Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts detailliert zusammen:
Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts vom 10. Juli 2025 (4A_577/2024)
Parteien:
* Beschwerdeführerin (Beklagte): Bank A._ AG
* Beschwerdegegnerin (Klägerin): B._ (Tochter des Kunden C.__)
Gegenstand: Banküberweisungen; Legitimationsmangel.
Vorinstanz: Handelsgericht des Kantons Zürich (Urteil vom 1. Oktober 2024, HG210167-O).
Entscheid des Bundesgerichts: Die Beschwerde der Bank A.__ AG wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.
I. Sachverhalt und Prozessgeschichte
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Kontobeziehung und AGB: Im November 2008 eröffneten C._ (spanisch-venezolanischer Doppelbürger, verstorben am 28. August 2023) und seine Tochter, B._, bei der Bank A._ AG (nachfolgend die Bank) eine Oder-Kontobeziehung in Zürich. C._ war der Hauptvermögensinhaber und -verwalter; B.__ war inaktiv. Das Konto unterlag den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der Bank, die insbesondere eine Banklagernderklärung mit Zustellungsfiktion sowie eine Beanstandungs- bzw. Genehmigungsfiktion (Ziff. 12 AGB) enthielten: Reklamationen mussten sofort, spätestens innerhalb der von der Bank gesetzten Frist, erfolgen, bei Kontoauszügen innert eines Monats, ansonsten sie als genehmigt galten. Ziff. 2 der AGB enthielt eine Risikotransferklausel, wonach der Kunde Schäden aus Fälschungen oder mangelhafter Legitimationsprüfung trägt, es sei denn, die Bank sei grobfahrlässig. Ziff. 3 AGB regelte die Handlungsunfähigkeit.
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Umfstrittene Überweisungen und Kontoschliessung: Zwischen 2015 und 2016 erfolgten diverse Überweisungen von insgesamt rund USD 6.7 Mio. zugunsten von E._ (Lebenspartnerin von C._) bzw. deren Tochter und Enkelin. Ende Oktober 2016 wurden die Gemeinschaftskonten saldiert und die Bankbeziehung geschlossen; verbleibende Mittel wurden auf ein Einzelkonto von C._ bei derselben Bank übertragen. B._ wurde abgesehen von der banklagernden Korrespondenz nicht über die Überweisungen informiert. Erst im Oktober 2018 erfuhr sie von der Kontoschliessung.
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Vorgeschichte der Handlungsunfähigkeit und Strafverfahren:
- Im März 2019 leitete B._ in Madrid ein Erwachsenenschutzverfahren gegen C._ ein. Im Juli 2019 wurden vorsorgliche Massnahmen angeordnet (Vermögensverwaltung auf Vormundschaftsbehörde übertragen, Generalvollmacht zugunsten E._ suspendiert). Im Juni 2021 wurde C._ endgültig für handlungsunfähig erklärt (Demenz mit fortschreitendem kognitivem Verfall), E.__ als Vormund abgelehnt (da sie durch die Schenkungen Millionenverluste verursacht hatte), und die Generalvollmacht aufgehoben.
- Parallel wurde eine Strafanzeige betreffend die Überweisungen in Madrid eingereicht. Das Strafverfahren wurde im Juni 2021 eingestellt, da nicht mit Sicherheit festgestellt werden konnte, dass C.__s geistige Fähigkeiten zum Zeitpunkt der Instruktionen beeinträchtigt waren.
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Klage und Vorinstanzliches Urteil: B.__ erhob Klage beim Handelsgericht des Kantons Zürich mit einem Erfüllungsanspruch gegen die Bank, da diese die Überweisungen ohne gehörige Instruktionen ausgeführt habe. Die Bank berief sich auf gehörige Instruktionen, alternativ auf die Risikotransferklausel und die Genehmigungsfiktion.
- Das Handelsgericht verpflichtete die Bank zur Zahlung von USD 333'333.-- nebst Zins. Es bejahte, dass die Bank bezüglich einer spezifischen Überweisung von USD 3.5 Mio. am 7. September 2016 (Teilbetrag USD 500'000.-- eingeklagt) keinen Nachweis einer gehörigen Instruktion durch C._ erbracht habe. Die Bank habe grobfahrlässig gehandelt, indem sie diese Instruktion nicht von C._ rückbestätigen liess. Daher könne sich die Bank weder auf die Risikotransferklausel noch auf die Genehmigungsfiktion berufen. Der Erfüllungsanspruch der Klägerin wurde jedoch um einen Drittel reduziert (Mitverschulden gemäss Art. 44 OR). Für die übrigen Überweisungen verneinte das Handelsgericht einen Erfüllungsanspruch der Klägerin.
II. Rechtliche Würdigung durch das Bundesgericht
A. Anwendbares Recht und Klagequalifikation
Das Bundesgericht stellt fest, dass auf die Kontobeziehung schweizerisches materelles Recht anwendbar ist, während die Handlungsfähigkeit von C.__ (ab 2014 in Madrid wohnhaft) nach spanischem Recht (Art. 35 Satz 1 IPRG) zu beurteilen ist.
Die Beschwerdeführerin rügt die Qualifikation der Klage als Erfüllungsklage, da sie eine Haftungsklage sei. Das Bundesgericht bestätigt jedoch seine ständige Rechtsprechung, wonach bei Legitimationsmängeln (z.B. Überweisungen aufgrund angeblich gefälschter Instruktionen) die Erfüllungsklage zur Verfügung steht (vgl. BGE 149 III 105 E. 4.3; 146 III 387 E. 3.2). Eine Praxisänderung sei nicht angezeigt.
B. Prüfschema des Bundesgerichts
Das Bundesgericht hält fest, dass das Handelsgericht das korrekte, dreistufige Prüfschema angewandt hat:
1. Erfolgten die Transaktionen mit oder ohne Auftrag des Kunden? Hierzu gehört die Prüfung einer vorgängigen Instruktion oder einer nachträglichen Genehmigung (inkl. Genehmigungsfiktion, Zustellungsfiktion). Die Genehmigungsfiktion setzt objektive Möglichkeit und Zumutbarkeit der Beanstandung voraus.
2. Ist der Schaden von der Bank zu tragen oder gilt eine vertragliche Risikotransferklausel? Die Bank kann sich nicht auf eine Risikotransferklausel berufen, wenn sie grobfahrlässig gehandelt hat (BGE 146 III 326 E. 6.1).
3. Verfügt die Bank über einen Schadenersatzanspruch gegen die Kundschaft (Verrechnung)? Dies ist der Fall, wenn die Kundschaft schuldhaft zur Schadensverursachung oder -vergrösserung beigetragen hat (Mitverschulden, Art. 44 OR; BGE 146 III 387 E. 6.1).
C. Prüfung der Überweisung von USD 3.5 Mio. am 7. September 2016
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Mangelnder Nachweis einer gehörigen Instruktion (Echtheit der Unterschrift)
- Beweiswürdigung der Unterschrift: Das Handelsgericht verneinte den Nachweis der Echtheit der Unterschrift von C.__ auf der Instruktion vom 6. September 2016. Das Bundesgericht schützt diese willkürfreie Beweiswürdigung.
- Privatgutachten I.: Die Bank rügte, das Handelsgericht habe ein im spanischen Strafverfahren erstelltes Gutachten zu Unrecht als Privatgutachten gewertet. Das Bundesgericht verweist auf die zum Zeitpunkt des Urteils geltende ZPO, wonach Privatgutachten grundsätzlich als qualifizierte Parteibehauptungen gelten. Die Bank habe nicht nachgewiesen, dass es sich um ein gerichtlich bestelltes Gutachten im spanischen Verfahren gehandelt habe. Auch die Rüge der Gehörsverletzung wegen des Verzichts auf die Befragung des Gutachters I. wird abgewiesen, da das Gericht in antizipierter Beweiswürdigung annehmen durfte, dass die Befragung seine Überzeugung nicht beeinflusst hätte.
- "Von-blossem-Auge"-Vergleich: Das Handelsgericht stellte fest, dass die Unterschrift vom 6. September 2016 im Vergleich zur Referenzunterschrift im Kontoeröffnungsformular deutliche Unterschiede aufweise. Die Bank rügt die Auswahl der Referenzunterschrift als willkürlich. Das Bundesgericht hält die Wahl der bei der Bank hinterlegten Unterschrift für sachgerecht und die Schlussfolgerung, dass das Ergebnis des Vergleichs offensichtlich unhaltbar sei, wurde nicht dargetan.
- Telefonische Rückbestätigung mit C.__: Das Handelsgericht verneinte eine telefonische Rückbestätigung mit C._ selbst; die Rückbestätigung sei mit E._ erfolgt. Die Bank rügte, die Beschwerdegegnerin habe dies nicht substantiiert bestritten. Das Bundesgericht verneint dies: Die Beschwerdegegnerin habe die Behauptung der Bank, mit C._ gesprochen zu haben, implizit und ausreichend bestritten. Die vorinstanzliche Würdigung, die Angaben der Bank (angeblicher Telefonsystemausfall, Nutzung Mobiltelefon ohne Dokumentation) seien unglaubhaft, wird bestätigt. Auch der Verzicht auf die Befragung der Kundenberaterin D._ in antizipierter Beweiswürdigung (fehlende konkrete Behauptungen zum Inhalt des Gesprächs, Näheverhältnis D._ zu Bank und E._, Zeitablauf) ist nicht willkürlich.
- Notarielle Erklärung von C.__ vom 11. April 2019: C._ erklärte darin, sich "perfekt" an ein Telefonat mit D._ zur Bestätigung der Zahlung zu erinnern. Das Handelsgericht mass dem geringen Beweiswert bei (nicht echtzeitlich, im Hinblick auf Rechtsstreit). Das Bundesgericht stützt dies, zumal die Erklärung keine Unterschriftsbestätigung enthält und kurz darauf C.__s kognitiver Abbau gerichtlich festgestellt wurde. Die Rüge einer willkürlichen Anwendung spanischen Rechts bezüglich der notariellen Feststellung der Urteilsfähigkeit wird abgewiesen; der Notar war für diese Art von Urkunde ("Acta Notarial") nicht verpflichtet, die Handlungsfähigkeit zu bestätigen.
- Weitere Indizien: Auch die Würdigung weiterer Indizien (Schenkungsvertrag, E-Mail des Rechtsanwalts F.__, "zweites Original" der Instruktion) als nicht ausreichend, um die Echtheit der Instruktion zu beweisen, wird vom Bundesgericht geschützt.
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Grobfahrlässigkeit der Bank und die Risikotransferklausel
- Das Bundesgericht schützt die Feststellung des Handelsgerichts, wonach die Bank grobfahrlässig gehandelt hat und sich daher nicht auf die Risikotransferklausel berufen kann.
- Das Handelsgericht begründete die grobe Fahrlässigkeit mit einer Kumulation von Verdachtsmomenten: Die Unterschrift wich stark ab; die Instruktion war computergeschrieben; der Betrag von USD 3.5 Mio. war aussergewöhnlich hoch (zusammen mit einer früheren Überweisung die Hälfte des Kontovermögens); die interne Weisung der Bank erlaubte Fax-Aufträge nur bis CHF 5 Mio.; eine frühere Überweisung schuf Missbrauchspotential; und vor allem erfolgte die Rückbestätigung nicht bei C._ selbst, sondern bei E._, die Begünstigte der Transaktion war. Dies begründete eine erhöhte Prüfobliegenheit der Bank.
- Rückbestätigung bei E.__: Die Bank rügte, die Bestätigung durch die generalbevollmächtigte E._ hätte ausreichen müssen (Art. 100 Abs. 1 OR, Art. 32 ff. OR). Das Bundesgericht verneint dies. Es präzisiert die zitierte Rechtsprechung (Urteil 4A_379/2016): Hier ging es nicht darum, eine Instruktion der Vertreterin E._ entgegenzunehmen, sondern die Authentizität einer angeblich vom Prinzipal C.__ erteilten Instruktion zu überprüfen. Dafür war eine Nachfrage bei der Begünstigten E.__ ungeeignet und als grobfahrlässig zu werten.
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Zustellungs- und Genehmigungsfiktion
- Die Bank berief sich darauf, dass die Überweisung aufgrund der Zustellungs- und Genehmigungsfiktion als genehmigt gelte, da sie C._ monatlich Kontoauszüge zugestellt habe. Das Bundesgericht bestätigt die vorinstanzliche Würdigung, dass die Bank nicht nachgewiesen habe, dass die Zustellung von Korrespondenz systematisch erfolgte, sondern lediglich "auf Wunsch". Es wurde nicht dargelegt, welche spezifischen Dokumente die Bank C._ zugestellt hätte, die die streitgegenständliche Überweisung ausweisen. Eine allgemeine Bestätigung eines Kontostands durch C.__ wurde nicht als Genehmigung der Überweisung gewertet.
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Mitverschulden der Beschwerdegegnerin (Art. 44 Abs. 1 OR)
- Das Handelsgericht reduzierte den Erfüllungsanspruch der Klägerin um einen Drittel wegen Mitverschuldens (B.__ hätte die banklagernden Dokumente prüfen müssen). Die Bank rügte, dieses Verschulden sei zu gering gewichtet worden.
- Das Bundesgericht weist die Rüge ab. Das Handelsgericht habe sein Ermessen (Art. 99 Abs. 3 i.V.m. Art. 44 Abs. 1 OR) nicht willkürlich ausgeübt. Das Verschulden der Klägerin (nicht regelmässige Überprüfung der banklagernden Korrespondenz ohne konkreten Anlass) wurde als "leicht" und im Verhältnis zur groben Fahrlässigkeit der Bank als deutlich untergeordnet erachtet. B.__ musste nicht damit rechnen, dass die Bank eine so hohe Überweisung ohne hinreichende Verifizierung ausführen würde.
III. Schlussfolgerung
Das Bundesgericht weist die Beschwerde der Bank A._ AG ab und bestätigt das Urteil des Handelsgerichts, wonach die Bank einen Teilbetrag an B._ zu zahlen hat.
Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:
Das Bundesgericht bestätigt im vorliegenden Fall die Haftung der Bank für eine unrechtmässige Überweisung von USD 3.5 Mio. von einem Oder-Konto. Es bekräftigt, dass bei Legitimationsmängeln ein Erfüllungsanspruch des Kunden besteht. Die Bank konnte die Echtheit der Instruktion durch den Kunden C._ nicht beweisen. Das Bundesgericht schützt die vorinstanzliche Feststellung, dass die Bank grobfahrlässig gehandelt hat, indem sie die Überweisung trotz zahlreicher Verdachtsmomente (abweichende Unterschrift, hoher Betrag, computergeschriebene Instruktion, intern anwendbare Limiten) nicht direkt bei C._, sondern bei der Begünstigten E._ rückbestätigte. Diese grobe Fahrlässigkeit führte dazu, dass sich die Bank nicht auf die vertragliche Risikotransferklausel oder die Genehmigungsfiktion berufen konnte. Das Mitverschulden der Klägerin B._ (mangelnde Kontrolle der banklagernden Korrespondenz) wurde als leicht beurteilt und führte zu einer moderaten Reduktion des Anspruchs um einen Drittel, ohne dass das Bundesgericht hierin eine willkürliche Ermessensausübung sah.