltspunkt für Fluchtgefahr zu werten.
    • Verbindungen zum Ausland (Erw. 3.4.2): Der Beschwerdeführer unterhält Verbindungen zu Serbien und dem Kosovo, beherrscht die albanische Sprache, ist mit der Herkunftsregion vertraut und hat dort Verwandte und Bekannte. Seine pauschale Bestreitung konnte die willkürfreie Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nicht entkräften. Angesichts der hohen Strafe wertete das Bundesgericht diese Beziehungen als zusätzlichen Anhaltspunkt für Fluchtgefahr.
    • Persönliche und familiäre Situation (Erw. 3.4.3): Obwohl der Beschwerdeführer mit seiner Kernfamilie in der Schweiz lebt, sah die Vorinstanz in seiner persönlichen und familiären Situation keine wesentlichen Gründe, die ihn von einer Flucht abhalten könnten. Dies begründete sie mit Ungereimtheiten bezüglich seiner Beziehung zu C.__, welche nicht als gefestigt erachtet wurde (z.B. widersprüchliche Aussagen der Partnerin, Unkenntnis der Eltern). Das Bundesgericht erachtete die Argumentation der Vorinstanz als bundesrechtskonform, da der Beschwerdeführer die genannten Unklarheiten nicht entkräften konnte.
    • Wirtschaftliche Situation (Erw. 3.4.4): Ein in Aussicht gestelltes 100%-Arbeitsverhältnis per 1. August 2025 wurde vom Bundesgericht angesichts der Haft und der langjährigen Verurteilung als fraglich in Bezug auf seine abhaltende Wirkung von einer Flucht angesehen. Das geringe durchschnittliche Monatseinkommen des Beschwerdeführers vor seiner Inhaftierung (rund Fr. 1'300.--) liess die Vorinstanz der wirtschaftlichen Situation in Bezug auf die Fluchtgefahr kein besonderes Gewicht beimessen, was vom Bundesgericht nicht beanstandet wurde.
  3. Verhältnismässigkeit und Ersatzmassnahmen (Erw. 4) Das Bundesgericht bestätigte die Schlussfolgerung der Vorinstanz, wonach die Sicherheitshaft verhältnismässig sei und keine milderen Ersatzmassnahmen (Art. 237 StPO) ersichtlich seien, um einer Flucht wirksam entgegenzuwirken. Angesichts der bereits geäusserten Fluchtabsichten und des dringenden Verdachts der Beschaffung eines gefälschten Ausweispapiers muss die vom Beschwerdeführer ausgehende Fluchtgefahr als ausgeprägt bezeichnet werden. Die Vorinstanz hatte zutreffend darauf hingewiesen, dass in solchen Fällen eine vom Beschwerdeführer beantragte Ausweis- und Schriftensperre sowie eine behördliche Meldepflicht nach der Praxis des Bundesgerichts nicht geeignet sind, einer ausgeprägten Fluchtgefahr hinreichend zu begegnen (BGE 145 IV 503 E. 3.2-3.3; Urteile 7B_982/2024 E. 3.4; 7B_15/2024 E. 4.2; 7B_706/2023 E. 5.1). Der Beschwerdeführer setzte sich mit dieser Argumentation nicht auseinander und nannte keine Gründe, die ein Abweichen von der bundesgerichtlichen Praxis rechtfertigen würden, insbesondere auch nicht im Hinblick auf die Möglichkeit, trotz abgegebenen kosovarischen Passes serbische Ausweisdokumente zu erhalten.

Schlussfolgerung des Bundesgerichts Das Bundesgericht wies die Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden konnte, vollumfänglich ab. Dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wurde entsprochen.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht bestätigte die Verlängerung der Sicherheitshaft des Beschwerdeführers wegen ausgeprägter Fluchtgefahr. Es begründete dies primär mit der substanziell erhöhten Freiheitsstrafe von zehn Jahren, welche einen neuen und konkreten Fluchtanreiz darstellt. Zusätzliche gewichtige Indizien waren der dringende Verdacht der versuchten Beschaffung eines gefälschten Ausweises, dokumentierte Fluchtabsichten des Beschwerdeführers nach einer früheren Auslandreise ("auf der Flucht"), Ungereimtheiten bezüglich seiner Staatsbürgerschaft sowie seine bestehenden Verbindungen ins Ausland (Serbien/Kosovo). Hingegen wurden seine persönlichen, familiären und wirtschaftlichen Verhältnisse als nicht ausreichend stabil oder hindernd für eine Flucht bewertet. Das Bundesgericht befand auch, dass mildere Ersatzmassnahmen wie eine Ausweis- und Schriftensperre oder eine Meldepflicht bei derart ausgeprägter Fluchtgefahr nach ständiger Rechtsprechung nicht genügen, um dem Fluchtrisiko wirksam zu begegnen.