Zusammenfassung von BGer-Urteil 6B_245/2024 vom 18. August 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Bundesgerichts 6B_245/2024 vom 18. August 2025

1. Einführung und Verfahrensgegenstand

Das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (6B_245/2024 vom 18. August 2025) befasst sich mit der Beschwerde in Strafsachen von A.__ gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern vom 17. Januar 2024. Im Zentrum der rechtlichen Auseinandersetzung stehen die Anordnung einer obligatorischen Landesverweisung gemäss Art. 66a StGB sowie deren Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS).

2. Sachverhalt und Vorinstanzliches Urteil

A.__, ein kosovarischer Staatsangehöriger, der seit seinem 10. Lebensjahr (seit 26 Jahren) in der Schweiz lebt und über eine Niederlassungsbewilligung verfügt, wurde wegen mehrfacher qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz (Art. 19 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 lit. a BetmG) und mehrfacher Geldwäscherei (Art. 305bis Ziff. 1 StGB) schuldig gesprochen. Die zugrundeliegenden Delikte umfassen die Entgegennahme und Übergabe von Drogengeld in den Monaten Januar/Februar 2019 sowie die regelmässige Lieferung von insgesamt rund 1.7 kg Kokaingemisch (Reinmenge Kokain: 1'242.7 Gramm) an Zwischenhändler von Mai bis November 2019, wofür er einen Lohn von Fr. 2'000.-- erhielt. Die Reinheit des Kokains betrug bis zu 97%. Die Vorinstanz verurteilte ihn zu einer bedingt vollziehbaren Freiheitsstrafe von zwei Jahren und einer bedingten Geldstrafe von 100 Tagessätzen. Sie bestätigte die Landesverweisung und setzte deren Dauer auf sieben Jahre fest, inklusive Ausschreibung im SIS.

Der Beschwerdeführer beantragte vor Bundesgericht, von einer Landesverweisung und SIS-Ausschreibung abzusehen. Eventualiter beantragte er eine Landesverweisung von fünf Jahren.

3. Rechtliche Grundlagen der obligatorischen Landesverweisung (Art. 66a StGB)

Das Bundesgericht rekapituliert die massgebenden Bestimmungen zur obligatorischen Landesverweisung und der Härtefallklausel:

  • Obligatorische Landesverweisung (Art. 66a Abs. 1 lit. o StGB): Für Ausländer, die wegen einer Widerhandlung gegen Art. 19 Abs. 2 BetmG verurteilt wurden, ist eine Landesverweisung von 5 bis 15 Jahren vorgesehen, unabhängig von der Strafhöhe. Diese Grundvoraussetzungen waren im Fall von A.__ erfüllt.
  • Härtefallklausel (Art. 66a Abs. 2 StGB): Das Gericht kann ausnahmsweise von einer Landesverweisung absehen, wenn kumulativ (1.) ein schwerer persönlicher Härtefall vorliegt und (2.) die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung die privaten Interessen des Ausländers am Verbleib in der Schweiz nicht überwiegen. Die Klausel dient der Umsetzung des Verhältnismässigkeitsprinzips (Art. 5 Abs. 2 BV, Art. 8 EMRK) und ist restriktiv anzuwenden.
    • Kriterien für den Härtefall: Herangezogen wird der Kriterienkatalog von Art. 31 Abs. 1 VZAE, namentlich: Grad der Integration (persönlich, wirtschaftlich, sprachlich, Beachtung der Rechtsordnung), familiäre Bindungen in der Schweiz/Heimat, Aufenthaltsdauer, Gesundheitszustand, Resozialisierungschancen. Besondere Rechnung ist der Situation von in der Schweiz geborenen oder aufgewachsenen Ausländern zu tragen. Ein schwerer persönlicher Härtefall wird bei einem gewichtigen Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 13 BV, Art. 8 EMRK) bejaht.
    • Schutz des Familienlebens (Art. 8 EMRK): Betrifft nahe, echte und tatsächlich gelebte familiäre Beziehungen. Umfasst die Kernfamilie (Ehegatten mit minderjährigen Kindern). Bei Konkubinatspaaren wird eine echte, eheähnliche Gemeinschaft vorausgesetzt. Das Kindeswohl ist ein wesentliches Element der Interessenabwägung.
  • Interessenabwägung: Bei Bejahung eines Härtefalls ist eine Interessenabwägung nach Massgabe der "öffentlichen Interessen an der Landesverweisung" vorzunehmen. Massgebend sind dabei die verschuldensmässige Natur und Schwere der Tatbegehung, die sich darin manifestierende Gefährlichkeit des Täters für die öffentliche Sicherheit und die Legalprognose. Die Auslegung muss EMRK-konform erfolgen, orientiert sich an Art. 8 Ziff. 2 EMRK (Gesetzlichkeit, legitimer Zweck, Verhältnismässigkeit).
    • Kriterien gemäss EGMR: Art und Schwere der Straftat, Aufenthaltsdauer, seit Tat verstrichene Zeit, Verhalten des Betroffenen, Umfang der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen.
    • "Zweijahresregel": Bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren oder mehr bedarf es ausserordentlicher Umstände, damit das private Interesse das öffentliche Interesse an der Landesverweisung überwiegt.

4. Begründung des Bundesgerichts

4.1. Feststellung des schweren persönlichen Härtefalls

Das Bundesgericht hält fest, dass die Vorinstanz die Existenz eines schweren persönlichen Härtefalls bejaht hat und der Beschwerdeführer dies nicht weiter anficht. Die Vorinstanz begründete den Härtefall überzeugend: * Integration des Beschwerdeführers: Seit 26 Jahren in der Schweiz (seit dem 10. Lebensjahr), Niederlassungsbewilligung, Schulbildung und Lehre in der Schweiz, gute deutsche Sprachkenntnisse (bezeichnet diese als Muttersprache), erfolgreicher Unternehmer (Autospritzwerk), gute soziale Integration (Freundeskreis, Gewerbeverein in Aussicht), geringe frühere Straffälligkeit (geringfügige Strassenverkehrs- und Nichtabgabe-Übertretung). * Familiäre Situation: Lebt mit langjähriger Lebenspartnerin und zwei gemeinsamen Töchtern (geb. 2019 und 2022) in intakter Familiengemeinschaft in der Schweiz, gemeinsames Sorgerecht. Eltern und zwei Schwestern leben ebenfalls in der Schweiz, enger Kontakt. * Unzumutbarkeit des Familienlebens im Kosovo: Die Lebenspartnerin (deutsche Staatsangehörige, in CH geboren) und die Töchter haben keine Verbindungen zum Kosovo und sprechen kein Albanisch. Ein Umzug wäre ihnen unzumutbar, und die Partnerin hat erklärt, nicht zu folgen. Die Landesverweisung würde zu einer Trennung der Kernfamilie führen und dem Kindeswohl widersprechen. * Geringe Bezugspunkte zum Kosovo: Abgesehen von den ersten zehn Lebensjahren und jährlichen Kurzbesuchen (Hochzeiten, Trauerfeiern) hat A.__ kaum aktuelle persönliche oder wirtschaftliche Bindungen zum Kosovo.

4.2. Interessenabwägung (Öffentliche vs. Private Interessen)

Das Bundesgericht prüft die Interessenabwägung der Vorinstanz und bestätigt deren Ergebnis:

  • Private Interessen des Beschwerdeführers: Diese sind als sehr bedeutend eingestuft (Verbleib bei Familie in CH, berufliche Zukunft im eigenen Unternehmen, soziale Kontakte). Insbesondere das Wohl der Kinder, deren Beziehung zum Vater auf Besuche reduziert würde, erhält hohes Gewicht.
  • Öffentliche Interessen an der Landesverweisung:
    • Tatschwere: Die qualifizierte Widerhandlung gegen das BetmG aus rein pekuniären Motiven stellt eine schwere Straftat dar, die eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit birgt. Die Reinmenge von 1'242.7 Gramm Kokain überschreitet den Schwellenwert für qualifizierte BetmG-Verbrechen um das 69-fache. Das Bundesgericht verweist auf die rigorose Praxis bei Drogenhandel und die Rechtsprechung des EGMR, die bei schwerer Betäubungsmitteldelinquenz einen strengen Massstab anlegt. A.__ war kein "Gassenverkäufer", sondern belieferte Zwischenhändler mit hochreinem Kokain über ein halbes Jahr.
    • Legalprognose und Rückfallgefahr: Obwohl die Vorinstanz für den bedingten Strafvollzug eine positive Legalprognose annahm (Reue, Einsicht, stabile Verhältnisse, frühes Geständnis), wendet das Ausländerrecht einen strengeren Massstab an. Schon ein geringes Rückfallrisiko kann bei schweren Straftaten zur Landesverweisung führen. Die Vorinstanz schloss nicht aus, dass der Beschwerdeführer in zukünftigen Krisensituationen erneut delinquieren könnte, zumal er die Geldwäscherei bereits in stabilen Verhältnissen (nach Geburt der ersten Tochter) beging und die Taten aus rein finanziellen Motiven erfolgten. Die Argumentation des Beschwerdeführers, er sei "völlig anders aufgestellt", wird entkräftet, da er bereits die Geldwäscherei trotz familiärer Stabilität beging und die zweite Tochter gezeugt wurde, als eine Landesverweisung bereits beantragt war. Damit hat er das Fortbestehen des Familienlebens in der Schweiz selbstverschuldet aufs Spiel gesetzt.
    • "Zweijahresregel": Die Verurteilung zu zwei Jahren Freiheitsstrafe indiziert ein beträchtliches öffentliches Interesse. Die Vorinstanz hat diese Regel nicht starr angewandt, sondern eine Einzelfallbetrachtung vorgenommen.
  • Resultat der Abwägung: Trotz der sehr bedeutenden privaten Interessen überwiegt das öffentliche Interesse an der Landesverweisung aufgrund der hohen Tatschwere und der (geringen, aber nicht tolerierbaren) Rückfallgefahr.

4.3. Dauer der Landesverweisung

Die Vorinstanz setzte die Dauer der Landesverweisung auf sieben Jahre fest. Das Bundesgericht erachtet dies als im sachrichterlichen Ermessen liegend. Die Dauer muss verhältnismässig sein und den Schutz der Gesellschaft sowie die Gefährlichkeit des Täters berücksichtigen. Die Vorinstanz begründete die sieben Jahre mit der erheblichen Tatschwere und der damit einhergehenden Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, berücksichtigte aber auch die Bindungen des Beschwerdeführers an die Schweiz, indem sie die Dauer im unteren Bereich des gesetzlichen Rahmens (5-15 Jahre) festsetzte.

4.4. Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS)

Das Bundesgericht bestätigt auch die SIS-Ausschreibung. * Voraussetzungen (Art. 24 SIS-II-Verordnung): Eine Ausschreibung ist zulässig, wenn die nationale Entscheidung auf der Gefahr für die öffentliche oder nationale Sicherheit beruht, insbesondere bei einer Verurteilung wegen einer Straftat, die mit mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht ist. * Anwendung auf den Fall: A.__ ist Drittstaatsangehöriger und wurde wegen einer Straftat verurteilt, die eine Strafandrohung von ein bis zwanzig Jahren Freiheitsstrafe aufweist (Art. 19 BetmG). Die konkret ausgesprochene Strafe von zwei Jahren ist kein Bagatellfall. * Verhältnismässigkeit: Die Ausschreibung ist angesichts der Art und Schwere der Tat sowie der nicht tolerierbaren Rückfallgefahr verhältnismässig. Es werden keine übermässig hohen Anforderungen an die "Gefahr für die öffentliche Sicherheit" gestellt; die Ablehnung einer Schlechtprognose oder die bedingte Strafe stehen einer SIS-Ausschreibung nicht entgegen (Querverweis auf BGE 147 IV 340 E. 4.8). Die Rolle als "Handlanger" ändert nichts an der grundsätzlichen Gefährlichkeit.

5. Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte

Das Bundesgericht bestätigt die obligatorische Landesverweisung von A.__ für sieben Jahre und deren Ausschreibung im SIS. Trotz einer als gelungen betrachteten Integration des Beschwerdeführers in der Schweiz und eines anerkannten schweren persönlichen Härtefalls (insbesondere aufgrund der drohenden Trennung von seiner in der Schweiz verwurzelten Familie), überwiegt das öffentliche Interesse an der Landesverweisung. Dies wird mit der extrem hohen Tatschwere der qualifizierten BetmG-Widerhandlung (Lieferung von über 1.2 kg reinem Kokain aus rein finanziellen Motiven) und einer nicht tolerierbaren, wenn auch geringen, Rückfallgefahr begründet. Die Dauer der Landesverweisung von sieben Jahren und die SIS-Ausschreibung werden als verhältnismässig erachtet, da die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch die Delikte des Beschwerdeführers gewichtig ist und er das Risiko einer Wegweisung durch sein eigenes Handeln (auch nach der Familiengründung) mitverschuldet hat.