Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.
Gerne fasse ich das Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts vom 15. September 2025, Az. 6B_1286/2023, detailliert zusammen:
Einleitung
Das Bundesgericht hatte über eine Beschwerde in Strafsachen von A.__ (nachfolgend: Beschwerdeführer) gegen ein Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 7. September 2023 zu befinden. Das Obergericht hatte den Beschwerdeführer des Raufhandels schuldig gesprochen, ihn zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt und ihn von den Vorwürfen des Angriffs sowie der schweren Körperverletzung freigesprochen. Der Beschwerdeführer beantragte vor Bundesgericht vollumfänglich Freispruch, die Aufhebung des obergerichtlichen Urteils und die Rückweisung der Sache zur Neubeurteilung.
Sachverhalt (relevant für die rechtliche Würdigung)
Am 9. Februar 2021 kam es in einer Liegenschaft in V._ zu einer wechselseitigen körperlichen Auseinandersetzung zwischen einer Gruppe um den Beschwerdeführer (A._, H._, I._) und einer Gruppe von Privatklägern (B._, E.D._, C.D._, F.D._). Dabei wirkten sämtliche Personen aktiv mit, und mehrere Beteiligte erlitten Verletzungen. Das Bezirksgericht Zurzach hatte den Beschwerdeführer freigesprochen, das Obergericht ihn jedoch wegen Raufhandels verurteilt.
Hauptstreitpunkte vor Bundesgericht
Der Beschwerdeführer rügte im Wesentlichen zwei Punkte: 1. Eine Verletzung des Anklagegrundsatzes (Art. 344 StPO). 2. Eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung sowie eine Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo".
1. Zur Rüge der Verletzung des Anklagegrundsatzes (Art. 344 StPO)
Argumentation des Beschwerdeführers: Der Beschwerdeführer machte geltend, das Obergericht habe den Anklagegrundsatz verletzt. Ihm sei die abweichende rechtliche Würdigung der in der Anklageschrift unter Ziffer 3 (ursprünglich mehrfache versuchte schwere Körperverletzung) angeklagten Sachverhalte als Raufhandel nicht eröffnet worden. Zudem habe sich das Obergericht über den chronologischen Ablauf der Anklageschrift hinweggesetzt und den Sachverhalt eigenmächtig gekürzt, ergänzt oder neu arrangiert, was eine wirksame Verteidigung verunmöglicht habe.
Würdigung durch das Bundesgericht: Das Bundesgericht präzisierte die Grundlagen des Anklagegrundsatzes: * Umgrenzungs- und Informationsfunktion: Die Anklageschrift bestimmt den Gegenstand des Gerichtsverfahrens und muss die zur Last gelegten Delikte in objektiver und subjektiver Hinsicht präzise umschreiben (Art. 9, 325 StPO; Art. 29 Abs. 2, 32 Abs. 2 BV; Art. 6 Ziff. 1 und 3 lit. a und b EMRK). Sie dient dem Schutz der Verteidigungsrechte und dem Anspruch auf rechtliches Gehör. * Bindung an den Sachverhalt, nicht an die rechtliche Würdigung: Das Gericht ist an den in der Anklage umschriebenen Sachverhalt gebunden, nicht jedoch an dessen rechtliche Würdigung (Art. 350 Abs. 1 StPO). Möchte das Gericht den Sachverhalt rechtlich anders würdigen, muss es dies den Parteien eröffnen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme geben (Art. 344 StPO).
Das Bundesgericht kam zur Schlussfolgerung, dass keine Verletzung des Anklagegrundsatzes vorlag: * Keine Verletzung von Art. 344 StPO: Das Bundesgericht stellte fest, dass die Anklageziffer 1 (mehrfacher Angriff) und Anklageziffer 3 (mehrfache versuchte schwere Körperverletzung) im Wesentlichen denselben Sachverhalt beschrieben, wobei die Unterteilung der rechtlichen Würdigung diente. Da die Vorinstanz mit Verfügung vom 7. Juni 2023 angekündigt hatte, den als Angriff angeklagten Sachverhalt auch als Raufhandel zu würdigen, war die notwendige Benachrichtigung erfolgt. * Gesamtwürdigung des Sachverhalts: Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers hielt das Bundesgericht fest, dass die Anklageschrift in ihrer Gesamtheit einen einheitlichen Vorfall am 9. Februar 2021 beschrieb. Die Unterteilung in verschiedene Ziffern und Unterziffern diente primär dem Überblick und der ursprünglichen rechtlichen Einordnung, änderte aber nichts an der tatsächlichen Einheit des Geschehens. Eine solche "Gesamtwürdigung" war daher zulässig. * Wechselseitigkeit des Raufhandels: Das Bundesgericht bejahte, dass die Anklageschrift die für den Raufhandel (Art. 133 StGB) notwendigen Elemente der Wechselseitigkeit umschrieb. Insbesondere sei angeklagt gewesen, dass C.D._ und F.D._ mit Stuhl und Messer(n) zu der Auseinandersetzung hinzugestossen seien und sich insbesondere F.D._ gewehrt habe, wodurch I._ verletzt worden sei. Dies belege die wechselseitige Beteiligung. Auch die Umschreibung weiterer Beteiligter als "Freunde bzw. Bruder" war für den Beschwerdeführer ausreichend klar. * Fazit zu Punkt 1: Der Anklagegrundsatz wurde nicht verletzt. Die Vorwürfe waren in tatsächlicher Hinsicht hinreichend klar, und der Beschwerdeführer konnte sich effektiv verteidigen.
2. Zur Rüge der willkürlichen Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung
Argumentation des Beschwerdeführers: Der Beschwerdeführer beanstandete, die Vorinstanz habe den Sachverhalt offensichtlich unrichtig und willkürlich festgestellt und den Grundsatz "in dubio pro reo" verletzt. Er legte seine eigene Sicht der Ereignisse dar und monierte insbesondere, dass die Vorinstanz die Aussagen des Zeugen K.__ unvollständig gewürdigt und sich widersprüchlich verhalten habe, ohne dies zu begründen.
Würdigung durch das Bundesgericht: Das Bundesgericht legte zunächst die massgebenden Grundsätze dar: * Bindung an den Sachverhalt und Willkürprüfung: Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Eine Sachverhaltsrüge ist nur zulässig, wenn die Feststellung willkürlich ist oder auf einer Rechtsverletzung beruht (Art. 97 Abs. 1 BGG). Willkür liegt vor, wenn die Beweiswürdigung schlechterdings unhaltbar ist, d.h. in klarem Widerspruch zur tatsächlichen Situation steht oder auf einem offenkundigen Fehler beruht. Eine andere mögliche Lösung genügt nicht. * "In dubio pro reo": Als Beweiswürdigungsregel hat dieser Grundsatz im Verfahren vor Bundesgericht keine über das Willkürverbot (Art. 9 BV) hinausgehende Bedeutung. * Begründungspflicht: Die Behörde muss die Vorbringen des Betroffenen tatsächlich hören, prüfen und ihren Entscheid so begründen, dass sich der Betroffene über dessen Tragweite Rechenschaft geben und ihn anfechten kann (Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK, Art. 81 Abs. 3 StPO).
Das Bundesgericht sah die Rüge des Beschwerdeführers hinsichtlich der Beweiswürdigung als begründet an: * Ungenügende Würdigung der Zeugenaussage K.__: Die Vorinstanz hatte festgestellt, dass G._ in seinem Zimmer schlief, durch einen Schlag erwachte und verletzt wurde. Gleichzeitig hatte die Vorinstanz die Aussagen des Zeugen K._ in ihrer Gesamtheit als glaubhaft erachtet, wonach dieser G._ jedoch kurz nach Ankunft der Gruppe des Beschwerdeführers in der Küche gesehen haben will. Das Bundesgericht rügte, dass sich das Obergericht zu dieser zentralen Aussage von K._ nicht geäussert hatte und insbesondere nicht begründete, weshalb es dieser Aussage allenfalls nicht folgte. Dies stellte eine willkürliche Beweiswürdigung und eine Verletzung der Begründungspflicht dar. Die zeitliche und örtliche Abfolge der Ereignisse ist jedoch entscheidend für die Frage, wer wann wo angegriffen wurde. * Widersprüchliche Aussagen und offene Fragen: Die Vorinstanz kam zum Schluss, es sei nicht erstellt, dass die Gruppe des Beschwerdeführers einen oder mehrere Privatkläger einseitig angegriffen habe. Sie bewertete K.__'s Aussagen sogar als Indiz dafür, dass die Gruppe des Beschwerdeführers angegriffen wurde und die Privatkläger bewaffnet waren. Trotzdem liess das Obergericht die Frage, welche Gruppe angegriffen hat, ausdrücklich offen. Das Bundesgericht beanstandete diese Widersprüchlichkeit und die fehlende Begründung für das Abweichen von diesen Indizien zulasten des Beschwerdeführers. * Fehlende Prüfung einer Notwehrlage: Angesichts der unklaren Frage, welche Gruppe die Auseinandersetzung initiiert hat, hat die Vorinstanz es unterlassen, eine allfällige Notwehrlage zu prüfen. Dies wäre jedoch erforderlich gewesen. * Fazit zu Punkt 2: Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung war willkürlich und ungenügend begründet.
Entscheid und Rückweisung
Das Bundesgericht hiess die Beschwerde teilweise gut, hob das Urteil des Obergerichts auf und wies die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurück. Das Obergericht wird in seinem neuen Urteil die Beweise – gegebenenfalls nach einer Ergänzung der Beweise, insbesondere hinsichtlich einer erneuten Einvernahme von K.__ – neu würdigen, den Sachverhalt willkürfrei feststellen und gestützt darauf eine neue rechtliche Würdigung, einschliesslich einer allfälligen Notwehrprüfung, vornehmen müssen.
Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:
Das Bundesgericht hat das Urteil des Aargauer Obergerichts wegen willkürlicher und ungenügend begründeter Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung aufgehoben und zur Neubeurteilung zurückgewiesen. Es rügte, dass die Vorinstanz eine zentrale Zeugenaussage bezüglich des Ortes des Angriffs auf ein Opfer (Küche vs. Zimmer) nicht oder widersprüchlich gewürdigt hatte und sich nicht ausreichend zur Frage äusserte, welche der beiden Gruppen die körperliche Auseinandersetzung initiiert hatte. Ferner unterliess die Vorinstanz die Prüfung einer allfälligen Notwehrlage. Eine Verletzung des Anklagegrundsatzes wurde hingegen verneint, da der Sachverhalt in der Anklageschrift ausreichend klar umschrieben war.