Zusammenfassung von BGer-Urteil 8C_556/2024 vom 4. August 2025

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Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des schweizerischen Bundesgerichts detailliert zusammen:

Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts (8C_556/2024, 8C_570/2024 vom 4. August 2025)

1. Einleitung und Verfahrensgegenstand Das Bundesgericht hatte in den vereinigten Verfahren 8C_556/2024 (Beschwerde von A.__, dem Versicherten) und 8C_570/2024 (Beschwerde der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt, Suva) über die Höhe einer Invalidenrente aus der Unfallversicherung zu entscheiden. Strittig waren insbesondere der massgebende Invaliditätsgrad, der versicherte Verdienst sowie der Anspruch auf Parteientschädigung für das Einspracheverfahren. Das Urteil betrifft die Neubeurteilung einer Sache, die bereits einmal vom Bundesgericht (Urteil 8C_316/2022 + 8C_330/2022 vom 31. Januar 2023) an das kantonale Versicherungsgericht zurückgewiesen worden war.

2. Sachverhaltliche Ausgangslage A._, geboren 1969, war seit 1990 als Elektroniker bei der B._ AG tätig und bei der Suva versichert. Im April 1992 erlitt er als Motorradfahrer einen schweren Unfall mit zahlreichen Frakturen. Die Suva übernahm die Heilbehandlung und richtete 1994 eine Integritätsentschädigung von 20% aus. Nach weiteren Rückfällen und Behandlungen verlor der Versicherte im Juni 2019 seine Tätigkeit als Projektleiter bei der C.__ AG während anhaltender voller Arbeitsunfähigkeit. Gestützt auf eine Rückfallmeldung sprach die Suva dem Versicherten ab 1. April 2020 eine Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von 32% und einem versicherten Jahresverdienst von Fr. 71'049.- (später im Einspracheentscheid auf Fr. 73'130.- erhöht) zu. Eine Erhöhung der Integritätsentschädigung lehnte die Suva ab.

Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen hob in seiner ersten Entscheidung (2022) den versicherten Verdienst auf Fr. 101'747.- an, wies die Beschwerde im Übrigen aber ab. Das Bundesgericht wies die Sache 2023 zur neuen Entscheidung an das kantonale Gericht zurück, insbesondere zur Einholung eines polydisziplinären Gerichtsgutachtens (Asim-Gerichtsgutachten vom 31. Dezember 2023). Basierend auf diesem Gutachten sprach das kantonale Gericht in seiner zweiten Entscheidung (20. August 2024) dem Versicherten eine Invalidenrente ab 1. April 2020 mit einem Invaliditätsgrad von 55% und einem versicherten Verdienst von Fr. 100'039.- zu, zuzüglich 5% Verzugszins ab 1. April 2022. Zudem erhöhte es die Integritätsentschädigung um 10% auf total 30%.

3. Rechtliche Grundlagen und Prüfungsraster des Bundesgerichts Das Bundesgericht prüft Rechtsverletzungen nach Art. 95 und 96 BGG und wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Im Bereich der Geldleistungen der Militär- und Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG). Massgeblich für die Beurteilung ist der Sachverhalt, wie er sich bis zum Erlass des Einspracheentscheides der Suva vom 18. August 2020 verwirklicht hat. Neue Begehren vor Bundesgericht sind unzulässig (Art. 99 Abs. 2 BGG).

4. Hauptstreitpunkte und detaillierte Begründung des Bundesgerichts

4.1. Beweiswert und Würdigung des Asim-Gerichtsgutachtens / Gesundheitszustand und Arbeitsfähigkeit Das kantonale Gericht stützte sich auf das Asim-Gerichtsgutachten, das es als voll beweiskräftig erachtete. Die Suva bestritt dessen Beweiswert unter Berufung auf eigene Aktenbeurteilungen und eine Zweitmeinung.

  • Beweiswürdigung durch das Bundesgericht: Das Bundesgericht bekräftigt, dass Gerichte von Gerichtsgutachten nicht ohne zwingende Gründe abweichen (BGE 143 V 269 E. 6.2.3.2). Es bestätigt die vorinstanzliche Beweiswürdigung, dass dem umfassenden polydisziplinären Asim-Gerichtsgutachten, welches auf persönlichen Untersuchungen und der vollständigen Aktenlage basiert, ein höherer Beweiswert zukommt als den reinen Aktenbeurteilungen der Suva-Ärzte. Die Suva konnte keine zwingenden Gründe aufzeigen, die das Abstellen auf das Asim-Gutachten grundsätzlich verbieten würden.
  • Korrektur der zeitlichen Abstufung der Arbeitsunfähigkeit: Die Vorinstanz ging von einer Arbeitsunfähigkeit von 50% ab dem 1. April 2020 aus. Das Bundesgericht rügt dies als bundesrechtswidrige Sachverhaltsfeststellung und willkürlich. Gestützt auf die präzisen Angaben des orthopädischen Asim-Gutachters Prof. Dr. med. G.__ war der Versicherte bis 2019 in seiner angestammten und angepassten Tätigkeit als Projektleiter im Informatikbereich voll arbeitsfähig. Aufgrund zunehmender Rückenschmerzen reduzierte sich die Arbeitsfähigkeit in einer optimal angepassten Tätigkeit ab 2019 auf 70% (d.h. 30% Arbeitsunfähigkeit) und seit April 2023 auf 50% (d.h. 50% Arbeitsunfähigkeit). Für den massgebenden Rentenbeginn am 1. April 2020 ist somit von einer unfallbedingten Einschränkung der Leistungsfähigkeit von 30% auszugehen.
  • Weitere Schritte: Die Feststellungen zur weiteren Verschlechterung ab April 2023 sind von der Suva in einem separaten Verwaltungsverfahren zu prüfen.

4.2. Berechnung des Invaliditätsgrades (IG) und Einkommensvergleich Das kantonale Gericht ermittelte den Invaliditätsgrad nach der Methode des Prozentvergleichs.

  • Methode des Einkommensvergleichs: Das Bundesgericht erläutert, dass bei erwerbstätigen Versicherten in der Regel ein Einkommensvergleich nach Art. 16 ATSG durchzuführen ist, bei dem Validen- und Invalideneinkommen ziffernmässig ermittelt und gegenübergestellt werden. Ist die Berechnung beider Einkommen jedoch vom gleichen statistischen Lohn auszugehen, entspricht der Invaliditätsgrad dem Grad der Arbeitsunfähigkeit, unter Berücksichtigung eines allfälligen leidensbedingten Abzugs vom Tabellenlohn (max. 25%). Dies stellt keine alte "Prozentvergleichsmethode" dar, sondern eine "rechnerische Vereinfachung" (BGE 135 V 297 E. 5.2). Das Bundesgericht bestätigt die Wahl dieser Methode durch die Vorinstanz, da A.__s Angaben zu einem höheren Valideneinkommen (basierend auf eigenen Angaben zu 58.14% Pensum für sein 2019er Einkommen) nicht als hinreichend verlässliche Grundlage akzeptiert wurden.
  • Leidensbedingter Tabellenlohnabzug: Die Vorinstanz gewährte zusätzlich zur medizinisch ausgewiesenen 30%igen Leistungseinschränkung einen leidensbedingten Abzug von 10% vom Tabellenlohn. Die Suva forderte 0%, der Versicherte 25%. Das Bundesgericht bestätigt den Abzug von 10%. Es begründet dies damit, dass der Versicherte gemäss Asim-Gutachten das attestierte Leistungsvermögen eines 70%-Pensums nicht in einer normalen 8-17 Uhr, Montag bis Freitag Arbeitsstelle erfüllen könnte. Die unfallbedingten Gesundheitsschäden erfordern notwendige Entlastungs- und Therapiezeiten, eine freie Einteilbarkeit der Aufgabenerfüllung und eine Verteilung der Arbeitszeiten auf die ganze Woche. Dies rechtfertigt den Abzug, da die 30%ige Arbeitsunfähigkeit allein diese umfassenden Limitierungen nicht abbildet (BGE 126 V 75 E. 5b/bb).
  • Resultierender Invaliditätsgrad: Ausgehend von 30% Arbeitsunfähigkeit und einem leidensbedingten Tabellenlohnabzug von 10% resultiert ein Invaliditätsgrad von 37% (= 100 - [70 x 0.9]).

4.3. Bestimmung des versicherten Verdienstes (VV) Die Vorinstanz legte den versicherten Verdienst gemäss Art. 24 Abs. 2 UVV auf Fr. 100'039.- fest, basierend auf dem Tabellenlohn gemäss Lohnstrukturerhebung (LSE) 2018 für "Informations- und Kommunikationstechniker".

  • Anwendung von Art. 24 Abs. 2 UVV: Das Bundesgericht korrigiert die Vorinstanz in diesem entscheidenden Punkt. Es hält an seiner ständigen Rechtsprechung fest (BGE 140 V 41 E. 6.4.2.2; 127 V 165 E. 3b; 147 V 213 E. 3.4.4), wonach die Sonderregel des Art. 24 Abs. 2 UVV die Anpassung des vor dem Unfall erzielten Lohns an die normale Lohnentwicklung im angestammten Tätigkeitsbereich bezweckt. Sie ermöglicht es nicht, von einem hypothetischen statistischen Einkommen (LSE-Tabellen) auszugehen oder eine vom Versicherten angestrebte berufliche Weiterentwicklung und damit eine mutmasslich realisierte Lohnerhöhung zu berücksichtigen, wenn ein tatsächlicher Lohn vor dem Unfall bekannt ist. Es ist stets am angestammten Arbeitsverhältnis anzuknüpfen.
  • Resultierender versicherter Verdienst: Der Eventualantrag der Suva ist begründet. Massgebend ist der von der Suva im Einspracheentscheid vom 18. August 2020 festgesetzte und an die Nominallohnentwicklung angepasste versicherte Verdienst von Fr. 73'130.-.

4.4. Verzugszins Die Zusprache eines Verzugszinses von 5% auf den ausstehenden Rentenleistungen ab 1. April 2022 gemäss Art. 26 Abs. 2 ATSG in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 ATSV wurde von keiner Partei beanstandet und wird vom Bundesgericht bestätigt.

4.5. Parteientschädigung für das Einspracheverfahren Der Versicherte rügte die Verweigerung einer Parteientschädigung für das Einspracheverfahren durch die Vorinstanz.

  • Grundsatz im Einspracheverfahren: Das sozialversicherungsrechtliche Einspracheverfahren ist kostenlos, und Parteientschädigungen werden in der Regel nicht ausgerichtet (Art. 52 Abs. 3 ATSG). Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn der Einsprecher im Falle des Unterliegens Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung nach Art. 37 Abs. 4 ATSG hätte beanspruchen können, aber obsiegt (BGE 140 V 116 E. 3.3).
  • Anwendung auf den Fall: Der Versicherte hat zu keinem Zeitpunkt um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ersucht und seinen Antrag auf Parteientschädigung im Einspracheverfahren auch nicht substanziiert begründet oder Nachweise eingereicht. Das Bundesgericht bestätigt, dass die Vorinstanz Bundesrecht nicht verletzt hat, indem sie keine Parteientschädigung für das Einspracheverfahren zusprach.

5. Schlussfolgerung des Bundesgerichts Das Bundesgericht heisst die Beschwerde der Suva teilweise gut und weist die Beschwerde des Versicherten ab, soweit darauf eingetreten werden kann.

  • Der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 20. August 2024 und der Einspracheentscheid der Suva vom 18. August 2020 werden hinsichtlich der Invalidenrente aufgehoben.
  • Die Suva wird angewiesen, dem Versicherten mit Wirkung ab 1. April 2020 eine Invalidenrente basierend auf einem Invaliditätsgrad von 37% und einem versicherten Verdienst von Fr. 73'130.-, zuzüglich Zins von 5% seit 1. April 2022 auf den ausstehenden Rentenleistungen, auszurichten.
  • Die Akten werden zur Prüfung der Leistungspflicht ab April 2023 und entsprechender Neuverfügung an die Suva überwiesen.
  • Die Integritätsentschädigung (Erhöhung auf 30%) war unangefochten in Teilrechtskraft erwachsen.

6. Kosten und Parteientschädigung im bundesgerichtlichen Verfahren * A.__ (Verfahren 8C_556/2024): Unterliegt in den wesentlichen Punkten (höherer VV, höherer IG, Parteientschädigung für Einspracheverfahren). Ihm werden Gerichtskosten von Fr. 1'200.- auferlegt. * Suva (Verfahren 8C_570/2024): Obsiegt teilweise, da die vom Kantonsgericht zugesprochenen Rentenleistungen (IG und VV) auf das Niveau des Suva-Einspracheentscheids reduziert werden. Da sie jedoch die vollständige Aufhebung und Verneinung eines Rentenanspruchs (reformatio in peius) beantragte, was abgelehnt wurde, obsiegt sie nur teilweise. Ihr werden Gerichtskosten von Fr. 400.- auferlegt und sie hat dem Versicherten eine reduzierte Parteientschädigung von Fr. 1'500.- zu zahlen. * Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen kantonalen Verfahrens an das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen zurückgewiesen.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  1. Beweiswürdigung: Das Bundesgericht bestätigt den vollen Beweiswert des polydisziplinären Asim-Gerichtsgutachtens, lehnt die Aktenbeurteilungen der Suva ab.
  2. Arbeitsunfähigkeit: Für den Rentenbeginn (1. April 2020) wird eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit von 30% festgelegt, nicht 50% wie von der Vorinstanz angenommen. Eine weitere Verschlechterung ab April 2023 muss die Suva neu prüfen.
  3. Invaliditätsgrad: Der Invaliditätsgrad wird auf 37% festgesetzt, basierend auf 30% Arbeitsunfähigkeit und einem zusätzlichen leidensbedingten Tabellenlohnabzug von 10% (begründet durch die Notwendigkeit flexibler Arbeitsgestaltung).
  4. Versicherter Verdienst: Der versicherte Verdienst wird auf Fr. 73'130.- festgesetzt. Das Bundesgericht korrigiert die Vorinstanz, da Art. 24 Abs. 2 UVV die Anpassung des vor dem Unfall erzielten Lohns an die normale Lohnentwicklung verlangt und nicht die Annahme eines statistischen Hypothetikeinkommens aus der Lohnstrukturerhebung erlaubt.
  5. Parteientschädigung für Einspracheverfahren: Kein Anspruch des Versicherten auf Parteientschädigung für das Einspracheverfahren, da keine unentgeltliche Verbeiständung beansprucht wurde.
  6. Resultat: Der Versicherte erhält eine Invalidenrente ab 1. April 2020 basierend auf einem Invaliditätsgrad von 37% und einem versicherten Verdienst von Fr. 73'130.-, zuzüglich 5% Verzugszins ab 1. April 2022.