Zusammenfassung von BGer-Urteil 6B_465/2025 vom 21. Oktober 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts detailliert zusammen:

Urteil des Bundesgerichts 6B_465/2025 vom 21. Oktober 2025

1. Einleitung und Instanzenzug Das Bundesgericht hatte über eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft zu entscheiden, die sich gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 20. November 2024 richtete. Streitgegenstand war die Frage der Landesverweisung und deren Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS) für den Beschwerdegegner A.__.

In erster Instanz hatte das Strafgericht Basel-Landschaft A._ wegen versuchter vorsätzlicher Tötung und weiterer Delikte zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und zwei Monaten verurteilt, ihn in eine therapeutische Einrichtung eingewiesen und eine Landesverweisung für zehn Jahre sowie deren Ausschreibung im SIS angeordnet. Das Kantonsgericht Basel-Landschaft hiess die Berufung von A._ teilweise gut, änderte den Schuldspruch wegen versuchter vorsätzlicher Tötung in versuchte schwere Körperverletzung und Gefährdung des Lebens um und verurteilte ihn zu vier Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe und einer Busse. Im Gegensatz zur ersten Instanz sah das Kantonsgericht jedoch von einer Landesverweisung ab. Dagegen erhob die Staatsanwaltschaft Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht.

2. Sachverhalt der inkriminierten Delikte Dem Urteil liegt ein gravierender Sachverhalt zugrunde: Am 9. August 2022 griff A._, kosovarischer Staatsangehöriger, unter Kokaineinfluss und mit einem Blutalkoholgehalt von 1.7 bis 2.5 Promille seine ehemalige Partnerin B._ an. Nach einem Streit stiess er sie vom Balkon in die Wohnung, drohte ihr mit den Worten "kumm do ane, ich bring di um" und schlug ihr mindestens viermal gezielt und "mit vollster Kraft" mit der Faust ins Gesicht. Anschliessend traktierte er die am Boden liegende B._ mit weiteren Faustschlägen, vornehmlich ins Gesicht, und wirkte mindestens zweimal auf ihren Hals ein. Dabei komprimierte er ihren Hals mittels Fixierung am Boden für mindestens zehn Sekunden, bis sie keine Luft mehr bekam und sich in unmittelbarer Lebensgefahr befand, wenn auch ohne Bewusstseinsverlust. Nach einer kurzen Unterbrechung, in der A._ ob seiner Handlungen erschrak, folgten weitere Drohungen ("wenn ich scho sitze muess, denn bring ich di ganz um") und Schläge, jedoch kein weiteres Würgen. B.__ erlitt unter anderem ein Schädel-Hirn-Trauma ersten Grades, mehrere Gesichtsfrakturen und eine Orbitaboden-Blowout-Fraktur, die operativ behandelt werden musste und sie für 36 Tage arbeitsunfähig machte. Der gemeinsame, damals rund vierjährige Sohn befand sich zur Tatzeit in der Wohnung bzw. in seinem Zimmer.

Neben diesen Taten wurde A.__ auch wegen Diebstahls, betrügerischen Missbrauchs einer Datenverarbeitungsanlage, Raufhandels, mehrfacher, teilweise versuchter Drohung, mehrfachen Hausfriedensbruchs sowie mehrfacher Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes schuldig gesprochen.

3. Rechtliche Grundlagen und Begründung des Bundesgerichts

3.1. Obligatorische Landesverweisung (Art. 66a Abs. 1 StGB) Das Bundesgericht bestätigt, dass die Voraussetzungen für eine obligatorische Landesverweisung nach Art. 66a Abs. 1 lit. b StGB grundsätzlich erfüllt sind, da A.__ als kosovarischer Staatsangehöriger unter anderem wegen versuchter schwerer Körperverletzung (Art. 122 StGB) und Gefährdung des Lebens (Art. 129 StGB) verurteilt wurde. Die obligatorische Landesverweisung greift bei Katalogtaten grundsätzlich unabhängig von der konkreten Tatschwere, einem Versuchsstadium oder der Strafvollzugsart (BGE 146 IV 105 E. 3.4.1; 144 IV 332 E. 3.1.3).

3.2. Härtefallklausel und Interessenabwägung (Art. 66a Abs. 2 StGB, Art. 8 EMRK) Die Härtefallklausel von Art. 66a Abs. 2 StGB erlaubt es, ausnahmsweise von einer Landesverweisung abzusehen, wenn diese für den Ausländer einen schweren persönlichen Härtefall bewirken würde und die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung gegenüber den privaten Interessen des Ausländers am Verbleib in der Schweiz nicht überwiegen. Diese Klausel ist restriktiv anzuwenden und dient der Umsetzung des Verhältnismässigkeitsprinzips (Art. 5 Abs. 2 BV, BGE 149 IV 231 E. 2.1.1).

Massgebliche Kriterien für die Härtefallprüfung sind der Grad der Integration (persönlich, wirtschaftlich, sprachlich, Respektierung der Rechtsordnung), familiäre Bindungen, Aufenthaltsdauer, Gesundheitszustand und Resozialisierungschancen (vgl. Art. 31 Abs. 1 VZAE, BGE 146 IV 105 E. 3.4.2). Ein schwerer Härtefall liegt bei einem Eingriff von gewisser Tragweite in das Recht auf Privat- und Familienleben (Art. 13 BV, Art. 8 EMRK) vor. Die Interessenabwägung muss sich an Art. 8 Ziff. 2 EMRK orientieren und berücksichtigt insbesondere Art und Schwere der Straftat, Dauer des Aufenthalts, Verhalten seit der Tat, soziale/kulturelle/familiäre Bindungen im Aufnahme- und Heimatstaat.

Im Rahmen der Interessenabwägung ist bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren oder mehr die sogenannte "Zweijahresregel" zu beachten: Es bedarf ausserordentlicher Umstände, damit das private Interesse des Betroffenen an einem Verbleib in der Schweiz das öffentliche Interesse an einer Landesverweisung überwiegt. Dies gilt grundsätzlich sogar bei bestehender Ehe mit einer Schweizerin oder einem Schweizer und gemeinsamen Kindern (Urteile 6B_98/2025 E. 3.3.6). Kindesinteressen sind als wesentliches Element zu berücksichtigen, jedoch ist auch bei intakten familiären Verhältnissen eine Landesverweisung nicht absolut ausgeschlossen (BGE 139 I 145 E. 2.3).

3.3. Beurteilung des Einzelfalls durch das Bundesgericht

3.3.1. Vorinstanzliche Beurteilung und Rügen Die Vorinstanz bejahte einen schweren persönlichen Härtefall "knapp" und liess das private Interesse des Beschwerdegegners am Verbleib in der Schweiz das öffentliche Interesse an der Landesverweisung "knapp" überwiegen. Sie begründete dies mit A.__s langjährigem Aufenthalt in der Schweiz (Geburt, Schulbildung), gefestigtem sozialen Umfeld, enger Bindung zum Sohn und einem aufgrund konsequenter Therapie im vorzeitigen Massnahmenvollzug verminderten Rückfallrisiko. Die Staatsanwaltschaft rügte, ein Härtefall sei zu verneinen oder das öffentliche Interesse überwiege, namentlich wegen mangelhafter wirtschaftlicher Integration, vorhandener Bindungen im Kosovo, Vorstrafen und fehlender besonders enger Beziehung zum Sohn.

3.3.2. Analyse des Bundesgerichts: Härtefall und Interessenabwägung Das Bundesgericht liess offen, ob ein schwerer persönlicher Härtefall im Sinne von Art. 66a Abs. 2 StGB "knapp zu bejahen" sei, da es zu dem Schluss kam, dass die Interessenabwägung in jedem Fall zugunsten des öffentlichen Interesses an der Landesverweisung ausfalle.

  • Private Interessen des Beschwerdegegners:

    • Aufenthalt und Integration: A.__ verbrachte den Grossteil seines Lebens in der Schweiz, wurde hier geboren, absolvierte die gesamte Schulbildung und spricht perfekt Schweizerdeutsch. Er verfügt über ein umfangreiches und gefestigtes soziales Netz in der Schweiz. Diese Aspekte sprechen für eine gute Integration.
    • Familienbeziehung zum Sohn: Das Bundesgericht äusserte Zweifel an der Annahme der Vorinstanz, es liege eine "besonders enge emotionale" oder "knapp eine genügend enge wirtschaftliche" Bindung zu seinem 2018 geborenen Sohn vor. Angesichts von neun stationär-psychiatrischen Behandlungen seit 2017 wegen Sucht erschien es dem BGer zweifelhaft, dass A.__ eine nachhaltige emotionale Bindung aufbauen konnte. Auch die wirtschaftliche Bindung war wegen chronischer Arbeitsunfähigkeit und nicht bezahlter Unterhaltsbeiträge schwach. Er lebt nicht mit dem Sohn zusammen und pflegt lediglich ein Besuchsrecht.
    • Wirtschaftliche Integration: Diese wurde als "nicht geglückt" beurteilt. 74 Verlustscheine über CHF 171'538.25 und eine Konkurseröffnung sprechen gegen eine erfolgreiche Integration und relativieren die privaten Interessen, selbst unter Berücksichtigung der Suchterkrankung.
    • Möglichkeiten im Heimatland: A.__ selbst gab an, im Kosovo über ein "grosses Beziehungsnetz" und "viel Familie" zu verfügen. Er beherrscht die Sprache und könnte als Bauarbeiter tätig werden. Diese Umstände sprechen dafür, dass es ihm nicht schwerfallen würde, in seinem Herkunftsstaat Fuss zu fassen.
  • Öffentliche Interessen an der Landesverweisung:

    • Natur und Schwere der Taten: Das Bundesgericht betont die "äusserst rücksichtslose" und "erhebliche Gewaltausübung" gegen ein besonders hochwertiges Rechtsgut (Leben und körperliche Integrität). Die Tat bewegte sich "an der Grenze zu einer (eventual-) vorsätzlichen versuchten Tötung" und verursachte massive Verletzungen. Die akute Lebensgefahr durch den Würgevorgang und das Motiv, "dem Opfer Schmerzen zuzufügen und ihm eine Lektion zu erteilen", manifestieren eine erhebliche Gefährlichkeit des Beschwerdegegners. Die vom Kantonsgericht selbst verhängte Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten (3 Jahre 4 Monate für die Gewaltdelikte) zeugt von einem erheblichen Tatverschulden. Der vom Kantonsgericht herangezogene EGMR-Fall Savran gegen Dänemark (Schuldunfähigkeit wegen Schizophrenie) sei hier nicht einschlägig, da bei A.__ von verminderter Schuldfähigkeit, nicht von Schuldunfähigkeit auszugehen sei.
    • Legalprognose und Rückfallgefahr: Obwohl das Kantonsgericht von einem "verminderten Rückfallrisiko" unter der Voraussetzung anhaltender Suchtmittelabstinenz und solider sozialer Integration ausging, weist das Bundesgericht darauf hin, dass bei Gewaltdelikten bereits ein relativ geringes Rückfallrisiko ausreicht, um das öffentliche Interesse an einer Landesverweisung zu bejahen.
      • Vorstrafen und Delinquenzmuster: A.__ wurde zudem rechtskräftig wegen Raufhandels und versuchter Drohung (März 2022) verurteilt, wobei er beim Raufhandel als voll schuldfähig galt und somit auch ohne Suchtmittelbeeinträchtigung delinquiert. Weiterhin hat er mehrere, teilweise einschlägige Vorstrafen (u.a. versuchter Raub 2013). Er hat wiederholt delinquierte, obwohl ihn die Migrationsbehörden bereits mehrfach ermahnt und verwarnt hatten (u.a. "letzte Verwarnung" 2014 mit Androhung des Niederlassungsbewilligungswiderrufs bei geringsten negativen Vorkommnissen). Er delinquierte sogar während eines bereits laufenden Strafverfahrens, was eine "bedenkliche Respektlosigkeit gegenüber der hiesigen Rechtsordnung" offenbare.
    • Kindeswohl: Der brutale Angriff auf die Mutter des gemeinsamen Sohnes, der sich zur Tatzeit im Nebenzimmer befand, hat das Kindswohl indirekt massiv gefährdet. Dieser Umstand lässt die privaten Interessen des Beschwerdegegners zusätzlich zurücktreten.

3.4. Fazit der Interessenabwägung des Bundesgerichts Das Bundesgericht kommt zum Schluss, dass die Gesamtwürdigung der privaten Interessen des Beschwerdegegners (Aufwachsen in der Schweiz, soziales Umfeld, Sohn mit Besuchsrecht) das von ihm ausgehende, erhebliche Risiko für die öffentliche Sicherheit und damit das öffentliche Interesse an seiner Landesverweisung nicht aufwiegen kann. Die vom Kantonsgericht verhängte Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten liegt deutlich über der Schwelle der "Zweijahresregel", die nur bei ausserordentlichen Umständen ein Überwiegen der privaten Interessen zulässt. Solche ausserordentlichen Umstände sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Die Aufrechterhaltung der Beziehung zum Sohn ist mittels moderner Kommunikationsmittel und Ferienbesuchen als möglich und zumutbar zu erachten; eine Landesverweisung ist hier als gesetzlich gewollte Folge hinzunehmen. Das Kantonsgericht hat somit Bundesrecht verletzt, indem es von einer Landesverweisung absah.

4. Endgültiger Entscheid Das Bundesgericht heisst die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gut. Das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 20. November 2024 wird aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen, namentlich zur Anordnung der Landesverweisung, Festlegung deren Dauer, Prüfung der Ausschreibung im SIS und Neuregelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht hat entschieden, dass die obligatorische Landesverweisung für A.__ wegen versuchter schwerer Körperverletzung und Gefährdung des Lebens anzuordnen ist. Es hob das vorinstanzliche Urteil auf, das von einer Landesverweisung abgesehen hatte. Das Gericht begründete seine Entscheidung mit dem klaren Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Landesverweisung gegenüber den privaten Interessen des Beschwerdegegners.

Die wesentlichen Argumente des Bundesgerichts waren: 1. Schwere und Rücksichtslosigkeit der Taten: Die Gewaltdelikte gegen die ehemalige Partnerin (massive Schläge, zehnsekündiges Würgen mit akuter Lebensgefahr, Drohungen) waren äusserst gravierend und offenbarten eine erhebliche Gefährlichkeit des Täters. Das Kind des Paares befand sich zudem zur Tatzeit in der Wohnung. 2. Erhöhte Rückfallgefahr: Trotz Therapiefortschritten ging das Gericht von einem weiterhin bestehenden Rückfallrisiko aus, das bei Gewaltdelikten bereits in geringer Ausprägung eine Landesverweisung rechtfertigt. Die erneute Delinquenz, auch während laufender Verfahren und trotz wiederholter behördlicher Verwarnungen, sowie einschlägige Vorstrafen, zeugen von einer Respektlosigkeit gegenüber der Rechtsordnung. 3. Anwendung der "Zweijahresregel": Die verhängte Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten macht eine Landesverweisung grundsätzlich obligatorisch. Es fehlten "ausserordentliche Umstände", die das private Interesse (Integration in der Schweiz, soziales Umfeld, Besuchsrecht für den Sohn) gegenüber dem öffentlichen Interesse überwiegen liessen. 4. Relativierung privater Interessen: Obwohl der Beschwerdegegner lange in der Schweiz lebte und gut sozial integriert ist, wurden seine wirtschaftliche Desintegration (hohe Schulden, fehlende Berufsausbildung) und die Möglichkeit einer Integration im Kosovo (Familiennetz, Sprachkenntnisse, Arbeitsmöglichkeiten) als Faktoren gewertet, die seine privaten Interessen mindern. Die Bindung zum Sohn, der nicht im gleichen Haushalt lebt, wurde als nicht so eng bewertet, dass sie eine Landesverweisung ausschliessen würde, und die Kontaktaufrechterhaltung als zumutbar erachtet.

Das Bundesgericht hob das Urteil des Kantonsgerichts auf und wies die Sache zur Anordnung der Landesverweisung und der entsprechenden weiteren Massnahmen an die Vorinstanz zurück.