Zusammenfassung von BGer-Urteil 7B_949/2024 vom 16. September 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des schweizerischen Bundesgerichts im Detail zusammen:

Detaillierte Zusammenfassung des Bundesgerichtsurteils 7B_949/2024, 7B_974/2024 vom 16. September 2025

1. Einleitung und Verfahrensgegenstand Das vorliegende Urteil des Bundesgerichts (II. strafrechtliche Abteilung) behandelt zwei vereinigte Beschwerden in Strafsachen (7B_949/2024 und 7B_974/2024) gegen einen Beschluss der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts vom 9. August 2024. Gegenstand des Verfahrens ist die Entsiegelung von Bankunterlagen im Rahmen einer besonderen Steueruntersuchung der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV).

Parteien sind einerseits die ESTV als Beschwerdeführerin im Verfahren 7B_949/2024 und Beschwerdegegnerin im Verfahren 7B_974/2024, und andererseits A.A., B.A., die C._ AG, die D._ AG, E.A. und F.A. (nachfolgend kollektiv "Gesuchsgegner" oder "Beschwerdeführer der Gegenpartei" genannt), die umgekehrt Beschwerdegegner im Verfahren 7B_949/2024 und Beschwerdeführer im Verfahren 7B_974/2024 sind.

2. Sachverhalt und Vorinstanzliches Verfahren Die ESTV eröffnete am 28. Juni 2021 eine besondere Steueruntersuchung (gemäss Art. 190 ff. DBG) gegen die G.__ Inc, A.A. und B.A. wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung (Art. 175 f. DBG) bzw. Anstiftung/Gehilfenschaft (Art. 177 i.V.m. Art. 181 DBG) für die Steuerperioden 2016-2020. Zudem lief eine Untersuchung gegen A.A. und B.A. wegen fortgesetzter Hinterziehung grosser Einkommenssteuerbeträge für die Perioden 2012-2015.

Im Rahmen dieser Untersuchung forderte die ESTV am 10. November 2021 von verschiedenen Finanzinstituten (Bank H._, Bank I._, Bank J.__) Unterlagen zu Konten, die für A.A. (als Vertragspartner, wirtschaftlich Berechtigter oder Zeichnungsberechtigter) von 2012 bis 2015 geführt wurden. Die Banken reichten die Unterlagen in Papierform oder elektronisch (auf USB-Stick, via PrivaSphere) ein.

Nachdem A.A. und andere von den Editionsbegehren erfahren hatten, erhoben sie am 19. November 2021 Einsprache gegen die Durchsuchung der edierten Unterlagen. Die ESTV verneinte zwar ihre Siegelungsberechtigung, versiegelte die Unterlagen (Papierunterlagen physisch, elektronisch eingereichte Daten auf einem kopierten Datenstick) jedoch provisorisch, bis über die Einspracheberechtigung rechtskräftig entschieden würde.

Ein früheres Bundesgerichtsurteil (7B_99/2022 vom 28. September 2023) hob einen gegenteiligen Beschluss des Bundesstrafgerichts auf und stellte fest, dass A.A., B.A. und die beteiligten Gesellschaften zur Einsprache grundsätzlich berechtigt seien und ein förmliches Entsiegelungsverfahren einzuleiten sei, an dem sie als Parteien zu beteiligen seien.

Daraufhin reichte die ESTV am 6. November 2023 ein Entsiegelungsgesuch bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts ein. Die Gesuchsgegner stellten Anträge auf Abweisung des Gesuchs, Herausgabe der versiegelten Unterlagen und Löschung allfälliger Kopien, eventuell auf Aussonderung bestimmter Daten oder Schwärzung von Transaktionsnachweisen. Während des Verfahrens wurden auch E.A. und F.A. (Ehefrau und Tochter von A.A.) als Gesuchsgegner in das Verfahren aufgenommen, da auch ihre Konten betroffen waren und sie ebenfalls Einsprache erhoben hatten.

Die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts hiess das Entsiegelungsgesuch am 9. August 2024 teilweise gut und ordnete die Herausgabe bestimmter Unterlagen an die ESTV an, wies das Gesuch aber hinsichtlich anderer Unterlagen ab. Insbesondere ordnete sie an, dass der Doppel des Datensticks mit den von der Bank J.__ elektronisch eingereichten Daten, die nicht herausgegeben werden sollten, versiegelt an die ESTV zurückzugeben sei und die ESTV allfällige Kopien davon zu löschen habe.

3. Streitpunkte vor Bundesgericht

  • Beschwerde der ESTV (7B_949/2024): Die ESTV rügte, die Vorinstanz habe Bundesrecht verletzt, indem sie den Zugriff auf die von der Bank J.__ elektronisch edierten Bankunterlagen als unzulässig erachtete und das Entsiegelungsgesuch diesbezüglich abwies. Sie beantragte die Aufhebung der entsprechenden Dispositiv-Ziffern und die Rückweisung an die Vorinstanz zur Prüfung der materiellen Zulässigkeit oder eventualiter die direkte Gutheissung der Entsiegelung.
  • Beschwerde der Gesuchsgegner (7B_974/2024): A.A. und andere beantragten die Aufhebung der Gutheissung des Entsiegelungsgesuchs, die Abweisung des Entsiegelungsgesuchs der ESTV, die versiegelte Herausgabe der edierten "Daten" der Banken H._ und I._ sowie die Entfernung und Vernichtung allfälliger Kopien. Eventualiter verlangten sie die Schwärzung von Transaktionsnachweisen, die nicht A.A. oder spezifische Gesellschaften betrafen.

4. Erwägungen des Bundesgerichts

4.1. Zulässigkeit der Beschwerden (E. 2) Das Bundesgericht prüfte zunächst die Zulässigkeit der beiden Beschwerden: * ESTV: Als untersuchende Behörde ist die ESTV analog der Staatsanwaltschaft zur Beschwerde gegen die (teilweise) Ablehnung ihres Entsiegelungsantrags legitimiert (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 7 BGG i.V.m. Urteil 7B_515/2024 vom 3. April 2025). Die Beschwerde ist als Zwischenentscheid gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG zulässig, da die ESTV einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil (drohender empfindlicher Beweisverlust für die Aufklärung des Tatverdachts) schlüssig dargelegt hat. * A.A. und B.A.: Für A.A. und B.A. handelt es sich um einen Zwischenentscheid. Sie haben jedoch keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG dargelegt, da die blosse Behauptung, die Abweisung diene "dem Schutze ihrer Geheimhaltungsinteressen", nicht ausreicht. Daher wurde die Beschwerde, soweit sie A.A. und B.A. betrifft, als unzulässig erachtet. * C._ AG, D._ AG, E.A. und F.A.: Diese Gesellschaften und Personen sind nicht Partei des Verwaltungsstrafverfahrens. Für sie stellt der angefochtene Entscheid, soweit er sie betrifft, einen anfechtbaren Teilentscheid dar (Art. 91 lit. b BGG). Ihre Beschwerde wurde diesbezüglich zugelassen. * Präzisierung des ESTV-Antrags: Das Bundesgericht stellte klar, dass der Antrag der ESTV, die Vorinstanz solle die Sache "in der Sache prüfen", so zu verstehen ist, dass die Vorinstanz zu prüfen habe, ob schutzwürdige Geheimnisinteressen einer Entsiegelung entgegenstehen, da die Vorinstanz das Gesuch materiell geprüft hatte, es aber aufgrund eines von ihr angenommenen formellen Mangels teilweise abgewiesen hatte.

4.2. Rechtliche Grundlagen der Entsiegelung (E. 3.2) Das Verfahren bei schweren Steuerwiderhandlungen richtet sich nach Art. 191 Abs. 1 DBG nach dem Verwaltungsstrafrecht (VStrR, Art. 19-50). Wo das VStrR einzelne Fragen nicht abschliessend regelt, sind die Bestimmungen der StPO grundsätzlich analog anwendbar (BGE 139 IV 246 E. 1.2), insbesondere Art. 246 ff. StPO zur Durchsuchung von Aufzeichnungen. Art. 50 Abs. 1 VStrR schreibt vor, dass "Papiere" (was auch elektronische Datenträger umfasst) mit grösster Schonung der Privatgeheimnisse zu durchsuchen sind, und nur, wenn anzunehmen ist, dass sich bedeutsame "Schriften" darunter befinden. Bei Einsprache gegen die Durchsuchung werden die Datenträger versiegelt und die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts entscheidet materiell über die Zulässigkeit der Durchsuchung (Art. 50 Abs. 3 i.V.m. Art. 25 Abs. 1 VStrR).

4.3. Zur Beschwerde der ESTV (7B_949/2024) – Handhabung der J.__ Bankdaten (E. 4) * Vorinstanzliche Begründung: Die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts hatte den Zugriff auf die von der Bank J.__ elektronisch edierten Daten als unzulässig erachtet. Sie begründete dies damit, dass die ESTV die via PrivaSphere erhaltenen Bankdaten auf einen USB-Stick kopiert hatte. Dieses Vorgehen schaffe die Möglichkeit einer verfrühten Kenntnisnahme und stelle gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 148 IV 221) einen schweren, nicht heilbaren Verfahrensmangel dar, der zur Abweisung des Entsiegelungsgesuchs führen müsse. * Bundesgerichtliche Korrektur: Das Bundesgericht verweist auf ein kürzlich zur amtlichen Publikation bestimmtes Urteil (7B_515/2024 vom 3. April 2025). In diesem Urteil wurde klargestellt, dass es nicht zu beanstanden ist, wenn eine Untersuchungsbehörde elektronisch übermittelte Daten auf einem Datenstick abspeichert, um einem Siegelungsantrag zu entsprechen. Das Kopieren bzw. Abspeichern sei Teil der Sicherstellung und nicht ein Kopieren bereits sichergestellter Daten. Eine theoretische Möglichkeit der vorzeitigen Kenntnisnahme lasse sich dabei ebenso wenig vermeiden wie bei physischen Unterlagen. Ein schwerer Verfahrensmangel liege in einem solchen Vorgehen nicht vor. * Fazit: Die Beschwerde der ESTV ist begründet. Da es nicht in der Kompetenz des Bundesgerichts liegt, als erste Instanz über das Vorliegen schutzwürdiger Geheimnisinteressen oder sonstige materielle Entsiegelungshindernisse zu entscheiden, wird die Sache zur materiellen Beurteilung (Prüfung der Geheimnisinteressen) an die Vorinstanz zurückgewiesen. Das Bundesgericht hielt zudem fest, dass die ESTV die edierten Originaldaten nach erfolgter Sicherung und Siegelung unverzüglich zu löschen hat.

4.4. Zur Beschwerde der Gesuchsgegner (7B_974/2024) – Gegen die Gutheissung der Entsiegelung (E. 5) Die Beschwerde der Gesuchsgegner (C._ AG, D._ AG, E.A., F.A.) wurde in allen Punkten abgewiesen: * Fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung (E. 5.2): Die Gesuchsgegner behaupteten, die Rechtsmittelbelehrung auf den Editionsverfügungen sei "offensichtlich falsch und irreführend" gewesen, da sie nur der Bank ein Einspracherecht zugesprochen habe, und dies zur Unverwertbarkeit der Beweismittel führen müsse. Das Bundesgericht bestätigte die Vorinstanz, wonach keine offensichtliche Unverwertbarkeit vorliege. Eine Täuschung im Sinne von Art. 140 Abs. 1 StPO setze Absicht voraus. Die Rechtsmittelbelehrung sei an die Bank gerichtet gewesen und die Gesuchsgegner seien anwaltlich vertreten gewesen, sodass ihre Handlungen nicht auf einem Irrtum beruhten. Die ESTV habe zudem argumentiert, die Rechtslage sei damals unklar gewesen. Die Gesuchsgegner hätten eine absichtliche Täuschung nicht hinreichend dargelegt. * Verstoss gegen das Beschleunigungsverbot (E. 5.3): Die Gesuchsgegner rügten, die Einreichung des Entsiegelungsgesuchs 23 Monate nach der Einsprache sei unverhältnismässig und verstosse gegen das Beschleunigungsverbot, was zur Aufhebung der Beschlagnahme führen müsse. Das Bundesgericht wies dies zurück. Die Verzögerung sei auf das vorgängige Rechtsmittelverfahren vor Bundesgericht (7B_99/2022) zur Klärung der Siegelungsberechtigung zurückzuführen. Nach Zustellung des Bundesgerichtsurteils (Mitte Oktober 2023) sei das Entsiegelungsgesuch der ESTV am 6. November 2023 fristgerecht eingereicht worden. Die 20-tägige Frist für Entsiegelungsgesuche gemäss Art. 248 Abs. 3 StPO finde im Verwaltungsstrafverfahren keine Anwendung. * Unverhältnismässigkeit der Edition / Beweisausforschung (E. 5.4): Die Gesuchsgegner machten geltend, die vollständige Edition sei unverhältnismässig und komme einer "Beweisausforschung" gleich. Das Bundesgericht stützte die vorinstanzliche Feststellung eines hinreichenden Tatverdachts gegen A.A. und B.A. wegen Steuerhinterziehung und Anstiftung/Gehilfenschaft. Es sei schlüssig, dass die edierten Bankunterlagen, auch jene von nicht beschuldigten, aber nahestehenden Gesellschaften (C._ AG, D._ AG, bei denen A.A. zeichnungsberechtigt ist) und Personen (B.A., E.A., F.A., bei denen A.A. Bevollmächtigungen hat), relevant für die Aufklärung der Vermögenslage, Einkünfte und Geldflüsse seien. Auch vor dem Deliktzeitraum entstandene Unterlagen (z.B. Kontoeröffnungsunterlagen, Vollmachten) können für die Rekonstruktion bestehender Geschäftsbeziehungen relevant sein. Die Gesuchsgegner konnten nicht darlegen, inwiefern die Vorinstanz hier willkürlich gehandelt hätte. * Kostenverteilung (E. 5.5): Die Rüge gegen die vorinstanzliche Kostenverteilung wurde mangels nachvollziehbarer Begründung ebenfalls abgewiesen.

5. Entscheid des Bundesgerichts und Kostenfolgen * Verfahren 7B_949/2024 (ESTV): Die Beschwerde wird gutgeheissen. Die Dispositiv-Ziffern 2, 3 (bezüglich des USB-Datensticks der Bank J._), 4 und 6 des vorinstanzlichen Beschlusses werden aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Die Gerichtskosten von Fr. 8'000.-- werden den Gesuchsgegnern (A.A., B.A., C._ AG, D._ AG, E.A., F.A.) solidarisch auferlegt. * Verfahren 7B_974/2024 (Gesuchsgegner): Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wurde. Den Gesuchsgegnern (A.A., B.A., C._ AG, D.__ AG, E.A., F.A.) werden ebenfalls solidarisch Gerichtskosten auferlegt. Parteientschädigungen werden keine zugesprochen.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht hob Teile des Beschlusses des Bundesstrafgerichts bezüglich der Entsiegelung von Bankunterlagen auf. Es stellte klar, dass das Kopieren elektronisch edierter Bankdaten auf einen Datenstick zum Zwecke der provisorischen Siegelung keinen schweren Verfahrensmangel darstellt und verwies die Angelegenheit zur materiellen Prüfung der Geheimnisinteressen an die Vorinstanz zurück (zugunsten der ESTV). Gleichzeitig wies das Bundesgericht die Beschwerde der anderen Parteien ab, da deren Argumente bezüglich einer fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung, Verletzung des Beschleunigungsverbots oder Unverhältnismässigkeit der Editionsbegehren unbegründet waren. Für die Beschwerdeführer A.A. und B.A. wurde auf die Beschwerde mangels Darlegung eines irreparablen Nachteils nicht eingetreten. Das Urteil klärt die Handhabung elektronischer Daten im Entsiegelungsverfahren nach VStrR und betont die Relevanz der edierten Unterlagen für die Steueruntersuchung.