Zusammenfassung von BGer-Urteil 1C_193/2025 vom 13. August 2025

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Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 1C_193/2025 vom 13. August 2025

Parteien: * Beschwerdeführer: A.__, ehemaliger Angestellter der SBB * Beschwerdegegner: Schweizerische Bundesbahnen (SBB)

Gegenstand: Staatshaftung des öffentlichen Arbeitgebers; Persönlichkeitsverletzung (Mobbing); Schadenersatz- und Genugtuungsanspruch.

Vorinstanz: Bundesverwaltungsgericht (BVGer), Abteilung I, Urteil vom 29. November 2024 (A-4538/2022).

I. Sachverhalt und Verfahrensgang

A._, Jahrgang 1958, trat 1986 in den Dienst der SBB und war ab 2006 als Teamleiter Cleaning tätig. Ab dem 21. Januar 2019 war er aufgrund schwerer depressiver Störungen zu 100% arbeitsunfähig. Im Mai 2019 informierte er seinen Gesundheitsmanager und später eine Sozialarbeiterin der SBB über Mobbing durch seine direkten Vorgesetzten B._ und C.__, die ihn mit unflätigen Worten und abfälligen Äusserungen zur Frühpensionierung drängen wollten.

Eine interne SBB-Untersuchung, die im Juli 2019 initiiert wurde, blieb zunächst ohne Ergebnis, da A._ seine Anschuldigungen nicht präzise dargelegt hatte. Im Oktober 2019 reichte A._ eine dreiseitige schriftliche Aussage ein, ergänzt durch die gemeinsame Bestätigung von sieben Kollegen.

Ab April 2020 war A._ erneut arbeitsunfähig. Die SBB versuchten, eine Wiedereingliederung in einem anderen Sektor oder an einer angepassten Stelle zu ermöglichen und schlugen die Prüfung einer Invalidenrente sowie eine Austrittsvereinbarung vor. A._ und seine Anwältin lehnten jedoch ab Oktober 2020 sämtliche Vorschläge der SBB, einschliesslich Gesprächsterminen und einer Austrittsvereinbarung mit medizinischer Pensionierung, vehement ab. Er beharrte auf seiner Entlassung, begründet damit, dass eine erneute Konfrontation mit SBB-Mitarbeitern ihn psychisch zurückwerfen würde. Seine Frau unterstützte diese Haltung und beschuldigte die SBB, den Gesamtarbeitsvertrag und die Gesetze nicht zu respektieren.

Am 5. Mai 2021 kündigte A.__ fristlos mit der Begründung, das erlittene Mobbing habe ihn ins Burnout geführt, und behielt sich Schadenersatzansprüche vor. Die SBB nahmen die Kündigung zur Kenntnis, verwiesen aber erneut auf die Möglichkeit einer medizinischen Pensionierung.

Am 19. August 2021 beantragte A._ bei den SBB eine formelle Entscheidung über das Vorliegen von Mobbing und seine Entschädigungsansprüche. Mit Entscheid vom 1. September 2022 verneinten die SBB das Vorliegen von Mobbing und einer Persönlichkeitsverletzung und damit jeglichen Anspruch auf Schadenersatz oder Genugtuung. Sie räumten ein, dass die Untersuchung von 2019 ein "ungeeignetes Management" mit unangebrachtem Humor gegenüber älteren Mitarbeitern seitens eines Vorgesetzten (B._) festgestellt habe, jedoch ohne spezifische Zielrichtung auf A.__.

Das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) stellte in seinem Urteil vom 29. November 2024 eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Beschwerdeführers durch die SBB fest, erachtete diese jedoch im weiteren Verfahren geheilt. Es bejahte, dass A.__ durch das Verhalten seines Vorgesetzten rechtswidrige Persönlichkeitsverletzungen erlitten hatte und die SBB ihre Fürsorgepflicht gemäss Art. 328 OR durch unzureichende Präventionsmassnahmen verletzt hatten. Dennoch verneinte das BVGer einen Anspruch auf Schadenersatz und Genugtuung, da der Beschwerdeführer in "sehr hohem Masse" selbst zum geltend gemachten Schaden beigetragen habe, indem er zumutbare Vorsichtsmassnahmen zur Abwendung oder Reduzierung des Schadens nicht ergriffen habe.

II. Erwägungen des Bundesgerichts
  1. Zulässigkeit der Beschwerde (Rz. 1.1-1.4): Die Beschwerde ist grundsätzlich als öffentlich-rechtliche Beschwerde zulässig. Das Bundesgericht stellt seine Zuständigkeit durch die I. öffentlich-rechtliche Abteilung fest, da der Rechtsstreit einen engen Zusammenhang mit dem öffentlichen Personalrecht der SBB aufweist (Art. 29 Abs. 1 lit. h RTF i.V.m. Art. 22 BGG und Art. 36 Abs. 1 RTF). Eine Erhöhung der im Bundesverwaltungsgericht geltend gemachten Schadenersatzsumme vor Bundesgericht wird gemäss Art. 99 Abs. 2 BGG als unzulässige neue Forderung beurteilt.

  2. Rüge der unrichtigen Sachverhaltsfeststellung (Art. 97 Abs. 1 BGG, Art. 9 BV) (Rz. 2.1-2.3): Der Beschwerdeführer rügte, das BVGer habe bestimmte Fakten bezüglich seiner psychischen Gesundheit nicht berücksichtigt. Das Bundesgericht weist diese Rüge zurück. Es stellt fest, dass die meisten der erwähnten Fakten im angefochtenen Urteil berücksichtigt wurden (z.B. Dienstalter, Deeskalation zu zweit, intolerables Verhalten der Vorgesetzten, Auswirkungen auf die Gesundheit). Andere Punkte, wie Zeugenaussagen über seine Qualitäten als Chef, seien irrelevant, da das Mobbing durch die Vorinstanz bereits anerkannt worden sei. Die Kritik an der Berücksichtigung privater/familiärer Schwierigkeiten als Ursache für seine psychische Gesundheit wird als Rechtsfrage und nicht als Sachverhaltsrüge betrachtet. Das Bundesgericht verneint eine offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellung.

  3. Haftung und Schadenersatz (Art. 3 und 4 Bundesgesetz über die Verantwortlichkeit des Bundes, der Mitglieder seiner Behörden und seiner Beamten [VG; SR 170.32]) (Rz. 3.1-3.4):

    • Grundlagen der Staatshaftung (Rz. 3.1): Das Bundesgericht bekräftigt, dass die SBB als unabhängige Institution der ordentlichen Verwaltung dem VG unterliegen (Art. 19 Abs. 1 VG). Sie haften primär, ausschliesslich und kausal für Schäden, die ihre Angestellten rechtswidrig im Dienst verursachen (Art. 3 Abs. 1 VG), ohne dass ein Verschulden des Schädigers nachgewiesen werden muss. Erforderlich sind: Widerrechtlichkeit, Schaden und ein natürlicher sowie adäquater Kausalzusammenhang.

      • Widerrechtlichkeit (Rz. 3.1.1): Das Bundesgericht bestätigt die Feststellung des BVGer, dass der Beschwerdeführer rechtswidrige Persönlichkeitsverletzungen durch das Verhalten seines direkten Vorgesetzten erlitten hat und die SBB ihre Fürsorgepflicht gemäss Art. 328 OR durch unzureichende Präventionsmassnahmen verletzt hat.
      • Kausalität (Rz. 3.1.2): Das Bundesgericht stützt die Ansicht des BVGer, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen dem mobbingähnlichen Verhalten der Vorgesetzten und den unzureichenden Massnahmen der SBB einerseits und der Arbeitsunfähigkeit des Beschwerdeführers andererseits nicht einfach verneint werden kann. Der Beschwerdeführer habe vor diesen Ereignissen unauffällig gearbeitet und keine psychiatrischen Vorerkrankungen gehabt.
      • Schaden (Rz. 3.1.3): Der Schaden wird als unfreiwillige Verminderung des Reinvermögens definiert, also die Differenz zwischen dem aktuellen Vermögen und dem hypothetischen Vermögen ohne das schädigende Ereignis.
      • Eigenverschulden (Art. 4 VG i.V.m. Art. 44 Abs. 1 OR) (Rz. 3.1.4): Art. 4 VG erlaubt die Reduzierung oder den vollständigen Ausschluss von Schadenersatz, wenn der Geschädigte in die Verletzung eingewilligt oder durch sein Verhalten zur Entstehung oder Vergrösserung des Schadens beigetragen hat. Ein schwerwiegendes Mitverschulden kann den Kausalzusammenhang unterbrechen.
    • Beurteilung des Mitverschuldens durch das Bundesgericht (Rz. 3.3-3.4): Das Bundesgericht bestätigt die Einschätzung des BVGer, wonach der Beschwerdeführer in "sehr hohem Masse" zum geltend gemachten Schaden beigetragen hat, indem er zumutbare Vorsichtsmassnahmen nicht ergriffen oder den Schaden nicht reduziert hat.

      • Begründung des BVGer (vom BG bestätigt): Der Beschwerdeführer habe eine obstruktive Haltung gegenüber allen Lösungsversuchen und Gesprächsangeboten der SBB eingenommen. Er habe sämtliche Vorschläge abgelehnt, eine Wiedereingliederung in einem anderen Sektor, eine angepasste Stelle oder eine Austrittsvereinbarung mit medizinischer Pensionierung zu prüfen. Er habe seine Kündigung eingereicht und nichts unternommen, um eine berufliche Zukunft zu sichern oder zumindest Gespräche mit seinem Arbeitgeber zu führen. Er habe auch die Pflichten gemäss Art. 125 Abs. 3 und 4 des GAV SBB 2019, die eine Förderung der Arbeitsaufnahme vorschreiben, nicht eingehalten.
      • Zurückweisung der Argumentation des Beschwerdeführers: Der Beschwerdeführer bestreitet sein Verschulden und behauptet eine Widersprüchlichkeit des BVGer-Urteils (späte Meldung vs. Kenntnis der SBB). Das Bundesgericht erachtet die Frage der späten Meldung als irrelevant, da die Entscheidung des BVGer auf anderen, für sich genommen ausreichenden Gründen (vehemente Ablehnung von Lösungsversuchen) beruht. Der Beschwerdeführer habe nicht nachgewiesen, dass das BVGer sein Ermessen missbraucht habe, indem es ein Mitverschulden gemäss Art. 4 VG angenommen hat.
      • Grad des Verschuldens: Das Bundesgericht billigt die Einschätzung des BVGer, dass das Mitverschulden des Beschwerdeführers so gravierend war, dass es den Kausalzusammenhang unterbrochen hat. Die Vielzahl der Verweigerungen des Beschwerdeführers, insbesondere die Kündigung und die Ablehnung jeglicher Gespräche über Wiedereingliederung oder eine Austrittsvereinbarung mit medizinischer Pensionierung, konnten das Verschulden des Arbeitgebers in den Hintergrund drängen, so dass es nicht mehr als adäquate Ursache des Schadens erschien. Die pauschalen und unbegründeten Schadenposten des Beschwerdeführers werden ebenfalls als unzureichend kritisiert. Das Bundesgericht verneint einen Ermessensmissbrauch des BVGer.
  4. Genugtuung (Art. 6 Abs. 2 VG) (Rz. 4.1-4.4):

    • Grundlagen der Genugtuung (Rz. 4.1): Für einen Genugtuungsanspruch gemäss Art. 6 Abs. 2 VG ist eine rechtswidrige, objektiv und subjektiv schwere Persönlichkeitsverletzung erforderlich, die nicht anderweitig ausgeglichen wurde, ein Kausalzusammenhang und ein Verschulden des Täters. Wie bei Art. 49 Abs. 1 OR hängt die Höhe der Genugtuung von der Schwere des Leidens, dem Verschulden des Täters und einem allfälligen Mitverschulden des Opfers ab.
    • Beurteilung des Bundesgerichts (Rz. 4.3-4.4): Das Bundesgericht bestätigt die Argumentation des BVGer, wonach kein Anspruch auf Genugtuung besteht.
      • Primäre Argumentation des BVGer: Die Persönlichkeitsverletzung sei objektiv und subjektiv nicht von ausreichender Schwere, um eine Genugtuung in Geld zu rechtfertigen.
      • Subsidiäre Argumentation des BVGer (vom BG bestätigt): Selbst wenn eine gewisse Schwere anzunehmen wäre, sei das erlittene Leid bereits durch die Anerkennung der rechtswidrigen Persönlichkeitsverletzung durch die SBB und die Zahlung von vier zusätzlichen Monatslöhnen (obwohl der Lohnanspruch erloschen war) ausreichend kompensiert worden. Eine weitergehende Genugtuung sei daher nicht geschuldet.
      • Zurückweisung der Argumentation des Beschwerdeführers: Der Beschwerdeführer, der die Schwere der Verletzung rügt und einen Vergleich mit einem anderen Fall zieht, wird zurückgewiesen, da er die Vergleichbarkeit der Fälle nicht darlegt. Seine Argumentation, Lohn könne keine Genugtuung sein, ist ebenfalls irrelevant, da der Betrag nicht als Lohn im eigentlichen Sinne, sondern als Kompensationszahlung nach Erlöschen des Lohnanspruchs geleistet wurde. Das Bundesgericht betont den weiten Ermessensspielraum des Richters bei der Beurteilung der Schwere der Persönlichkeitsverletzung und der anderweitigen Genugtuung. Es kommt zum Schluss, dass das BVGer Art. 6 Abs. 2 VG nicht verletzt hat.
III. Fazit

Die Beschwerde wird, soweit darauf eingetreten werden kann, abgewiesen. Der Beschwerdeführer trägt die Gerichtskosten.

IV. Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte
  • Rechtsgrundlage: Staatshaftungsrecht (VG), Fürsorgepflicht des Arbeitgebers (Art. 328 OR), Schadenersatz (Art. 3 VG), Genugtuung (Art. 6 VG), Eigenverschulden (Art. 4 VG i.V.m. Art. 44 OR und Art. 49 OR).
  • Festgestellte Widerrechtlichkeit: Das Bundesgericht bestätigt die Feststellung der Vorinstanz, dass der Beschwerdeführer durch seine Vorgesetzten rechtswidrige Persönlichkeitsverletzungen erlitten und die SBB ihre Fürsorgepflicht verletzt haben.
  • Schadenersatzanspruch verneint wegen hohem Eigenverschulden: Trotz der festgestellten Widerrechtlichkeit wird dem Beschwerdeführer kein Schadenersatz zugesprochen. Das Bundesgericht bestätigt die Einschätzung des BVGer, dass der Beschwerdeführer durch seine beharrliche Weigerung, an Lösungsversuchen der SBB mitzuwirken (Wiedereingliederung, angepasste Stelle, Austrittsvereinbarung, medizinische Pensionierung), in einem so hohen Mass zum Schaden beigetragen hat, dass dies den Kausalzusammenhang zwischen dem Mobbing/der Pflichtverletzung der SBB und dem geltend gemachten Schaden unterbrochen hat.
  • Genugtuungsanspruch verneint wegen anderweitiger Kompensation: Ein Genugtuungsanspruch wird ebenfalls abgelehnt. Das Bundesgericht stützt die subsidiäre Begründung des BVGer, wonach die Anerkennung der Persönlichkeitsverletzung und die Zahlung von vier zusätzlichen Monatslöhnen (obwohl der Lohnanspruch erloschen war) als ausreichende anderweitige Genugtuung gemäss Art. 6 Abs. 2 VG zu betrachten sind.
  • Ermessensspielraum: Das Bundesgericht bejaht, dass das BVGer seinen weiten Ermessensspielraum bei der Beurteilung des Eigenverschuldens und der anderweitigen Genugtuung nicht überschritten hat.