Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des schweizerischen Bundesgerichts (5A_656/2025 vom 10. September 2025) detailliert zusammen.
Detaillierte Zusammenfassung des Bundesgerichtsurteils 5A_656/2025 vom 10. September 2025
A. Einleitung und Streitgegenstand
Das Bundesgericht hatte über eine Beschwerde gegen einen Entscheid des Kantonsgerichts Wallis zu befinden, der provisorische Massnahmen betreffend das Wohnortbestimmungsrecht (Art. 301a Abs. 2 lit. a ZGB), die Obhut, das Besuchsrecht und den Kinderunterhalt festlegte. Im Kern ging es um die Frage, ob die Mutter das Kind von der Schweiz nach Italien verlegen durfte, während das Hauptverfahren noch hängig war.
Die Parteien, A._ (Vater, portugiesische Nationalität) und B._ (Mutter, italienische Nationalität), sind die nicht verheirateten Eltern des im Mai 2021 geborenen Sohnes C.__. Sie üben die gemeinsame elterliche Sorge aus.
B. Wesentlicher Sachverhalt
- Beziehung und Familiengeschichte: Die Parteien lernten sich 2019 in Mexiko kennen und führten eine unregelmässige Beziehung. C._ wurde 2021 in Italien geboren, wo die Mutter lebte. Der Vater war vor der Geburt aus der Schweiz zur Mutter gestossen. Das Paar erwarb ein Haus in Italien. Im Juni 2022 trennten sie sich; der Vater kehrte in die Schweiz zurück, die Mutter mit dem Kind zu ihrer Familie in V._ (Italien). Der Vater besuchte das Kind alle zwei Wochen. Nach einer Wiederannäherung meldeten sich die Parteien am 1. Januar 2023 gemeinsam in W.__ (VS) an.
- Erneute Trennung und Konflikt: Im September 2023 trennte sich das Paar erneut. Die Mutter wollte mit dem Kind nach Italien zurückkehren, der Vater lehnte dies ab. Die KESB wurde angerufen.
- Illegale Verbringung und Rückführung: Am 9. Oktober 2023 verliess die Mutter mit C.__ die Schweiz und reichte in Turin Klage ein. Das Gericht von Genua hiess ein Rückführungsgesuch des Vaters gestützt auf die Haager Kindesentführungsübereinkommen (CLaH80) gut und ordnete die Rückkehr des Kindes in die Schweiz an. Diese Entscheidung wurde von der italienischen Rechtsmittelinstanz bestätigt. Am 15. Mai 2024 kehrte die Mutter mit dem Sohn in die Schweiz zurück.
- Aktuelle Betreuungssituation und Gerichtsverfahren: Seither einigten sich die Parteien auf ein Besuchsrecht des Vaters jedes zweite Wochenende und mittwochs. Das Kind wird zweimal pro Woche von einer Tagesmutter betreut und soll im Schuljahr 2025/2026 eingeschult werden.
- März 2024 - Jan 2025: Diverse Sozialberichte des OPE.
- Juni 2024: Die Mutter reichte für den Sohn Klage ein und beantragte superprovisorische und provisorische Massnahmen: Feststellung, dass sie Referenzelternteil ist, Bewilligung zur Wohnortverlegung nach Italien, alleinige Obhut, Besuchsrecht für den Vater und Unterhaltsbeiträge.
- Juni 2024: Die APEA untersagte der Mutter, die Schweiz mit dem Kind zu verlassen, und liess eine Signalisierung (RIPOL/SIS) eintragen.
- Sep 2024 (Bezirksgericht, superprovisorisch): Obhut der Mutter, Besuchsrecht des Vaters, Unterhaltsbeitrag 800 CHF/Monat, aber Verbot, die Schweiz mit dem Kind zu verlassen.
- Juni 2025 (Bezirksgericht, provisorisch): Gemeinsame elterliche Sorge, Obhut der Mutter. Autorisierung zur Wohnortverlegung nach X.__ (Italien) oder Umgebung ab 20. Juli 2025, Aufhebung der RIPOL/SIS-Signalisierung. Besuchsrecht des Vaters (ein Wochenende pro Monat, die Hälfte der Schulferien). Unterhaltsbeitrag 1'045 CHF (nach Wegzug), später 800 CHF.
- Aug 2025 (Kantonsgericht, Beschwerde): Bestätigung der Wohnortverlegung, aber Betrag der Unterhaltsbeiträge leicht reduziert (945 CHF nach Wegzug). Datum der Verlegung auf 20. August 2025 verschoben.
C. Rechtliche Würdigung durch das Bundesgericht
Das Bundesgericht prüfte die Beschwerde primär im Rahmen des eingeschränkten Prüfungsstandards von Art. 98 BGG für provisorische Massnahmen, d.h. es konnte nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte (insbesondere Willkür nach Art. 9 BV) überprüfen.
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Zulässigkeit der Beschwerde (Rz. 1):
- Entscheide über elterliche Rechte (Obhut, Wohnortverlegung ins Ausland, Besuchsrecht) stellen Zwischenentscheide dar, die einen irreparablen Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bewirken können. Eine spätere Gutheissung der Beschwerde im Hauptverfahren kann den Entzug der elterlichen Vorrechte nicht rückwirkend kompensieren.
- Allein die Anordnung von Unterhaltszahlungen gilt grundsätzlich nicht als irreparabler Nachteil. Da die Frage des Unterhalts hier jedoch eng mit den elterlichen Rechten verknüpft war, konnte die Zulässigkeitsfrage offenbleiben.
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Prüfungsstandard bei provisorischen Massnahmen (Rz. 2):
- Für provisorische Massnahmen gemäss Art. 98 BGG kann der Rekurrent nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte rügen. Dies erfordert eine detaillierte und präzise Begründung ("Rügeprinzip" gemäss Art. 106 Abs. 2 BGG). Appellatorische Kritik ist unzulässig.
- Die Sachverhaltsfeststellung durch die Vorinstanz ist für das Bundesgericht grundsätzlich bindend (Art. 105 Abs. 1 BGG). Will der Rekurrent die Feststellungen als willkürlich rügen, muss er dies im Sinne von Art. 9 BV präzise darlegen, wobei Willkür nur bei offensichtlicher Fehlbeurteilung von Beweismitteln oder unhaltbaren Schlussfolgerungen vorliegt.
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Wohnortbestimmungsrecht nach Art. 301a ZGB (Rz. 3):
- Grundsätze (Rz. 3.1.1): Die gemeinsame elterliche Sorge beinhaltet das Recht, den Wohnort des Kindes zu bestimmen. Ein Elternteil kann den Wohnort des Kindes nur mit Zustimmung des anderen Elternteils oder mit gerichtlicher/KESB-Zustimmung ändern, wenn der neue Wohnort im Ausland liegt oder der Umzug erhebliche Auswirkungen auf die Ausübung der elterlichen Sorge und die persönlichen Beziehungen hat (Art. 301a Abs. 2 lit. a und b ZGB). Das Bundesgericht betont, dass die gemeinsame elterliche Sorge die Niederlassungsfreiheit der Eltern nicht de facto einschränken darf (Art. 24 BV). Es ist zu prüfen, wo das Kindeswohl besser gewahrt ist: beim mitziehenden oder beim verbleibenden Elternteil. Die Umzugsmotive spielen eine untergeordnete Rolle, es sei denn, eine Entfremdungsabsicht wird festgestellt. Konkrete Umzugspläne müssen vorliegen.
- Bedeutung des Referenzelternteils (Rz. 3.1.2): Das vorbestehende Betreuungsmodell ist der Ausgangspunkt. Wenn der wegziehende Elternteil die alleinige Obhut hatte oder der Referenzelternteil war (d.h. das Kind bisher überwiegend betreute), ist es grundsätzlich im Interesse des Kindes, mit diesem Elternteil umzuziehen, sofern dieser eine ähnliche Betreuung am neuen Wohnort gewährleisten kann und keine Kindeswohlgefährdung droht (BGer 142 III 481 E. 2.7, 142 III 502 E. 2.5). Die Prüfung von Obhut, Besuchsrecht und Unterhalt ist untrennbar mit der Umzugsfrage verbunden.
- Besondere Zurückhaltung bei provisorischen Massnahmen für Auslandsverlegung (Rz. 3.1.3): Bei provisorischen Massnahmen ist besondere Zurückhaltung geboten, wenn es um die Verlegung des Kindes ins Ausland geht. Angesichts des Zuständigkeitsverlustes der Schweizer Gerichte, insbesondere wenn das Zielland Vertragspartei des Haager Kindesschutzübereinkommens (CLaH96) ist, darf eine solche Bewilligung nur erteilt werden, wenn eine charakterisierte Dringlichkeit (urgence caractérisée) vorliegt (BGer 144 III 469 E. 4.2.2; 143 III 193 E. 2 und 4).
- Ermessen der Vorinstanz (Rz. 3.1.4): Die richterliche Behörde kann sich bei provisorischen Massnahmen auf die Glaubhaftmachung der Tatsachen beschränken (summarisches Verfahren). Sie verfügt über einen weiten Ermessensspielraum, den das Bundesgericht nur mit Zurückhaltung prüft und nur bei Willkür korrigiert.
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Anwendung der Grundsätze auf den vorliegenden Fall:
- Referenzelternteil (Rz. 3.2): Das Kantonsgericht hatte festgestellt, die Mutter sei der Referenzelternteil. Das Kind habe seit der Geburt ununterbrochen bei ihr gelebt. Obwohl der Vater nach einem Jahr zugezogen sei, habe die Mutter weiterhin die Hauptlast der Betreuung getragen, während der Vater zu 100% gearbeitet habe. Das Bundesgericht befand, die Argumentation des Rekurrenten, die Situation sei neutral, sei nicht willkürlich. Die ursprüngliche Phase, in der der Vater nicht gearbeitet habe, sei für die Beurteilung der aktuellen Situation irrelevant. Es komme auf das Betreuungsmodell im Zeitpunkt der Umzugsabsicht an.
- Kindeswohl bei Umzug nach Italien (Rz. 3.3):
- Das Bundesgericht bestätigte die kantonale Ansicht, dass nicht abstrakt die ideale Lösung gesucht werde, sondern ob das Kindeswohl besser mit der Mutter in Italien oder beim Vater in der Schweiz gewahrt sei. Der Einwand des Vaters, die alternierende Obhut sei optimal, wurde als unzulässig zurückgewiesen, da dies letztlich das Umzugsprojekt der Mutter konterkariere.
- Das Kantonsgericht hatte die Stabilität des Kindes nicht als gefährdet erachtet: Die Mutter habe ähnliche Verfügbarkeit in Aussicht gestellt, und das Kind (4-jährig, ohne Krippenbesuch) laufe keine Gefahr, durch soziale oder kulturelle Entwurzelung Schaden zu nehmen, da es noch keine engen Bindungen aufgebaut habe. Das vorgesehene Besuchsrecht (ein Wochenende pro Monat, halbe Ferien) wurde als ausreichend erachtet, um privilegierte und regelmässige Kontakte aufrechtzuerhalten. Die Einwände des Rekurrenten, seine eigene Verfügbarkeit sei höher (hypothetische Berufsumschulung, 80% Pensum), wurden als ungenügend erachtet, um Willkür zu belegen.
- Das Umzugsprojekt der Mutter wurde als genügend konkret und durchdacht beurteilt (Wohnung, realistische Arbeitsaussichten). Auch die Absicht, den Vater nicht zu entfremden, wurde bejaht, gestützt auf die stärkeren Bindungen der Mutter zu Italien, ihren gerichtlichen Versuch, die Situation zu regeln (nach dem ersten, widerrechtlichen Wegzug), ihre Kooperation bei der Rückführung und ihre Zusammenarbeit zur Förderung der Vater-Kind-Beziehung. Die pauschalen Bestreitungen des Vaters wurden als ungenügend bewertet.
- Charakterisierte Dringlichkeit (Rz. 3.4): Dies war der entscheidende Punkt. Das Kantonsgericht begründete die charakterisierte Dringlichkeit damit, dass das Kind im August 2025 in der Schweiz eingeschult werden müsste, falls der Umzug nicht bewilligt würde. Eine spätere Umschulung nach dem Hauptverfahren würde dem Kind schaden. Die Desorientierung, die das Kind bereits durch den früheren Umzug nach Italien und die Rückkehr erfahren habe, würde sich verstärken, wenn es nun in der Schweiz eingeschult und möglicherweise später wieder umgeschult werden müsste. Der Entscheid des Kantonsgerichts stützte sich auf eine vertiefte Sachverhaltsabklärung (mehrere Eingaben, zwei OPE-Berichte, zwei Anhörungen). Das Bundesgericht bekräftigte, dass das Kindeswohl hier eine provisorische Verlegung rechtfertige, auch wenn dies einen internationalen Zuständigkeitsverlust nach sich ziehe. Es verwies auf den Entscheid 5A_916/2019, der die Zulässigkeit einer provisorischen Verlegung aus wirtschaftlichen Interessen eines Elternteils erwogen hatte, und argumentierte, dass dies umso mehr gelten müsse, wenn der Umzug durch das Kindeswohl (hier: Vermeidung doppelter Schulwechsel) geboten sei. Die Argumente des Vaters gegen die Einschulung in Italien wurden als blosse Gegenüberstellung von Ansichten gewertet, die keine Willkür belegten.
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Unvollständige Sachverhaltsermittlung (Rz. 4): Der Rekurrent rügte eine unvollständige Sachverhaltsermittlung, insbesondere im Hinblick auf die Auswirkungen auf sein Besuchsrecht im Ausland. Das Bundesgericht wies dies als unzulässig zurück, da der Rekurrent die kantonale Begründung (OPE-Bericht ausreichend, Beweisantrag verspätet) nicht substantiiert widerlegte.
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Unterhaltsbeitrag (Rz. 5): Der Rekurrent rügte die Höhe des Unterhaltsbeitrags als willkürlich. Das Bundesgericht verwarf diesen Punkt. Erstens habe der Vater keinen irreparablen Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG dargelegt (insbesondere keine erheblichen finanziellen Schwierigkeiten durch die Zahlung). Zweitens waren seine Argumente (fehlende Kritik an der Betreuungsleistung im Unterhalt, unzureichende Begründung für Wegfall der Betreuungskosten nach Einschulung) zu unsubstantiiert, um Willkür aufzuzeigen (Art. 106 Abs. 2 BGG).
D. Kurzfassung der wesentlichen Punkte
- Charakterisierte Dringlichkeit bei Auslandsverlegung: Das Bundesgericht bekräftigt, dass eine provisorische Wohnortverlegung eines Kindes ins Ausland nur bei einer charakterisierten Dringlichkeit bewilligt werden darf, da dies einen Verlust der internationalen Zuständigkeit mit sich bringt.
- Kindeswohl als zentrales Kriterium: Im vorliegenden Fall wurde diese Dringlichkeit bejaht, um dem Kind einen doppelten Schulwechsel zu ersparen, da es sonst im August 2025 in der Schweiz eingeschult und nach einem positiven Entscheid im Hauptverfahren wieder nach Italien umgeschult werden müsste. Dies sei im Sinne des Kindeswohls.
- Referenzelternteil: Die Mutter wurde als Referenzelternteil bestätigt, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass das Kind bei einem Umzug ihr folgt, sofern das Kindeswohl nicht gefährdet ist.
- Beschränkter Prüfungsstandard: Das Bundesgericht hat die Würdigung der Vorinstanz nur auf Willkür hin überprüft und die Rügen des Vaters als unsubstantiiert oder unzulässig zurückgewiesen.
- Unentgeltliche Rechtspflege: Die unentgeltliche Rechtspflege wurde dem Vater aufgrund nicht nachgewiesener Mittellosigkeit abgelehnt.
E. Entscheid des Bundesgerichts
Das Bundesgericht wies die Beschwerde, soweit sie zulässig war, ab. Die Mutter wurde ermächtigt, den Wohnort des Sohnes ab dem 20. September 2025 in die Region V.__ (Italien) zu verlegen. Der Antrag des Rekurrenten auf unentgeltliche Rechtspflege wurde abgelehnt, und die Gerichtskosten wurden ihm auferlegt.