Zusammenfassung von BGer-Urteil 6B_115/2025 vom 7. Oktober 2025

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Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts detailliert zusammen:

Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts (6B_115/2025, 6B_144/2025, 6B_155/2025 vom 7. Oktober 2025)

1. Einleitung

Das vorliegende Urteil des Bundesgerichts, I. strafrechtliche Abteilung, vom 7. Oktober 2025 betrifft die Beschwerden in Strafsachen von A._, B._ und C._ (nachfolgend: die Beschwerdeführer) gegen einen Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 18. September 2024. Die Verfahren wurden aufgrund ihres engen sachlichen Zusammenhangs vereinigt. Im Zentrum standen die Schuldsprüche wegen Entführung gemäss Art. 183 Ziff. 1 Abs. 2 StGB für alle drei Beschwerdeführer sowie zusätzlich eine Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz (BetmG) für B._. Die Beschwerdeführer rügten im Wesentlichen eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung und eine unzutreffende rechtliche Würdigung der Tatbestände.

2. Sachverhalt (gemäss den willkürfrei festgestellten Tatsachen der Vorinstanz)

Die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau warf den Beschwerdeführern vor, D._ (nachfolgend: der Beschwerdegegner 2) am 19. Januar 2018 in U._ gewaltsam in ihr Auto verbracht und gegen seinen Willen nach V._ gefahren zu haben. Ziel der Aktion war die Eintreibung einer Geldschuld von CHF 3'000.--, die D._ dem Beschwerdeführer 2 aus einem Drogengeschäft (Verkauf von 300 Gramm Marihuana) vom November 2017 schuldete. In V._ wurde D._ zunächst in einer Wohnung ("W._") festgehalten, während eine Geldübergabe mit seinem Onkel F._ organisiert wurde. Kurz vor der geplanten Übergabe bei einer Tankstelle in V._ erfolgte der polizeiliche Zugriff, nachdem F._ die Polizei alarmiert hatte.

3. Vorinstanzliche Entscheidungen

  • Bezirksgericht Arbon (23. November 2022): Sprach A._, B._ und C._ der Freiheitsberaubung und Entführung (Art. 183 Ziff. 1 StGB) schuldig. B._ wurde zusätzlich wegen Widerhandlung gegen das BetmG verurteilt. Es wurden bedingte Freiheitsstrafen von 8 bis 10 Monaten ausgesprochen. Die Beschwerdeführer wurden solidarisch zur Zahlung einer Genugtuung von CHF 3'000.-- an D.__ verpflichtet.
  • Obergericht des Kantons Thurgau (18. September 2024): Bestätigte die Schuldsprüche wegen Entführung (Art. 183 Ziff. 1 Abs. 2 StGB) für alle Beschwerdeführer und die Widerhandlung gegen das BetmG für B._. Die Strafen wurden in bedingte Geldstrafen (120 bis 180 Tagessätze) umgewandelt. Die Genugtuung an D._ wurde auf CHF 1'500.-- reduziert.

4. Rügen der Beschwerdeführer vor Bundesgericht

Die Beschwerdeführer beantragten primär einen Freispruch vom Vorwurf der Entführung und B.__ zusätzlich vom Vorwurf der Widerhandlung gegen das BetmG. Sie machten dabei geltend, die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung sei willkürlich. In der Folge verlangten sie die Abweisung der Genugtuungsforderung des Beschwerdegegners 2 und die Zuerkennung eigener Genugtuungsansprüche sowie Entschädigungen für erlittene Untersuchungshaft, überlange Verfahrensdauer und Lohneinbussen.

5. Massgebende Punkte und rechtliche Argumentation des Bundesgerichts

5.1. Prüfung der Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung (Willkürrüge)

Das Bundesgericht trat auf die substantiellen Rügen der Beschwerdeführer zur willkürlichen Sachverhaltsfeststellung ein. Es erinnerte an den strengen Prüfungsstandard für Willkür (Art. 97 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 2 BGG): Willkür liegt nur vor, wenn der angefochtene Entscheid im Ergebnis geradezu unhaltbar ist oder in klarem Widerspruch zur tatsächlichen Situation steht. Eine bloß andere, ebenfalls vertretbare Beweiswürdigung genügt nicht, um Willkür zu begründen. Das Bundesgericht ist keine Appellationsinstanz und prüft die Sachverhaltsfeststellung nur unter diesem eng gefassten Gesichtspunkt.

Die Vorinstanz stützte ihre Feststellung, dass D.__ nicht freiwillig in das Auto eingestiegen und mitgefahren war, auf folgende umfangreiche Beweiswürdigung:

  • Aussagen des Beschwerdegegners 2: Diese waren konstant und in freier Rede gehalten, insbesondere bezüglich der Gewalttätigkeit ("geschubst", "verfrachtet"). Lediglich in Bezug auf einen Faustschlag gegen den Kopf gab es leichte Inkonsistenzen, weshalb dieser Umstand zugunsten der Beschwerdeführer nicht zweifelsfrei erstellt wurde.
  • Aussagen der Beschwerdeführer: Diese waren inkonstant, widersprüchlich und von bewussten Verschleierungen geprägt, wie das anfängliche Abstreiten, D._ nach U._ gelockt zu haben. Der Beschwerdeführer 2 gab selbst an, D._ eine Ohrfeige verpasst zu haben, wäre er nicht eingestiegen. Der Beschwerdeführer 3 zeigte Sorge, D._ könnte andere Personen verständigen, was gegen eine "freundschaftliche" Schuldenbereinigung sprach.
  • Aussagen und Telefonaufzeichnungen des Onkels F.__: Er hatte unmittelbar nach dem Telefonat mit D.__ die Polizei verständigt, da er den Eindruck hatte, sein Neffe werde gegen seinen Willen festgehalten und sei ängstlich. Dies stützte die Annahme einer unfreiwilligen Situation.
  • Chatnachrichten der Beschwerdeführer: Im Vorfeld der Tat tauschten die Beschwerdeführer Nachrichten aus, die ein aggressives und gewaltbereites Vorgehen nahelegten ("Füscht weisch Flättere, Füscht nöd übertriibä und nochher ihm sägä Klingling geh und so Sachä, Bankkarte, Handy geh und so. Bank go abhebe und wenn er nöd wet und erscht denn umbringe" oder "Muesch ihm chli quälä, chlübä. Öpis goht scho. Nimmsch ihm alles weg, Schueh, Hose, kei Ahnig"). Auch die Besprechung eines Ortes mit wenigen Kameras deutete auf eine geplante Tat hin.
  • Spätere Kommunikation: Der Umstand, dass D.__ sich für die rechtlichen Konsequenzen der Beschwerdeführer mitverantwortlich fühlte, wurde nicht als Rücknahme seiner ursprünglichen Aussagen gewertet, da er dies selbst explizit klargestellt hatte.
  • Unglaubwürdigkeit der Zeugenaussage G.__: Ein Freund der Beschwerdeführer machte erst 14 Monate nach dem Vorfall eine Aussage zugunsten der Beschwerdeführer, die von der Vorinstanz als unglaubwürdig eingestuft wurde, da er selbst nicht dabei war und seine Erinnerungen vage blieben.

Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass die detaillierte und nachvollziehbare Beweiswürdigung der Vorinstanz keine Willkür aufwies. Die Beschwerdeführer legten lediglich ihre eigene, für sie günstigere Beweiswürdigung dar, was den strengen Anforderungen an eine Willkürrüge nicht genügte. Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz war somit bindend.

5.2. Rechtliche Würdigung der Entführung (Art. 183 Ziff. 1 Abs. 2 StGB)

5.2.1. Rechtliche Grundlagen Das Bundesgericht präzisierte die Voraussetzungen der Entführung im Sinne von Art. 183 Ziff. 1 Abs. 2 StGB im Vergleich zur Freiheitsberaubung (Art. 183 Ziff. 1 Abs. 1 StGB):

  • Freiheitsberaubung: Verlangt eine unrechtmässige Festnahme, Gefangenhaltung oder einen anderweitigen Entzug der Freiheit. Das geschützte Rechtsgut ist die körperliche Fortbewegungsfreiheit (BGE 141 IV 10 E. 4.3). Die Freiheitsberaubung muss eine gewisse Erheblichkeit aufweisen, wobei eine kurzfristige Dauer (einige Minuten) oder eine längere Fahrt (7,5 km) bereits ausreichen kann (BGE 128 IV 73 E. 2a; BGE 89 IV 85 E. 1). Als Tatmittel kommen Drohung, physische Gewalt, die Wegnahme von Fortbewegungsmitteln oder andere Massnahmen in Betracht, die das Opfer situationsbedingt daran hindern, seinen Aufenthaltsort zu verlassen oder dies unverhältnismäßig gefährlich oder schwierig machen. Eine völlige Aufhebung der Bewegungsfreiheit ist nicht erforderlich.
  • Entführung: Besteht zusätzlich zur Freiheitsberaubung aus zwei Elementen: dem Verbringen des Opfers an einen anderen Ort und dem Erlangen einer Machtposition des Täters über das Opfer (BGE 118 IV 61 E. 2b; BGE 83 IV 152). Die Entführung ist vollendet, sobald der ursprüngliche Aufenthaltsort verlassen und das Opfer in die Herrschaft des Täters gelangt ist.
  • Subjektiver Tatbestand: Es wird Vorsatz verlangt, wobei Eventualvorsatz genügt (BGE 141 IV 369 E. 6.3).

5.2.2. Anwendung auf den vorliegenden Fall Gestützt auf den festgestellten Sachverhalt bejahte das Bundesgericht die Erfüllung des Tatbestandes der Entführung:

  • Tatmittel und Freiheitsentzug: Die Beschwerdeführer gingen zu dritt auf D._ zu, stellten ihn zur Rede und verbrachten ihn unter physischer Einwirkung ("schubsen", "ins Auto stossen") sowie durch ihr drohendes gemeinsames Auftreten in das Auto. Dieses Vorgehen machte es D._ unverhältnismässig schwierig oder gefährlich, sich dem Einsteigen und der Freiheitsbeschränkung zu entziehen. Das Argument der Beschwerdeführer, "Schubsen" sei nicht intensiv genug, wurde verworfen.
  • Anklageschrift: Der Vorwurf, dass D.__ durch Drohungen zum Einsteigen bewegt wurde, ergab sich hinreichend klar aus der Anklageschrift, welche die physische Einwirkung und die begleitenden Äußerungen umschrieb.
  • Verbringen an einen anderen Ort und Machtposition: Bereits im Fahrzeug und während der Fahrt von U._ nach V._ erlangten die Beschwerdeführer eine Machtposition über D._, die durch die Wegnahme seines Telefons zusätzlich verstärkt wurde. D._ konnte weder Hilfe verständigen noch das Fahrzeug ohne Selbstgefährdung (insbesondere auf der Autobahn) verlassen. Die im Fahrzeug ausgesprochenen Drohungen ("mit ihm vorbei", "nicht mehr freikomme") untermauerten dies.
  • Intensität und Dauer: Die knapp einstündige Fahrt von U._ nach V._ und die damit verbundene Freiheitsbeschränkung waren von hinreichend großer Intensität. Das Bundesgericht merkte an, dass dies auch den Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllt hätte (vgl. BGE 99 IV 220 E. 2). Die vorinstanzliche Würdigung des Gesamtvorgangs als Entführung war somit nicht zu beanstanden.
  • Vorsatz: Das Bundesgericht bejahte den Eventualvorsatz. Die Umstände des Treffens (List, vorangegangene Chats, physische Einwirkung, Telefonentzug, Drohungen) zeigten, dass die Beschwerdeführer es in Kauf nahmen, D._ gegen dessen Willen nach V._ zu verbringen.

5.3. Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz (für B.__)

Der Beschwerdeführer 2 rügte auch hier ausschließlich die willkürliche Sachverhaltsfeststellung hinsichtlich des Drogengeschäfts. Die Vorinstanz hatte den Verkauf von 300 Gramm Marihuana für CHF 3'000.-- an D.__ aufgrund folgender Punkte als erwiesen erachtet:

  • Aussagen des Beschwerdegegners 2 und F.__: Beide schilderten übereinstimmend, dass es um eine Drogenschuld ging und D.__ nicht wollte, dass sein Onkel davon erfahre.
  • Unglaubwürdigkeit der Aussagen des Beschwerdeführers 2: Er machte widersprüchliche Angaben zur Herkunft der Geldschuld (Darlehen vs. Drogenhandel) und seiner finanziellen Verhältnisse, die einen solchen Darlehensbetrag als unwahrscheinlich erscheinen ließen.

Das Bundesgericht bestätigte die vorinstanzliche Beweiswürdigung als nicht willkürlich. Die Argumente des Beschwerdeführers 2, wie die angebliche Unmöglichkeit für D.__, 300 Gramm Marihuana in anderthalb Monaten zu konsumieren, konnten die Feststellung des Verkaufs dieser Menge nicht als offensichtlich unrichtig erscheinen lassen.

5.4. Weitere Anträge (Genugtuung, Haftentschädigung, Einziehung, Verfahrensdauer)

Die Beschwerdeführer begründeten ihre Anträge auf Abweisung der Genugtuung an D.__, Zuerkennung eigener Genugtuungsansprüche für Haft und Lohneinbussen sowie auf Rückgabe eingezogener Vermögenswerte ausschließlich mit den beantragten Freisprüchen. Da die Freisprüche nicht erfolgten, waren diese Anträge hinfällig. Eine pauschale Rüge der "sehr langen Verfahrensdauer" ohne nähere Angaben oder Auseinandersetzung mit den vorinstanzlichen Erwägungen erfüllte die Begründungsanforderungen nicht, weshalb darauf nicht eingetreten wurde.

6. Ergebnis

Das Bundesgericht wies die Beschwerden ab, soweit darauf eingetreten wurde. Die Gerichtskosten wurden den Beschwerdeführern auferlegt.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht bestätigte die Schuldsprüche wegen Entführung für A._, B._ und C._ sowie die Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz für B._. Es befand, dass die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz, wonach D.__ gegen seinen Willen und unter physischer Einwirkung sowie Drohungen ins Auto verbracht und an einen anderen Ort gefahren wurde, nicht willkürlich war. Die Beweiswürdigung stützte sich auf konstante Aussagen des Opfers, widersprüchliche Aussagen der Täter, Aussagen des alarmierten Onkels sowie auf vor der Tat ausgetauschte Chatnachrichten der Beschwerdeführer, die ein gewaltsames Vorgehen belegten. Rechtlich sah das Gericht im "Schubsen", der Drohkulisse und dem Entzug des Telefons eine hinreichende Freiheitsberaubung und ein Verbringen an einen anderen Ort unter Erlangung einer Machtposition, was den Tatbestand der Entführung erfüllte. Der Eventualvorsatz wurde bejaht. Die Rügen bezüglich des Drogengeschäfts wurden ebenfalls als unbegründet abgewiesen. Die weiteren Anträge der Beschwerdeführer (Genugtuung, Haftentschädigung) wurden als hinfällig erachtet, da die Freisprüche nicht erfolgten.