Zusammenfassung von BGer-Urteil 4A_373/2024 vom 17. September 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des schweizerischen Bundesgerichts detailliert zusammen.

Detaillierte Zusammenfassung des Bundesgerichtsurteils 4A_373/2024 und 4A_375/2024 vom 17. September 2025

1. Einleitung Das Bundesgericht hatte in zwei verbundenen Verfahren (4A_373/2024 und 4A_375/2024) über Ansprüche aus einem Kaufvertrag über eine Stockwerkeinheit, der Elemente eines Werkvertrags enthielt (sog. «vente à terme-emption»), zu entscheiden. Kernpunkte des Streits waren die Geltendmachung von Mängelrechten für eine mangelhafte Heizungsanlage (als gemeinschaftlicher Teil einer Stockwerkeigentumsanlage, kurz PPE) durch einen einzelnen Stockwerkeigentümer, die Frage der Verwirkung von Mängelrechten seitens des Bauherrn sowie die Begründetheit von Mehrwertforderungen der Bauträgerin.

2. Sachverhalt Am 28. August 2012 schloss A._ (Käufer/Bauherr, nachfolgend: der Beschwerdeführer A.) mit B._ SA (Bauträgerin/Unternehmerin, nachfolgend: die Beschwerdeführerin B. SA) einen Kaufvertrag über eine noch zu erstellende Stockwerkeinheit in der Residenz D.__. Der Vertrag sah vor, dass die Wohnung fertiggestellt und bewohnbar übergeben wird, einschliesslich der Einhaltung der SIA-Norm 118 und eines technischen Beschriebs. Dieser Beschrieb umfasste unter anderem eine "calculation thermique se rapprochant des standards Minergie" und eine Fussbodenheizung mit Funk-Thermostatfühler in jedem Raum. Am 13. November 2012 erfolgte die Wohnungsübergabe.

Am 28. Januar 2014 rügte der Beschwerdeführer A. zahlreiche Mängel, darunter die nicht ausgeführten Aussenanlagen, diverse Bau- und Finishmängel sowie das Fortbestehen einer provisorischen Ölheizungsanlage anstelle der vertraglich vereinbarten energiesparenden Heizung (Wärmepumpe, Minergie-Elemente). Die Beschwerdeführerin B. SA reagierte auf diese Mängelrüge nicht.

3. Vorinstanzliche Verfahren und Entscheide A._ erhob am 19. Juni 2014 Klage mit dem Hauptbegehren, B._ SA zur Mängelbehebung zu verpflichten, insbesondere zur Installation eines Heizungssystems nach Minergie-Standard. Er verlangte zudem Schadenersatz und eine Prozesskaution. B.__ SA beantragte die Abweisung der Klage und erhob Widerklage auf Zahlung von CHF 278'844.98 für angeblich geleistete Mehrwertarbeiten.

Die kantonale Patrimonialkammer des Kantons Waadt verurteilte B._ SA am 23. Februar 2022 zur Behebung von fünf spezifischen Mängeln (exkl. Heizung) und zur Zahlung von CHF 168'526 abzüglich CHF 18'844.76 aus der Widerklage. Das Kantonsgericht Waadt (Cour d'appel civile) bestätigte dieses Urteil am 21. Mai 2024 weitestgehend. Es lehnte jedoch den Anspruch von A._ auf Nachbesserung der Heizungsanlage ab, da es ihm hierfür die Aktivlegitimation absprach. Die Heizungsanlage sei ein Gemeinschaftsteil der PPE, und der Beschwerdeführer A. habe keine vorgängige Ermächtigung der Stockwerkeigentümerversammlung (STWEV) vorgelegt.

4. Rechtliche Argumentation des Bundesgerichts

4.1. Zu den Rügen der B.__ SA (Verwirkung der Mängelrechte und Mehrwertforderungen)

  • Verwirkung der Mängelrechte: Die Beschwerdeführerin B. SA machte geltend, die Mängelrechte des Beschwerdeführers A. seien verwirkt. Sie argumentierte, es habe am 3. Dezember 2012 eine gemeinsame Abnahme (vérification commune) gemäss SIA-Norm 118 stattgefunden, welche die Vermutung der Genehmigung des Werks mit seinen Mängeln begründe (SIA 118 Art. 158 Abs. 1, Art. 159, Art. 163 Abs. 1 und 2). Das Bundesgericht prüfte diese Rüge im Hinblick auf die Rüge- und Behauptungslast im Zivilprozess (Art. 221 Abs. 1 lit. d, 222 Abs. 2 ZPO).

    • Kein impliziter Sachverhalt: B. SA räumte ein, diesen Umstand nicht explizit behauptet zu haben, meinte aber, die "Abnahme des Werks" habe implizit die gemeinsame Prüfung umfasst. Das Bundesgericht verneinte dies. Eine implizite Sachverhaltsbehauptung liegt nur vor, wenn der Umstand zweifelsfrei in einer anderen explizit vorgebrachten Behauptung enthalten ist (BGE 144 III 519 E. 5.3.2). Die von B. SA vorgebrachten Behauptungen ("Wohnung wurde fristgerecht geliefert," "keine rechtzeitige Mängelrüge") enthielten keinerlei Bezug zu einer gemeinsamen Prüfung am 3. Dezember 2012.
    • Beweislastverteilung: Es oblag der Beschwerdeführerin B. SA, die Existenz einer solchen gemeinsamen Prüfung zu behaupten und zu beweisen, wenn sie daraus eine Verwirkung der Mängelrechte ableiten wollte. Das blosse Erwähnen einer solchen Prüfung im Gerichtsgutachten, das nicht auf diesen Aspekt ausgerichtet war, ändert nichts an der fehlenden Behauptung im Prozess.
    • Fristgerechte Mängelrüge: Da der Beschwerdeführer A. die Mängel zwischen dem 13. November 2012 und dem 13. November 2014, also innerhalb der Zweijahresfrist gemäss SIA 118 Art. 172 Abs. 1, gerügt hatte (einschliesslich des Schlichtungsgesuchs und der Klage vom 19. Juni 2014), waren seine Mängelrechte nicht verwirkt.
    • Fazit: Die Rügen der Beschwerdeführerin B. SA bezüglich der Verwirkung der Mängelrechte wurden als unbegründet abgewiesen.
  • Mehrwertforderungen: B. SA rügte, die Vorinstanz habe einen Grossteil ihrer Widerklage auf Mehrwertforderungen abgewiesen (von CHF 278'464.98 wurden nur CHF 18'844.76 zugesprochen). Das Bundesgericht stellte fest, dass die von B. SA vorgebrachten Rügen (Verletzung von Art. 55, 150, 221, 222 ZPO im Zusammenhang mit der Beweisführung und Behauptungslast der Mehrwertforderungen) in dieser Form nicht vor der kantonalen Vorinstanz vorgebracht wurden.

    • Grundsatz der materiellen Erschöpfung: Das Bundesgericht prüft nur Rügen, die bereits vor der Vorinstanz materiell erschöpfend geltend gemacht wurden (BGE 147 III 172 E. 2.2). Da die Beschwerdeführerin B. SA sich in den kantonalen Instanzen primär auf eine willkürliche Beweiswürdigung berufen hatte, nicht aber auf die hier vorgebrachten prozessrechtlichen Mängel bezüglich der Behauptungslast, waren die Rügen im Bundesgerichtsverfahren unzulässig.
    • Fazit: Die Rügen der Beschwerdeführerin B. SA bezüglich der Mehrwertforderungen wurden als unzulässig erklärt.

4.2. Zu den Rügen des A.__ (Aktivlegitimation zur Mängelbehebung an Gemeinschaftsteilen)

Der Beschwerdeführer A. rügte, die Vorinstanz habe ihm zu Unrecht die Aktivlegitimation für die Nachbesserung der Heizungsanlage – ein Gemeinschaftsteil der PPE – abgesprochen, weil er keine vorgängige Zustimmung der STWEV eingeholt habe.

  • Rechtliche Grundlagen:

    • Vertragsnatur: Der Vertrag zwischen den Parteien ist ein gemischter Vertrag (Kauf- und Werkvertrag). Für Mängelrechte an gemeinschaftlichen Teilen einer PPE sind die werkvertraglichen Regeln (Art. 368 ff. OR) massgebend.
    • Individuelle Anspruchsberechtigung: Die Stockwerkeigentümer sind individuell Inhaber der Mängelrechte für die gemeinschaftlichen Teile, da diese Rechte aus ihrem eigenen Vertrag mit dem Verkäufer/Unternehmer stammen (BGE 114 II 239 E. 5c/bb; 111 II 458 E. 3b).
    • Unteilbarkeit des Nachbesserungsrechts: Das Bundesgericht bestätigte in BGE 145 III 8 E. 3.5 einen Grundsatzentscheid (sog. «revirement de jurisprudence»), wonach das Nachbesserungsrecht an gemeinschaftlichen Teilen ungeteilt und vollumfänglich jedem einzelnen Stockwerkeigentümer zusteht. Damit wich es von seiner früheren Rechtsprechung ab, welche die Ansprüche proportional zur Quote des Stockwerkeigentümers begrenzte.
    • Folgerung für die Aktivlegitimation: Jeder Stockwerkeigentümer kann demnach individuell Klage auf Nachbesserung aller von Mängeln betroffenen gemeinschaftlichen Teile erheben (unabhängig von seiner Quote) oder auf Zahlung der zur Mängelbehebung erforderlichen Kosten klagen. Es bedarf keiner Abtretung von Rechten Dritter. Die Stockwerkeigentümergemeinschaft selbst ist nicht Vertragspartei des Werkvertrags und daher grundsätzlich nicht Inhaberin des Klagerechts (ausser bei einer allfälligen Abtretung der Ansprüche durch die einzelnen Eigentümer an die Gemeinschaft).
  • Verhältnis zu sachenrechtlichen Aspekten (Ausführung der Arbeiten): Das Bundesgericht stellte klar, dass die Aktivlegitimation zur Klage von der Ausführbarkeit der Arbeiten zu unterscheiden ist:

    • Zustimmung zur Ausführung: Eine Intervention an gemeinschaftlichen Teilen bedarf grundsätzlich der Zustimmung der anderen Stockwerkeigentümer, da der Unternehmer an Elementen arbeiten muss, die im Miteigentum aller stehen (Art. 647c, 712a Abs. 2, 712g Abs. 1 ZGB). Bei Weigerung der STWEV, unentbehrliche Arbeiten zur Erhaltung des Werts und der Gebrauchsfähigkeit der Sache auszuführen, kann der Richter angerufen werden (Art. 647c und 647 Abs. 2 Ziff. 1 ZGB).
    • Gläubigerverzug: Sollte die Ausführung der Nachbesserung durch eine negative Entscheidung der STWEV verhindert werden, könnte der klagende Stockwerkeigentümer in Gläubigerverzug geraten (Art. 95 OR), da er dem Unternehmer den Zugang zur Baustelle nicht gewähren könnte.
    • Entscheidende Abgrenzung: Diese Problematik betrifft jedoch ausschliesslich die Durchführung des Urteils, nicht aber die Aktivlegitimation für die Klage selbst. Die Aktivlegitimation hängt allein davon ab, ob der Kläger Inhaber des streitigen Rechts ist, was beim einzelnen Stockwerkeigentümer für das ungeteilte Nachbesserungsrecht der Fall ist. Eine vorgängige Entscheidung der STWEV ist für die Klageerhebung nicht erforderlich.
  • Koordinationsprobleme und aktuelle Gesetzesrevision: Das Bundesgericht anerkannte, dass diese Lösung Koordinationsprobleme aufwerfen kann (z.B. wenn ein Stockwerkeigentümer Nachbesserung und ein anderer Preisminderung für denselben Mangel wünscht). Es verwies auf doktrinäre Vorschläge und die laufende Revisionsvorlage des Bundesrates (Motion 19.3410 Caroni, Entwurf Art. 712l bis ZGB), die eine obligatorische vorgängige Ermächtigung der STWEV für Nachbesserungsklagen an Gemeinschaftsteilen vorsieht.

    • Keine Antizipation der Gesetzesrevision: Das Bundesgericht stellte jedoch klar, dass es die noch nicht in Kraft getretenen Gesetzesänderungen nicht antizipieren kann. Die aktuelle Rechtslage ist wie dargelegt.
  • Anwendung auf den vorliegenden Fall: Die Vorinstanz hat dem Beschwerdeführer A. zu Unrecht die Aktivlegitimation für die Nachbesserung der Heizungsanlage abgesprochen. Er ist Vertragspartei und somit Inhaber des Klagerechts. Die Frage der Zustimmung der STWEV ist eine Frage der Urteilsvollstreckung, nicht der Aktivlegitimation.

    • Fazit: Die Aktivlegitimation des Beschwerdeführers A. wurde bejaht, und die Vorinstanz hat diesbezüglich zu Unrecht entschieden.
  • Begründetheit des Nachbesserungsanspruchs für die Heizungsanlage: Die kantonalen Gerichte hatten bereits festgestellt, dass die provisorische Ölheizungsanlage einen Mangel darstellt, da sie nicht der vertraglich vereinbarten Qualität (Minergie-Standard, Wärmepumpe) entspricht. Die Beschwerdeführerin B. SA hat diese Feststellung im Bundesgerichtsverfahren nicht bestritten und auch keine Argumente gegen die Möglichkeit oder Zumutbarkeit der Nachbesserung vorgebracht.

    • Fazit: Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Nachbesserungsanspruch des Beschwerdeführers A. an der Heizungsanlage sind erfüllt. Seine Beschwerde ist in diesem Punkt begründet.

5. Schlussfolgerung des Bundesgerichts Das Bundesgericht wies die Beschwerde der B._ SA vollumfänglich ab und hiess die Beschwerde des A._ gut. Das Urteil der kantonalen Vorinstanz wurde insofern geändert, als B.__ SA nun auch zur Installation einer Heizungsanlage nach Minergie-Standard verurteilt wird.

6. Zusammenfassung der wesentlichen Punkte

  1. Mängelrüge und Verwirkung: Die Beschwerdeführerin B. SA konnte keine Verwirkung der Mängelrechte des Käufers begründen, da sie das Vorliegen einer gemeinsamen Abnahmeprüfung nicht prozesskonform behauptet hatte. Die Rügefrist war eingehalten.
  2. Mehrwertforderungen: Die Rügen der Beschwerdeführerin B. SA bezüglich ihrer Mehrwertforderungen wurden wegen fehlender materieller Erschöpfung des Rechtswegs als unzulässig erklärt.
  3. Aktivlegitimation bei Mängeln an Gemeinschaftsteilen der PPE: Ein einzelner Stockwerkeigentümer ist nach geltendem Recht (insbesondere BGE 145 III 8) individuell, vollumfänglich und ungeteilt aktivlegitimiert, die Nachbesserung von Mängeln an gemeinschaftlichen Teilen der Stockwerkeigentumsanlage basierend auf seinem Kauf-/Werkvertrag zu verlangen.
  4. Zustimmung der Stockwerkeigentümerversammlung: Eine vorgängige Zustimmung der Stockwerkeigentümerversammlung ist nicht Voraussetzung für die Aktivlegitimation zur Klageerhebung. Die Notwendigkeit einer solchen Zustimmung betrifft lediglich die Ausführung der Nachbesserungsarbeiten und die damit verbundenen sachenrechtlichen Aspekte, nicht aber das Klagerecht selbst.
  5. Heizungsanlage als Mangel: Die provisorische Ölheizungsanlage stellt einen vertragswidrigen Mangel dar, und der Beschwerdeführer A. hat einen begründeten Anspruch auf ihre Nachbesserung zu einem Minergie-Standard-Heizsystem. Die geplanten Gesetzesrevisionen zur Koordination in der PPE sind für die Beurteilung der aktuellen Rechtslage nicht massgebend.