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Das Schweizerische Bundesgericht hat in den verbundenen Verfahren 6B_1360/2023 und 6B_1361/2023 am 18. September 2025 ein Urteil zum Menschenhandel sowie zur Rechtzeitigkeit der Beschwerde bei Postaufgabe mittels Abholvertrag gefällt. Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerdeführerin) hatte Beschwerde gegen Freisprüche des Obergerichts des Kantons Zürich (Vorinstanz) vom Vorwurf des Menschenhandels eingelegt.
I. Verfahrensfrage: Rechtzeitigkeit der Beschwerde bei Postaufgabe mittels Abholvertrag
1. Sachverhalt und Parteipositionen zur Fristwahrung Die Beschwerdeführerin hatte die vorinstanzlichen Urteile am 10. November 2023 erhalten, wodurch die 30-tägige Beschwerdefrist (Art. 100 Abs. 1 BGG i.V.m. Art. 44 Abs. 1 BGG) am 11. Dezember 2023 endete. Die Beschwerden gingen erst am 13. Dezember 2023 beim Bundesgericht ein, und die Sendungsverfolgung der Post wies eine erste Erfassung am 12. Dezember 2023 aus. Die Beschwerdeführerin machte geltend, die Beschwerden seien am 11. Dezember 2023 um ca. 14:45 Uhr im internen Postbüro des Polizei- und Justizzentrums abgegeben worden, um zur vertraglich vereinbarten Abholzeit (zwischen 15:15 Uhr und 16:00 Uhr) von der Post CH AG im Rahmen eines Abholvertrags abgeholt zu werden. Sie legte hierfür Bestätigungen des internen Postbüros und ein Schreiben der Post CH AG vom 19. Dezember 2023 vor, welches die Aufgabe am 11. Dezember 2023 bestätigte. Die Beschwerdegegner bestritten die Rechtzeitigkeit, da kein Poststempel vom 11. Dezember 2023 vorliege und die Bestätigung der Post CH AG nur "informellen" Charakter habe und keinen vollen Beweis darstelle.
2. Entwicklung der Rechtsprechung zu Abholverträgen und Beweislast Das Bundesgericht nahm diese Konstellation zum Anlass, seine Rechtsprechung zur Beweislast bei Fristwahrung im Zusammenhang mit Postabholverträgen zu präzisieren. Gemäss Art. 48 Abs. 1 BGG gilt eine Beschwerde als fristgerecht eingereicht, wenn sie spätestens am letzten Tag der Frist der Schweizerischen Post übergeben wird. Die rechtsuchende Person trägt die Beweislast für die Rechtzeitigkeit der Beschwerdeerhebung, die mit Gewissheit feststehen und nicht bloss überwiegend wahrscheinlich sein muss (BGE 142 V 389 E. 2.2). Die Rechtsprechung unterschied bisher zwei Fälle (vgl. BGE 147 IV 526 E. 3.1): * Fall 1 (Schaffung von Unsicherheit): Wenn der Absender eine verfahrensmässige Unsicherheit über die Fristwahrung schafft (z.B. Einwurf nach Schalterschluss in einen Briefkasten, der erst am nächsten Tag geleert wird), muss er unaufgefordert und vor Fristablauf Beweismittel für die Rechtzeitigkeit anbieten (z.B. Zeugenvermerk auf dem Umschlag). Andernfalls wird er zum späteren Nachweis nicht zugelassen. * Fall 2 (Berechtigtes Vertrauen): Wenn der Absender berechtigterweise davon ausgehen kann, dass Poststempel oder Registrierung das Datum der tatsächlichen Übergabe angeben (z.B. Abgabe am Schalter während Öffnungszeiten, Einwurf in funktionsfähigen "MyPost 24"-Automaten mit Quittung), muss er weder spontan den Zeitpunkt behaupten noch Beweise anbieten. Bei Zweifeln des Gerichts muss diesem Absender das rechtliche Gehör gewährt werden.
3. Rechtsprechungswandel durch "Meinungsaustausch" (Art. 23 Abs. 2 BGG) Das Bundesgericht hielt fest, dass es in BGE 142 V 389 E. 3.2 ff. die Postaufgabe mittels Abholvertrag noch mit dem Einwurf einer Postsendung in einen Briefkasten nach Schalterschluss am letzten Tag der Frist verglichen hatte. Es sah darin ein erhebliches Risiko für die Beweisbarkeit der Rechtzeitigkeit und forderte vollen Beweis. In einem neueren, nicht amtlich publizierten Urteil (4A_95/2023 vom 12. Dezember 2023) wich die I. zivilrechtliche Abteilung des Bundesgerichts von dieser Ansicht ab. Sie argumentierte, die Situation bei einem Abholvertrag sei nicht mit dem Einwurf nach Schalterschluss vergleichbar, da der Absender nicht zwangsläufig wisse, dass die Sendung nicht am selben Tag erfasst werde. Einem Absender, der die Sendung während der regulären Öffnungszeiten einem Kurier übergibt, könne kein Verstoss gegen Treu und Glauben unterstellt werden, der ihm das Recht nähme, mit anderen tauglichen Beweismitteln die fristgerechte Übergabe zu beweisen. Angesichts dieser unterschiedlichen Ansichten führte die I. strafrechtliche Abteilung des Bundesgerichts einen Meinungsaustausch gemäss Art. 23 Abs. 2 BGG mit allen (betroffenen) Abteilungen durch. Die Rechtsfrage lautete, ob eine Person, die eine fristgebundene Sendung im Rahmen eines Abholvertrags, der keine unmittelbare postalische Erfassung gewährleistet, der Post übergibt, eine verfahrensmässige Unsicherheit schafft, die sie zu unaufgefordertem und vorfristigem Beweisangebot verpflichtet. Das Plenum des Bundesgerichts verneinte diese Frage mit 25 zu 14 Stimmen. Es bekräftigte, dass die Situation nicht identisch mit dem Briefkasteneinwurf nach Schalterschluss sei, da der Absender nicht weiss, dass die Sendung nicht am selben Tag bearbeitet wird. Daher kann der Absender davon ausgehen, dass die Registrierung das Datum der tatsächlichen Übergabe angibt. Bei Zweifeln des Gerichts muss dem Absender die Möglichkeit zur Stellungnahme und zum Anbieten von Beweisen gegeben werden.
4. Anwendung auf den vorliegenden Fall Die Beschwerdeführerin hat somit mit der Übergabe der Pakete an die Post im Rahmen des Abholvertrags keine verfahrensmässige Unsicherheit geschaffen, die sie zu spontanem Beweisangebot verpflichtet hätte. Die nachträglich eingereichte Bestätigung der Post CH AG vom 19. Dezember 2023, wonach die Pakete am 11. Dezember 2023 aufgegeben wurden, widerlegt die sich aus der späteren Registrierung ergebende Vermutung verspäteter Postaufgabe. Das Bundesgericht erklärte die Beschwerden daher als fristgerecht.
II. Materielle Frage: Menschenhandel (Art. 182 StGB)
1. Sachverhaltsfeststellungen und vorinstanzliche Würdigung Das Obergericht hatte die Beschwerdegegner vom Vorwurf des Menschenhandels freigesprochen, die Beschwerdeführerin rügte eine offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellung und Verletzung von Art. 182 StGB. Das Bundesgericht legte seiner Beurteilung den vom Obergericht als erstellt erachteten Sachverhalt zugrunde, ergänzt um die nicht explizit bestrittenen Punkte der Anklageschrift, da der Menschenhandelstatbestand auch auf dieser Basis zu bejahen sei. Das Obergericht hatte zwar das Verhalten der Beschwerdegegner als "zivilrechtlich und gesellschaftlich verpönt" und als "klare Verletzung von arbeitsrechtlichen Vorschriften" gewertet (u.a. illegale Beschäftigung als Haushaltshilfe über Monate, überdurchschnittliche Arbeitszeiten, willkürliche Lohnreduktion/-vorenthaltung, fehlende Freizeiten, schlechte Schlafstelle, gängelnder Umgang, sexualisierte/gewaltbehaftete Sprache). Es verneinte jedoch den Menschenhandel, da es keine "ernsthafte wirtschaftliche Bedrängnis" oder "besondere Verletzlichkeit" der Privatklägerin (C.__) erkannte. Sie habe eine gute Ausbildung, andere Jobchancen, Zugang zu Pass und Telefon, sozialen Kontakt zu einem Bekannten in Zürich und die Möglichkeit gehabt, die Stelle jederzeit aufzugeben. Zudem sei der Beschwerdegegnern die zentrale Problematik der Privatklägerin (Sorgerechtsstreit, Augenprobleme) nicht bekannt gewesen oder nicht erstellt worden.
2. Massgebende bundesgerichtliche Rechtsprechung zu Art. 182 StGB Das Bundesgericht verwies auf sein neues, zur amtlichen Publikation vorgesehenes Urteil 6B_296/2024 vom 7. April 2025, welches die Interpretation des Art. 182 StGB im Lichte internationaler Vorgaben (UN-Palermo-Protokoll, Übereinkommen zur Bekämpfung des Menschenhandels ÜBM, Art. 4 EMRK) vertieft. * Definition Menschenhandel: Anwerbung, Beförderung etc. von Personen durch Androhung/Anwendung von Gewalt, Nötigung, Entführung, Betrug, Täuschung, Missbrauch von Macht, Ausnutzung besonderer Hilflosigkeit oder Gewährung/Entgegennahme von Zahlungen zum Zweck der Ausbeutung (sexuell, Zwangsarbeit/Zwangsdienstbarkeit, Sklaverei etc.). * Anwerbung: Jede Tätigkeit, die darauf abzielt, eine Person im Hinblick auf ihre Ausbeutung zu verpflichten oder zu beschäftigen. Wesentlicher Teil des Anwerbungsprozesses findet vor der Ausbeutung und vor dem Verlust der Willensfreiheit des Opfers statt. * Ausbeutung der Arbeitskraft: Umfasst insbesondere Zwangsarbeit, Sklaverei oder Arbeit unter sklavereiähnlichen Bedingungen. "Zwangsarbeit" ist jede Arbeit, die unter Androhung einer Strafe verlangt und nicht freiwillig geleistet wird. Strafe kann subtil sein (z.B. Androhung der Meldung bei Behörden). Auch wenn Grundrechte fortwährend beschnitten werden (Nahrungsentzug, psychische Misshandlung, Erpressung, Isolation, sexuelle Gewalt). Die fehlende Bewegungsfreiheit oder Misshandlung sind keine unabdingbaren Voraussetzungen. Einfache Verstösse gegen Arbeitsrecht genügen grundsätzlich nicht, aber die Kumulation von Verstössen, die in ihrer Intensität über das übliche Mass hinausgehen und die Opferfreiheit erheblich einschränken, können Ausbeutung darstellen. * Einwilligung: Ist unerheblich, wenn eines der Tatmittel (z.B. Täuschung oder Ausnutzung besonderer Hilflosigkeit) angewendet wurde. Eine Einwilligung ist nur gültig, wenn sie dem tatsächlichen Willen entspricht und in Kenntnis der Sachlage und der Folgen erteilt wurde. Schwierige wirtschaftliche Verhältnisse können die Einwilligung unwirksam machen. * Vorsatz: Eventualvorsatz genügt. Der Täter muss wissen oder zumindest für möglich halten und in Kauf nehmen, dass er täuscht oder die besondere Hilflosigkeit ausnutzt und dass zwischen diesen Mitteln und der Ausbeutung ein Kausalzusammenhang besteht.
3. Anwendung auf den vorliegenden Fall durch das Bundesgericht Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass die Freisprüche des Obergerichts rechtswidrig sind und der Tatbestand des Menschenhandels erfüllt ist: * Täuschung: Die Beschwerdegegner warben die Privatklägerin unter gezielter Täuschung an. Sie machten falsche Angaben über den Umfang, die Intensität, die Bezahlung der Tätigkeit und verschwiegen das abusive Arbeitsumfeld. Dies führte dazu, dass die Privatklägerin ihre Einwilligung nicht in Kenntnis der Sachlage erteilte. Auch nach der ersten Abreise und Rückkehr nach Serbien wurde sie erneut getäuscht (Besserung des Verhaltens, Rückzahlung ausstehender Beträge), was ihre Rückkehr und das Verbleiben in den ausbeuterischen Verhältnissen bedingte. * Ausnutzung besonderer Hilflosigkeit: Die Beschwerdegegner schufen und nutzten eine besondere Hilflosigkeit. Sie entzogen der Privatklägerin ihr mitgebrachtes Geld und bezahlten den versprochenen Lohn nicht, wodurch sie diese finanziell mittellos und von ihnen abhängig machten. Dies verhinderte eine eigenständige Ausreise. Ergänzt wurde dies durch den illegalen Aufenthaltsstatus, fehlende Deutschkenntnisse und mangelnde soziale Kontakte. Die Annahme der Vorinstanz, die Privatklägerin hätte sich anderweitig Geld beschaffen können, sei reine Spekulation. Angesichts dieser Zwangslage war ihre Einwilligung zum Verbleib im Arbeitsverhältnis ungültig. * Ausbeutung der Arbeitskraft: Das Verhalten der Beschwerdegegner ging weit über einfache arbeitsrechtliche Verstösse hinaus und stellte eine Ausbeutung der Arbeitskraft dar. Die Privatklägerin hatte ein extrem ausgeweitetes Pflichtenheft, überdurchschnittliche Arbeitszeiten (inkl. Nachteinsätze) und kaum Freizeit. Sie hatte keine Privatsphäre und wurde respektlos behandelt, beleidigt, bedroht und körperlich angegangen. Der Beschwerdegegner zwang sie zudem einmal zum Oralverkehr. Durch Lohnvorenthaltung und psychischen/physischen Druck wurde sie zum Verbleib in dieser untragbaren Situation gezwungen. Die kumulativen Umstände zeigten, dass sie fortwährend daran gehindert wurde, ihre Grundrechte auszuüben. * Subjektiver Tatbestand: Die Beschwerdegegner täuschten die Privatklägerin bewusst und nahmen in Kauf, deren besondere Hilflosigkeit zu schaffen und auszunutzen, um sie zu den ausbeuterischen Bedingungen zu verpflichten oder darin zu halten. Der Eventualvorsatz ist gegeben.
III. Ergebnis des Verfahrens Das Bundesgericht hiess die Beschwerden gut, hob die vorinstanzlichen Urteile auf und wies die Sache zur neuen Verurteilung und Strafzumessung an das Obergericht zurück. Die Gesuche der Beschwerdegegner um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wurden gutgeheissen.
Zusammenfassung der wesentlichen Punkte: