Zusammenfassung von BGer-Urteil 7B_1352/2024 vom 16. September 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des schweizerischen Bundesgerichts detailliert zusammen:

Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Bundesgerichts vom 16. September 2025 (7B_1352/2024, 7B_1353/2024)

1. Einleitung und Parteien Das vorliegende Urteil der II. strafrechtlichen Abteilung des Schweizerischen Bundesgerichts vom 16. September 2025 behandelt zwei vereinigte Beschwerden in Strafsachen (7B_1352/2024 und 7B_1353/2024) betreffend die Entsiegelung sichergestellter Dokumente und elektronischer Daten. Verfahrensbeteiligte sind einerseits die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) als Beschwerdeführerin im Verfahren 7B_1352/2024 und Beschwerdegegnerin im Verfahren 7B_1353/2024, und andererseits A.A.__ und die B.__ AG, die in den umgekehrten Rollen auftreten. Gegenstand des Verfahrens ist ein Beschluss der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts vom 6. November 2024 bezüglich eines Entsiegelungsgesuchs.

2. Sachverhalt und Vorverfahren Die ESTV eröffnete am 28. Juni 2021 eine besondere Steueruntersuchung gemäss Art. 190 ff. des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer (DBG) gegen C._ Inc, D.A._ und A.A._ wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung und/oder Gehilfenschaft dazu in den Steuerperioden 2016-2020, sowie wegen fortgesetzter Hinterziehung grosser Steuerbeträge betreffend die Einkommenssteuer von D.A._ und Anstiftung/Gehilfenschaft dazu für die Steuerperioden 2012-2015.

Am 11. November 2021 durchsuchte die ESTV die Wohnräume von A.A._ (welche auch der Sitz der B._ AG sind) und stellte zahlreiche physische Unterlagen sowie elektronische Daten auf Datenträgern sicher. Diese wurden infolge einer Einsprache von A.A._ und der B._ AG sofort versiegelt. Weitere Einsprachen erfolgten von anderen Gesellschaften, die ebenfalls Unterlagen unter den versiegelten Dokumenten vermuteten. Die ESTV wies diese Einsprachen zunächst ab, was zu einem separaten Beschwerdeverfahren (BV.2021.33-36) führte, dessen Sistierung bis zur rechtskräftigen Erledigung das Entsiegelungsverfahren von A.A._ und der B._ AG blockierte. Das Bundesgericht bestätigte in einem Urteil vom 28. September 2023 (7B_96/2022) die Ablehnung der Einsprachen der anderen Gesellschaften.

Am 17. Dezember 2021 stellte die ESTV das Entsiegelungsgesuch an die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts (Verfahren BE.2021.17). A.A._ und die B._ AG beantragten die Ablehnung des Gesuchs, die Herausgabe der Daten, die Aussonderung irrelevanter Daten (nicht beschuldigte Gesellschaften, ausserhalb des Zeitraums erstellte Daten, fehlender Deliktskonnex) und insbesondere sämtlicher vom Anwaltsgeheimnis geschützter Daten. Sie verlangten auch Einsicht in die versiegelten Unterlagen.

Die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts entschied am 6. November 2024: 1. Der Antrag von A.A._ und der B._ AG auf Einsicht in die versiegelten Akten wurde abgewiesen. 2. Das Entsiegelungsgesuch der ESTV betreffend die Asservate AB015 bis AB024 (USB-Datensticks) wurde abgewiesen. Die Herausgabe dieser Asservate an A.A._ und die B._ AG (versiegelt) wurde angeordnet. 3. Das Entsiegelungsgesuch der ESTV betreffend die Asservate AB001 bis AB014 (physische Unterlagen) wurde teilweise gutgeheissen. Die herauszugebenden Unterlagen sollten durchsucht werden, der Rest an A.A._ und die B._ AG zurückgegeben werden.

3. Zulässigkeit der Beschwerden vor Bundesgericht Das Bundesgericht prüfte zunächst die Zulässigkeit der gegen den Beschluss des Bundesstrafgerichts gerichteten Beschwerden: * Grundsatz: Gegen Entsiegelungsentscheide steht die Beschwerde in Strafsachen grundsätzlich offen (Art. 78 Abs. 1 BGG). * Legitimation der ESTV: Die ESTV ist als untersuchende Behörde analog der Staatsanwaltschaft zur Beschwerde gegen die (teilweise) Ablehnung ihres Entsiegelungsantrags legitimiert (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 7 BGG). Das Bundesgericht bejahte hier einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil für die ESTV (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG), da ihr bei Ablehnung des Gesuchs ein empfindlicher Beweisverlust drohte, der die Aufklärung des Sachverhalts entscheidend beeinflussen könnte. * Legitimation der B.__ AG: Als Inhaberin der sichergestellten Dokumente ist die B._ AG zur Beschwerde berechtigt (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 1 BGG). Da sie nicht Partei des Verwaltungsstrafverfahrens ist, handelt es sich für sie um einen anfechtbaren Teilentscheid gemäss Art. 91 lit. b BGG. * Legitimation von A.A.__: Für A.A._, der Partei des Verwaltungsstrafverfahrens ist, handelt es sich um einen Zwischenentscheid. Er hätte einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG darlegen müssen. Seine pauschale Behauptung eines "nicht mehr korrigierbaren Eingriffs in die Geheimsphäre" wurde vom Bundesgericht als ungenügend substanziiert befunden, insbesondere da er nicht darlegte, inwiefern ihm mangels Akteneinsicht eine Substantiierung unmöglich gewesen sein soll. Daher trat das Bundesgericht auf die Beschwerde von A.A.__ (7B_1353/2024, soweit er betroffen ist) nicht ein.

4. Rechtliche Grundlagen (VStrR und StPO) Das Verfahren bei schweren Steuerwiderhandlungen richtet sich nach dem Verwaltungsstrafrecht (VStrR; Art. 191 Abs. 1 DBG i.V.m. Art. 1 VStrR). Die Bestimmungen der Strafprozessordnung (StPO) sind insoweit analog anwendbar, als das VStrR einzelne Fragen nicht abschliessend regelt, insbesondere bei der Durchsuchung von Papieren und elektronischen Datenträgern (Art. 50 VStrR, Art. 246 ff. StPO). Art. 50 Abs. 3 VStrR sieht vor, dass bei Einsprache des Inhabers die Datenträger versiegelt und die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts über die Zulässigkeit der Durchsuchung entscheidet.

5. Hauptargumente und Beurteilung der ESTV-Beschwerde (7B_1352/2024)

5.1. Vorinstanzliche Beurteilung der elektronischen Daten (Asservate AB015-AB024) Die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts hatte das Entsiegelungsgesuch für die Asservate AB015 bis AB024 (USB-Datensticks) abgewiesen. Ihre Begründung war, dass die ESTV bei der Sicherstellung der elektronischen Daten falsch vorgegangen sei: Die ESTV habe die auf Datenträgern und Computern von A.A.__ vorgefundenen Daten auf neun USB-Sticks kopiert und danach versiegelt. Dieses Vorgehen sei angesichts der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 148 IV 221) unzulässig, da eine Spiegelung nicht durch die Untersuchungsbehörde selbst oder eine weisungsgebundene Person erfolgen dürfe. Dies stelle einen schweren, nicht heilbaren Verfahrensmangel dar.

5.2. Bundesgerichtliche Würdigung und Korrektur Das Bundesgericht befand diese Auffassung der Vorinstanz als bundesrechtswidrig und hiess die Beschwerde der ESTV gut: * Sicherstellung von elektronischen Daten: Das Bundesgericht stellte klar, dass die Sicherstellung elektronischer Daten entweder durch die Sicherstellung des Datenträgers selbst oder durch das Anfertigen einer selektiven Kopie vor Ort erfolgen kann. Art. 247 Abs. 3 StPO erlaubt das direkte Kopieren von Daten von einem Computer oder Server auf einen externen Datenträger, wenn der Original-Datenträger nicht sichergestellt werden kann oder dies unverhältnismässig wäre und der Kopiervorgang innert nützlicher Frist abgeschlossen werden kann. * Kein schwerer Verfahrensmangel: Es ist gemäss Bundesgericht nicht zu beanstanden, wenn die ESTV die Daten noch vor Ort und in Anwesenheit von A.A._ auf externe Datenträger kopiert und diese anschliessend versiegelt hat. Eine missbräuchliche Verletzung von Geheimhaltungsinteressen durch den Kopiervorgang sei nicht ersichtlich. Die kurzfristige Sichtung der Datenträger zur "Grobstriage" (Art. 263 Abs. 3, Art. 265 Abs. 4 StPO; BGE 143 IV 270 E. 7.5) ist zulässig und die theoretische Möglichkeit einer vorzeitigen Kenntnisnahme gewisser Daten sei unvermeidlich, ähnlich wie bei physischen Unterlagen. * Referenz auf jüngere Rechtsprechung: Das Bundesgericht verwies explizit auf ein eigenes, zur amtlichen Publikation vorgesehenes Urteil vom 3. April 2025 (7B_515/2024). Darin wurde festgehalten, dass das Kopieren bzw. Abspeichern von Daten Teil der Sicherstellung ist und nicht als Kopieren bereits sichergestellter Daten zu werten ist, wenn der Siegelungsantrag bereits bekannt war. Ein schwerer Verfahrensmangel, der zur Abweisung des Entsiegelungsgesuchs führen würde, wurde in diesem Kontext verneint. Dies gelte umso mehr, wenn es um die Sicherstellung elektronischer Daten vor Ort gehe. Das Anfertigen von Kopien schütze zudem vor Manipulationen. Auch die Frage der Einwilligung von A.A._ sei unerheblich. * Fazit: Die Vorinstanz hat Bundesrecht verletzt, indem sie der ESTV einen schweren Verfahrensmangel unterstellte. Da das Bundesgericht nicht als erste Instanz über das Vorliegen schutzwürdiger Geheimnisinteressen entscheiden kann, wurde die Sache zur erneuten materiellen Beurteilung an das Bundesstrafgericht zurückgewiesen.

6. Hauptargumente und Beurteilung der B.__ AG-Beschwerde (7B_1353/2024)

6.1. Rüge der langen Frist für das Entsiegelungsgesuch Die B.__ AG rügte, die Dauer von fünf Wochen für die Stellung des Entsiegelungsgesuchs durch die ESTV sei "klar zu lang". Das Bundesgericht wies dies zurück und verwies auf seine Rechtsprechung, wonach die Frist von 20 Tagen gemäss Art. 248 Abs. 3 StPO im Verwaltungsstrafverfahren (VStrR) keine Anwendung findet. Die Frist von knapp fünf Wochen sei daher nicht zu beanstanden.

6.2. Rügen des fehlenden Deliktskonnex und des Anwaltsgeheimnisses Die B._ AG machte geltend, die Vorinstanz habe die Entsiegelung bezüglich zahlreicher Dokumente bewilligt, für die offensichtlich kein Deliktskonnex bestehe, und dass ein Teil der Asservate dem Anwaltsgeheimnis unterliege. * Ausführungen der Vorinstanz: Die Vorinstanz hatte festgehalten, dass zum jetzigen Zeitpunkt genügend Hinweise für den hinreichenden Tatverdacht auf schwere Steuerwiderhandlungen vorliegen. Sie begründete detailliert, weshalb die freigegebenen Unterlagen als untersuchungsrelevant erachtet wurden: Sie könnten Aufschluss über die Funktion von A.A._ in der Unternehmensgruppe, die Struktur und den Zweck diverser Gesellschaften (C._ Inc, F._ AG, M._ Group etc.), die hinterzogene Einkommenssteuer von D.A._, den Ort der tatsächlichen Verwaltung der C._ Inc und in der Schweiz zu versteuernde Gewinne geben. Dies umfasse auch Steuerunterlagen, Dokumente zu Rechtsstreitigkeiten und solche, die ausserhalb des primären Untersuchungszeitraums erstellt wurden, aber für die Aufklärung der Taten relevant sein könnten. * Mangelnde Substantiierung durch die B.__ AG: Das Bundesgericht stellte fest, dass die B._ AG die vorinstanzlichen Erwägungen nicht hinreichend substanziiert angefochten habe. Ihre Behauptungen, Dokumente seien ausserhalb des Untersuchungszeitraums irrelevant oder bestimmte Gesellschaften würden unter "Generalverdacht" gestellt, seien nicht genügend dargelegt worden, um die von der Vorinstanz festgestellte Relevanz zu widerlegen. Auch die pauschale Behauptung, bestimmte Asservate enthielten "Anwaltskorrespondenz i.S.v. Art. 171 StPO", ohne nähere Ausführungen, welche Unterlagen dies konkret beträfe, und inwiefern die B._ AG oder A.A._ befugt seien, sich auf ein Mandatsverhältnis der F._ AG mit deutschen Anwälten zu berufen, genügte den Begründungsanforderungen nicht. * Fazit: Sämtliche Vorbringen der B._ AG erwiesen sich als unbegründet.

7. Kosten und Parteientschädigung Die ESTV galt als vollständig obsiegend im Verfahren 7B_1352/2024, da die Sache zur Neubeurteilung mit offenem Ausgang zurückgewiesen wurde. A.A._ und die B._ AG wurden daher solidarisch kostenpflichtig für die Gerichtsgebühren im Verfahren 7B_1352/2024. Im Verfahren 7B_1353/2024 wurden A.A._ und die B._ AG ebenfalls solidarisch kostenpflichtig, da ihre Beschwerde abgewiesen bzw. nicht eingetreten wurde. Eine Parteientschädigung wurde keiner Partei zugesprochen.

8. Schlussfolgerung des Bundesgerichts Die Beschwerde der ESTV (7B_1352/2024) wurde gutgeheissen. Die Dispositiv-Ziffern 2 und 5 des Beschlusses des Bundesstrafgerichts vom 6. November 2024 wurden aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen, um die schutzwürdigen Geheimnisinteressen bezüglich der elektronischen Asservate AB015 bis AB024 materiell zu prüfen. Die Beschwerde von A.A._ und der B._ AG (7B_1353/2024) wurde, soweit darauf eingetreten werden konnte (nur B.__ AG), abgewiesen.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  1. Zulässigkeit der Datensicherung vor Siegelung: Das Bundesgericht stellte klar, dass es keinen schweren Verfahrensmangel darstellt, wenn die Untersuchungsbehörde elektronische Daten während einer Hausdurchsuchung vor Ort auf externe Datenträger kopiert und diese anschliessend versiegelt. Dies gilt als Teil des Sicherstellungsvorgangs und nicht als unzulässiges Kopieren bereits versiegelter Daten.
  2. Anforderungen an die Begründung von Geheimnisinteressen: Die Rügen von Geheimnisinteressen (wie Anwaltsgeheimnis) und fehlendem Deliktskonnex müssen präzise und substanziiert dargelegt werden. Pauschale Behauptungen genügen nicht. Auch Dokumente ausserhalb des primären Untersuchungszeitraums können relevant sein.
  3. Keine strikte Frist für Entsiegelungsgesuch im VStrR: Die in der StPO vorgesehene Frist von 20 Tagen für die Einreichung eines Entsiegelungsgesuchs findet im Rahmen des Verwaltungsstrafrechts keine Anwendung.
  4. Ausschluss von A.A.__'s Beschwerde: Die Beschwerde von A.A.__ wurde mangels substanziierter Darlegung eines nicht wiedergutzumachenden Nachteils als Zwischenentscheid abgewiesen.