Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 9C_677/2024 vom 8. September 2025
1. Parteien und Gegenstand des Verfahrens
Im vorliegenden Verfahren des Schweizerischen Bundesgerichts (9C_677/2024) war das Kantonale Steueramt Zürich (Beschwerdeführer) Partei gegen A.A._ und B.A._ (Pflichtige/Beschwerdegegner). Streitgegenstand bildete die Festsetzung von Staats- und Gemeindesteuern des Kantons Zürich für die Steuerperioden 2013 bis 2019 im Rahmen eines Nachsteuerverfahrens. Im Zentrum der Auseinandersetzung stand die vermögenssteuerrechtliche Zurechnung von Vermögenswerten aus einem ausländischen Trust an die Pflichtigen.
2. Sachverhalt und Vorinstanzlicher Entscheid
Die Pflichtigen deklarierten in ihren Steuererklärungen für die Jahre 2014-2019 Erbschaften aus dem Nachlass des Vaters des Pflichtigen. Das kantonale Steueramt eröffnete im Juni 2023 ein Nachsteuerverfahren, da die Pflichtigen seit 2014 jährliche Erträge aus dem "D.__ Irrevocable Family Trust" erhalten hatten, welche weder als Einkommen noch als Vermögen besteuert worden waren. Das Steueramt setzte Nachsteuern fest, wogegen die Pflichtigen Rekurs und Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Zürich einlegten.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich hiess den Rekurs bezüglich der Staats- und Gemeindesteuern (SR.2024.00011) teilweise gut und wies die Sache zur Neuberechnung der Nachsteuern im Sinn der Erwägungen an das kantonale Steueramt zurück. Es lehnte die vom kantonalen Steueramt geforderte hälftige Zurechnung des gesamten Trustvermögens ab und erachtete stattdessen die Zurechnung des kapitalisierten Werts des als nutzniessungsähnlich bezeichneten Rechts für sachgerecht. Gegen diesen Rückweisungsentscheid erhob das kantonale Steueramt Beschwerde an das Bundesgericht, um die volle Nachsteuer auf der Grundlage einer hälftigen Zurechnung des Trustvermögens durchzusetzen.
3. Rechtliche Grundlagen und Problemstellung
Das Bundesgericht stellte fest, dass die Beschwerde gegen den Rückweisungsentscheid des Verwaltungsgerichts, da dieser einzig der rein rechnerischen Umsetzung der oberinstanzlichen Anordnungen diente und der Unterinstanz keinen Entscheidungsspielraum mehr beliess, als Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG anfechtbar war.
- Kognition des Bundesgerichts: Das Bundesgericht prüft die Anwendung des harmonisierten kantonalen Steuerrechts (insbesondere die Vereinbarkeit mit dem Bundesgesetz über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden, StHG) mit freier Kognition (E. 2.2). Die hier streitige Frage der vermögenssteuerrechtlichen Zurechnung fällt in diesen Bereich.
- Vermögenssteuerrechtliche Grundlagen:
- § 38 Abs. 1 StG/ZH und Art. 13 Abs. 1 StHG: Das gesamte Reinvermögen unterliegt der Vermögenssteuer.
- § 38 Abs. 2 StG/ZH und Art. 13 Abs. 2 StHG: Nutzniessungsvermögen wird dem Nutzniesser zugerechnet. Die Lehre und Praxis lassen eine analoge Anwendung auf mit der Nutzniessung vergleichbare Verhältnisse zu, fordern aber eine präzise Prüfung.
- Der steuerrechtliche Vermögensbegriff umfasst alle zivilrechtlich zustehenden und realisierbaren geldwerten Rechte (BGE 138 II 311 E. 3.1.1; Urteil 9C_268/2024 E. 3.2.1).
- Natur des Trusts im Schweizer Recht:
- Das Schweizer Steuer- und Zivilrecht kennt keine eigenständige Regelung für Trusts, hat aber das Haager Trust-Übereinkommen ratifiziert (E. 5.1).
- Der Trust hat keine eigene Rechtspersönlichkeit und ist nicht mit einer Stiftung oder Treuhänderschaft identisch (E. 5.2.2).
- Grundsätzlich wird der Trust steuerlich transparent behandelt (E. 5.2.3).
- Trust-Typ: Im vorliegenden Fall handelt es sich unbestritten um einen "Irrevocable Fixed Interest Trust" (unwiderruflicher Trust mit festen Rechten, E. 3.2 und 5.2.3). Bei diesem Trust-Typ gehen die Rechte der Begünstigten ("Beneficiaries") direkt aus der Trusturkunde hervor, und der Treuhänder ("Trustee") hat keine Ermessensfreiheit bei der Zuteilung der Rechte, jedoch oft bezüglich der Ausschüttungen innerhalb eines vorgegebenen Zwecks.
- Verwaltungspraxis (Kreisschreiben): Gemäss Ziff. 5.2.2 des Kreisschreibens Nr. 30 der Schweizerischen Steuerkonferenz (KS-SSK Nr. 30) und des Kreisschreibens Nr. 20 der Eidgenössischen Steuerverwaltung (KS-ESTV Nr. 20) kann der Begünstigte eines "Irrevocable Fixed Interest Trusts" dem Nutzniesser gleichgestellt werden. Ist der Anteil am Trustvermögen nicht feststellbar, kann der Ertrag kapitalisiert werden. Diese Kreisschreiben sind zwar nicht rechtsverbindlich, werden aber vom Bundesgericht als überzeugende Konkretisierung rechtlicher Vorgaben anerkannt (E. 5.3.2).
- Grundsatz der Besteuerung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit: Dieses verfassungsrechtliche Prinzip (Art. 127 Abs. 2 BV) ist bei der Bestimmung des Substrats für die Vermögenssteuer massgebend (E. 6.2).
4. Begründung des Bundesgerichts und rechtliche Würdigung
Das Bundesgericht bestätigte die vorinstanzliche Rechtsauffassung und wies die Beschwerde des Steueramtes ab. Es begründete dies im Wesentlichen wie folgt:
- Gleichstellung mit Nutzniessung im Grundsatz: Die steuerliche Gleichstellung von faktischer und formeller Nutzniessung wird in der bundesgerichtlichen Praxis nicht ausgeschlossen (BGE 151 II 262 E. 5.1, betreffend ein Wohnrecht als nutzniessungsähnliches Recht). Die in den Kreisschreiben vorgesehene Möglichkeit, einen Begünstigten eines "Irrevocable Fixed Interest Trusts" einem Nutzniesser gleichzustellen, ist daher grundsätzlich mit der Rechtsprechung vereinbar. Bei solchen Trusts wird davon ausgegangen, dass das Kapital dem Begünstigten nie vollständig zufliessen wird; die Rechte sind ähnlich wie bei einer Nutzniessung, aber der Zugriff auf das Trustvermögen ist beschränkt (E. 6.1).
- Nicht-Bestimmbarkeit des Anteils und begrenzte Verfügungsmacht:
- Der entscheidende Punkt war, ob der Anteil des Pflichtigen am Trustvermögen bestimmbar war. Das Bundesgericht untersuchte Art. II der Trusturkunde. Gemäss diesem Wortlaut sind nicht nur der Pflichtige und dessen Bruder, sondern auch deren (allfällige) Nachkommen direkte Begünstigte ("Beneficiary and the Beneficiary's descendants").
- Die Trusturkunde sieht vor, dass Ausschüttungen für die Erhaltung der Gesundheit, des angemessenen Komforts, der Ausbildung oder zur Aufrechterhaltung der gewohnten Lebensführung erfolgen können, wobei die Höhe und das Ob der Ausschüttungen im Ermessen der Trustees liegt, solange sie dem Trustzweck entsprechen.
- Zudem haben die Begünstigten ab dem 30. Altersjahr das Recht, maximal 5% des Verkehrswerts des Trustvermögens jährlich zu entnehmen.
- Diese Ausgestaltung bedeutet, dass selbst eine hälftige Aufteilung des Gesamtvermögens des Trusts auf die separaten Trusts (für den Pflichtigen und seinen Bruder) keine je hälftige Zuordnung an den Pflichtigen und seinen Bruder erlaubt. Die tatsächliche Verfügungsmacht des Pflichtigen über einen bestimmten Anteil des Trustvermögens ist nicht gegeben. Der Trust war darauf ausgelegt, eine flexible Unterstützung der Söhne und ihrer Nachkommen zu gewährleisten, nicht eine fixe Zuordnung der Vermögenswerte (E. 6.3).
- Da der Pflichtige nur eine beschränkte Verfügungsmacht über einen Teil des Trustvermögens hat und insbesondere nicht über die Hälfte dieses Vermögens verfügen kann, rechtfertigt es sich nicht, ihn einem Nutzniesser gleichzustellen, dem der volle Genuss an der Hälfte des Trustvermögens zustünde (E. 6.3).
- Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit: Unter diesen konkreten Gegebenheiten trägt die Vermögensbesteuerung auf dem kapitalisierten Wert der Erträge der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Pflichtigen am besten Rechnung. Dies insbesondere dann, wenn der Anteil des Begünstigten am Trustvermögen nicht anteilsmässig bestimmbar ist (E. 6.2, 6.3).
- Abweisung der Beschwerdeführerargumente:
- Das Bundesgericht befand, dass die vorinstanzliche Herangehensweise weder unsachlich noch dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderlaufend sei. Die Gründe für die Kapitalisierung (fehlende Zurechenbarkeit einer bestimmbaren Quote, beschränkte Verfügungsbefugnis) seien sachlich nachvollziehbar (E. 6.4).
- Der Vorwurf, das Verwaltungsgericht habe gegen die eigene Praxis verstossen, wurde als unsubstanziiert zurückgewiesen.
- Der Einwand, ein ausländischer Trust dürfe keine steuerprivilegierte Vermögensbesteuerung ermöglichen, wurde damit entgegnet, dass die Schweiz Trusts anerkenne und deren Ausgestaltung, sofern kein Gestaltungsmissbrauch oder Steuerumgehung vorliegt (was hier unbestritten war), zu akzeptieren sei. Ein Verstoss gegen den Grundsatz der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit wurde ebenfalls verneint (E. 6.5).
5. Fazit
Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass die Vorinstanz mit ihrer Methode der vermögenssteuerrechtlichen Behandlung des Trustvermögens, nämlich der Zurechnung des kapitalisierten Werts des nutzniessungsähnlichen Rechts, kein übergeordnetes Bundesrecht verletzt hat. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht eine folgerichtige Anwendung der einschlägigen Prinzipien der Vermögensbesteuerung auf einen ausländischen Trust vorgenommen, welche der fehlenden Bestimmbarkeit eines konkreten Vermögensanteils des Begünstigten und seiner beschränkten Verfügungsmacht Rechnung trägt.
Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:
- Trust-Typ: Es handelt sich um einen "Irrevocable Fixed Interest Trust", dessen Begünstigte dem Nutzniesser für Steuerzwecke gleichgestellt werden können.
- Unbestimmter Anteil: Der Begünstigtenkreis umfasst nicht nur den Pflichtigen und seinen Bruder, sondern auch deren Nachkommen, und die Verfügungsmacht des Pflichtigen ist durch den Trustzweck und ein limitiertes Entnahmerecht (5% jährlich) beschränkt.
- Fehlende Bestimmbarkeit: Aufgrund des offenen Begünstigtenkreises und der begrenzten Verfügungsmacht ist dem Pflichtigen kein fester, anteilsmässig bestimmbarer Anteil am Trustvermögen zuzurechnen.
- Besteuerung nach Kapitalisierung: Um der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit am besten Rechnung zu tragen, ist in solchen Fällen die Besteuerung auf Basis des kapitalisierten Werts der Trusterträge die korrekte Methode.
- Gerichtsentscheid: Das Bundesgericht bestätigte die vorinstanzliche Anweisung zur Neuberechnung der Nachsteuern auf dieser Grundlage und wies die Beschwerde des kantonalen Steueramts ab.