Zusammenfassung von BGer-Urteil 6B_547/2025 vom 23. Juli 2025

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Gerne, hier ist eine detaillierte Zusammenfassung des Urteils 6B_547/2025 des Schweizerischen Bundesgerichts:

Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Bundesgerichts 6B_547/2025 vom 23. Juli 2025

1. Einleitung und Verfahrensgegenstand Das Urteil der I. strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts (6B_547/2025 vom 23. Juli 2025) befasst sich mit einer Beschwerde in Strafsachen, die sich gegen einen Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich richtet. Das Obergericht hatte das Berufungsverfahren des Beschwerdeführers A.__ als durch Rückzugsfiktion erledigt abgeschrieben, nachdem dieser der Berufungsverhandlung ferngeblieben war und mangelnde Mitwirkung am Verfahren gezeigt hatte. Die zentralen Streitpunkte vor dem Bundesgericht betrafen die Anwendung und Auslegung der Rückzugsfiktion nach Art. 407 StPO sowie die behauptete Verletzung verfassungs- und völkerrechtlicher Garantien, insbesondere des rechtlichen Gehörs, des Rechts auf Überprüfung durch eine höhere Instanz und des fairen Verfahrens sowie der Willkür.

2. Sachverhalt Der Beschwerdeführer A._ wurde vom Bezirksgericht Zürich am 8. Februar 2024 des mehrfachen, teilweise geringfügigen Diebstahls, der einfachen Körperverletzung, der mehrfachen Sachbeschädigung, der mehrfachen Drohung, des mehrfachen Hausfriedensbruchs sowie der mehrfachen Tätlichkeiten für schuldig befunden und zu einer Freiheitsstrafe von 16 Monaten sowie einer Busse verurteilt. Gegen dieses Urteil erhob A._ Berufung.

Die Berufungsverhandlung vor dem Obergericht fand am 6. Mai 2025 statt. Der Beschwerdeführer blieb dieser Verhandlung unentschuldigt fern, wurde jedoch durch seinen amtlichen Verteidiger vertreten, welcher Gelegenheit zur Stellungnahme zur Frage der Rückzugsfiktion erhielt. Mit Beschluss vom 13. Mai 2025 schrieb das Obergericht das Berufungsverfahren als durch Rückzug der Berufung erledigt ab und stellte die Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils fest. Gegen diesen Beschluss reichte A.__ Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht ein.

3. Rügen des Beschwerdeführers Der Beschwerdeführer rügte im Wesentlichen: * Verletzung seines verfassungs- und konventionsrechtlichen Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) und des Rechts auf Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils durch eine nächsthöhere Instanz (Art. 32 Abs. 3 BV, Art. 14 Ziff. 5 UNO-Pakt II). * Unrichtige Auslegung und Anwendung der Voraussetzungen der Rückzugsfiktion (Art. 407 StPO). * Verletzung des Anspruchs auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf ein faires Verfahren (Art. 9 und Art. 29 Abs. 1 und Abs. 2 BV) und der Rechtsweggarantie aufgrund einer fehlenden rechtsgenüglichen Rechtsbelehrung. * Gesamthafte Willkür (Art. 9 BV) bei der Feststellung und Würdigung der Sachlage sowie in der Rechtsanwendung. * Eine falsche Zustellung der Vorladung zur Berufungsverhandlung.

4. Rechtliche Grundlagen und Erwägungen des Bundesgerichts

4.1. Das Recht auf Überprüfung und Verteidigungsrechte Das Bundesgericht erinnert an das verfassungsmässige (Art. 32 Abs. 3 BV) und völkerrechtliche (Art. 2 Ziff. 1 Protokoll Nr. 7 EMRK, Art. 14 Abs. 5 UNO-Pakt II) Recht jeder strafrechtlich verurteilten Person, das Urteil von einem höheren Gericht überprüfen zu lassen. Weiter wird der Anspruch der beschuldigten Person betont, dass ihre Verteidigung an der Haupt- bzw. Berufungsverhandlung teilnehmen kann (Art. 32 Abs. 2 BV; BGE 149 IV 259 E. 2.1).

4.2. Der Rechtsmittelrückzug und die Rückzugsfiktion Gemäss Art. 386 Abs. 1 StPO kann auf die Ausübung eines Rechtsmittels verzichtet werden. Ein bereits ergriffenes Rechtsmittel kann bis zum Abschluss der Parteiverhandlungen zurückgezogen werden (Art. 386 Abs. 2 lit. a StPO). Der Rückzug muss dabei klar, ausdrücklich und unbedingt erfolgen, kann aber auch konkludent aus den Umständen abgeleitet werden (BGE 141 IV 269 E. 2.1; 149 IV 259 E. 2.4.1 ff.). Ein gültiger Rückzug führt zur Rechtskraft des angefochtenen Entscheids, als wäre das Rechtsmittel nie erhoben worden.

Die Rückzugsfiktion ist in Art. 407 Abs. 1 StPO geregelt: * Bleibt die beschuldigte Person (als Berufungsklägerin) der Berufungsverhandlung unentschuldigt fern und lässt sich nicht vertreten (Art. 407 Abs. 1 lit. a StPO), gilt die Berufung als zurückgezogen. * Gleiches gilt, wenn die beschuldigte Person nicht vorgeladen werden kann (Art. 407 Abs. 1 lit. c StPO). Diese Bestimmung ist im Berufungsverfahren eine Spezialnorm, die Art. 88 Abs. 1 StPO (Erfordernis der Publikation der Vorladung) verdrängt. * Wichtig für den vorliegenden Fall: Ist die Verteidigung anwesend, die beschuldigte Person jedoch nicht, ist die Berufungsverhandlung ohne die säumige beschuldigte Person durchzuführen; ein Abwesenheitsverfahren nach Art. 366 ff. StPO findet in diesem Fall nicht statt (Art. 407 Abs. 2 StPO e contrario; 6B_1339/2023 E. 1.2.2).

4.3. Erweiterte Rückzugsfiktion bei fehlender Mitwirkung (massgebender Punkt) Das Bundesgericht betont, dass über die in Art. 407 StPO explizit genannten Konstellationen hinaus auch die fehlende Mitwirkung der beschuldigten Person zur Annahme eines konkludenten Rückzugs der Berufung führen kann. * Das Rechtsmittelverfahren unterscheidet sich vom erstinstanzlichen Verfahren dadurch, dass es weitgehend der Disposition der Parteien unterliegt (BGE 149 IV 259 E. 2.4.2; 148 IV 362 E. 1.1). * Es genügt nicht, dass die beschuldigte Person nach Kenntnis des erstinstanzlichen Urteils ihr Desinteresse mitteilt; der Wille, eine Überprüfung durch das Berufungsgericht zu erhalten, muss während des gesamten Rechtsmittelverfahrens fortlaufend gegeben sein (BGE 149 IV 259 E. 2.4.2; 148 IV 362 E. 1.9.2). * Die beschuldigte Person kann nicht gleichzeitig die Durchführung eines Berufungsverfahrens verlangen und die Mitwirkung daran verweigern. Ein solches Verhalten, das gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstösst, verdient keinen Rechtsschutz (BGE 149 IV 259 E. 2.4.1; 148 IV 362 E. 1). Dies ist der zentrale rechtliche Gedanke des Urteils.

4.4. Würdigung der Sachverhaltsfeststellung und Rügen des Beschwerdeführers Das Bundesgericht legt dem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde, sofern dieser nicht offensichtlich unrichtig (willkürlich) ist oder auf einer Rechtsverletzung beruht (Art. 105 Abs. 1 BGG). Willkür in der Beweiswürdigung liegt nur vor, wenn diese schlechterdings unhaltbar ist (BGE 148 IV 356 E. 2.1).

Die Vorinstanz hatte festgestellt: * Sowohl der Beschwerdeführer als auch seine amtliche Verteidigung hatten Berufung angemeldet, und dem Beschwerdeführer war das Verfahren bekannt. * Die Vorladung zur Berufungsverhandlung vom 6. Mai 2025 wurde dem Beschwerdeführer am 17. September 2024 über seine Berufsbeiständin zugestellt. Die Vorinstanz ging willkürfrei davon aus, dass die Beiständin weiterhin zuständig war, zumal der Beschwerdeführer selbst die Beistandschaft als c/o-Adresse angegeben hatte. Die Zustellung erfolgte somit korrekt. * Die Verteidigung hatte den Beschwerdeführer mittels Orientierungskopien über den Verfahrensgang schriftlich orientiert, und die Schreiben wurden nicht retourniert. Das Bundesgericht bestätigte willkürfrei die Schlussfolgerung, dass der Beschwerdeführer Kenntnis von der Vorladung hatte. * Seit seiner Haftentlassung hatte der Beschwerdeführer keine Kontaktversuche seiner Verteidigung beantwortet. Der letzte Kontakt fand noch vor Einreichung der Berufungserklärung statt, und es gab weder ein Vorgespräch noch eine Instruktion für die Berufungsverhandlung. * Zwei Briefe des Beschwerdeführers an die Verteidigung betrafen primär den Massnahmenvollzug in einem anderen Kanton, nicht das Zürcher Berufungsverfahren.

Vor diesem Hintergrund schloss die Vorinstanz, das Verhalten des Beschwerdeführers lasse sich nur als Desinteresse am von ihm initiierten Berufungsverfahren deuten. Dieses widersprüchliche Verhalten, das gegen Treu und Glauben verstosse, verdiene keinen Rechtsschutz. Der Wille zu einer fortlaufenden Überprüfung durch das Berufungsgericht sei nicht gegeben gewesen. Das Bundesgericht bekräftigte diese Würdigung.

4.5. Verletzung von Verfassungs- oder Völkerrecht (faires Verfahren) Das Bundesgericht verneinte eine Verletzung des fairen Verfahrens. Weder der UNO-Pakt II noch die EMRK oder die Bundesverfassung hindern eine beschuldigte Person daran, freiwillig auf ein kontradiktorisches Verfahren zu verzichten. Voraussetzung ist, dass der Verzicht unzweideutig zum Ausdruck kommt, von einem Mindestmass an Garantien begleitet wird (Kenntnis der Anklage und des Verhandlungstermins, Vorhersehbarkeit der Folgen) und keine wesentlichen Allgemeininteressen entgegenstehen (BGE 149 IV 259 E. 2.4.3). Da der Beschwerdeführer die Gelegenheit zur Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils hatte, diese aber durch sein Verhalten konkludent ablehnte, hat er die fehlende Überprüfung selbst zu verantworten. Das Verfahren war daher als fair anzusehen.

5. Ergebnis Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab, soweit darauf eingetreten werden konnte. Es stellte fest, dass die Vorinstanz willkürfrei davon ausgehen durfte, dass der Beschwerdeführer die Berufung aufgrund seiner fehlenden Mitwirkung und seines gezeigten Desinteresses zurückgezogen hatte. Eine Verletzung von Bundes- oder Völkerrecht war nicht ersichtlich. Der Eventualantrag auf Rückweisung wurde mangels Begründung nicht behandelt. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wurde wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerde abgewiesen, die Gerichtskosten wurden dem Beschwerdeführer auferlegt, jedoch unter Berücksichtigung seiner finanziellen Lage herabgesetzt.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  • Kernproblem: Anwendung der Rückzugsfiktion einer Berufung wegen fehlender Mitwirkung des Beschwerdeführers.
  • Rechtliche Grundlage: Das Bundesgericht stützte sich nicht primär auf das unentschuldigte Fernbleiben allein (Art. 407 Abs. 1 lit. a StPO), da die Verteidigung anwesend war, sondern auf die erweiterte bundesgerichtliche Rechtsprechung zur konkludenten Rückzugsfiktion.
  • Zentrales Argument: Im Rechtsmittelverfahren muss der Wille zur gerichtlichen Überprüfung fortlaufend gegeben sein. Eine beschuldigte Person kann nicht gleichzeitig ein Verfahren verlangen und die Mitwirkung daran verweigern. Ein solches widersprüchliches Verhalten, das gegen Treu und Glauben verstösst, verdient keinen Rechtsschutz.
  • Sachverhaltliche Basis: Die Vorinstanz stellte willkürfrei fest, dass der Beschwerdeführer trotz Kenntnis des Verfahrens und der Vorladung über Monate hinweg jeglichen Kontakt zu seiner Verteidigung verweigerte und sich somit desinteressiert zeigte.
  • Zustellung: Die Vorladung an die vom Beschwerdeführer selbst angegebene c/o-Adresse bei der Berufsbeistandschaft war korrekt.
  • Faires Verfahren: Die verfassungs- und völkerrechtlichen Garantien eines fairen Verfahrens wurden nicht verletzt, da der Beschwerdeführer die Möglichkeit zur Teilnahme hatte, aber freiwillig (konkludent) darauf verzichtete.
  • Entscheid: Die Beschwerde wurde abgewiesen, der Beschluss des Obergerichts bestätigt.