Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.
Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 6B_203/2024 vom 14. August 2025
Das Bundesgericht hatte über eine Beschwerde in Strafsachen zu entscheiden, die A._ (Beschwerdeführer) gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern vom 11. Mai 2023 erhoben hatte. Die Vorinstanz hatte A._ wegen sexueller Handlungen mit einem Kind, Schändung, Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht sowie einer Übertretung des Waffengesetzes zum Nachteil seiner Tochter B.__ (geboren am 17. April 2014) schuldig gesprochen und ihn zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, verbunden mit einem zehnjährigen Tätigkeitsverbot und einer Genugtuung von CHF 7'000. Der Beschwerdeführer beantragte vor Bundesgericht einen Freispruch von allen Anklagepunkten.
Das Bundesgericht prüfte die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Rügen, namentlich eine Verletzung des Anklagegrundsatzes, des Konfrontationsanspruchs, der willkürlichen Annahme der Aussagetüchtigkeit des Kindes sowie eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung.
I. Verletzung des Anklagegrundsatzes (Art. 325 Abs. 1 lit. f StPO i.V.m. Art. 29 Abs. 2 und Art. 32 Abs. 2 BV sowie Art. 6 Ziff. 1 und 3 lit. a und b EMRK)
Der Beschwerdeführer rügte, die Anklageschrift sei hinsichtlich der vorgeworfenen sexuellen Handlungen und der Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht nicht hinreichend konkret formuliert. Insbesondere kritisierte er den fünfjährigen Tatzeitraum und die Formulierung "mindestens einmal", welche eine Mehrfachbegehung suggeriere, ohne die Taten detaillierter zu umschreiben.
Das Bundesgericht verwies auf die aus Art. 29 Abs. 2 und Art. 32 Abs. 2 BV sowie Art. 6 Ziff. 1 und 3 lit. a und b EMRK abgeleitete Bedeutung des Anklagegrundsatzes, der eine Umgrenzungs- und Informationsfunktion erfüllt. Es betonte, dass die Angabe eines bestimmten Zeitraums genügen kann, wenn sich die zeitlichen Verhältnisse nicht exakt rekonstruieren lassen, insbesondere bei gehäuften und regelmässigen Delikten oder wenn das Opfer (wie hier die zum Tatzeitpunkt sehr junge B.__) altersbedingt keine präzisen Angaben machen kann. Die entscheidende Frage sei, ob die beschuldigte Person trotz einer gewissen zeitlichen Unbestimmtheit genau weiss, welches Verhalten ihr vorgeworfen wird und wie es rechtlich qualifiziert wird, um eine effektive Verteidigung vorzubereiten. Das Gericht stellte fest, dass die Vorinstanz zu Recht angenommen hatte, dass sich weder die zeitlichen Verhältnisse noch die Anzahl und Häufigkeit der Handlungen exakt rekonstruieren lassen würden. Die konkrete Umschreibung der Handlungen in sachlicher und örtlicher Hinsicht habe eine hinreichende Individualisierung der Taten erlaubt und die relative zeitliche Unbestimmtheit kompensiert. Dies gelte auch für den Vorwurf der Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht, dem eine längere Deliktsdauer immanent sei. Die Rüge wurde daher abgewiesen.
II. Verletzung des Konfrontationsanspruchs (Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK i.V.m. Art. 29 Abs. 2 und Art. 32 Abs. 2 BV)
Der Beschwerdeführer machte eine Verletzung des Konfrontationsanspruchs geltend, weil die Vorinstanz seinen Antrag auf eine dritte Einvernahme von B.__ abgelehnt hatte. Er argumentierte, das Kindswohl stehe einer Konfrontationseinvernahme nicht entgegen und der Konfrontationsanspruch gelte absolut, da die Aussagen des Kindes entscheidend für seine Verurteilung seien.
Das Bundesgericht wiederholte seine ständige Rechtsprechung zum Konfrontationsanspruch gemäss Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK und betonte dessen relative Natur. Es verwies auf das dreistufige Prüfschema des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), wonach auf Aussagen eines nicht konfrontierten Belastungszeugen abgestellt werden darf, wenn: 1. ein sachlicher Grund für die unterbliebene Konfrontation vorliegt; 2. hinreichende kompensatorische Elemente innerhalb des Verfahrens vorhanden sind; und 3. das Verfahren in seiner Gesamtheit fair ausgestaltet war.
Im vorliegenden Fall bejahte das Bundesgericht das Vorliegen eines sachlichen Grundes. Die Vorinstanz hatte überzeugend dargelegt, dass eine dritte Einvernahme der Beschwerdegegnerin 2 (die zum Zeitpunkt der Berufung neun Jahre alt war, die Taten aber als Kleinkind erlebt hatte) angesichts der besonderen familiären Konstellation (Kind lebt wieder mit dem Vater zusammen) und der Gefahr einer massiven psychischen Belastung sowie suggestiver Beeinflussung mit dem Kindswohl nicht vereinbar gewesen wäre. Dies entsprach auch dem Grundsatz von Art. 154 Abs. 4 lit. b StPO, wonach Kinder in der Regel nicht mehr als zweimal einvernommen werden sollen, wenn eine schwere psychische Belastung nicht ausgeschlossen werden kann. Zudem sei die ursprüngliche Unfähigkeit der damals fünfjährigen B.__, sich in den Einvernahmen zu den Vorwürfen zu äussern, nicht von den Behörden zu vertreten. Auch hatte der Beschwerdeführer den Antrag auf eine erneute Befragung erst im Berufungsverfahren gestellt und es versäumt, dies rechtzeitig zu tun.
Hinsichtlich der kompensatorischen Elemente führte das Bundesgericht aus, dass die belastenden Aussagen der Beschwerdegegnerin 2 hauptsächlich durch Zeugenaussagen von Drittpersonen (Zeugnis vom Hörensagen, z.B. der Kindergartenlehrerin und weiterer Betreuungspersonen) erhoben worden waren. Diese Betreuungspersonen hatten ihre Wahrnehmungen schriftlich festgehalten und waren im Verfahren parteiöffentlich befragt worden, wodurch der Beschwerdeführer Gelegenheit hatte, deren Aussagen konfrontativ auf die Probe zu stellen und die Entstehungsgeschichte und den Kontext der Aussagen des Kindes zu beurteilen. Zusätzlich berücksichtigte das Gericht weitere Beweismittel wie Beobachtungen von Fachpersonen, den Wahrnehmungsbericht der Polizei und rechtsmedizinische Unterlagen. Diese Elemente ermöglichten eine sorgfältige und vertiefte Prüfung der Glaubhaftigkeit der Aussagen der Beschwerdegegnerin 2 und stellten die Fairness des Gesamtverfahrens sicher, selbst wenn die Aussagen von massgeblicher Bedeutung waren. Die Rüge wurde als unbegründet abgewiesen.
III. Aussagetüchtigkeit und Glaubhaftigkeit der kindlichen Aussagen (Willkürrüge, Art. 9 BV)
Der Beschwerdeführer rügte, die Vorinstanz sei willkürlich von der Aussagetüchtigkeit der Beschwerdegegnerin 2 ausgegangen und habe seinen Antrag auf ein Sachverständigengutachten zur Aussagetüchtigkeit zu Unrecht abgewiesen. Er behauptete suggestive Einwirkung durch die Kindergartenlehrerin und verwies auf Entwicklungsstörungen des Kindes.
Das Bundesgericht hielt fest, dass die Prüfung der Glaubhaftigkeit primär Aufgabe des Gerichts sei und ein Sachverständigengutachten nur bei besonderen Umständen (z.B. schwer interpretierbaren Äusserungen, geistigen Störungen, Hinweisen auf suggestive Beeinflussung) nötig sei. Kinder gelten grundsätzlich ab etwa vier Jahren als aussagetüchtig, wobei der individuelle Entwicklungsstand zu berücksichtigen ist. Die Vorinstanz hatte festgestellt, dass die von der Beschwerdegegnerin 2 geschilderten Vorfälle wenig komplex waren und ihre sprachlichen Entwicklungsstörungen hauptsächlich grammatikalische Schwierigkeiten betrafen, die keinen massgeblichen Einfluss auf ihre Aussagetüchtigkeit hatten. Die Narrationen seien simpel und kurz, was den wissenschaftlichen Erkenntnissen über Aussagen von Kleinkindern entspreche. Das Gericht würdigte, dass die belastenden Aussagen spontan und nicht auf suggestive Fragen hin erfolgt waren. Die Hypothese einer Fremdsuggestion wurde für die massgeblichen Aussagen verworfen, insbesondere da die Aussage "Ja, wenn Papa so mit spitze Stäcke da unde" spontan erfolgte und durch eine spätere Äusserung gegenüber der Ärztin gestützt wurde. Auch wurde berücksichtigt, dass die Mutter die Tatvorwürfe bis zuletzt in Abrede stellte, was gegen eine familiäre Suggestion sprach. Die Vorinstanz hat die Einschätzungen der Fachpersonen (Kindergartenlehrerin, Logopädin) und die spezifischen Umstände des Einzelfalls (situationsabhängige Aussagetüchtigkeit, spontane Äusserungen in vertrautem Umfeld) nachvollziehbar berücksichtigt. Die Abweisung des Antrags auf ein zusätzliches Gutachten war daher nicht willkürlich.
IV. Willkürliche Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung (Art. 9 BV)
Der Beschwerdeführer bestritt die Feststellungen der Vorinstanz zu den sexuellen Handlungen, dem sexualisierten Verhalten der Beschwerdegegnerin 2, dem Verhalten bei der Hausdurchsuchung und der Würdigung seiner eigenen sowie der ihn entlastenden Aussagen der Mutter und des Bruders.
Das Bundesgericht erinnerte an seine Kognition, wonach es dem Urteil den Sachverhalt zugrunde legt, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und Willkür (Art. 97 Abs. 1 BGG) nur bei offensichtlicher Unrichtigkeit rügt. Es stellte fest, dass der Beschwerdeführer mit seinen Einwänden weitgehend appellatorische Kritik übte, die den strengen Anforderungen der Willkürrüge nicht genügte. Die Vorinstanz stützte ihre Schuldsprüche auf eine umfassende Beweiswürdigung, die folgende Elemente umfasste: * Spontane Aussagen des Kindes: Protokolle der Kindergartenlehrerin und Journaleinträge der Betreuungspersonen, die spontane Äusserungen von B._ zu den sexuellen Handlungen enthielten. * Sexualisiertes Verhalten: Das von mehreren Fachpersonen als auffällig sexualisiert beschriebene Verhalten von B._ (z.B. grenzüberschreitendes Berühren, Nachstellen sexueller Handlungen) wurde als wichtiges Indiz im Rahmen der Gesamtwürdigung herangezogen. Dies sei zwar kein alleiniger Beweis, aber ein relevanter Faktor im Kontext. * Verhalten des Beschwerdeführers: Die zögerliche Reaktion bei der Hausdurchsuchung (10 Minuten Verzögerung), die Verschlüsselung digitaler Datenträger und die Nutzung eines Tor Browsers wurden als Indizien für ein Vertuschungsverhalten gewertet. * Glaubhaftigkeit der Zeugen: Die Vorinstanz würdigte die Aussagen der Kindergartenlehrerin und der Betreuungspersonen als glaubhaft und begründete detailliert, weshalb sie die entlastenden Aussagen der Mutter (Loyalität zum Ehemann, Ausblenden früherer Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Delikten am Sohn) und des Bruders (Loyalitätskonflikt, mangelnde Opferwahrnehmung eigener Missbräuche) für wenig beweiskräftig hielt. Die Aussagen des Beschwerdeführers selbst wurden angesichts der Gesamtheit der Indizien als nicht glaubhaft erachtet. * Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht: Festgestellt aufgrund von Kindesäusserungen zu körperlicher Misshandlung, fehlendem eigenem Zimmer, möglicher Beobachtung sexueller Handlungen der Eltern, Vernachlässigung der Kindervorsorgeuntersuchungen und der altersgerechten Förderung, sowie Mängeln bei Kleidung und Hygiene. Die Berücksichtigung von (verjährten) Tätlichkeiten als Tatbestandselement dieser Pflichtverletzung wurde als rechtlich zulässig erachtet. * Übertretung des Waffengesetzes: Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer keine schriftliche Erwerbsberechtigung für die Luftdruckpistole hatte, wurde als nicht willkürlich befunden.
Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten alternativen Erklärungsansätze für die Beweise wurden von der Vorinstanz ausreichend geprüft und nachvollziehbar verworfen. Die Gesamtwürdigung der Beweismittel durch die Vorinstanz war somit nicht willkürlich.
V. Rechtliche Würdigung betreffend die Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht
Sofern der Beschwerdeführer die rechtliche Würdigung der Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht beanstandete, stützte er sich auf einen Sachverhalt, der von der Vorinstanz nicht festgestellt und vom Bundesgericht nicht beanstandet wurde. Da er sich nicht mit dem willkürfrei festgestellten Sachverhalt auseinandersetzte, wurde auf seine Ausführungen nicht eingegangen.
Schlussfolgerung:
Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab, soweit darauf eingetreten werden konnte. Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege wurde gutgeheissen, da seine Bedürftigkeit erstellt schien und die Beschwerde nicht von vornherein aussichtslos war. Es wurden keine Gerichtskosten erhoben, und der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers wurde aus der Bundesgerichtskasse entschädigt.
Zusammenfassung der wesentlichen Punkte: