Zusammenfassung von BGer-Urteil 7B_56/2025 vom 23. September 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Detaillierte Zusammenfassung des Urteils 7B_56/2025 des Schweizerischen Bundesgerichts Einleitung

Das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts vom 23. September 2025 befasst sich mit einer Beschwerde in Strafsachen, die sich im Wesentlichen gegen die unterbliebene Zuerkennung einer Parteientschädigung für ein vorgängiges, teilweise erfolgreiches Beschwerdeverfahren richtet. Das Bundesgericht hatte zu prüfen, ob die Vorinstanz (Kantonsgericht Schwyz) ihrer Pflicht zur Begründung eines Entscheids und zur umfassenden Behandlung von Entschädigungsansprüchen nachgekommen ist, insbesondere im Lichte der Art. 421 Abs. 1 und Art. 436 Abs. 3 der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO).

Sachverhalt und Prozessgeschichte

Die komplexe Sachverhaltsgeschichte ist entscheidend für das Verständnis der rechtlichen Problematik:

  1. Ursprungsereignisse (März/April 2022): Am 31. März 2022 ereignete sich ein Verkehrsunfall zwischen A._ (Beschwerdeführer) und B._ (Beschwerdegegner 2) sowie ein mutmasslicher Folgevorfall mit Drohung/Nötigung. Die Kantonspolizei rapportierte den Unfall, wobei B._ als Beschuldigter aufgeführt wurde. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schwyz (nachfolgend: Staatsanwaltschaft) nahm das Verfahren wegen Verkehrsregelverletzung gegen B._ nicht an Hand (Verfügung vom 26. April 2023). A._ stellte Strafantrag gegen B._ wegen Nötigung (Unfall) und Drohung/Nötigung (Folgevorfall).
  2. Erste Einstellung und erfolgreiche Beschwerde (26. April 2023 - 27. November 2023): Die Staatsanwaltschaft stellte das Strafverfahren gegen B._ betreffend Drohung und Nötigung ein (Verfügung vom 26. April 2023). A._ erhob dagegen Beschwerde. Er rügte, der Untersuchungsabschluss sei ihm nur für den Folgevorfall, nicht aber für den Verkehrsunfall mitgeteilt worden. Die Beschwerdekammer des Kantonsgerichts Schwyz hiess diese Beschwerde (BEK 2023 58) am 27. November 2023 teilweise gut und hob die Einstellung des Strafverfahrens betreffend den Vorfall auf der Autobahnausfahrt A4 (Unfall) auf. Im Dispositiv des Beschlusses wurde festgehalten, dass die Entschädigungsfolgen "bei der Hauptsache" belassen würden (Art. 421 Abs. 1 StPO). Eine Entschädigungspflicht der beschuldigten Person (B.__) gemäss Art. 433 StPO wurde verneint.
  3. Weitere Strafanzeige (2. Mai 2023): A._ erstattete zudem Strafanzeige/Strafantrag gegen B._ wegen falscher Anschuldigung (evt. Verleumdung/übler Nachrede), da dieser ihn in einer polizeilichen Einvernahme wahrheitswidrig der Geschwindigkeitsüberschreitung bezichtigt haben soll.
  4. Zweite Einstellungsabsicht und Entschädigungsbegehren (April/Mai 2024): Am 18. April 2024 zeigte die Staatsanwaltschaft an, die noch offenen Strafverfahren gegen B._ (Nötigung Unfall, falsche Anschuldigung) einstellen zu wollen. A._ beantragte daraufhin am 8. Mai 2024 bei der Staatsanwaltschaft unter anderem, ihm sei für seine Aufwendungen im Beschwerdeverfahren BEK 2023 58 (der ersten, teilweise erfolgreichen Beschwerde) eine Entschädigung gemäss Art. 436 Abs. 3 StPO von CHF 2'373.-- zu Lasten des Staates zuzusprechen.
  5. Zweite Einstellung und Abweisung des Entschädigungsbegehrens (30. Juli 2024): Die Staatsanwaltschaft stellte am 30. Juli 2024 das Strafverfahren gegen B.__ wegen Nötigung (Unfall) und falscher Anschuldigung ein. In dieser Einstellungsverfügung unterliess sie es jedoch, über den von A.__ beantragten Entschädigungsanspruch für das Verfahren BEK 2023 58 zu befinden.
  6. Kantonale Beschwerde an das Kantonsgericht (August/Dezember 2024): A.__ erhob am 9. August 2024 Beschwerde gegen diese Einstellungsverfügung vom 30. Juli 2024 vor dem Kantonsgericht Schwyz (BEK 2024 135). Er rügte dabei ausdrücklich, die Staatsanwaltschaft habe es unterlassen, über die ihm zustehende Entschädigung zu befinden. Mit Beschluss vom 11. Dezember 2024 wies das Kantonsgericht Schwyz die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat. Es legte lediglich die Kosten für das eigene, aktuelle Beschwerdeverfahren fest, ohne sich jedoch mit der Entschädigungsfrage für das frühere, teilweise erfolgreiche Beschwerdeverfahren BEK 2023 58 auseinanderzusetzen.
  7. Beschwerde an das Bundesgericht (Februar 2025): A.__ gelangte mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Er beantragte die Aufhebung des kantonsgerichtlichen Beschlusses und die Zuerkennung einer Parteientschädigung von CHF 2'373.-- (für BEK 2023 58) zu Lasten des Staates, sowie eine Entschädigung für das bundesgerichtliche Verfahren. Er rügte eine formelle Rechtsverweigerung und eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör in Form der Begründungspflicht.
Rechtliche Problematik und Erwägungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht trat auf die Beschwerde ein, beschränkte jedoch seine Prüfung auf die Frage der Entschädigungsfolgen der Einstellung des Strafverfahrens gegen den Beschwerdegegner 2, da der Beschwerdeführer in dieser Hinsicht ein rechtlich geschütztes Interesse geltend machte.

Die zentralen rechtlichen Erwägungen des Bundesgerichts waren:

  1. Anwendungsbereich von Art. 421 Abs. 1 StPO (Kostenfolgen im Endentscheid):

    • Gemäss Art. 421 Abs. 1 StPO legt die Strafbehörde die Kostenfolgen im Endentscheid fest. Eine Einstellungsverfügung gilt als Endentscheid (E. 2.2.1).
    • Das Bundesgericht bestätigte, dass sich die Regelung von Art. 421 Abs. 1 StPO nicht nur auf die Verfahrenskosten, sondern auch auf allfällige Entschädigungs- und Genugtuungsansprüche bezieht. Dies leitet es aus der Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts (BBl 2006 1325 Ziff. 2.10.1) sowie aus der einheitlichen Lehrmeinung und seiner bisherigen Rechtsprechung (u.a. BGE 144 IV 207 E. 1.7) ab (E. 2.2.2). Die Strafbehörde ist demnach verpflichtet, im Endentscheid über alle Kosten- und Entschädigungsfolgen zu befinden.
  2. Entschädigungsansprüche im Rechtsmittelverfahren und deren Abgrenzung (Art. 433 StPO vs. Art. 436 Abs. 3 StPO):

    • Entschädigungsansprüche sind für jede Prozessphase getrennt zu prüfen (E. 2.3.1 unter Verweis auf BGE 142 IV 163 E. 3.2.2).
    • Art. 433 Abs. 1 StPO regelt den Entschädigungsanspruch der Privatklägerschaft gegenüber der beschuldigten Person, wenn sie obsiegt oder die beschuldigte Person kostenpflichtig ist. Eine subsidiäre Haftung des Staates ist hier nicht vorgesehen (E. 2.3.2).
    • Art. 436 Abs. 3 StPO hingegen statuiert einen Anspruch der Parteien auf eine angemessene Entschädigung für ihre Aufwendungen im Rechtsmittelverfahren und im aufgehobenen Teil des erstinstanzlichen Verfahrens, wenn die Rechtsmittelinstanz einen Entscheid aufhebt. Dieser Anspruch besteht gegenüber dem Staat (E. 2.4.1).
    • Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung findet Art. 436 Abs. 3 StPO auch im Beschwerdeverfahren Anwendung, wenn eine Rückweisung nach Art. 397 Abs. 2 StPO erfolgt. Ein kassatorischer Entscheid der Beschwerdeinstanz im Sinne von Art. 397 Abs. 2 StPO kommt gerade bei der erfolgreichen Anfechtung einer Einstellungsverfügung durch die Privatklägerschaft in Betracht (E. 2.4.2). Im vorliegenden Fall hatte das Kantonsgericht mit Beschluss BEK 2023 58 die Einstellung des Verfahrens betreffend den Unfall auf der Autobahnausfahrt A4 aufgehoben und somit einen kassatorischen Entscheid getroffen, der einen Entschädigungsanspruch des Beschwerdeführers gemäss Art. 436 Abs. 3 StPO gegen den Staat auslösen konnte.
  3. Verletzung der Begründungspflicht (Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG und Art. 29 Abs. 2 BV):

    • Entscheide müssen die massgebenden Gründe tatsächlicher und rechtlicher Art enthalten, damit ihre Überprüfung möglich ist (E. 2.5). Die Begründungspflicht ist ein Ausfluss des Anspruchs auf rechtliches Gehör.
    • Das Bundesgericht stellte fest, dass die Staatsanwaltschaft in ihrer Einstellungsverfügung vom 30. Juli 2024 die Entschädigungsansprüche des Beschwerdeführers für das Verfahren BEK 2023 58 nicht geprüft hatte, obwohl sie dazu gemäss Art. 421 Abs. 1 StPO verpflichtet gewesen wäre.
    • Der Beschwerdeführer hatte diese Rüge der unterlassenen Befassung mit seinem Entschädigungsbegehren bereits in seiner kantonalen Beschwerde vor der Vorinstanz (Kantonsgericht Schwyz) erhoben. Das Kantonsgericht hatte jedoch im angefochtenen Beschluss vom 11. Dezember 2024 die Entschädigungsfolgen lediglich für das aktuelle vorinstanzliche Verfahren festgelegt, ohne sich mit dem explizit geltend gemachten Entschädigungsanspruch für das frühere, teilweise obsiegte Verfahren BEK 2023 58 auseinanderzusetzen.
    • Diese unterbliebene Auseinandersetzung mit einem wesentlichen Punkt der Beschwerde stellt eine Verletzung der vorinstanzlichen Begründungspflicht dar (E. 2.6.3). Das Bundesgericht kann in solchen Fällen den Entscheid aufheben und die Sache zur Verbesserung an die kantonale Behörde zurückweisen, ohne sich selbst an die Stelle der Vorinstanz zu setzen (E. 2.5).
Entscheid des Bundesgerichts

Das Bundesgericht hiess die Beschwerde gut. Es hob den Beschluss des Kantonsgerichts Schwyz vom 11. Dezember 2024 auf und wies die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurück. Das Kantonsgericht hat nun einen den Anforderungen von Art. 112 Abs. 1 BGG genügenden Entscheid hinsichtlich des Entschädigungsanspruchs des Beschwerdeführers für das Beschwerdeverfahren BEK 2023 58 zu treffen. Die Gerichtskosten des bundesgerichtlichen Verfahrens wurden dem Kanton Schwyz auferlegt, und der Kanton hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit CHF 3'000.-- zu entschädigen.

Bedeutung im Kontext

Dieses Urteil unterstreicht die stringente Anwendung der prozessualen Begründungspflicht gemäss Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG in Verbindung mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV). Es verdeutlicht, dass die Strafbehörden und Rechtsmittelinstanzen verpflichtet sind, in ihren Endentscheiden (inkl. Einstellungsverfügungen) umfassend und begründet über sämtliche Kosten- und Entschädigungsfolgen zu befinden, auch wenn diese frühere Verfahrensphasen betreffen, die im Rahmen einer Rückweisung "bei der Hauptsache" belassen wurden. Die klare Differenzierung zwischen der Haftung der beschuldigten Person (Art. 433 StPO) und der Haftung des Staates (Art. 436 Abs. 3 StPO) für Parteientschädigungen im Rechtsmittelverfahren ist hierbei von zentraler Bedeutung. Insbesondere wird bekräftigt, dass die erfolgreiche Anfechtung und Aufhebung einer Einstellungsverfügung durch die Privatklägerschaft einen Entschädigungsanspruch gegenüber dem Staat auslösen kann, der im abschliessenden Endentscheid zu behandeln ist. Die vorliegende Entscheidung des Bundesgerichts dient somit als wichtige Mahnung an die kantonalen Instanzen, alle vorgebrachten und rechtlich relevanten Anträge, insbesondere im Bereich der Entschädigungen, sorgfältig und nachvollziehbar zu bescheiden, um formelle Rechtsverweigerungen zu vermeiden.

Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:
  • Pflicht zur umfassenden Entscheidfindung: Strafbehörden müssen im Endentscheid (z.B. Einstellungsverfügung) nicht nur über Verfahrenskosten, sondern auch über Entschädigungs- und Genugtuungsansprüche befinden (Art. 421 Abs. 1 StPO).
  • Trennung der Entschädigungsansprüche: Entschädigungsansprüche sind für jede Prozessphase separat zu prüfen.
  • Staatliche Entschädigungspflicht: Erfolgreiche Beschwerden der Privatklägerschaft, die zu einer Aufhebung oder Rückweisung eines erstinstanzlichen Entscheids führen (wie hier die Aufhebung einer Einstellungsverfügung), können einen Entschädigungsanspruch gegenüber dem Staat gemäss Art. 436 Abs. 3 StPO auslösen. Dieser unterscheidet sich von Art. 433 StPO, der eine Entschädigung durch die beschuldigte Person vorsieht.
  • Verletzung der Begründungspflicht: Das Kantonsgericht Schwyz hat einen ausdrücklich beantragten Entschädigungsanspruch für ein früheres, teilweise erfolgreiches Beschwerdeverfahren in seinem abschliessenden Entscheid nicht geprüft und begründet. Dies stellt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und eine formelle Rechtsverweigerung dar.
  • Folge: Aufhebung des kantonalen Entscheids und Rückweisung an die Vorinstanz zur korrekten und begründeten Beurteilung des Entschädigungsbegehrens.