Zusammenfassung von BGer-Urteil 6B_684/2025 vom 14. Oktober 2025

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Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts detailliert zusammen:

Bundesgerichtsurteil 6B_684/2025 vom 14. Oktober 2025

1. Einleitung und Sachverhalt

Das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (I. strafrechtliche Abteilung) befasst sich mit einer Beschwerde in Strafsachen gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 16. April 2025. Der Beschwerdeführer, A.__, wurde wegen qualifiziert grober Verletzung der Verkehrsregeln verurteilt, insbesondere wegen einer erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung.

Dem Beschwerdeführer wurde vorgeworfen, am 14. August 2021 gegen 20:40 Uhr auf einer Hauptstrasse in U._ in Richtung V._ ein Fahrzeug (Mercedes-Benz) über eine Strecke von 80 Metern mit mindestens 151 km/h gelenkt zu haben, obwohl die erlaubte Höchstgeschwindigkeit 80 km/h betrug. Das Bezirksgericht Frauenfeld verurteilte ihn zu zwölf Monaten bedingter Freiheitsstrafe und einer Busse von CHF 2'600.--. Das Obergericht reduzierte die bedingte Freiheitsstrafe auf elf Monate. Mit seiner Beschwerde in Strafsachen beantragte A.__ einen Freispruch, eventualiter die Rückweisung der Sache an das Obergericht zur Neubeurteilung.

2. Hauptproblemstellungen der Beschwerde

Die Beschwerde konzentrierte sich auf zwei zentrale Punkte: * Die Bestreitung der Täterschaft durch den Beschwerdeführer und die Rüge einer willkürlichen Beweiswürdigung sowie die unzulässige antizipierte Beweiswürdigung der Vorinstanz. * Die Kritik an der Strafzumessung.

3. Rechtliche Grundlagen der Beweiswürdigung

Das Bundesgericht legte zunächst die massgebenden Grundsätze für die Überprüfung der Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung dar: * Sachverhaltsfeststellung und Willkürverbot (Art. 97 Abs. 1 BGG i.V.m. Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG): Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung beruht und die Behebung des Mangels entscheidend für den Verfahrensausgang sein kann. "Offensichtlich unrichtig" bedeutet willkürlich. Willkür liegt vor, wenn der Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht oder derart krass im Widerspruch zur Gerechtigkeit und zum Rechtsempfinden steht, dass er nicht mehr zu halten ist. Eine andere vertretbare Lösung allein genügt nicht; der Entscheid muss im Ergebnis willkürlich sein. Die Willkürrüge muss gemäss Art. 106 Abs. 2 BGG explizit und substanziiert begründet werden (vgl. BGE 141 IV 249 E. 1.3.1; BGE 141 IV 305 E. 1.2). * "In dubio pro reo" (Art. 10 Abs. 3 StPO): Dieser Grundsatz besagt als Beweiswürdigungsregel, dass sich das Strafgericht nicht von einem ungünstigen Sachverhalt überzeugt erklären darf, wenn bei objektiver Betrachtung erhebliche und nicht zu unterdrückende Zweifel bestehen. Abstrakte oder theoretische Zweifel genügen nicht; es müssen unüberwindliche Zweifel sein, die sich nach der objektiven Sachlage aufdrängen (vgl. BGE 138 V 74 E. 7). Im Verfahren vor Bundesgericht hat "in dubio pro reo" als Beweiswürdigungsregel keine über das Willkürverbot von Art. 9 BV hinausgehende Bedeutung. Als Beweislastregel ist der Grundsatz verletzt, wenn eine Person einzig mit der Begründung verurteilt wird, ihre Unschuld nicht nachgewiesen zu haben. Dies prüft das Bundesgericht mit freier Kognition (vgl. BGE 144 IV 345 E. 2.2.3.3). * Antizipierte Beweiswürdigung: Strafbehörden können auf die Abnahme weiterer Beweise verzichten, wenn der Sachverhalt bereits genügend abgeklärt ist und sie in antizipierter Würdigung davon ausgehen, dass ein beantragtes Beweismittel ihre Überzeugung nicht erschüttern würde. Das Bundesgericht prüft Rügen gegen eine antizipierte Beweiswürdigung nur unter dem Gesichtspunkt der Willkür (vgl. BGE 146 III 73 E. 5.2.2).

4. Detaillierte Analyse der Beweiswürdigung und Täterschaft

Die Vorinstanz hatte die Täterschaft des Beschwerdeführers als erstellt betrachtet und stützte sich dabei auf eine umfassende Würdigung der Aussagen des Beschwerdeführers selbst, seines Vaters B._ und des Polizeibeamten Adjunkt C._. Das Bundesgericht bestätigte diese Würdigung als nicht willkürlich.

  • Aussagen des Vaters B.__: Die Vorinstanz erachtete die Schilderungen von B._ als glaubhaft, zuverlässig und detailliert. Er hatte angegeben, der Beschwerdeführer habe ihn am Tatabend angerufen und um Erlaubnis gefragt, den Mercedes fahren zu dürfen, was er ihm erlaubt habe. B._ erklärte ferner, dass das Fahrzeug nur durch ihn, seine Ehefrau (die es nie nutzte) und den Beschwerdeführer genutzt werden konnte, da nur diese Personen einen Hausschlüssel besassen und das Fahrzeug in der Garage seines Hauses abgestellt war. Er schloss aus, dass Dritte ohne sein Wissen Zugriff auf das Fahrzeug genommen hätten. Die Rüge des Beschwerdeführers, sein Vater sei aus gesundheitlichen Gründen nicht aussagetüchtig gewesen, wies die Vorinstanz überzeugend zurück, da keine Anzeichen für eine kognitive Beeinträchtigung vorlagen, und verzichtete auf die Befragung des Arztes.
  • Aussagen des Beschwerdeführers A.__: Der Beschwerdeführer hatte im Untersuchungsverfahren keine Aussagen gemacht, was die Vorinstanz neutral bewertete. Hingegen fielen seine späteren Einlassungen im erstinstanzlichen und Berufungsverfahren widersprüchlich aus und standen den glaubhaften Aussagen seines Vaters entgegen:
    • Fahrzeugstandort: A.__ äusserte sich widersprüchlich zum Abstellort des Fahrzeugs (teils Garage der Eltern, teils frei zugängliche Garage auf Firmengelände), während sein Vater klar angab, das Fahrzeug stehe stets in seiner verschlossenen Hausgarage.
    • Andere Fahrer: Zunächst konnte A.__ nicht mit Bestimmtheit sagen, wer sonst noch das Fahrzeug benutzte. Später benannte er seinen Bruder, seine Partnerin und einen Mitarbeiter seines Bruders als gelegentliche Nutzer. Diese Darstellung stand im Widerspruch zu den Angaben seines Vaters, der nur sich, seine Ehefrau und den Beschwerdeführer als mögliche Fahrer nannte und die Nutzung durch Dritte ausschloss.
    • Schutzbehauptung: Die Vorinstanz wertete die späte Nennung des Bruders als möglichen Fahrers als Versuch, die eigene Rolle zu relativieren und den Verdacht abzulenken ("Schutzbehauptung"). Sie hielt fest, dass der Bruder trotz gewisser Ähnlichkeiten (Statur, Grösse, Bartwuchs) aufgrund des Altersunterschieds und abweichender Gesichtszüge hinreichend unterscheidbar sei, sodass eine ernsthafte Verwechslung ausgeschlossen wurde. Das Bundesgericht bestätigte, dass es nicht nachvollziehbar sei, weshalb der Beschwerdeführer diesen Einwand erst im gerichtlichen Verfahren erhoben und den angeblich fehlbaren Fahrer nicht sogleich genannt habe.
  • Aussagen des Polizeibeamten Adjunkt C.__: Der Polizeibeamte identifizierte den Beschwerdeführer als Lenker, als dieser das Fahrzeug überraschend in ca. 30 Metern Distanz anhielt und die Plätze mit einem Mitfahrer tauschte. Die Vorinstanz hielt die Lichtverhältnisse (trotz Dämmerung) und die Distanz für ausreichend. Sie ging von einer gesteigerten Wahrnehmungskompetenz des Beamten aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung aus, der den Lenker zudem detailliert beschrieb (kurze dunkle Haare, Dreitagebart mit Oberlippenbart, ca. 40-45 Jahre, dunkle Hose, grünes Oberteil). Die Tatsache, dass der Beamte später über Internetrecherchen den Beschwerdeführer wiedererkannte, sprach aus Sicht der Vorinstanz nicht gegen die Glaubhaftigkeit seiner Wahrnehmung, da er beruflich mit solchen Situationen vertraut sei und sich um eine sachliche Wahrnehmung bemühe. Die Vorinstanz verzichtete auf eine aussage- oder neuropsychologische Begutachtung des Beamten.

Das Bundesgericht gelangte zum Schluss, die vorinstanzlichen Erwägungen seien überzeugend. Es bestätigte, dass die Aussagen des Polizeibeamten zwar allein möglicherweise nicht ausgereicht hätten, in der Gesamtwürdigung mit den zuverlässigen Aussagen des Vaters und den widersprüchlichen Einlassungen des Beschwerdeführers jedoch die Täterschaft willkürfrei als erwiesen gelten dürfe. Die vom Beschwerdeführer erneut vorgebrachten Rügen – insbesondere zur Glaubhaftigkeit des Vaters wegen dessen Krankheit und zur Identifizierung durch den Polizisten – stellten lediglich appellatorische Kritik dar und vermochten keine Willkür darzutun. Auch die beantragten weiteren Zeugenbefragungen (Mutter, Ehefrau, Bruder des Beschwerdeführers) durfte die Vorinstanz in antizipierter Beweiswürdigung ohne Willkür ablehnen, da selbst deren (angenommene) Aussagen keine ernsthaften und unüberwindlichen Zweifel an der Täterschaft des Beschwerdeführers begründet hätten, zumal feststand, dass er am Tatabend seinen Vater um Erlaubnis zur Fahrzeugnutzung bat.

5. Detaillierte Analyse der Strafzumessung

Der Beschwerdeführer kritisierte die Strafzumessung.

  • Rechtliche Grundlagen der Strafzumessung:

    • Qualifiziert grobe Verkehrsregelverletzung (Art. 90 Abs. 3 und 4 lit. c SVG): Mit Freiheitsstrafe von einem bis zu vier Jahren wird bestraft, wer durch vorsätzliche Verletzung elementarer Verkehrsregeln ein hohes Unfallrisiko eingeht, namentlich durch besonders krasse Missachtung der Höchstgeschwindigkeit. Eine solche liegt vor, wenn die Höchstgeschwindigkeit bei maximal 80 km/h um mindestens 60 km/h überschritten wird (hier 151 km/h statt 80 km/h, d.h. 71 km/h Überschreitung). Art. 90 Abs. 3ter SVG erlaubt bei Ersttätern eine Freiheitsstrafe bis zu vier Jahren oder eine Geldstrafe.
    • Grundsätze der Strafzumessung (Art. 47 ff. StGB): Das Bundesgericht hat die Grundsätze mehrfach dargelegt (vgl. BGE 149 IV 217 E. 1.1). Das Sachgericht verfügt über einen erheblichen Ermessensspielraum, in den das Bundesgericht nur bei Ermessensüberschreitung oder -missbrauch eingreift. Die Begründungspflicht (Art. 50 StGB) verlangt, dass die massgeblichen Umstände und deren Gewichtung nachvollziehbar dargelegt werden.
  • Vorinstanzliche Würdigung: Es war unbestritten, dass das Verhalten des Beschwerdeführers den Straftatbestand nach Art. 90 Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 lit. c SVG erfüllte (Überschreitung um mindestens 71 km/h).

    • Objektives Tatverschulden: Die Vorinstanz stufte das objektive Tatverschulden als "nicht mehr leicht bis mittelschwer" ein. Sie anerkannte zwar, dass gravierendere Verstösse denkbar seien und die Sicht- und Strassenverhältnisse günstig waren. Dies entlaste den Beschwerdeführer jedoch nicht, da auf der für solche Geschwindigkeiten nicht ausgelegten Strasse ein gewisses Verkehrsaufkommen herrschte und mit anderen Verkehrsteilnehmern (Fahrradfahrer, Fussgänger) und Wildtieren zu rechnen war, insbesondere am Abend.
    • Subjektives Tatverschulden: Hier waren keine mildernden Umstände erkennbar, die die Tat in einem günstigen Licht erscheinen liessen. Es wurde auch keine höhere kriminelle Energie festgestellt, als für eine qualifiziert grobe Verkehrsregelverletzung erforderlich ist.
    • Sanktion: Angesichts des nicht mehr leichten bis mittelschweren Verschuldens und des Strafrahmens von Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu vier Jahren, erschien eine Freiheitsstrafe von zwölf Monaten (reduziert auf elf Monate wegen Verletzung des Beschleunigungsgebots) sowie eine Verbindungsbusse als angemessen. Eine Geldstrafe, die maximal 180 Tagessätze betragen kann, war aufgrund des Verschuldens nicht möglich. Die Anwendbarkeit von Art. 90 Abs. 3ter SVG (Ersttäter) führe nicht zwingend dazu, die Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe zu unterschreiten oder eine Geldstrafe auszusprechen.
    • Täterbezogene Faktoren: Es wurden keine täterbezogenen Straferhöhungs- oder -minderungsgründe festgestellt, ausser der Reduktion aufgrund der überlangen Verfahrensdauer.
  • Bundesgerichtliche Bestätigung: Das Bundesgericht befand, die Strafzumessung sei nicht zu beanstanden und die Vorinstanz habe das ihr zustehende Ermessen nicht missbraucht. Die ausgefällte Freiheitsstrafe von elf Monaten liege klar innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens. Die Rüge des Beschwerdeführers, die Vorinstanz habe die Folgen eines längeren Führerausweisentzugs (ab einem Jahr Freiheitsstrafe) unberücksichtigt gelassen, wies das Bundesgericht ab. Es besteht keine Pflicht, administrativen Folgen einer Verurteilung bei der Strafzumessung strafmindernd Rechnung zu tragen. Die von A.__ zitierten Urteile besagten nichts Gegenteiliges. Da die Strafe im Ergebnis bundesrechtskonform sei und die Vorinstanz das Fehlen weiterer täterbezogener Gründe festgestellt habe, sei ihre Begründungspflicht erfüllt.

6. Schlussfolgerung des Bundesgerichts

Das Bundesgericht erachtete das angefochtene Urteil als rechtens. Die Beschwerde wurde abgewiesen, soweit darauf eingetreten wurde. Der Beschwerdeführer hatte die Gerichtskosten von CHF 3'000.-- zu tragen.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht bestätigte die Verurteilung von A.__ wegen qualifiziert grober Verletzung der Verkehrsregeln (Raserdelikt: 151 km/h in 80er-Zone). Die Täterschaft wurde aufgrund einer Gesamtwürdigung der glaubhaften Aussagen des Vaters, der widersprüchlichen Einlassungen des Beschwerdeführers und der detaillierten Wahrnehmungen des Polizeibeamten als willkürfrei erwiesen betrachtet. Die Rüge der willkürlichen Beweiswürdigung und der unzulässigen antizipierten Beweiswürdigung (Ablehnung weiterer Zeugen und Gutachten) wurde abgewiesen, da die Vorinstanz keine unüberwindlichen Zweifel an der Täterschaft des Beschwerdeführers hatte. Die Strafzumessung zu elf Monaten bedingter Freiheitsstrafe (reduziert wegen Verletzung des Beschleunigungsgebots) und Busse wurde als ermessenskonform und bundesrechtskonform bestätigt. Die Kritik an der Nichtberücksichtigung administrativer Folgen (Führerausweisentzug) bei der Strafzumessung wurde zurückgewiesen.