Zusammenfassung von BGer-Urteil 2C_420/2025 vom 7. Oktober 2025

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Das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (2C_420/2025 vom 7. Oktober 2025) befasst sich mit dem Entzug der aufschiebenden Wirkung einer Verfügung des Amtes für Gesundheit des Kantons Zürich, welche einem Arzt die Bewilligung zur fachlich eigenverantwortlichen Berufsausübung entzog. Das Bundesgericht hatte zu prüfen, ob die kantonale Vorinstanz (Verwaltungsgericht des Kantons Zürich) zu Recht die aufschiebende Wirkung der Bewilligungsentzugsverfügung im kantonalen Rekursverfahren verweigerte.

Sachverhalt

A.__, ein Arzt mit in der Schweiz anerkanntem brasilianischem Arztdiplom und Weiterbildungstitel als Praktischer Arzt, erhielt 2019 die Berufsausübungsbewilligung im Kanton Zürich. Er führte eine Hausarztpraxis.

Im Zeitraum zwischen 2019 und 2021 stellte A._ für mehrere Patienten (B._, C._, D._) ärztliche Atteste aus, die diese von der COVID-19-Impfung, Sars-CoV-2-Testungen oder der Maskentragepflicht dispensierten. Die Aufsichtsinstanz (Amt für Gesundheit) forderte A._ daraufhin auf, sich zum Verdacht der Ausstellung von "Gefälligkeitszeugnissen" zu äussern und die vollständigen Patientenakten einzureichen. Diesem Ersuchen kam A._ zunächst nicht nach und ersuchte um eine anfechtbare Verfügung. Eine daraufhin ergangene Verfügung zur Aktenherausgabe wurde von A._ rekuriert, der Rekurs wurde jedoch rechtskräftig abgewiesen. Trotzdem reichte A._ die Akten stellenweise geschwärzt ein, woraufhin das Amt für Gesundheit die vollständige und ungeschwärzte Einreichung forderte, was A.__ wiederum verweigerte.

Am 18. Oktober 2024 entzog das Amt für Gesundheit A._ die Bewilligung zur fachlich eigenverantwortlichen Berufsausübung, belegte ihn mit einer Busse von Fr. 5'000.-- und entzog der Verfügung die aufschiebende Wirkung. A._ erhob Rekurs bei der Gesundheitsdirektion und ersuchte um Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, was diese ablehnte (29. Januar 2025). Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich bestätigte mit Urteil vom 26. Juni 2025 den Entzug der aufschiebenden Wirkung.

Während des kantonalen Verfahrens versandte A.__ zudem E-Mails an seine Patienten mit der Bitte um monatliche "Spenden", um seine Praxis zu sichern. Er erstattete ferner Strafanzeige gegen Mitarbeitende der Gesundheitsdirektion wegen Amtsmissbrauchs und forderte auf seiner Homepage weitere Personen auf, dies ebenfalls zu tun.

Anträge vor Bundesgericht

A.__ verlangte vor Bundesgericht die Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils, die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung für seinen Rekurs an die Gesundheitsdirektion und die Erteilung der Berufsausübungsbewilligung für die Dauer des Rechtsmittelverfahrens. Ein Feststellungsbegehren betreffend Dritte in ähnlicher Situation wies das Bundesgericht mangels schutzwürdigen Interesses ab. Er ersuchte zudem um aufschiebende Wirkung für das bundesgerichtliche Verfahren.

Eintreten und Kognition des Bundesgerichts

Das Bundesgericht trat auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten grundsätzlich ein. Es qualifizierte den Entscheid über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung als Zwischenentscheid, der nach Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG anfechtbar ist, da ein Berufsausübungsverbot während eines laufenden Verfahrens einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil rechtlicher Natur bewirkt.

Die Kognition des Bundesgerichts bei Beschwerden gegen vorsorgliche Massnahmen (Art. 98 BGG) ist eingeschränkt. Es prüft nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte und wendet dabei die qualifizierten Rüge- und Begründungsanforderungen von Art. 106 Abs. 2 BGG an. Eine Überprüfung der Ermessensausübung der Vorinstanz erfolgt mit Zurückhaltung; ein Eingreifen des Bundesgerichts ist nur bei Ermessensüberschreitung oder -missbrauch angezeigt.

Rechtliche Grundlagen und Begriffsklärungen

Der Beschwerdeführer untersteht dem Bundesgesetz über die universitären Medizinalberufe (MedBG; SR 811.11).

  • Bewilligung und Entzug (Art. 36 Abs. 1 und Art. 38 Abs. 1 MedBG): Die Berufsausübung in eigener fachlicher Verantwortung setzt u.a. ein eidgenössisches Diplom und die Vertrauenswürdigkeit der Person voraus. Die Bewilligung wird entzogen, wenn diese Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind. Ein Bewilligungsentzug dient nicht disziplinarischen Zwecken, sondern dem Schutz der öffentlichen Gesundheit.
  • Vertrauenswürdigkeit (Art. 36 Abs. 1 lit. b MedBG): Dieser Begriff erfordert "gut beleumdet bzw. allgemein vertrauenswürdig" zu sein. Sein Schutzzweck umfasst nicht nur das unmittelbare Wohl einzelner Patienten, sondern auch die Rechtfertigung und Erhaltung des kollektiven Vertrauens der Öffentlichkeit. An die persönliche Vertrauenswürdigkeit sind hohe Anforderungen zu stellen; sie umfasst berufliches und ausserberufliches Verhalten sowie die charakterliche Eignung. Die Vertrauenswürdigkeit muss nicht nur gegenüber Patienten, sondern auch gegenüber den Behörden – insbesondere den Gesundheitsbehörden – gewährleistet sein.
  • Prüfung von Zwischenentscheiden über die aufschiebende Wirkung: Die Behörde darf sich auf eine summarische und vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtslage beschränken und einen grossen Ermessensspielraum nutzen. Sie darf den voraussichtlichen Verfahrensausgang berücksichtigen, wenn dieser klar ist.
Begründung des Bundesgerichts

Das Bundesgericht überprüfte die Rügen des Beschwerdeführers umfassend:

1. Formelle Rügen (Verletzung des rechtlichen Gehörs)

A.__ rügte eine Verletzung von Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK aufgrund der fehlenden mündlichen Anhörung. Das Bundesgericht wies diese Rüge ab: * Art. 29 Abs. 2 BV: Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst grundsätzlich kein Recht auf eine mündliche Verhandlung, sondern wird durch die Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme gewahrt. * Art. 6 Ziff. 1 EMRK: Ein Anspruch auf öffentliche Verhandlung setzt einen klaren Parteiantrag voraus, der hier nicht gestellt wurde. Der Beschwerdeführer hatte lediglich Beweisanträge, aber keinen Antrag auf eine mündliche Verhandlung gestellt. Die Rüge ist daher schon im Ansatz nicht stichhaltig.

2. Sachverhaltsfeststellung (Willkür)

A.__ kritisierte die Feststellungen der Vorinstanz, insbesondere die Annahme eines "systematischen Ausstellens von falschen Attesten". * Das Bundesgericht ist an den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt gebunden (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, dieser ist offensichtlich unrichtig (willkürlich) oder beruht auf einer Rechtsverletzung. * Die Rügen A.__s bezüglich der drei Atteste beschränkten sich darauf, seine eigene Sicht der Dinge darzulegen, ohne Willkür darzulegen. * Hinsichtlich des von der Vorinstanz angenommenen "systematischen Vorgehens" bemerkte das Bundesgericht, dass dies eine tatsächliche Vermutung darstellt, die hinreichende Indizien erfordert. Es äusserte Zweifel, ob im vorliegenden Fall – selbst unter dem herabgesetzten Beweismass eines Zwischenentscheids – genügend Indizien vorliegen. Es liess diese Frage jedoch offen, da die vorinstanzliche Würdigung in diesem Punkt für den Ausgang des Zwischenentscheidverfahrens nicht entscheidend sei. Die kantonalen Behörden müssten dies im Hauptverfahren genauer prüfen.

3. Materielle Rügen (Verhältnismässigkeit der Massnahme)

A._ machte eine Verletzung der Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV) und der Eigentumsgarantie (Art. 26 BV) sowie eine falsche Anwendung von Art. 36 und 38 MedBG geltend. * Art. 26 BV (Eigentumsgarantie): Das Bundesgericht stellte fest, dass die Eigentumsgarantie nicht tangiert ist, da A._ seine Arztpraxis während des Verfahrens veräussern konnte. * Art. 27 BV (Wirtschaftsfreiheit): Ein Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit ist zulässig, wenn er auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, im öffentlichen Interesse liegt und verhältnismässig ist. Die gesetzliche Grundlage (Art. 38 Abs. 1 MedBG i.V.m. § 25 Abs. 3 VRG/ZH) und das öffentliche Interesse (Schutz der öffentlichen Gesundheit) waren unbestritten. Strittig war die Verhältnismässigkeit.

Prüfung der Verhältnismässigkeit im engeren Sinn:

Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass die Vorinstanz eine nachvollziehbare und bundesrechtskonforme Interessenabwägung vorgenommen hat:

  • Ausstellung von "Gefälligkeitsattesten": Die Ausstellung von drei ärztlichen Attesten ohne vertiefte Abklärungen stellt die patientenbezogene und kollektive Vertrauenswürdigkeit von A.__ ernsthaft in Frage. Indem er ohne Anamnese von Schutzmassnahmen gegen COVID-19 abriet, gefährdete er konkret die Gesundheit von Patienten. Dieses Fehlverhalten ist auch aktuell relevant und spricht für den Entzug der aufschiebenden Wirkung.
  • Unkooperatives und renitentes Verhalten gegenüber den Behörden: A.__ leistete wiederholt Widerstand gegen die Anweisungen der Aufsichtsbehörde, insbesondere durch die geschwärzte Einreichung von Akten trotz rechtskräftiger Herausgabepflicht.
  • Verhalten während des Verfahrens und gegenüber Patienten: Die Vorinstanz durfte das akzentuierte Konfliktverhalten von A.__ während des kantonalen Verfahrens miteinbeziehen. Dies umfasste Beschimpfungen von Behördenmitarbeitern, die Erstattung von Strafanzeigen und die öffentliche Aufforderung an Patienten, es ihm gleichzutun. Ein Medizinalberufsinhaber muss bei Behördenkritik eine gewisse Zurückhaltung wahren, um das einwandfreie Funktionieren der aufsichtsrechtlichen Mechanismen nicht zu gefährden (vgl. Urteil 2C_83/2023 betreffend Rechtsanwälte). Dieses Verhalten gefährdet die wirksame Aufsicht. Die Bitte um "Spenden" von Patienten wurde ebenfalls als problematisch beurteilt, da sie auf fehlende Distanz hindeutet und die Patienten in den Konflikt mit der Aufsichtsbehörde involviert.
  • Gesamtwürdigung und Zumutbarkeit: Die Kumulation dieser verschiedenen Verhaltensweisen, die die Vertrauenswürdigkeit und die wirksame Aufsicht infrage stellen, rechtfertigt den Entzug der aufschiebenden Wirkung. Besonders ins Gewicht fällt dabei der Umstand, dass A.__ seine ärztliche Tätigkeit im Kanton Zürich weiterhin in unselbständiger Stellung unter Aufsicht eines anderen Arztes ausüben kann (§ 5 der Verordnung über die universitären Medizinalberufe [MedBV]). Da er von dieser Möglichkeit bereits Gebrauch macht, kann er sein wirtschaftliches Potenzial weiterhin ausschöpfen.

Die weiteren, nicht näher begründeten Vorbringen des Beschwerdeführers (Verletzung von Art. 10 Abs. 2 BV, Art. 8 Ziff. 1 EMRK sowie des Übereinkommens gegen Folter) genügten den Rüge- und Begründungsanforderungen nicht.

Schlussfolgerung

Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab, soweit darauf eingetreten werden konnte, und bestätigte den Entzug der aufschiebenden Wirkung der Bewilligungsentzugsverfügung. Das Gesuch um aufschiebende Wirkung für das bundesgerichtliche Verfahren wurde damit gegenstandslos.

Zusammenfassung der wesentlichen Punkte
  • Entzugs der aufschiebenden Wirkung ist zulässig: Der Entzug der aufschiebenden Wirkung einer Bewilligungsentzugsverfügung für Medizinalberufe kann einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil darstellen und ist daher als Zwischenentscheid vor Bundesgericht anfechtbar.
  • Vertrauenswürdigkeit als zentrale Voraussetzung: Die Vertrauenswürdigkeit (Art. 36 Abs. 1 lit. b MedBG) ist eine zentrale Bewilligungsvoraussetzung. Sie umfasst nicht nur das patientenbezogene Verhalten, sondern auch das kollektive Vertrauen und die Beziehung zu den Aufsichtsbehörden.
  • Kumulation von Verfehlungen: Die vorinstanzliche Entscheidung, die aufschiebende Wirkung zu entziehen, basiert auf einer Würdigung verschiedener schwerwiegender Verhaltensweisen:
    • Ausstellung von "Gefälligkeitsattesten": Atteste ohne medizinische Grundlage, die die Patientengesundheit gefährdeten.
    • Unkooperatives Verhalten gegenüber Behörden: Ignorierung rechtskräftiger Anordnungen zur Aktenherausgabe und Einreichung geschwärzter Akten.
    • Aggressives und distanzloses Verhalten während des Verfahrens: Beschimpfungen, Strafanzeigen gegen Behördenmitarbeitende, öffentliche Aufforderungen an Patienten zur Beteiligung am Konflikt und die Bitte um "Spenden" von Patienten, was die Distanz zu Patienten in Frage stellt.
  • Eingeschränkte Überprüfung, weitreichender Ermessensspielraum: Das Bundesgericht prüft Zwischenentscheide mit Zurückhaltung und akzeptiert den grossen Ermessensspielraum der Vorinstanz, wenn die Beurteilung verfassungsrechtlich haltbar ist.
  • Proportionalität gewahrt durch unselbständige Tätigkeit: Der Entzug der aufschiebenden Wirkung ist als verhältnismässig erachtet worden, da dem Arzt die Möglichkeit bleibt, weiterhin in unselbständiger Stellung unter Aufsicht tätig zu sein und somit sein Erwerbspotenzial auszuschöpfen.
  • Kein Anspruch auf mündliche Anhörung: Das Recht auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) schliesst keinen Anspruch auf eine mündliche Anhörung ein, und Art. 6 EMRK wurde nicht verletzt, da kein entsprechender Antrag gestellt wurde.