Zusammenfassung von BGer-Urteil 7B_519/2025 vom 29. August 2025

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Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts 7B_519/2025 vom 29. August 2025 detailliert zusammen.

Zusammenfassung des Bundesgerichtsentscheids 7B_519/2025 vom 29. August 2025

1. Einführung und Parteien Das Bundesgericht, Zweite strafrechtliche Abteilung, befasste sich in seinem Urteil vom 29. August 2025 mit einer Beschwerde gegen einen Entscheid des Einzelrichters des Kantonsgerichts Wallis betreffend den Vollzug von Strafen und Massnahmen. Beschwerdeführer ist A.__, vertreten durch Rechtsanwalt Philippe Nantermod. Beschwerdegegner sind das zentrale Amt der Staatsanwaltschaft des Kantons Wallis und das Amt für Sanktionen und Begleitmassnahmen des Kantons Wallis (OSAMA).

2. Sachverhalt und Vorinstanzen

2.1. Vorgeschichte der Verurteilung und Massnahmenanordnung A.__ wurde am 5. Mai 2021 vom Bundesgericht rechtskräftig wegen sexueller Nötigung (Art. 189 Abs. 1 StGB), versuchter Vergewaltigung (Art. 22 Abs. 1 i.V.m. Art. 190 Abs. 1 StGB) sowie sexueller Handlungen mit einer urteilsunfähigen oder widerstandsunfähigen Person (Art. 191 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und einer stationären therapeutischen Massnahme nach Art. 59 StGB unterstellt.

2.2. Vollzug und Bedingungen im offenen Setting Anfangs in einer geschlossenen Anstalt platziert, wurde A.__ per 10. Januar 2022 in ein offenes Aufnahmezentrum (Centre d'accueil) verlegt. Diese Platzierung war an strenge Bedingungen geknüpft, darunter gutes Benehmen, Einhaltung der Anstaltsregeln, Engagement in der Therapie (Arbeit an Sucht, Straftaten, Persönlichkeitsentwicklung, Empathie, Selbstreflexion, Selbstbeherrschung), Kontaktverbot zum Bruder, Beistandschaft, Alkoholverbot und Verbot nicht verschriebener Medikamente. Unbegleitete Ausgänge waren nicht erlaubt.

2.3. Verstösse und Verwarnungen A.__ verstiess mehrfach gegen die Auflagen. Am 10. Februar 2022 erging eine erste Verwarnung wegen nicht gemeldeter Besuche seines Bruders, Ausübung von Druck auf Mitinsassen, abfälligen Äusserungen über Frauen und Besitz von unerlaubtem Geld. Eine zweite Verwarnung erfolgte am 12. Oktober 2022 wegen Nichteinhaltung der notwendigen Distanz bei Treffen mit seiner Freundin. Ihm wurde mitgeteilt, dass weitere Verstösse zu einer Verzögerung, Verhinderung oder Annullierung zukünftiger Erleichterungen führen würden.

2.4. Beurteilung des Rückfallrisikos und Therapieerfolg Am 8. März 2023 beantragte das OSAMA beim Vollzugs- und Massnahmengericht (TAPEM) eine Überprüfung der bedingten Entlassung und Aufhebung der Massnahme. Die Prüfungskommission für Gefährlichkeit (Commission pour l'examen de la dangerosité) empfahl die Ablehnung, da die Aufarbeitung der Straftaten und die persönliche Entwicklung erst am Anfang stünden, A.__ grosses Misstrauen hege und seine kognitiven Fähigkeiten eine tiefere Auseinandersetzung mit den Diagnosen und Taten erschwerten. Das TAPEM lehnte die bedingte Entlassung ab, was am 21. Juni 2023 vom Kantonsgericht bestätigt wurde.

2.5. Gewährung von Ausgängen und die Flucht Trotz der zuvor festgestellten Risiken bewilligte das OSAMA am 8. September 2023 A._ Ausgänge unter weiteren Bedingungen (gutes Benehmen, Fortsetzung der Therapie, kein Kontakt zu Opfern, Alkohol-/Drogenverbot, Ausreiseverbot). Das OSAMA ging davon aus, dass das Rückfallrisiko durch die sorgfältige Begleitung der Ausgänge (allein, tagsüber, in der Nähe des Zentrums) minimiert werden könnte, da die früheren Taten in einem spezifischen Kontext (festliche Abende, Alkoholkonsum, mutmassliche Betäubung der Opfer) stattgefunden hatten. Am 14. Oktober 2023 floh A._ jedoch aus dem Centre d'accueil. Berichte legten nahe, dass die Flucht geplant und mit externer Hilfe vorbereitet war.

2.6. Widerruf des offenen Vollzugs und rechtliche Schritte Als Reaktion auf die Flucht erliess das OSAMA am 17. Oktober 2023 einen nationalen Haftbefehl und widerrief am 7. November 2023 mit sofortiger Wirkung die Platzierung im Centre d'accueil. Es ordnete an, dass A._ nach seiner Festnahme in die geschlossene Justizvollzugsanstalt R._ zu überführen sei. Die Entscheidung begründete den Widerruf mit der Flucht als eklatante Verletzung der Auflagen und den bereits ergangenen Verwarnungen. Therapieweiterführende Berichte vom November und Dezember 2023 bestätigten die Schwierigkeiten des Beschwerdeführers, Regeln zu akzeptieren, seine manipulative Art, die Tendenz zur Verantwortungsabwehr und seine mangelnde Empathie, die die Tiefe seiner Impunität und die Planung seiner Flucht nicht erahnen liessen. Am 2. Januar 2024 wurde ein internationaler Haftbefehl beantragt.

2.7. Festnahme und Rekurs des Beschwerdeführers A._ wurde am 24. September 2024 in Frankreich festgenommen. Am 4. Oktober 2024 legte er durch seinen Anwalt Rekurs gegen die Widerrufsentscheidung des OSAMA vom 7. November 2023 ein. Er beantragte primär die Feststellung der Nichtigkeit dieser Entscheidung wegen fehlender Zustellung (persönlich, ediktal oder an seine Beiständin). Subsidiär beantragte er die Aufhebung und Rückweisung der Angelegenheit, da die Flucht in der Schweiz keine Straftat sei, er seit fast einem Jahr in Freiheit keine Straftaten begangen habe und somit keine Gefährdung mehr darstelle. Ein geschlossener Vollzug sei unverhältnismässig, insbesondere ohne ein neues Gefährlichkeitsgutachten. Das OSAMA wies den Rekurs am 16. Oktober 2024 ab. Es argumentierte, dass die Entscheidung hauptsächlich administrative Zwecke gehabt habe und eine Publikation unnötig sei, die Zustellung an die Beiständin wegen der Flucht nutzlos gewesen wäre und eine allfällige Nichtigkeit die faktische Beendigung des offenen Vollzugs nicht ändere. Es betonte zudem das weiterhin hohe Rückfallrisiko und die Notwendigkeit des Schutzes der Öffentlichkeit. Das Kantonsgericht Wallis wies die Beschwerde von A._ am 8. Mai 2025 ab.

3. Erwägungen des Bundesgerichts

3.1. Zulässigkeit und Streitgegenstand Das Bundesgericht prüfte die grundsätzliche Zulässigkeit der Beschwerde als strafrechtliche Beschwerde (Art. 78 Abs. 2 lit. b BGG). Die Frage eines aktuellen und praktischen Rechtschutzinteresses (Art. 81 Abs. 1 lit. a und b BGG) wurde aufgeworfen, da sich der Beschwerdeführer im Ausland befindet und ein Auslieferungsverfahren sowie ein Verfahren zur Aufhebung der Massnahme vor dem TAPEM anhängig sind. Das Bundesgericht liess diese Frage jedoch offen, da die Beschwerde ohnehin abzuweisen war. Als Streitgegenstand vor Bundesgericht wurde ausschliesslich die Frage des Widerrufs des offenen Vollzugs der therapeutischen Massnahme festgelegt. Argumente bezüglich der Kompetenz des OSAMA, der Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das OSAMA oder die Aufhebung der Massnahme selbst waren nicht Gegenstand des Verfahrens. Neue Beweismittel, wie ein psychiatrisches Gutachten vom 12. Juni 2025, wurden als unzulässig erklärt (Art. 99 Abs. 1 BGG).

3.2. Frage der Nichtigkeit der Widerrufsentscheidung (Consid. 2)

  • Rechtliche Grundlagen zur Nichtigkeit: Das Bundesgericht erinnerte an seine ständige Rechtsprechung, wonach fehlerhafte Entscheidungen grundsätzlich nur anfechtbar, nicht aber nichtig sind. Die absolute Nichtigkeit einer Entscheidung tritt nur bei schwersten, offensichtlichen oder leicht erkennbaren Mängeln ein und nur, wenn deren Feststellung die Rechtssicherheit nicht ernsthaft gefährdet. Nichtigkeit ist die Ausnahme und wird nur in gesetzlich vorgesehenen Fällen oder bei Mängeln, die das Anfechtungssystem nicht beheben kann, angenommen (z.B. funktionale/sachliche Inkompetenz, offensichtliche Verfahrensfehler). Im Strafrecht hat die Rechtssicherheit besondere Bedeutung, weshalb Nichtigkeit von rechtskräftigen Entscheidungen selten angenommen wird.
  • Anwendung auf den Fall: Es war unbestritten, dass die Widerrufsentscheidung vom 7. November 2023 nicht ordnungsgemäss zugestellt wurde (weder persönlich, ediktal noch an die Beiständin, die bis Ende Februar 2024 im Amt war). Entscheidend war jedoch, dass der Beschwerdeführer seinen Rekurs gegen diese Entscheidung nicht wegen Verspätung abgewiesen bekam und somit die Möglichkeit hatte, alle seine Argumente gegen den Widerruf umfassend geltend zu machen. Das Bundesgericht konnte keinen relevanten Nachteil für den Beschwerdeführer erkennen, der durch das Anfechtungssystem nicht hätte behoben werden können. Die fehlende Zustellung hat ihn nicht daran gehindert, seine Rechte zu verteidigen. Die Rüge, der Entscheid habe zur Einleitung eines Auslieferungsverfahrens geführt und ihn in Frankreich in Haft gebracht, wurde nicht als Grund für Nichtigkeit anerkannt.
  • Schlussfolgerung: Das Bundesgericht befand, dass das Kantonsgericht kein Bundesrecht verletzt hat, indem es die Widerrufsentscheidung vom 7. November 2023 trotz unregelmässiger Zustellung nicht als nichtig erachtete.

3.3. Verhältnismässigkeit des geschlossenen Vollzugs (Consid. 3)

  • Rechtliche Grundlagen (Art. 59 Abs. 3 StGB): Die stationäre Behandlung nach Art. 59 StGB erfolgt in einer geeigneten psychiatrischen Anstalt oder einer Massnahmenvollzugsanstalt. Ein geschlossener Vollzug ist nur dann anzuordnen, wenn die Gefahr besteht, dass der Täter flieht oder neue Straftaten begeht. Hierbei muss es sich um eine qualifizierte Gefahr handeln, d.h., ein konkretes und hochwahrscheinliches Risiko. Dieses Risiko muss so schwerwiegend sein, dass es nur durch den geschlossenen Vollzug bekämpft werden kann, und setzt eine ernsthafte Gefährdung wesentlicher Rechtsgüter voraus (Verhältnismässigkeitsprinzip).

    • Rückfallgefahr: Bezieht sich auf die interne Gefährlichkeit des Täters, z.B. konkrete Drohungen oder bewusster Widerstand gegen die Anstaltsordnung. Einfache Verhaltensschwierigkeiten genügen nicht.
    • Fluchtgefahr: Setzt eine feste und dauerhafte Absicht zur Flucht voraus, verbunden mit der Furcht, dass der Verurteilte in Freiheit eine Gefahr für Dritte darstellen könnte (externe Gefährlichkeit). Die Beurteilung einer qualifizierten Gefahr ist eine Rechtsfrage, basiert jedoch auf medizinisch-rechtlichen Gutachten zur Klärung des psychischen Zustands und der Prognose.
  • Anwendung auf den Fall:

    • Qualifizierte Rückfallgefahr: Das Kantonsgericht stützte sich auf das erstinstanzliche Urteil von 2020 (basierend auf einem psychiatrischen Gutachten von 2019), die Ablehnung der bedingten Entlassung von 2023 (unter Berücksichtigung der Feststellungen der Spezialisten des Centre d'accueil von 2023) sowie den therapeutischen Abschlussbericht des Centre d'accueil vom 21. Dezember 2023. Letzterer hob hervor, dass A.__ zwar einen gewissen Therapieinvestition zeigte, seine kognitiven Einschränkungen aber ein tieferes Verständnis der Einwilligung erschwerten, er sich seiner Verantwortung entzog und seine Flucht (deren Planung und Heimlichkeit) seine Missachtung von Autorität und Eigeninteressen offenbarte. Die Flucht konnte auch nicht als einfache impulsiver Akt verstanden werden. Das Bundesgericht schloss sich dieser Beurteilung an.
    • Qualifizierte Fluchtgefahr: Der Beschwerdeführer bestritt nicht, dass seine Flucht – die auch als vorbereitet galt – eine Verletzung der Auflagen für den offenen Vollzug darstellte. Er konnte nicht guten Glaubens behaupten, die Konsequenzen eines solchen Verhaltens nicht zu kennen, zumal er bereits zwei Verwarnungen erhalten hatte, die ihn über die möglichen Folgen informierten. Die Flucht an sich und die Umstände ihrer Vorbereitung erfüllten die Bedingungen des Art. 59 Abs. 3 StGB für die Anordnung eines geschlossenen Vollzugs.
    • Abweisung der Argumente des Beschwerdeführers:
      • Die Gewährung von Ausgängen im September 2023 relativierte nicht die nachfolgenden, ungünstigeren therapeutischen Berichte.
      • Die Behauptung, seit der Flucht keine Straftaten begangen zu haben und sich integriert zu haben, basierte auf blosser Behauptung und bezog sich auf eine Zeit, in der er ein offensichtliches Interesse hatte, keine Aufmerksamkeit zu erregen.
      • Die Interpretation des Beschwerdeführers, die Gefährlichkeitskommission habe einen ambulanten Vollzug empfohlen, wurde als Fehldeutung zurückgewiesen, da die Kommission explizit die Ablehnung der bedingten Entlassung/Aufhebung der Massnahme empfohlen hatte.
      • Die Entscheidung des französischen Gerichts zur Freilassung gegen Kaution bezog sich auf die Haftbedingungen im Auslieferungsverfahren und nicht auf die Gefährlichkeitsprognose im Kontext des schweizerischen Massnahmenvollzugs. Die in Frankreich auferlegten Auflagen (z.B. Residenzpflicht nachts) deuteten zudem selbst auf eine fortbestehende Risikoeinschätzung hin.
  • Schlussfolgerung: Das Bundesgericht kam zum Ergebnis, dass angesichts der festgestellten qualifizierten Rückfall- und Fluchtgefahr der Widerruf des offenen Vollzugs der Massnahme und die Anordnung des geschlossenen Vollzugs nicht gegen das Verhältnismässigkeitsprinzip verstiessen. Die Flucht des Beschwerdeführers war ein bewusster Akt, der diese Massnahme ausgelöst hat.

4. Ergebnis Das Bundesgericht wies die Beschwerde von A.__, soweit sie zulässig war, ab. Die Gerichtskosten von CHF 3'000.- wurden dem Beschwerdeführer auferlegt.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht bestätigte den Widerruf des offenen Vollzugs einer stationären therapeutischen Massnahme und die Anordnung des geschlossenen Vollzugs für A.__. Es wies die Argumente des Beschwerdeführers zurück: 1. Nichtigkeit der Entscheidung: Die Widerrufsentscheidung war trotz unregelmässiger Zustellung nicht nichtig, da dem Beschwerdeführer kein relevanter Nachteil entstand und er seine Rechte im Rekursverfahren vollumfänglich geltend machen konnte. Nichtigkeit wird nur bei schwersten, nicht behebbaren Mängeln angenommen. 2. Verhältnismässigkeit des geschlossenen Vollzugs: Der geschlossene Vollzug war verhältnismässig, da aufgrund der Flucht und der therapeutischen Einschätzungen eine qualifizierte Flucht- und Rückfallgefahr bestand. Die Flucht selbst stellte eine schwerwiegende Verletzung der Vollzugsbedingungen dar und bestätigte die anhaltende Gefährlichkeit sowie die mangelnde Einsicht des Beschwerdeführers.