Zusammenfassung von BGer-Urteil 6B_685/2024 vom 29. August 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Gerne fasse ich das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts im Detail zusammen.

Bundesgericht, Urteil 6B_685/2024 vom 29. August 2025

1. Einleitung und Hintergrund

Der Beschwerdeführer A.__, ein serbischer Staatsangehöriger mit Familie in der Schweiz, wurde von den kantonalen Gerichten, dem Tribunal criminel de l'arrondissement de Lausanne (Urteil vom 14. August 2023) und der Cour d'appel pénale du Tribunal cantonal du canton de Vaud (Urteil vom 18. März 2024), wegen einer Reihe von Straftaten verurteilt. Dazu gehören insbesondere qualifizierter Raub, Hehlerei, Geldwäscherei, unbefugte Benutzung eines Motorfahrzeugs und eine schwere Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz (BetmG). Zudem wurde seine bedingte Entlassung widerrufen, eine Gesamtstrafe von neun Jahren Freiheitsstrafe verhängt und eine obligatorische Landesverweisung für 15 Jahre angeordnet.

A.__ reichte beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen ein. Er beantragte im Wesentlichen Freisprüche von den Anklagepunkten des qualifizierten Raubes, der Hehlerei, der Geldwäscherei, der unbefugten Benutzung eines Motorfahrzeugs und der schweren Widerhandlung gegen das BetmG. Subsidiär beantragte er, im Falle des Raubes lediglich wegen Gehilfenschaft verurteilt zu werden und die Landesverweisung auf fünf Jahre zu beschränken.

2. Kantonale Sachverhaltsfeststellungen (Kurzfassung)

Die Vorinstanz hielt im Wesentlichen folgende Sachverhalte fest:

  • Persönliche Verhältnisse: A.__, geboren 1985 in Serbien, kam im Jahr 2000 in die Schweiz. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Er hatte nur kurzzeitig eine legale Arbeit und hohe Schulden. Sein Strafregister weist hauptsächlich Verkehrsdelikte auf.
  • Betäubungsmittelhandel (2016-2020): A.__ war massgeblich an einem umfangreichen Drogenhandel beteiligt, hauptsächlich als Vermittler und Organisator von Transporten (Kokain, Ecstasy, Cannabis). Die Vorinstanz listete 12 konkrete Fälle auf, die eine minimale Menge von 53.48 Gramm reinem Kokain umfassen. Bei einer Hausdurchsuchung wurde eine Waage mit Drogenrückständen gefunden.
  • Geldwäscherei: Zwischen April 2019 und Juni 2020 transferierte A.__, direkt oder über Dritte, rund 10'109 CHF ins Ausland, die teilweise aus kriminellen Aktivitäten stammten, um deren Ursprung zu verschleiern.
  • Qualifizierter Raub (Juli 2019): A.__ war mit Mitgliedern der "Pink Panthers" an einem Raubüberfall auf eine Bijouterie in Lausanne beteiligt, bei dem Uhren und Schmuck im Wert von 392'110 CHF entwendet wurden. Er leistete entscheidende logistische Unterstützung bei der Vorbereitung (Ausspähungen, Unterkunft, Telefon, Beschaffung eines Fluchtfahrzeugs und Fahrräder) und bei der Ausführung (Bereitstellung eines Wagens als "Voiture ouvreuse", Exfiltration von Tätern/Beute). Er erhielt einen Teil der Beute.
  • Hehlerei: Im Juli 2020 bewahrte A.__ ein Portemonnaie, das aus einer Vermögensstraftat stammte, bei sich zu Hause auf, obwohl er die kriminelle Herkunft kannte oder zumindest annehmen musste.

3. Prüfung durch das Bundesgericht

Das Bundesgericht prüfte die Rügen des Beschwerdeführers bezüglich Willkür bei der Beweiswürdigung, Verletzung der Unschuldsvermutung, des Anklageprinzips und der Begründungspflicht.

3.1. Schwere Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz (LStup)

Der Beschwerdeführer rügte Willkür bei der Beweiswürdigung und die Verletzung des Grundsatzes in dubio pro reo.

  • Formelle Rüge (Art. 398 Abs. 3 lit. b StPO): Das Bundesgericht stellte fest, dass die Vorinstanz zwar fälschlicherweise die bundesgerichtlichen Willkür-Standards für die Prüfung der Unschuldsvermutung zitierte, ihre Prüfung der Fakten jedoch tatsächlich umfassend war. Die Rüge wurde daher abgewiesen.
  • Materielle Rügen:
    • Fall 1.1 (Vermittlung H._/F._): Die Vorinstanz hatte festgestellt, dass A._ den Kontakt von F._ an H._ weitergab, obwohl er wusste, dass H._ im Drogenhandel aktiv war und von diesem Drogenhandel profitierten würde. A._s Einwand, er habe dies nicht gewusst, wurde aufgrund früherer Kontakte im Gefängnis und einer verdächtigen Geldüberweisung an H._ als nicht glaubwürdig erachtet. Das Bundesgericht bestätigte dies.
    • Fall 1.2 (Erwerb von 60g Kokain 2016-2018): Die Vorinstanz sah die Menge nicht als reine Konsummenge an und stützte sich auf die allgemeine Drogenaktivität von A.__. Das Bundesgericht rügte hier Willkür: Die als Belege herangezogenen Beweismittel (Waage, Telefonabhörungen) stammten aus einer viel späteren Zeit (2019/2020) und konnten die Drogenaktivität von 2016-2018 nicht belegen. Ein Polizeibericht sprach zudem von Eigenkonsum. Die Menge über drei Jahre verteilt war für einen regelmässigen Konsumenten nicht per se zu hoch, um auf Handel zu schliessen. Das Bundesgericht hiess diese Rüge gut.
    • Fall 1.3 (Besitz von 5 kg Marihuana): Die Vorinstanz stützte sich auf die glaubwürdigen Aussagen eines Zeugen, dem A._ direkt seine Absicht zum Verkauf von 5 kg Cannabis mitteilte. Die Einwände des Beschwerdeführers, er sei "betrunken" gewesen und habe "spässen" wollen, wurden als unglaubwürdig erachtet. Das Bundesgericht bestätigte dies und wies die Rüge, es handle sich um Hörensagen, ab, da die Aussagen des Zeugen auf direkten Gesprächen mit A._ beruhten.
    • Fall 1.4 (Erwerb von 16 Kokain-Kügelchen von I.__): Die Vorinstanz ging von teilweiser Weiterverkaufsabsicht aus. Das Bundesgericht rügte hier ebenfalls Willkür: Obwohl A.__ grundsätzlich im Drogenhandel aktiv war, reichte dies allein nicht aus, um bei diesen Mengen (1-2 Kügelchen pro Erwerb, geringere Mengen als in anderen Fällen) auf Weiterverkauf zu schliessen. Der Beschwerdeführer war starker Konsument (2-3x pro Woche), die Preise entsprachen Konsumentenpreisen, und der Polizeibericht sprach ebenfalls von Eigenkonsum. Die Vorinstanz ignorierte relevante Beweismittel. Das Bundesgericht hiess diese Rüge gut.
    • Weitere Fälle (1.5 - 1.12): Für die übrigen Fälle des Betäubungsmittelhandels (u.a. Erwerb von 10 oder 20g Kokain mit F.__, 60g Kokain von Genfer Lieferanten, diverse Cannabis-Transporte und -Verkäufe, Vermittlung für den Erwerb von mehreren kg Cannabis aus Italien) wies das Bundesgericht die appellatorischen Rügen des Beschwerdeführers ab. Die kantonalen Feststellungen, die auf Telefonüberwachungen, Beobachtungen und Zeugenaussagen basierten und auf A.__s umfassende Drogenaktivitäten hinwiesen, wurden als nicht willkürlich bestätigt.

3.2. Qualifizierter Raub

Der Beschwerdeführer rügte eine Verletzung des Anklageprinzips sowie der Abgrenzung zwischen Mittäterschaft und Gehilfenschaft.

  • Anklageprinzip (Art. 9, 325 StPO): Der Beschwerdeführer behauptete, die Anklageschrift erwähne nicht explizit die Bereitstellung von Waffen, seine Beteiligung an den Ausspähungen oder den Erhalt eines Teils der Beute. Das Bundesgericht verneinte eine Verletzung. Die Anklageschrift beschrieb detailliert, dass A.__ entscheidend an der Vorbereitung des Raubes (Ausspähungen, logistische Unterstützung) und an der Ausführung mitwirkte, eine Schusswaffe verwendet wurde und er einen Teil der Beute erhielt. Die systematische Bezugnahme auf Beweismittel in der Anklageschrift gewährleistete, dass der Beschwerdeführer die Vorwürfe verstand und sich verteidigen konnte.
  • Willkürliche Sachverhaltsfeststellung: Die Rügen bezüglich seiner Beteiligung an den Ausspähungen, der Bereitstellung der Waffe (Internetsuchen, Gespräche über "zwei Waffen"), der Fahrräder (DNA auf Schlössern, Internetsuchen nach "Velo zu verschenken") und des Anteils an der Beute (Nachrichten mit seiner Ehefrau) wies das Bundesgericht als appellatorisch zurück. Die Beweiswürdigung der Vorinstanz, die sich auf ein Bündel konvergenter Indizien stützte, war nicht willkürlich.
  • Mittäterschaft (Art. 25 StGB) vs. Gehilfenschaft (Art. 25 StGB): Der Beschwerdeführer argumentierte, seine Handlungen fielen weder unter Mittäterschaft noch unter Gehilfenschaft und seine Beteiligung sei nicht zum Tatzeitpunkt erfolgt. Das Bundesgericht bestätigte die Mittäterschaft. A.__s Beitrag war entscheidend und unerlässlich für die Durchführung des Raubes. Er war in die Ausspähungen involviert, beherbergte Komplizen, definierte Rollen, stellte die Tatwaffe, die Fluchtfahrräder und das Fluchtfahrzeug (mit seiner Rolle als "Voiture ouvreuse") bereit und unterstützte die Exfiltration der Täter und Beute. Dies deutete auf einen gemeinsamen Tatentschluss hin und machte ihn zu einem Hauptbeteiligten, auch wenn er nicht direkt in die Bijouterie eindrang. Die Würdigung der Vorinstanz als Mittäter war rechtlich korrekt.

3.3. Unbefugte Benutzung eines Motorfahrzeugs (Art. 94 Abs. 1 lit. b SVG)

Der Beschwerdeführer bestritt seine Verurteilung wegen unbefugter Benutzung eines Fahrzeugs (gestohlener Renault Scénic).

  • Anklageprinzip: Der Beschwerdeführer behauptete, die Anklage erwähne den "Diebstahl" des Fahrzeugs nicht. Das Bundesgericht widersprach und wies auf Ziff. 4.7 der Anklageschrift hin, die klar festhielt, dass A.__ und seine Komplizen ein gestohlenes Fahrzeug erhielten, fuhren und/oder darin Platz nahmen, und A.__s Rolle als "Voiture ouvreuse" beschrieb.
  • Willkürliche Sachverhaltsfeststellung: A.__ bestritt, Urheber des Fahrzeugdiebstahls gewesen zu sein. Das Bundesgericht stellte klar, dass er wegen Art. 94 Abs. 1 lit. b SVG verurteilt wurde (Fahren oder Mitfahren in einem gestohlenen Fahrzeug), nicht wegen Diebstahls (lit. a). Seine Rolle als Mittäter der unbefugten Benutzung war durch die Beweismittel (Telefonortung, Funktion als "Voiture ouvreuse", Grenzübergang) ausreichend belegt.
  • Verletzung von Art. 94 Abs. 1 lit. b SVG: Die Rüge, er sei weder gefahren noch mitgefahren, wies das Bundesgericht ab. Die konvergenten Elemente zeigten seine Beteiligung an der Überführung und Nutzung des gestohlenen Fahrzeugs, was für die Mittäterschaft ausreicht.
  • Fehlende Zuständigkeit der Schweizer Behörden (Art. 3 und 8 StGB): Der Beschwerdeführer argumentierte, der Diebstahl sei in Frankreich begangen worden. Das Bundesgericht verneinte dies. Da das gestohlene Fahrzeug von mindestens einem der Mittäter auf Schweizer Territorium eingeführt und in Lausanne zur Flucht nach dem Raub verwendet wurde, bestand ein ausreichender Bezug zur Schweiz, der die Zuständigkeit der Schweizer Gerichte nach den Prinzipien der Mittäterschaft begründete.

3.4. Geldwäscherei (Art. 305bis Ziff. 1 StGB)

Der Beschwerdeführer rügte willkürliche Sachverhaltsfeststellung.

  • Die Rügen, wonach seine eigenen Geldtransfers nicht aus kriminellen Aktivitäten stammten, die Angaben seiner Ehefrau zum Einkommen ignoriert wurden und die transferierten Beträge zu gering seien, wies das Bundesgericht als appellatorisch zurück. Die Vorinstanz hatte schlüssig dargelegt, dass A.__ angesichts seiner fehlenden legalen Einkommensquellen, der bescheidenen finanziellen Verhältnisse seiner Familie und seiner Drogenhandelsaktivitäten keine legalen Mittel für die Geldtransfers (über 10'000 CHF) hatte. Die Verschleierung der Herkunft, oft über Dritte oder an polizeibekannte Personen, war klar ersichtlich.

3.5. Hehlerei (Art. 160 Ziff. 1 Abs. 1 StGB)

Der Beschwerdeführer bestritt seine Verurteilung wegen Hehlerei.

  • Willkürliche Sachverhaltsfeststellung (Wissen um kriminelle Herkunft): Die Rüge, er habe nicht wissen können, dass das Portemonnaie gestohlen war, wies das Bundesgericht als appellatorisch zurück. Angesichts der Vorstrafen und kriminellen Aktivitäten seines Bekannten O._ (der das Portemonnaie bei ihm deponierte) konnte die Vorinstanz willkürfrei annehmen, dass A._ die deliktische Herkunft zumindest annehmen musste (dolus eventualis). Sein aktives Verstecken im Kinderzimmer deutete auf Verdeckungsabsicht hin.
  • Anwendung von Art. 172ter StGB (Geringfügigkeit): Der Beschwerdeführer rügte, die Vorinstanz habe die Anwendung von Art. 172ter StGB (Vermögensdelikte von geringem Wert) nicht begründet. Das Bundesgericht hiess diese Rüge gut. Die Vorinstanz hatte die Anwendung dieser Bestimmung ohne Begründung ausgeschlossen und keine Feststellungen zum Wert des Portemonnaies oder zur Absicht des Beschwerdeführers bezüglich dessen Wert getroffen. Dies stellt eine Verletzung der Begründungspflicht dar. Die Sache wurde zur Ergänzung des Sachverhalts und zur Prüfung der Geringfügigkeit zurückgewiesen.

3.6. Ausweisung (Expulsion)

Der Beschwerdeführer rügte eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV).

  • Der Beschwerdeführer hatte die gegen ihn angeordnete Landesverweisung von 15 Jahren in seiner Appellation angefochten. Die kantonale Vorinstanz bestätigte die Landesverweisung in ihrem Dispositiv, liess die Begründung zu diesem Punkt jedoch vollständig weg. Das Bundesgericht hiess diese Rüge gut. Die fehlende Begründung zur Landesverweisung stellte eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar. Die Sache wurde zur neuen Entscheidung und Begründung der Landesverweisung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

4. Fazit und Gesamtentscheid

Das Bundesgericht hat die Beschwerde teilweise gutgeheissen.

  • Es bestätigte die Verurteilungen wegen qualifizierten Raubes, Geldwäscherei, unbefugter Benutzung eines Motorfahrzeugs und der meisten Fälle der schweren Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz.
  • Es rügte Willkür bei der Feststellung der Weiterverkaufsabsicht in zwei spezifischen Fällen des Betäubungsmittelhandels (Fall 1.2 und 1.4).
  • Es rügte die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und die unzureichende Begründung bezüglich der Anwendung von Art. 172ter StGB bei der Hehlerei.
  • Es rügte die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aufgrund der fehlenden Begründung der Landesverweisung.

Das Urteil der Vorinstanz wurde daher teilweise aufgehoben und zur Neubeurteilung an die kantonale Vorinstanz zurückgewiesen, um die Sachverhaltsfeststellungen zu den Fällen 1.2 und 1.4 des Betäubungsmittelhandels zu korrigieren, die Frage der Geringfügigkeit bei der Hehlerei zu prüfen und die Landesverweisung zu begründen.

Die teilweise Gutheissung führte zu einer teilweisen Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und reduzierten Gerichtskosten für den Beschwerdeführer, wobei der Rest der Gesuche abgewiesen wurde, da die übrigen Rügen keine Aussicht auf Erfolg hatten.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht hat die Verurteilung wegen qualifizierten Raubes, Geldwäscherei und unbefugter Benutzung eines Motorfahrzeugs bestätigt, wobei es die Rolle des Beschwerdeführers als Mittäter aufgrund seiner zentralen logistischen Unterstützung anerkannte. Im Bereich der schweren Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz hob es zwei Verurteilungen wegen Willkür bei der Beweiswürdigung bezüglich der Weiterverkaufsabsicht auf. Weiter rügte das Bundesgericht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs und wies die Sache an die Vorinstanz zurück, um die Anwendung des Geringfügigkeitsprinzips bei der Hehlerei zu prüfen und die Landesverweisung zu begründen, da diese Punkte von der kantonalen Vorinstanz unzureichend behandelt wurden. Die Beschwerde wurde somit teilweise gutgeheissen und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.