Zusammenfassung von BGer-Urteil 2C_26/2023 vom 2. Mai 2025

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Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts (2C_26/2023 vom 2. Mai 2025) Einleitung und Streitgegenstand

Das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (BGer) befasst sich mit der Zulässigkeit von Kennzeichnungselementen für vegane Fleischersatzprodukte. Konkret geht es um die Verwendung von Tierartenbezeichnungen wie "Poulet" oder "Schwein" für rein pflanzliche Lebensmittel. Beschwerdeführerin ist das Eidgenössische Departement des Innern (EDI), Beschwerdegegnerin die Planted Foods AG, eine Produzentin von Fleischersatzprodukten. Das BGer hat zu entscheiden, ob die Vorinstanz (Verwaltungsgericht des Kantons Zürich) das anwendbare Bundesrecht, insbesondere die Bestimmungen zum Täuschungsschutz, korrekt angewendet hat, indem sie die Beanstandung der Tierartenbezeichnungen durch das Kantonale Labor Zürich aufhob.

Sachverhalt

Die Planted Foods AG produziert in Kemptthal ZH vegane Fleischersatzprodukte. Im Mai 2021 beanstandete das Kantonale Labor Zürich (KLZ) verschiedene Kennzeichnungselemente dieser Produkte. Insbesondere wurde der Planted Foods AG untersagt, Tierartenbezeichnungen für ihre Produkte "planted.chicken", "planted.chicken güggeli", "planted.pulled" und "planted.pulled BBQ" zu verwenden. Dies umfasste spezifisch die Begriffe "planted.chicken", "wie Poulet" / "comme du poulet" / "come pollo", "wie Schwein" / "comme du porc" / "come maiale", "Pulled Pork", "veganes Schwein", "Poulet aus Pflanzen" und "güggeli".

Die dagegen erhobene Einsprache der Planted Foods AG wies das KLZ im Juni 2021 ab. Die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich lehnte einen daraufhin eingereichten Rekurs im März 2022 ebenfalls ab, korrigierte lediglich die Kostenauflage. Eine Beschwerde der Planted Foods AG gegen diesen Entscheid hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich im November 2022 gut und hob die Massnahmen des KLZ auf. Das EDI erhob daraufhin im Januar 2023 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht mit dem Antrag, das Urteil des Verwaltungsgerichts aufzuheben und die Massnahmen des KLZ, die die Nennung von Tierarten betreffen, zu bestätigen.

Rechtliche Grundlagen und Argumentation des Bundesgerichts

Das Bundesgericht prüfte die Beschwerde des EDI im Licht der eidgenössischen Lebensmittelgesetzgebung, insbesondere des Lebensmittelgesetzes (LMG) und der dazugehörigen Verordnungen.

  1. Zielsetzung des Lebensmittelrechts (E. 4.1): Das LMG bezweckt gemäss Art. 1 lit. c und d LMG den Schutz der Konsumenten vor Täuschung und die Bereitstellung notwendiger Informationen. Das BGer betont, dass diese beiden Ziele – Täuschungsschutz und Informationspflicht – vom Gesetzgeber unabhängig voneinander verwirklicht wurden.

  2. Kennzeichnungs- und Täuschungsbestimmungen (E. 4.2):

    • Art. 12 Abs. 1 LMG schreibt vor, dass vorverpackte Lebensmittel unter anderem eine Sachbezeichnung tragen müssen. Art. 12 Abs. 3 LMG erlaubt die Verwendung weiterer Bezeichnungen, sofern diese nicht täuschend sind.
    • Das Täuschungsverbot ist primär in Art. 18 LMG geregelt:
      • Abs. 1 verlangt, dass alle Angaben den Tatsachen entsprechen.
      • Abs. 2 untersagt täuschende Aufmachung, Kennzeichnung, Verpackung und Werbung.
      • Abs. 3 konkretisiert, dass Täuschung insbesondere bei falschen Vorstellungen über Herstellung, Zusammensetzung, Beschaffenheit etc. vorliegt.
      • Art. 18 Abs. 4 lit. a LMG ermächtigt den Bundesrat, Lebensmittel zu umschreiben und deren Bezeichnung festzulegen. Diese Bestimmung wurde explizit eingeführt, um Täuschungen der Konsumenten durch Imitationen oder Surrogatprodukte zu verhindern.
    • Art. 19 Abs. 1 LMG bestimmt, dass Surrogate und Imitationsprodukte so zu kennzeichnen und zu bewerben sind, dass Konsumenten die tatsächliche Art des Lebensmittels erkennen und es von verwechselbaren Erzeugnissen unterscheiden können. Auch diese Norm dient primär dem Täuschungsschutz.
  3. Konkretisierung durch Verordnungsrecht (E. 4.3 – 4.4):

    • Art. 12 Abs. 1 der Lebensmittel- und Gebrauchsgegenständeverordnung (LGV) konkretisiert das Täuschungsverbot, indem er verlangt, dass Bezeichnungen, Angaben, Abbildungen etc. den Tatsachen entsprechen und nicht zur Täuschung über Natur, Herkunft, Herstellung, Zusammensetzung etc. Anlass geben dürfen.
    • Art. 14 LGV stellt eine wichtige Subdelegation dar: Das EDI wird ermächtigt, Lebensmittel oder Lebensmittelgruppen zum Schutz vor Täuschungen und zur Gesundheitsvorsorge zu umschreiben und für sie eine Sachbezeichnung und Anforderungen festzulegen. Art. 14 Abs. 2 LGV statuiert, dass Lebensmittel nur mit der Sachbezeichnung eines umschriebenen Lebensmittels bezeichnet werden dürfen, wenn sie der Umschreibung und den Anforderungen entsprechen. Diese Regelung zielt darauf ab, die Befürchtungen im Parlament vor einer Überschwemmung des Marktes mit Imitationen (wie "Analog-Käse") zu adressieren.
    • Gestützt auf diese Kompetenzen hat das EDI die Verordnung betreffend die Information über Lebensmittel (LIV) und die Verordnung über Lebensmittel tierischer Herkunft (VLtH) erlassen.
    • VLtH definiert in Art. 4 Abs. 1 "Fleisch" als "alle geniessbaren Teile von Tieren der in Artikel 2 Buchstaben a-f genannten Arten" (z.B. Schweine, Hühner). Art. 9 Abs. 1 VLtH legt fest, dass die Sachbezeichnung für Fleisch, Fleischzubereitungen und Fleischerzeugnisse aus einem Hinweis auf die Tierart und einer präzisierenden Bezeichnung (z.B. "Fleisch", "Fleischzubereitung") besteht. Das BGer hält fest, dass diese Sachbezeichnung eine Umschreibung im Sinne von Art. 14 LGV darstellt.
  4. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) als Auslegungshilfe (E. 4.5): Da das Schweizer Lebensmittelrecht an das EU-Recht angelehnt ist, zieht das BGer die einschlägige EuGH-Rechtsprechung heran:

    • Urteil TofuTown (C-422/16, 2017): Der EuGH entschied, dass Bezeichnungen wie "Milch", die Milcherzeugnissen vorbehalten sind, nicht für rein pflanzliche Produkte verwendet werden dürfen, selbst wenn klarstellende Zusätze auf den pflanzlichen Ursprung hinweisen.
    • Urteil Protéines France (C-438/23, 2024): Der EuGH fasste die Anforderungen an Bezeichnungen zusammen: sie müssen zutreffend, klar und verständlich sein sowie dürfen nicht irreführend sein, insbesondere in Bezug auf Art und Zusammensetzung. Der EuGH verwies darauf, dass "Fleisch" unionsrechtlich als "geniessbare Teile von Tieren" definiert ist und die Verwendung der Bezeichnung "Fleisch" für Produkte ohne solche Teile unzulässig ist.
  5. Informationsschreiben 2020/3.1 des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) (E. 5): Das BGer betrachtet das Informationsschreiben als Verwaltungsverordnung, die zwar für Gerichte nicht unmittelbar bindend ist, aber bei einer überzeugenden Konkretisierung der rechtlichen Vorgaben berücksichtigt wird.

    • Das Schreiben untersagt gemäss Ziff. 3.2 die Nennung von Tierarten (z.B. "Rind", "Kalb", "Thunfisch") für vegetarische oder vegane Ersatzprodukte, selbst mit Hinweisen auf die pflanzliche Herkunft.
    • Demgegenüber sind gemäss Ziff. 3.5 klassische Begriffe (z.B. "Filet", "Steak", "Wurst"), die nicht umschriebene Sachbezeichnungen sind und nicht auf die tierische Herkunft verweisen, zulässig, wenn die pflanzliche Herkunft eindeutig ausgewiesen ist.
    • In Zweifelsfällen ist eine Gesamtbetrachtung (Bezeichnung, Aufmachung, Werbung, Bilder, Positionierung) vorzunehmen.
Argumentation des Bundesgerichts im konkreten Fall

Das Bundesgericht folgt der Auffassung des EDI und heisst die Beschwerde gut (E. 6):

  1. Tatsachenentsprechung und Täuschungsschutz (E. 6.1): Gemäss Art. 18 Abs. 1 LMG müssen alle Angaben den Tatsachen entsprechen. Ein Lebensmittel, das eine Tierartenbezeichnung trägt, muss demnach auch tatsächlich von dieser Tierart gewonnene Bestandteile enthalten. Dies wird durch Art. 14 Abs. 2 LGV gestützt, der vorschreibt, dass eine rechtlich umschriebene Sachbezeichnung nur verwendet werden darf, wenn das Produkt der Umschreibung entspricht. Die Tierart ist ein charakteristischer Bestandteil der lebensmittelrechtlichen Sachbezeichnung für fleischhaltige Produkte gemäss Art. 9 VLtH, und ihre Verwendung weckt entsprechende Erwartungen.

  2. Konvergenz der Rechtsquellen (E. 6.2): Diese Auslegung wird durch das BLV-Informationsschreiben 2020/3.1 und die jüngste Stellungnahme des Bundesrates zu einer parlamentarischen Motion (24.3273 vom 14. März 2024) bestätigt. Der Bundesrat geht von einer einheitlichen Regelung für Milch, Käse und Fleisch aus. Zudem ist diese Auslegung konsistent mit dem Schutzzweck von Art. 19 LMG (Differenzierung von Imitaten) und entspricht der Praxis des EuGH.

  3. Grundsatzentscheidung (E. 6.3): Das BGer hält fest, dass Lebensmittel, die eine Tierartenbezeichnung verwenden, auch Bestandteile dieser Tierart enthalten müssen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Tierartenbezeichnung als technische Sachbezeichnung oder als Teil anderer Kennzeichnungselemente für Marketing und Bewerbung verwendet wird, um den Schutzzweck der Regelungen nicht zu unterlaufen. Auch die Sprache der Bezeichnung ist unerheblich. Ausgenommen sind lediglich Fantasiebezeichnungen des gewöhnlichen Sprachgebrauchs (z.B. "Osterhasen").

  4. Anwendung auf die Planted Foods AG (E. 6.4): Die Verwendung von Begriffen wie "Poulet", "chicken", "pollo", "güggeli", "Schwein", "pork", "porc", "maiale" als Teil von Kennzeichnungselementen und Slogans für die pflanzlichen Fleischersatzprodukte ist unzulässig. Es ist irrelevant, dass auch die korrekte Sachbezeichnung ("pflanzliche Lebensmittel aus Erbsenproteinen") verwendet wird oder dass ein Teil der Konsumenten die Produkte bei näherer Betrachtung als pflanzlich erkennen könnte. Der Gesetz- und Verordnungsgeber hat sich gerade mit Blick auf Imitate und Surrogate für einen strengen Täuschungsschutz entschieden.

Fazit und Entscheid

Das Bundesgericht kommt zum Schluss, dass die Verwendung von Tierartenbezeichnungen im Zusammenhang mit den pflanzlichen Fleischersatzprodukten der Planted Foods AG lebensmittelrechtlich unzulässig ist. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Zürich ist somit bundesrechtswidrig und wird aufgehoben.

Das BGer bestätigt die Verfügung der Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich, soweit sie die Nennung von Tierarten beanstandete. Das Kantonale Labor Zürich wird angewiesen, der Beschwerdegegnerin eine neue Frist zur Umsetzung der rechtskonformen Kennzeichnungen anzusetzen. Die Sache wird zudem zur Neuverlegung der Kosten- und Entschädigungsfolgen der kantonalen Rechtsmittelverfahren an die Vorinstanz zurückgewiesen. Die Gerichtskosten des Bundesgerichts werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:
  • Täuschungsschutz Vorrang: Das Bundesgericht betont den primären Täuschungsschutz im Lebensmittelrecht.
  • Tierartenbezeichnung nur für Tierprodukte: Bezeichnungen von Tierarten (z.B. "Poulet", "Schwein") sind für rein pflanzliche Produkte unzulässig.
  • Grundsatz der Tatsachenentsprechung: Ein Produkt, das eine Tierart im Namen trägt, muss Bestandteile dieser Tierart enthalten.
  • Umfassende Geltung: Das Verbot gilt unabhängig davon, ob die Bezeichnung Teil der offiziellen Sachbezeichnung oder anderer Marketingelemente ist, und ungeachtet der Sprache.
  • Irrelevanz klärender Zusätze: Zusätzliche Hinweise auf pflanzliche Herkunft oder die theoretische Erkennbarkeit für Konsumenten ändern nichts an der Unzulässigkeit, da ein strenger Täuschungsschutz angestrebt wird.
  • Angleichung an EU-Recht: Die Auslegung des Schweizer Rechts stimmt mit der Rechtsprechung des EuGH zur Bezeichnung von Milcherzeugnissen und Fleisch überein.
  • Verwaltungsgerichtsurteil aufgehoben: Das Bundesgericht hob das Urteil des Zürcher Verwaltungsgerichts auf und bestätigte die Massnahmen des Kantonalen Labors.