Zusammenfassung von BGer-Urteil 7B_213/2022 vom 3. September 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Nachstehend wird das Urteil des schweizerischen Bundesgerichts vom 3. September 2025 (Az. 7B_213/2022) detailliert zusammengefasst.

Zusammenfassung des Sachverhalts und des Prozessverlaufs

Der Beschwerdeführer A._ wurde vom Tribunal correctionnel de l'arrondissement de La Broye et du Nord vaudois zunächst wegen versuchten Betrugs und Urkundenfälschung zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt, wobei ein früherer bedingter Strafvollzug widerrufen wurde. Die Cour d'appel pénale des Kantons Waadt reformierte dieses Urteil im Rahmen von Appellationen des Beschwerdeführers, der Staatsanwaltschaft und der Cautionnement romand. Sie sprach A._ des Betrugs und der Urkundenfälschung schuldig und verurteilte ihn zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten, setzte 9 Monate davon bedingt auf eine Probezeit von 4 Jahren aus und verpflichtete ihn zur Zahlung von CHF 260'000 an die Cautionnement romand.

Dem Beschwerdeführer wurden im Wesentlichen zwei Sachverhalte zur Last gelegt: 1. 30. März 2020 (Unternehmen B.__): A._ beantragte bei der Bank D._ SA im Namen seines Einzelunternehmens B._ einen zinslosen COVID-19-Kredit über CHF 260'000. Er gab wissentlich wahrheitswidrig einen fiktiven Umsatz von CHF 2'600'000 für die Geschäftsjahre 2018 und 2019 an, obwohl er seit seiner Privatinsolvenz 2017 keine Buchhaltung geführt hatte. Die Bank vertraute den Angaben und zahlte den Betrag aus. A._ leitete einen Grossteil der Summe an Dritte weiter. 2. 2. April 2020 (Unternehmen C.__): A._ beantragte erneut bei derselben Bank, diesmal im Namen des eigens dafür neu gegründeten Einzelunternehmens C._, einen zinslosen COVID-19-Kredit über CHF 500'000. Auch hier gab er wahrheitswidrig einen fiktiven Umsatz von CHF 8'000'000 für 2018 und 2019 an. Da A.__ den Umsatz nicht rechtfertigen konnte, lehnte die Bank die Auszahlung ab und meldete den Fall der Meldestelle für Geldwäscherei.

A.__ focht das Urteil der Cour d'appel pénale vor Bundesgericht an und beantragte primär einen Freispruch.

Massgebende Punkte und rechtliche Argumente des Bundesgerichts

Das Bundesgericht befasste sich mit drei Hauptpunkten: der Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung (insbesondere die Arglist), der rechtlichen Würdigung als Betrug und Urkundenfälschung sowie der Strafzumessung.

I. Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung (Art. 9 BV, Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG)

  1. Rüge des Beschwerdeführers: Der Beschwerdeführer beanstandete eine Verletzung des Grundsatzes in dubio pro reo sowie des Willkürverbots bei der Feststellung des Sachverhalts, insbesondere hinsichtlich des Umsatzes von CHF 2'600'000 für das Unternehmen B.__. Er argumentierte, dieser Umsatz sei durch Notariatsabrechnungen und eine Steuerveranlagung belegt.
  2. Rechtliche Grundlagen: Das Bundesgericht erinnerte an seine Rolle als Rechtsinstanz, die an die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz gebunden ist, es sei denn, diese wurden willkürlich (Art. 9 BV) oder offensichtlich unrichtig festgestellt (Art. 97 Abs. 1, 105 Abs. 2 BGG). Willkür liegt vor, wenn eine Entscheidung nicht nur diskutabel, sondern schlechterdings unhaltbar ist. Der Grundsatz in dubio pro reo als Beweiswürdigungsregel hat keine über das Willkürverbot hinausgehende Bedeutung; es müssen ernsthafte und unüberwindliche Zweifel bestehen, nicht bloss abstrakte. Als Beweislastregel bedeutet er, dass die Anklage die Schuld beweisen muss und die Verurteilung nicht auf unbewiesener Unschuld beruhen darf.
  3. Begründung des Bundesgerichts:
    • Die Vorinstanz hatte festgestellt, dass der Beschwerdeführer wahrheitswidrig einen Umsatz von CHF 2'600'000 für 2018/2019 angegeben hatte, obwohl er seit 2017 keine Buchhaltung geführt hatte. Er hatte zwar Notariatsabrechnungen von Oktober 2017 zu Immobilienverkäufen in V._ und W._ vorgelegt, die Zahlungen aus 2013-2015 betrafen. Das Grundbuch belegte jedoch, dass seine Eigentumsrechte an diesen Grundstücken bereits vor 2017 gelöscht waren. Es war daher unwahrscheinlich, dass Verkaufserlöse erst 2018 ausgezahlt wurden, wenn er zu diesem Zeitpunkt nicht mehr Eigentümer war.
    • Die Steuerveranlagungen, die eine Schuldreduktion von ca. CHF 2.8 Mio. auswiesen, konnten den Umsatz nicht ohne Weiteres belegen, da sie auch private Vermögenswerte und andere Einkünfte umfassten und keine Differenzierung zwischen Privat- und Geschäftsvermögen zulassen.
    • Das Bundesgericht befand, dass die Vorinstanz ohne Willkür feststellen konnte, dass der angegebene Umsatz unwahr oder fiktiv war. Die Argumente des Beschwerdeführers, die hauptsächlich darauf abzielten, die Beweise neu zu würdigen, waren appellatorisch und unzulässig. Es lag keine Verletzung der freien Beweiswürdigung oder eine unzulässige Beweislastumkehr vor, da die Vorinstanz keine Zweifel an der Unrichtigkeit des Umsatzes hegte.

II. Betrug (Art. 146 StGB)

  1. Rüge des Beschwerdeführers: Der Beschwerdeführer bestritt seine Verurteilung wegen Betrugs im Zusammenhang mit dem Kredit für B.__.
  2. Rechtliche Grundlagen: Das Bundesgericht zitierte Art. 146 StGB (a.F.), wonach sich des Betrugs schuldig macht, wer in der Absicht, sich oder einen Dritten unrechtmässig zu bereichern, jemanden durch falsche Vorspiegelungen oder Unterdrückung von Tatsachen arglistig irreführt oder in seinem Irrtum arglistig bestärkt und so zu einem vermögensschädigenden Verhalten bestimmt.
    • Täuschung: Jedes Verhalten, das bei einer Person eine falsche Vorstellung von Tatsachen hervorruft.
    • Arglist: Die Täuschung muss arglistig sein. Arglist liegt vor bei einem Lügengebäude, betrügerischen Machenschaften oder einer Inszenierung. Auch einfache unwahre Angaben können arglistig sein, wenn eine Überprüfung unmöglich, erschwert oder nicht zumutbar ist oder der Täter das Opfer von einer Überprüfung abhält oder ein besonderes Vertrauensverhältnis ausnutzt. Betrügerische Machenschaften sind insbesondere die Verwendung gefälschter oder zu Unrecht erlangter Urkunden oder unwahrer Dokumente.
    • Opfermitverantwortung: Arglist ist nicht gegeben, wenn das Opfer mit einem Minimum an Aufmerksamkeit den Irrtum hätte vermeiden können. Es wird jedoch nicht die grösstmögliche Sorgfalt verlangt. Eine Mitverantwortung des Opfers schliesst Arglist nur in Ausnahmefällen aus. Banken wird eine erhöhte Wachsamkeit zugemutet, aber nicht die Ergreifung aller denkbaren Vorkehrungen. Arglist ist nur dann zu verneinen, wenn die Bank leichtfertig gehandelt hat (z.B. bei grob gefälschten Dokumenten).
  3. Begründung des Bundesgerichts:
    • Die Vorinstanz hat zu Recht die besondere Natur der COVID-19-Kredite berücksichtigt. Die OCaS-COVID-19 (Art. 3 Abs. 1) sah eine «formlose» und «auf einfacher Erklärung» beruhende Bürgschaftsvergabe vor. Im Gegenzug verpflichtete Art. 11 Abs. 2 OCaS-COVID-19 den Antragsteller, die Vollständigkeit und Richtigkeit der Angaben schriftlich zu bestätigen, während Art. 11 Abs. 3 OCaS-COVID-19 vorsah, dass die Bürgschaftsorganisation nur die formale Vollständigkeit und Richtigkeit der Anträge überprüfte. Das System war auf Vertrauen und schnelle Hilfe ohne langwierige Überprüfungen ausgelegt.
    • Der Beschwerdeführer wusste um diese stark eingeschränkten Kontrollen und nutzte dies aus, indem er falsche Angaben zum Umsatz machte. Die Bank konnte ihm keine Verletzung ihrer Überprüfungspflicht vorgeworfen werden, da er formal nicht in Konkurs war und die Notwendigkeit einer schnellen Bearbeitung die Überprüfung weiterer Angaben verunmöglichte.
    • Das Bundesgericht bestätigte seine ständige Rechtsprechung, wonach die Angabe eines unwahren Umsatzes im Rahmen eines COVID-19-Kreditantrags arglistig ist (vgl. ATF 150 IV 169 E. 5.1.4). Die Überprüfung war nicht vorgesehen und teilweise unmöglich. Die Bank hatte nicht leichtfertig gehandelt. Die fehlende Angabe der IDE-Nummer durch den Beschwerdeführer war irrelevant, da das Unternehmen registriert war und dies die Bank nicht zu erhöhter Misstrauen oder einer Überprüfung des Umsatzes hätte veranlassen müssen.
    • Die Rüge bezüglich einer weiteren falschen Angabe (Betroffenheit durch die Pandemie) war gegenstandslos, da die falsche Umsatzangabe allein die Arglist begründete. Der Vorsatz und die Bereicherungsabsicht wurden nicht bestritten.

III. Urkundenfälschung (Art. 251 Ziff. 1 StGB)

  1. Rüge des Beschwerdeführers: Der Beschwerdeführer bestritt seine Verurteilung wegen Urkundenfälschung in Bezug auf die Kreditantragsformulare für B._ und C._ und bestritt die "erhöhte Beweiskraft" (valeur probante accrue) dieser Formulare.
  2. Rechtliche Grundlagen: Gemäss Art. 251 Ziff. 1 StGB (a.F.) wird bestraft, wer zum Zweck der Schädigung fremden Vermögens oder anderer Rechte oder zur Erlangung eines unrechtmässigen Vorteils eine Urkunde fälscht, verfälscht, eine echte Unterschrift missbraucht, einen unwahren Sachverhalt in einer Urkunde feststellt oder feststellen lässt oder eine solche Urkunde zur Täuschung gebraucht.
    • Urkunde (Art. 110 Ziff. 4 StGB): Schriften, die bestimmt und geeignet sind, eine rechtlich erhebliche Tatsache zu beweisen.
    • Materielle Fälschung: Der tatsächliche Aussteller ist nicht identisch mit dem scheinbaren Aussteller.
    • Intellektuelle Fälschung: Die Urkunde stammt vom scheinbaren Aussteller, ihr Inhalt entspricht aber nicht der Wahrheit. Eine blosse schriftliche Lüge genügt nicht. Die Urkunde muss eine erhöhte Glaubwürdigkeit besitzen, der Dritte vernünftigerweise vertrauen dürfen. Dies ist der Fall, wenn objektive Garantien für die Wahrheit der Erklärung bestehen (z.B. eine Prüfungspflicht oder gesetzliche Vorschriften, die den Inhalt definieren). Kaufmännische Buchführungsunterlagen (Belege, Bücher, Auszüge, Bilanzen, Erfolgsrechnungen) besitzen kraft Gesetzes eine erhöhte Beweiskraft, weshalb falsche Inhalte in solchen Dokumenten als intellektuelle Fälschung gelten.
  3. Begründung des Bundesgerichts:
    • Das Bundesgericht bestätigte seine Rechtsprechung, wonach die Umsatzangaben im "bloc1" Ziff. 3 des COVID-19-Kreditantragsformulars eine erhöhte Glaubwürdigkeit geniessen, da sie – oder zumindest sein sollten – auf der kaufmännischen Buchführung des beantragenden Unternehmens basierten (vgl. 6B_394/2024 E. 3.3).
    • Der Beschwerdeführer hatte für B._ einen falschen Umsatz von CHF 2'600'000 angegeben, obwohl er keine Buchführung hatte. Für C._, das er erst kürzlich gegründet hatte, gab er einen falschen Umsatz von CHF 8'000'000 an. In beiden Fällen lieferte er unwahre Informationen über Umsatzangaben, die auf der kaufmännischen Buchführung beruhen sollten und somit erhöhte Glaubwürdigkeit besassen.
    • Die Vorinstanz hat somit kein Bundesrecht verletzt, indem sie die Handlungen des Beschwerdeführers als Urkundenfälschung qualifizierte. Der Vorsatz und die besondere Absicht des Art. 251 StGB wurden nicht bestritten.

IV. Strafzumessung (Art. 47, 49 StGB)

  1. Rüge des Beschwerdeführers: Der Beschwerdeführer beanstandete die Höhe der Freiheitsstrafe von 18 Monaten und argumentierte, dass ein angestrebter wirtschaftlicher Schaden von CHF 760'000 nicht strafschärfend berücksichtigt werden durfte.
  2. Rechtliche Grundlagen: Das Bundesgericht wies auf den weiten Ermessensspielraum des Richters bei der Strafzumessung hin. Es greift nur ein, wenn die Vorinstanz den gesetzlichen Rahmen überschritten, sachfremde Kriterien berücksichtigt, wichtige Bemessungsfaktoren ausser Acht gelassen oder das Ermessen in unhaltbarer Weise ausgeübt hat (ATF 150 IV 377 E. 1.1.1).
  3. Begründung des Bundesgerichts:
    • Die Vorinstanz hatte die Schuld des Beschwerdeführers als schwerwiegend eingestuft. Sie berücksichtigte die massive Schädigung des Vertrauens in Urkunden und den Geschäftsverkehr sowie die Ausnutzung einer Gesundheits-, Wirtschafts- und Sozialkrise.
    • Der angestrebte wirtschaftliche Schaden bzw. die unrechtmässige Bereicherung von CHF 760'000 (Summe der beantragten Kredite) wurde zu Recht als schulderhöhendes Kriterium berücksichtigt. Dies entspricht dem potenziellen Schaden, den der Beschwerdeführer anstrebte.
    • Weitere strafschärfende Faktoren waren der massive Bereicherungswille, die Wiederholung der Tat innerhalb weniger Tage, die gute persönliche und finanzielle Situation des Beschwerdeführers, der Konkurs aus 2017 als keine Rechtfertigung für den Rückfall drei Tage nach der ersten Kreditgewährung, die Konkurrenz von Straftaten, seine einschlägigen Vorstrafen und der Rückfall während der Probezeit einer früheren Verurteilung. Zudem zeigte er keine Reue, Einsicht oder Wiedergutmachung, trotz jährlicher Einkommen von CHF 200'000 seit 2022.
    • Die Gesamtstrafe von 18 Monaten, abgeleitet aus 10 Monaten für den Betrug und je 4 Monaten für die beiden Urkundenfälschungen, wurde vom Bundesgericht als nicht willkürlich oder ermessensmissbräuchlich bestätigt.
    • Hinsichtlich des festen Teils der Freiheitsstrafe und des Widerrufs des früheren bedingten Vollzugs wurden keine zulässigen und substanziierten Rügen erhoben.

V. Fazit

Das Bundesgericht weist die Beschwerde in dem Masse, wie sie zulässig ist, ab.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht bestätigte die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Betrugs und Urkundenfälschung im Zusammenhang mit dem betrügerischen Bezug und Versuch des Bezugs von COVID-19-Krediten. 1. Sachverhaltsfeststellung: Die Feststellung eines fiktiven und unwahren Umsatzes durch die Vorinstanz war nicht willkürlich, da der Beschwerdeführer keine kaufmännische Buchführung vorweisen konnte und die vorgelegten Belege seine Angaben nicht stützten. 2. Betrug (Arglist): Die Angabe falscher Umsatzzahlen im COVID-19-Kreditantragsformular stellt eine arglistige Täuschung dar, da das Notrecht eine vereinfachte, auf Vertrauen basierende Prüfung vorsah, die der Beschwerdeführer bewusst ausnutzte. Eine Leichtfertigkeit der Bank wurde verneint. 3. Urkundenfälschung (erhöhte Beweiskraft): Die Umsatzangaben in den COVID-19-Kreditanträgen besitzen eine erhöhte Beweiskraft, da sie auf der kaufmännischen Buchführung des Unternehmens basieren sollten. Die Falschangaben des Beschwerdeführers stellen somit intellektuelle Fälschungen dar. 4. Strafzumessung: Die festgesetzte Freiheitsstrafe von 18 Monaten ist angesichts der schweren Schuld, der Ausnutzung der Krisensituation, der massiven Schädigung des Vertrauens, des hohen angestrebten Schadens von CHF 760'000, der Vorstrafen und des Mangels an Reue nicht zu beanstanden.