Zusammenfassung von BGer-Urteil 4A_170/2024 vom 25. September 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des schweizerischen Bundesgerichts detailliert zusammen:

Bundesgericht, Urteil 4A_170/2024 vom 25. September 2025

Parteien: * Beschwerdeführer: A._, Zweiter Sekretär der Ständigen Mission der Islamischen Republik Pakistan in Genf (Diplomat/Arbeitgeber) * Beschwerdegegnerin: B._, philippinische Staatsangehörige (private Hausangestellte/Arbeitnehmerin)

Gegenstand: Zivilgerichtliche Immunität eines diplomatischen Vertreters; private Hausangestellte

Vorinstanzen: 1. Tribunal des prud'hommes des Kantons Genf (wies Immunitäts-Einrede des Arbeitgebers ab) 2. Chambre des prud'hommes der Cour de justice des Kantons Genf (bestätigte den erstinstanzlichen Entscheid)

I. Sachverhalt (kurzgefasst)

Der Beschwerdeführer, ein Diplomat der pakistanischen Mission in Genf, schloss am 1. April 2020 einen unbefristeten Arbeitsvertrag mit der Beschwerdegegnerin als private Hausangestellte. Der Vertrag unterstand schweizerischem Recht, insbesondere der Verordnung über die privaten Hausangestellten (ODPr). Am 20. Februar 2021 kündigte der Beschwerdeführer das Arbeitsverhältnis. Die Beschwerdegegnerin focht die Kündigung als missbräuchlich an und verlangte eine Entschädigung von CHF 16'548. Da der Beschwerdeführer seine diplomatische Immunität geltend machte, erschien er nicht zur Schlichtungsverhandlung. Die Beschwerdegegnerin reichte daraufhin Klage beim Genfer Arbeitsgericht ein und beantragte gleichzeitig beim Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA), gegebenenfalls eine Aufhebung der Immunität zu verlangen. Der Beschwerdeführer berief sich erneut auf seine Immunität. Die kantonalen Instanzen wiesen die Immunitäts-Einrede zurück und erklärten die Klage als zulässig. Dagegen erhebt der Beschwerdeführer Beschwerde in Zivilsachen beim Bundesgericht.

II. Verfahrensrechtliche Vorklärungen (Consid. 1)

Das Bundesgericht prüft zunächst die Zulässigkeit der Beschwerde. Es stellt fest, dass es sich um einen anfechtbaren Zwischenentscheid über die Zuständigkeit (Art. 92 BGG) handelt und der Streitwert im Arbeitsrecht (Art. 74 Abs. 1 lit. a BGG) erreicht ist. Die Beschwerdegegnerin machte geltend, der Beschwerdeführer habe mangels aktuellen praktischen Interesses (Art. 76 Abs. 1 lit. b BGG) keine Beschwerdelegitimation, da er die Schweiz verlassen und seine Immunität verloren habe. Das Bundesgericht verwarf dieses Argument mit der Begründung, es liege eine Verwechslung zwischen der Prozessvoraussetzung der Beschwerdelegitimation und der materiellen Voraussetzung der Klagezulässigkeit (fehlende Immunität) vor. Ein nach dem angefochtenen Entscheid eingetretener Umstand (Verlust der Immunität) mache die Beschwerde nicht gegenstandslos, da das Verfahren in den kantonalen Instanzen fortgesetzt werde. Die Beschwerde sei daher grundsätzlich zulässig.

III. Die zentrale Rechtsfrage: Umfang der Immunität eines diplomatischen Vertreters (Consid. 3 und 4)

Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 31 Abs. 1 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen (WÜD) sowie des Gaststaatgesetzes (LEH), da diese Bestimmungen die zivilgerichtliche Immunität des diplomatischen Vertreters in Arbeitsverhältnissen mit privaten Hausangestellten unzweideutig festlegten und keine Analogie zur Staatenimmunität zulassen würden.

Das Bundesgericht hält fest, dass der Beschwerdeführer als Diplomat Immunität gemäss WÜD (in Analogie über LEH anwendbar) geniesst. Die Beschwerdegegnerin war eine private Hausangestellte im Sinne von Art. 1 lit. h WÜD und Art. 2 ODPr.

Art. 31 Abs. 1 WÜD gewährt dem diplomatischen Vertreter die zivilrechtliche Immunität mit drei Ausnahmen: a) dingliche Klagen betreffend private unbewegliche Sachen im Empfangsstaat; b) Erbfolgeklagen, bei denen er als Privatperson beteiligt ist; c) Klagen betreffend jegliche berufliche oder gewerbliche Tätigkeit, die er im Empfangsstaat ausserhalb seiner amtlichen Funktionen ausübt.

Nach der bisherigen schweizerischen Auffassung (und explizit in Art. 41 ODPr verankert) wurde die Immunität des Diplomaten in Arbeitsverhältnissen mit privaten Hausangestellten als gegeben betrachtet, da diese nicht unter die Ausnahmen von Art. 31 Abs. 1 lit. a-c WÜD fielen. Art. 41 ODPr sah vor, dass der Entsendestaat die Immunität aufheben muss. Das Bundesgericht hatte sich in früheren Fällen (4A_618/2014, 4A_161/2023) nicht abschliessend zur Frage der Parallelität zwischen Staaten- und Diplomatenimmunität geäussert. Nun musste es die Relevanz dieser Parallelität unter Berücksichtigung eines potenziellen Konflikts zwischen Art. 31 Abs. 1 WÜD und dem Recht auf Zugang zum Gericht nach Art. 6 Abs. 1 EMRK prüfen.

IV. Rechtliche Argumentation des Bundesgerichts

1. EMRK und Staatenimmunität (Consid. 5) Das Bundesgericht rekapituliert die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 6 Abs. 1 EMRK. Dieser verbietet prozedurale Schranken, die den Zugang zu einem Gericht übermässig einschränken. Die Gewährung von Immunität verfolge zwar den legitimen Zweck, das Völkerrecht zu respektieren und gute Beziehungen zwischen Staaten zu fördern. Bei der Verhältnismässigkeitsprüfung habe der EGMR jedoch eine Erosion der absoluten Staatenimmunität festgestellt, insbesondere durch die UN-Konvention über die Immunität der Staaten und ihres Vermögens (CNUIJE). Art. 11 CNUIJE, der das Völkergewohnheitsrecht widerspiegelt, sieht vor, dass Staaten keine Immunität bei Arbeitsvertragsstreitigkeiten mit nachgeordnetem Personal (insbesondere Hausangestellten) beanspruchen können, sofern die Arbeitskraft Staatsangehörige des Gaststaates ist oder dort ihren ständigen Wohnsitz hat. Die schweizerische Praxis stimmt hiermit überein, indem sie zwischen jure imperii (hoheitliches Handeln) und jure gestionis (privatrechtliches Handeln) unterscheidet und bei letzterem (z.B. Anstellung von Hausangestellten mit ausreichender Binnenbeziehung) keine Immunität gewährt.

2. Übertragung auf Diplomatenimmunität und Interpretation von WÜD Art. 31 Abs. 1 lit. c (Consid. 6 und 7)

Das Bundesgericht stellt fest, dass auch die Immunität eines diplomatischen Vertreters eine prozedurale Schranke darstellt, die den Zugang zum Gericht beeinträchtigt. Der Zweck der diplomatischen Immunität ist die funktionale Notwendigkeit ("accomplissement efficace des fonctions des missions diplomatiques"), nicht ein Vorteil für Einzelpersonen (WÜD Präambel). Dieser Zweck ist legitim. Die Frage ist jedoch, ob die Immunität in Bezug auf Arbeitsverträge mit Hausangestellten im Verhältnis zum Zweck steht.

  • Auslegung nach Art. 31 Abs. 1 Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK): Ein Vertrag ist nach Treu und Glauben entsprechend der gewöhnlichen Bedeutung der Begriffe im Kontext und im Lichte von Ziel und Zweck auszulegen.
    • Wortlaut und Kontext (Consid. 7.3.1): Die Formel "welcher Art auch immer" (frz. "quelle qu'elle soit", engl. "any") in Art. 31 Abs. 1 lit. c WÜD spricht für eine weite Definition der kommerziellen Tätigkeit. Der Begriff "kommerziell" kann den wirtschaftlichen Austausch zwischen Privatpersonen umfassen, wozu auch Arbeitsverhältnisse gehören. Der Umfang der Hausangestelltendienste ist durchaus im kommerziellen Rahmen zu sehen. Zudem fordert Art. 31 Abs. 1 lit. c WÜD im Gegensatz zu Art. 42 WÜD (Verbot von Erwerbstätigkeit) nicht, dass die Tätigkeit "zum persönlichen Gewinn" ausgeübt werden muss. Das Engagement von Hausangestellten steht allenfalls nur indirekt im Zusammenhang mit den offiziellen Funktionen und kann nicht als solche betrachtet werden. Eine wörtliche Auslegung schliesst Arbeitsverhältnisse nicht von der Ausnahme aus.
    • Teleologische und systematische Auslegung (Verhältnismässigkeit) (Consid. 7.3.2):
      • Der Zweck der Ausnahme in Art. 31 Abs. 1 lit. c WÜD ist es, geschädigten Privatpersonen die Möglichkeit zu geben, Rechtsbehelfe zu erhalten, wenn der Diplomat das Recht verletzt hat. Es gibt keinen Grund, warum ein Geschäftspartner des Diplomaten besser geschützt sein sollte als eine Hausangestellte, die oft von Ausbeutung betroffen ist.
      • Das Bundesgericht sieht eine sinnvolle Analogie zur Staatenimmunität. Obwohl die beiden Immunitätstypen unterschiedliche Zwecke verfolgen, gehören sie zum selben Rechtssystem und berühren den Zugang zum Gericht (Art. 6 EMRK). Die diplomatische Immunität leitet sich letztlich von der Staatenimmunität ab.
      • Die Entwicklung des Völkergewohnheitsrechts seit 1961 (damals war Staatenimmunität bei Arbeitsverträgen absolut) hat eine restriktivere Auffassung der Staatenimmunität etabliert (Art. 11 CNUIJE, EGMR-Rechtsprechung). Ein Staat kann heute von einer Hausangestellten, die Staatsangehörige des Gaststaates ist oder dort ständig wohnt, verklagt werden. Dieses Recht trägt dem Schutzbedürfnis des Arbeitnehmers Rechnung.
      • Die Situation von Hausangestellten ist besonders prekär, wenn sie direkt von einem Diplomaten angestellt werden. Es wäre unverständlich und unbillig, wenn die Reichweite der zivilrechtlichen Immunität davon abhinge, ob die Hausangestellte für einen fremden Staat oder für einen dessen Vertreter arbeiteten. Der Entsendestaat könnte verklagt werden, aber der Diplomat, der denselben Staat repräsentiert, nicht, es sei denn, der Entsendestaat verzichtet auf die Immunität.
      • Bei der Interessenabwägung überwiegt das erhebliche Schutzbedürfnis der Hausangestellten das Interesse des diplomatischen Vertreters, nicht durch Klagen seiner Hausangestellten in seinen amtlichen Funktionen behindert zu werden.

V. Schlussfolgerung des Bundesgerichts (Consid. 8)

Diese Interessensabwägung spricht für eine restriktive Auslegung der zivilgerichtlichen Immunität von Diplomaten und folglich für eine extensive Auslegung der Ausnahme gemäss Art. 31 Abs. 1 lit. c WÜD. Diese Ausnahme muss Arbeitsverhältnisse mit Hausangestellten umfassen.

Daher hat die Vorinstanz zu Recht dem Beschwerdeführer das Privileg der Immunität verwehrt und die Klage der Beschwerdegegnerin für zulässig erklärt. Die Beschwerde wird abgewiesen.

VI. Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht hat in diesem Urteil seine bisherige Praxis zur zivilgerichtlichen Immunität von Diplomaten in Arbeitsverhältnissen mit privaten Hausangestellten grundlegend geändert. Es stützt sich auf eine völkerrechtskonforme Auslegung des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen (WÜD) unter Berücksichtigung des Rechts auf Zugang zum Gericht nach Art. 6 EMRK und der Entwicklung des Völkergewohnheitsrechts zur Staatenimmunität.

  1. Funktionale Notwendigkeit vs. Zugang zu Gericht: Die diplomatische Immunität dient der effektiven Aufgabenerfüllung der Mission und ist ein legitimer Zweck. Sie darf jedoch den Zugang zum Gericht nicht unverhältnismässig einschränken.
  2. Analogie zur Staatenimmunität: Das Bundesgericht zieht eine Analogie zur Staatenimmunität, bei der nach Völkergewohnheitsrecht (Art. 11 CNUIJE) und EGMR-Rechtsprechung keine Immunität für Staaten in Arbeitsvertragsstreitigkeiten mit nachgeordnetem Personal (insbesondere Hausangestellten) besteht, wenn eine ausreichende Binnenbeziehung zum Gaststaat besteht.
  3. Extensive Auslegung von Art. 31 Abs. 1 lit. c WÜD: Die Ausnahme der Immunität für "jegliche berufliche oder gewerbliche Tätigkeit [...] ausserhalb seiner amtlichen Funktionen" (Art. 31 Abs. 1 lit. c WÜD) ist extensiv auszulegen. Sie umfasst nun auch Arbeitsverhältnisse mit privaten Hausangestellten, da diese nicht direkt den offiziellen Funktionen des Diplomaten zuzurechnen sind und eine enge Binnenbeziehung zum Gaststaat aufweisen.
  4. Schutzbedürfnis der Hausangestellten: Das erhebliche Schutzbedürfnis der oft prekären Hausangestellten überwiegt das Interesse des Diplomaten, nicht durch Klagen behindert zu werden. Eine Ungleichbehandlung gegenüber direkt vom Staat angestellten Hausangestellten wäre unbillig und unverständlich.
  5. Folge: Diplomaten können sich in der Schweiz nicht mehr auf zivilgerichtliche Immunität berufen, wenn sie von einer privaten Hausangestellten, die ihren Wohnsitz im Gaststaat hat und nicht die Staatsangehörigkeit des Entsendestaates besitzt, wegen arbeitsrechtlicher Ansprüche verklagt werden. Die Klage der Hausangestellten ist somit zulässig.