Zusammenfassung von BGer-Urteil 6B_568/2025 vom 15. September 2025

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Nachfolgend wird das Urteil 6B_568/2025 des Schweizerischen Bundesgerichts vom 15. September 2025 detailliert zusammengefasst.

1. Einleitung und Parteien Das Urteil der I. strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts betrifft eine Beschwerde in Strafsachen von A.__ (Beschwerdeführer) gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 9. Mai 2025. Gegenstand der Beschwerde ist die Anordnung einer stationären therapeutischen Massnahme für psychische Störungen und deren Verhältnismässigkeit.

2. Sachverhalt und Vorinstanzen Der Beschwerdeführer A._ hatte am 11. März 2023 in mehreren Vorfällen B._ und D._ mit dem Tod bedroht, unbefugt in die Wohnung von C._ eingedrungen und dort mit einem Gemüsemesser weitere Todesdrohungen ausgesprochen sowie schliesslich die Wohnungstür von C.__ mit einem Holzpfahl beschädigt und erneut Todesdrohungen geäussert.

Das Bezirksgericht Winterthur stellte am 7. Februar 2024 fest, dass A.__ die Tatbestände der mehrfachen Drohung, der Sachbeschädigung und des mehrfachen, teilweise versuchten Hausfriedensbruchs erfüllt hat. Es befand ihn jedoch aufgrund nicht selbst verschuldeter Schuldunfähigkeit als nicht strafbar und ordnete eine stationäre therapeutische Behandlung von psychischen Störungen an.

Gegen dieses Urteil erhob A._ Berufung, die sich ausschliesslich gegen die Anordnung einer stationären therapeutischen Massnahme gemäss Art. 59 StGB richtete. Ein vorzeitiger Massnahmeantritt, genehmigt durch das Bezirksgericht im Februar 2024, erwies sich im April 2025 als undurchführbar, worauf die Klinikeinweisung in die Klinik E._ rückgängig gemacht wurde.

Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte am 9. Mai 2025 die Anordnung einer stationären therapeutischen Behandlung gemäss Art. 59 StGB für die Dauer von zwei Jahren ab Antritt des Massnahmenvollzugs.

3. Rechtliche Problematik und Argumente des Beschwerdeführers Der Beschwerdeführer erachtete die Anordnung der stationären Massnahme als unverhältnismässig. Er kritisierte insbesondere die vorinstanzliche Würdigung, wonach eine ambulante Behandlung nicht geeignet sei, seine Legalprognose zu verbessern, während eine stationäre Behandlung als geeignet und erforderlich angesehen wurde. Er rügte, die Vorinstanz habe mit der Anordnung der stationären Massnahme entgegen der gutachterlichen Empfehlung (bzw. der von ihm behaupteten effektiven Unmöglichkeit einer stationären Massnahme) gegen Art. 63 Abs. 3 StGB, das Willkürverbot (Art. 9 BV) und das Verhältnismässigkeitsprinzip (Art. 56 Abs. 1 und 3 StGB) verstossen. Er beantragte stattdessen eine ambulante Massnahme unter stationärer Anbehandlung im Sinne von Art. 63 Abs. 3 StGB.

4. Erwägungen und Begründung des Bundesgerichts

4.1. Zur Legitimation Das Bundesgericht trat auf den Teil der Beschwerde, der die Höhe der Entschädigung der amtlichen Verteidigerin betraf, nicht ein. Gemäss ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts ist die amtlich vertretene Partei durch eine behaupteterweise zu tief festgesetzte Entschädigung ihrer amtlichen Verteidigung nicht betroffen und daher nicht zur Rüge legitimiert, das Honorar sei zu niedrig bemessen (vgl. Urteile 6B_385/2024 vom 30. September 2024 E. 8; 7B_168/2022 vom 25. März 2024 E. 4.2.2; 6B_532/2022 vom 20. März 2023 E. 2.1). Die jüngste Revision der Strafprozessordnung per 1. Januar 2024 (Art. 135 Abs. 3 StPO) hat hieran nichts geändert.

4.2. Zur Anordnung der stationären therapeutischen Massnahme

4.2.1. Unbestrittene Tatsachen und Ausgangslage Es war unbestritten, dass der Beschwerdeführer an einer schweren psychischen Störung schizoaffektiver Art leidet, die mit seinen Delikten in Zusammenhang steht. Von ihm geht in unbehandeltem Zustand eine hohe Rückfallgefahr aus, der durch therapeutische Behandlung begegnet werden kann. Er ist therapiebedürftig und therapiefähig, und ein Mindestmass an Kooperation und Motivierbarkeit ist vorhanden. Die Kernfrage war die Geeignetheit einer ambulanten Behandlung und die Verhältnismässigkeit einer stationären Massnahme.

4.2.2. Rechtlicher Rahmen des Bundesgerichts zur Massnahmenanordnung Das Bundesgericht legte zunächst die massgebenden Bestimmungen des Strafgesetzbuches (StGB) dar: * Art. 56 Abs. 1 StGB: Voraussetzungen für die Anordnung einer Massnahme (fehlende Eignung einer Strafe, Behandlungsbedürfnis/öffentliche Sicherheit, Erfüllung weiterer Massnahmenvoraussetzungen). * Art. 59 Abs. 1 StGB: Voraussetzungen für eine stationäre therapeutische Massnahme bei psychischen Störungen (schwere psychische Störung, Zusammenhang mit begangenem Verbrechen/Vergehen, Erwartung der Begegnung der Gefahr weiterer Taten). * Art. 63 Abs. 1 StGB: Voraussetzungen für eine ambulante Behandlung (psychisch schwer gestörter oder suchtkranker Täter, Zusammenhang mit Tat, Erwartung der Begegnung der Gefahr weiterer Taten). * Art. 56a Abs. 1 StGB: Grundsatz der mildesten Massnahme bei gleicher Eignung.

Das Bundesgericht hob hervor, dass die ambulante Behandlung im Wesentlichen eine besondere Art des Vollzugs einer stationären Massnahme darstellt und an die gleichen Voraussetzungen anknüpft (Urteile 6B_92/2021 E. 2.3.3; 6B_237/2019 E. 2.2.2). Eine ambulante Massnahme ist zu verhängen, wenn sie von Anfang an zielführend erscheint. Erweist sie sich später als ungenügend, kann nachträglich eine stationäre Massnahme angeordnet werden (Art. 63b und Art. 65 Abs. 1 StGB; BGE 136 IV 156 E. 2.3 f.).

Die Entscheidung über die adäquate Massnahme ist eine Rechtsfrage, die das Bundesgericht frei überprüft. Die Beurteilung der zugrundeliegenden Sachumstände (Legalprognose, therapeutischer Nutzen) sind hingegen Tatfragen, die das Bundesgericht nur unter dem Gesichtspunkt der Willkür (Art. 9 BV) überprüft (BGE 150 IV 1 E. 2.3.2).

4.2.3. Verhältnismässigkeitsprüfung Gemäss Art. 56 Abs. 2 StGB muss die Massnahme verhältnismässig sein. Das Bundesgericht prüft die Verhältnismässigkeit frei (Urteil 6B_576/2024 E. 5.2) und differenziert dabei: * Geeignetheit: Die Massnahme muss die Legalprognose verbessern. * Notwendigkeit: Es darf keine gleich geeignete, mildere Massnahme ausreichen (Subsidiarität). * Verhältnismässigkeit im engeren Sinne: Es muss eine vernünftige Relation zwischen Eingriff und angestrebtem Zweck bestehen. Dies erfordert eine Abwägung der Freiheitsrechte des Täters gegen das Behandlungsbedürfnis sowie die Schwere und Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten (BGE 142 IV 105 E. 5.4; 137 IV 201 E. 1.2).

4.2.4. Würdigung des Gutachtens Bei der Anordnung einer Massnahme stützt sich das Gericht auf eine sachverständige Begutachtung (Art. 56 Abs. 3 StGB, Art. 182 StPO; BGE 150 IV 1 E. 2.3.3). Das Gericht würdigt Gutachten grundsätzlich frei (Art. 10 Abs. 2 StPO). In Fachfragen darf es jedoch nicht ohne triftige Gründe davon abweichen, und Abweichungen müssen begründet werden. Eine willkürliche Beweiswürdigung (Art. 9 BV) liegt vor, wenn auf ein nicht schlüssiges Gutachten abgestellt oder auf gebotene zusätzliche Beweiserhebungen verzichtet wird (BGE 150 IV 1 E. 2.3.3). Ob das Gericht die Schlüssigkeit eines Gutachtens als überzeugend erachten durfte, wird vom Bundesgericht nur unter dem Aspekt der Willkür geprüft (BGE 141 IV 369 E. 6.1).

4.2.5. Anwendung auf den vorliegenden Fall Das Bundesgericht wies die Argumentation des Beschwerdeführers zurück:

  • Zur gutachterlichen Empfehlung: Entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers empfahl die Sachverständige Dr. med. F.__ in ihrem Ergänzungsgutachten vom 14. Juni 2023 ausdrücklich eine stationäre therapeutische Behandlung nach Art. 59 StGB. Sie begründete dies mit der Schwere der schizoaffektiven Erkrankung, dem hohen Risiko fremdaggressiver Gewalthandlungen und der Unmöglichkeit einer effektiven Behandlung im allgemeinpsychiatrischen Versorgungssystem. Während ein früheres Gutachten die Umsetzung einer stationären Massnahme als nicht sinnvoll erachtete, sah das Ergänzungsgutachten aufgrund einer "geringfügigen Verbesserung der Behandlungsmotivation" des Beschwerdeführers nunmehr Erfolgsaussichten für einen erneuten Versuch einer Massnahme nach Art. 59 StGB. Die Vorinstanz durfte den schlüssigen und fundierten gutachterlichen Ausführungen folgen, ohne Willkür oder Bundesrecht zu verletzen.

  • Zur Geeignetheit einer ambulanten Behandlung: Die Sachverständige hatte die ambulante Behandlung als "nicht sinnvoll umsetzbar" bzw. "nicht ausreichend geeignet" beurteilt, da die notwendige Mitwirkungsbereitschaft und flankierende Strukturen fehlten. Die Interpretation des Beschwerdeführers, die Sachverständige habe lediglich die "Aufgleisung" einer tragfähigen ambulanten Behandlung, nicht aber die ambulante Behandlung selbst als ungeeignet erachtet (mit Option einer stationären Anbehandlung gemäss Art. 63 Abs. 3 StGB), wurde vom Bundesgericht als unbegründet zurückgewiesen. Die Sachverständige hätte ein solches Vorgehen erwähnt, wenn sie es für geeignet hielte. Die detaillierten Ausführungen der Sachverständigen zum Scheitern des letzten Behandlungsversuchs – trotz guter Organisation und Nachbehandlungsmöglichkeiten nach Haftentlassung hatte der Beschwerdeführer Medikamente abgesetzt, Kokain konsumiert und keine ambulanten Termine wahrgenommen, was zu den aktuellen Delikten führte – belegten die Notwendigkeit engmaschiger, strukturgebender Interventionen und medikamentöser Anpassungen, die angesichts seiner fehlenden Behandlungseinsicht und Unzuverlässigkeit nicht ambulant oder haftbegleitend umgesetzt werden könnten. Daher war die Vorinstanz nicht willkürlich und verletzte Art. 63 StGB nicht, indem sie eine ambulante Behandlung, auch mit stationärer Einleitung, als ungeeignet erachtete.

  • Gesamtbeurteilung der Verhältnismässigkeit: Das Bundesgericht bestätigte die Verhältnismässigkeit der stationären Massnahme. Sie ist geeignet, die ungünstige Legalprognose des Beschwerdeführers zu verbessern, und es gibt keine gleich geeignete, mildere Massnahme. Die Notwendigkeit der Massnahme ist somit gegeben. Die Abwägung zwischen der Gefährlichkeit des Beschwerdeführers, dem öffentlichen Interesse an Verbrechensverhütung und Resozialisierung einerseits sowie dem Freiheitsanspruch des Beschwerdeführers andererseits führte dazu, dass die auf zwei Jahre befristete stationäre Massnahme auch im engeren Sinne verhältnismässig ist. Dabei wurden die im Verhältnis zur Gefahr "relativ geringfügigen" Anlasstaten sowie die lange Inhaftierung des Beschwerdeführers berücksichtigt.

5. Ergebnis des Bundesgerichts Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab, soweit darauf eingetreten werden konnte. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wurde wegen Aussichtslosigkeit abgewiesen. Die Gerichtskosten wurden dem Beschwerdeführer auferlegt.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht bestätigte die Anordnung einer zweijährigen stationären therapeutischen Massnahme für A.__ wegen schwerer schizoaffektiver Störung und hoher Rückfallgefahr. Es wies die Argumente des Beschwerdeführers zurück, wonach die Massnahme unverhältnismässig sei und eine ambulante Behandlung ausreichen würde. Das Gericht stützte sich auf ein forensisch-psychiatrisches Ergänzungsgutachten, das eine stationäre Behandlung als einzig geeignete Massnahme zur Verbesserung der Legalprognose und zur Abwehr künftiger Gewalttaten empfahl. Frühere gescheiterte Behandlungsversuche untermauerten die Ungeeignetheit ambulanter Ansätze. Die stationäre Massnahme wurde als geeignet, notwendig und verhältnismässig befunden, auch unter Berücksichtigung der Anlasstaten und der bereits erlittenen Haftdauer. Ein Teil der Beschwerde bezüglich der Anwaltsentschädigung wurde mangels Legitimation des Beschwerdeführers nicht behandelt.