Zusammenfassung von BGer-Urteil 6B_516/2025 vom 24. September 2025

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Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts (6B_516/2025)

Parteien: * Beschwerdeführer: A.__ (vertreten durch Me Patrice Keller, avocat) * Beschwerdegegner: Ministère public central du canton de Vaud

Gegenstand: Diskriminierung und Aufruf zu Hass (Art. 261bis Abs. 4 StGB); Willkürliche Sachverhaltsfeststellung (Art. 9 BV)

Vorinstanz: Cour d'appel pénale du Tribunal cantonal du canton de Vaud (Urteil vom 10. April 2025)

Datum des Bundesgerichtsurteils: 24. September 2025

Ergebnis: Die Beschwerde wird, soweit zulässig, abgewiesen.

I. Sachverhalt

Am 3. April 2024, um 12:08 Uhr, versandte der Beschwerdeführer A._ von seinem Wohnort aus eine E-Mail von seiner persönlichen Adresse an die allgemeine E-Mail-Adresse der Gemeinde W._ (info@W.__.ch). Diese Adresse war für eine unbestimmte Anzahl von Mitarbeitenden zugänglich. Der E-Mail-Inhalt, verfasst in deutscher Sprache und ins Französische übersetzt, lautete sinngemäss: "Der weit verbreitete Negerwahnsinn in allen weissen und ausschliesslich weissen Ländern ist einfach unerträglich. Wir verfügen nicht über einen Zauberboden, der diese Wilden in Europäer verwandelt. Die Neger sind extrem primitiv und gewalttätig. Asiaten haben enorm von der Kolonialisierung profitiert, sind aber auch viel intelligenter als Neger. (...) Die Verallgemeinerung der Negritude muss ein Ende haben und die Neger müssen zurückkehren. Es ist nicht unsere Aufgabe, diese Wilden zu behalten und zu unterhalten. Zum Teufel mit Globohomo und Multikulturalismus."

Die Gemeinde W._, vertreten durch ihren Präsidenten B._, erstattete am 3. Mai 2024 Anzeige.

II. Vorinstanzliche Beurteilung

Das Polizeigericht des Bezirks La Broye et du Nord vaudois verurteilte den Beschwerdeführer A.__ am 20. Dezember 2024 wegen Diskriminierung und Aufrufs zu Hass im Sinne von Art. 261bis Abs. 4 StGB. Es verhängte eine bedingte Geldstrafe von 60 Tagessätzen à 30 Franken (Probezeit von zwei Jahren) sowie eine unbedingte Busse von 300 Franken.

Das Kantonsgericht Waadt (Cour d'appel pénale) wies die Berufung des Beschwerdeführers am 10. April 2025 ab und bestätigte das erstinstanzliche Urteil. Es hielt fest, dass die Äusserungen des Beschwerdeführers, insbesondere die Gleichsetzung von "Negern" mit "Wilden" und die Beschreibung als "extrem primitiv und gewalttätig", die Menschenwürde dieser Personengruppe aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit verletzen. Die Adressierung der E-Mail an die allgemeine E-Mail-Adresse einer Gemeinde, zu der eine unbestimmte Anzahl von Personen Zugang hatte, wurde als "öffentlich" im Sinne der Strafnorm beurteilt. Die Argumentation des Beschwerdeführers, die Begriffe hätten eine andere Bedeutung oder seine Äusserungen seien persönliche Feststellungen, wurde als unbehelflich erachtet, da sie aus der Sicht eines Dritten eine klar pejorative Konnotation aufweisen. Der Vorsatz wurde bejaht, da der Beschwerdeführer seine Botschaft einer öffentlichen Behörde zukommen lassen wollte, um gehört zu werden.

III. Rügen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer bestritt im Wesentlichen die Erfüllung des objektiven Tatbestandsmerkmals der "Öffentlichkeit" sowie des subjektiven Tatbestands des Vorsatzes. Er rügte zudem eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung hinsichtlich der Anzahl der E-Mail-Empfänger und machte geltend, dass eine Ausdehnung der Strafbarkeit auf den Eventualvorsatz bei öffentlichen Äusserungen zu einer unzulässigen Verschärfung der Rechtsprechung führen würde, was er mit Art. 16 BV und Art. 10 EMRK begründete.

IV. Erwägungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht prüfte die Rügen des Beschwerdeführers im Detail:

1. Willkürliche Sachverhaltsfeststellung (Art. 9 BV) Der Beschwerdeführer beanstandete, die Vorinstanz habe willkürlich festgehalten, dass eine "grosse Anzahl von Angestellten" Zugang zur allgemeinen E-Mail-Adresse der Gemeinde W.__ gehabt habe. Das Bundesgericht hielt fest, dass es nicht als Appellationsinstanz die Tatsachen frei neu würdige, sondern an die Sachverhaltsfeststellungen gebunden sei, es sei denn, diese seien offensichtlich unhaltbar (Art. 97 Abs. 1, 105 Abs. 1 und 2 BGG). Im vorliegenden Fall erachtete das Bundesgericht die Formulierung "grosse Anzahl" zwar als etwas ungeschickt, sah aber darin keine Willkür. Es sei aus dem Urteil der Vorinstanz klar ersichtlich, dass sie das Kriterium der "unbestimmten Anzahl" von Personen für die rechtliche Qualifikation herangezogen habe. Die Präzisierung der Anzahl sei daher ohne Belang und der Vorwurf der Willkür unbegründet.

2. Diskriminierung und Aufruf zu Hass (Art. 261bis Abs. 4 StGB)

2.1. Schutzzweck und Tatbestandselemente: Das Bundesgericht erinnerte an den Zweck von Art. 261bis StGB, welcher die Menschenwürde, die Gleichheit zwischen den Menschen und indirekt den öffentlichen Frieden schützt (vgl. dazu ATF 150 IV 292 E. 1.2; ATF 149 IV 170 E. 1.1.1). Die Tatbestandsmerkmale erfordern eine Äusserung, die "öffentlich" erfolgt und eine Person oder eine Gruppe von Personen aufgrund ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung herabwürdigt oder diskriminiert.

2.2. Begriff der "Öffentlichkeit": Das zentrale Tatbestandselement "öffentlich" bedeutet, dass die Äusserung ausserhalb eines privaten Kreises erfolgen muss. Ein privater Kreis umfasst die Familie, den Freundeskreis, persönliche Beziehungen oder ein Umfeld, das von besonderem Vertrauen geprägt ist (vgl. ATF 143 IV 308 E. 5.1; ATF 130 IV 111 E. 5.2.2). Die Anzahl der anwesenden Personen kann dabei eine Rolle spielen, ist aber nicht allein ausschlaggebend; entscheidend ist vielmehr die Art des Beziehungsgeflechts.

Das Bundesgericht bestätigte die Würdigung der Vorinstanz: Die E-Mail an die allgemeine E-Mail-Adresse einer öffentlichen Behörde wie einer Gemeinde erfüllt das Kriterium der Öffentlichkeit. Der Beschwerdeführer kann sich nicht auf ein besonderes Vertrauensverhältnis berufen, da er weder die Identität der Empfänger noch die Mitarbeitenden der Gemeinde W.__ kannte. Ein solches Vertrauensverhältnis, wie es in ATF 126 IV 175 für eine Gruppe von sieben Personen bejaht wurde, ist im vorliegenden Fall, wo der Beschwerdeführer die Adressaten nicht kannte, ausgeschlossen. Das Bundesgericht wies die Argumente des Beschwerdeführers, wonach die Kommunikation "gezielt" gewesen sei, die Adressaten als Gemeindemitarbeitende eng miteinander verbunden seien, er geglaubt habe, nur eine Person würde davon Kenntnis nehmen, oder keine Gefahr der Weiterverbreitung bestanden habe, als unbehelflich zurück. Die Vorinstanz hat somit kein Bundesrecht verletzt, indem sie der Kommunikation öffentlichen Charakter zusprach.

2.3. Inhalt der Äusserungen: Die Vorinstanz hatte die Äusserungen des Beschwerdeführers (insbesondere die Begriffe "nègres", "sauvages", "primitifs" und "violents") als eindeutig herabwürdigend und diskriminierend beurteilt. Die Argumentation des Beschwerdeführers, die deutschen oder französischen Begriffe hätten eine andere Bedeutung oder seien nicht negativ konnotiert, wurde vom Bundesgericht als irrelevant erachtet, da diese aus der Sicht eines Dritten eine offensichtlich pejorative Bedeutung haben und die Menschenwürde einer rassisch definierten Gruppe verletzen. Der Beschwerdeführer hatte diesen Aspekt in seiner Beschwerde nicht substanziell bestritten.

2.4. Subjektiver Tatbestand (Vorsatz): Der Tatbestand ist vorsätzlich zu erfüllen, wobei Eventualvorsatz (dol éventuel) genügt (vgl. ATF 150 IV 292 E. 1.4; ATF 149 IV 170 E. 1.1.3). Direkter Vorsatz (dol direct) liegt vor, wenn der Täter die Verwirklichung des Tatbestands als gewiss oder höchst wahrscheinlich voraussieht und handelt, um dieses Ergebnis zu erzielen oder es in Kauf nimmt. Eventualvorsatz besteht, wenn der Täter die mögliche Verwirklichung des Tatbestands für möglich hält und sie im Falle ihrer Verwirklichung hinnimmt, auch wenn er sie nicht wünscht (Art. 12 Abs. 2 StGB).

Das Bundesgericht bejahte im vorliegenden Fall den direkten Vorsatz. Der Beschwerdeführer hatte gegenüber der Erstinstanz erklärt, er habe die Gemeinde kontaktiert, weil "eine Gruppe von Negerflüchtlingen die Polizei angegriffen hatte". Dies zeige, dass er seine Botschaft bewusst einer öffentlichen Behörde zur Kenntnis bringen wollte. Indem er die E-Mail an die Gemeinde als öffentliche Instanz und an die generische Adresse "info@W.__.ch" richtete, war er sich voll bewusst, dass seine Nachricht diese Behörde erreichen würde. Er hat die Verwirklichung des Resultats nicht nur in Kauf genommen, sondern ausdrücklich angestrebt. Das Argument des Beschwerdeführers, die Öffentlichkeit könne nicht mit Eventualvorsatz bejaht werden, und die diesbezügliche Doktrindiskussion sind daher im vorliegenden Fall unerheblich, da direkter Vorsatz vorlag.

2.5. Verfassungsrechtliche Rügen: Die Rügen des Beschwerdeführers bezüglich Art. 16 BV (Meinungsfreiheit) und Art. 10 EMRK (Recht auf freie Meinungsäusserung), wonach eine Ausdehnung der Strafbarkeit auf den Eventualvorsatz bei öffentlichen Äusserungen zu einer unzulässigen Verschärfung der Rechtsprechung führen würde, wurden als unzureichend begründet im Sinne von Art. 106 Abs. 2 BGG erachtet und daher nicht weiter behandelt.

3. Strafmass: Das Strafmass wurde vom Beschwerdeführer nicht angefochten und daher vom Bundesgericht nicht überprüft.

4. Schlussfolgerung: Aufgrund der vorstehenden Erwägungen wies das Bundesgericht die Beschwerde, soweit sie zulässig war, ab. Die Gerichtskosten wurden dem unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art. 65 Abs. 2, 66 Abs. 1 BGG).

V. Zusammenfassung der wesentlichen Punkte
  1. Strafbarkeit nach Art. 261bis Abs. 4 StGB: Der Beschwerdeführer wurde wegen Diskriminierung und Aufrufs zu Hass verurteilt, da seine rassistischen Äusserungen in einer E-Mail die Menschenwürde einer Personengruppe verletzten und zu Hass aufriefen.
  2. Begriff der "Öffentlichkeit": Das Bundesgericht bestätigte, dass das Senden einer E-Mail mit herabwürdigendem Inhalt an die allgemeine E-Mail-Adresse einer öffentlichen Gemeinde das Tatbestandsmerkmal der "Öffentlichkeit" erfüllt. Entscheidend ist, dass die Äusserung ausserhalb eines privaten Kreises (ohne persönliche Beziehungen oder besonderes Vertrauensverhältnis) an eine unbestimmte Anzahl von Personen gelangte.
  3. Bejahung des direkten Vorsatzes: Das Gericht stellte fest, dass der Beschwerdeführer mit direktem Vorsatz handelte. Er war sich bewusst, dass er mit dem Versand der E-Mail an eine Behörde seine Botschaft öffentlich machen wollte und nahm die Konsequenz der Verbreitung bewusst in Kauf bzw. zielte darauf ab. Eine Erörterung des Eventualvorsatzes und der diesbezüglichen Lehrmeinung war somit nicht erforderlich.
  4. Inhaltliche Bewertung der Äusserungen: Die herabwürdigenden und diskriminierenden Begriffe wie "Neger", "Wilde", "primitiv" und "gewalttätig", die sich auf eine rassisch definierte Gruppe bezogen, wurden als menschenwürdeverletzend qualifiziert.
  5. Rechtsprechungskontext: Das Bundesgericht grenzte den vorliegenden Fall von Fällen ab, in denen ein besonderes Vertrauensverhältnis innerhalb eines kleineren Kreises die Öffentlichkeit ausschliesst (wie in ATF 126 IV 175), und betonte die Bedeutung der Adressierung an eine unbestimmte Anzahl von Personen im Kontext einer öffentlichen Einrichtung.