Gerne fasse ich das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts 8C_683/2024 vom 11. August 2025 detailliert zusammen:
Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Bundesgerichts 8C_683/2024 vom 11. August 2025
1. Einleitung und Parteien
Das Urteil betrifft eine Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten im Bereich der Arbeitslosenversicherung. Beschwerdeführer ist A.__, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Ioannis Athanasopoulos. Beschwerdegegnerin ist die Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich. Gegenstand des Verfahrens ist die Rückerstattung zu Unrecht bezogener Arbeitslosenentschädigung und die Frage der Verwirkung des Rückforderungsanspruchs.
2. Sachverhalt und Prozessgeschichte
Der 1984 geborene A._ meldete sich am 5. September 2016 zur Arbeitsvermittlung an und beantragte ab 1. September 2016 Leistungen der Arbeitslosenversicherung. Er gab an, u.a. vom 1. Januar bis 31. August 2016 beim Verein B._ tätig gewesen zu sein. Basierend auf diesen Angaben erhielt er bis zum 11. Oktober 2018 Taggeldleistungen.
Nach einer internen Revision im April 2019 forderte die Arbeitslosenkasse A._ mit Verfügung vom 21. April 2020 zur Rückerstattung von CHF 130'066.70 für den Zeitraum vom 10. Oktober 2016 bis 12. September 2018 auf, da der geltend gemachte Lohn aus der Tätigkeit beim Verein B._ nicht nachgewiesen werden konnte. Der Einspracheentscheid vom 22. September 2020 hielt an dieser Forderung fest.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die Beschwerde von A._ mit Urteil vom 30. August 2022 ab. Gegen dieses Urteil gelangte A._ an das Bundesgericht, welches die Beschwerde teilweise guthiess und die Sache zur Prüfung eines Rückkommenstitels für die Rückerstattung an das Sozialversicherungsgericht zurückwies (Urteil 8C_633/2022 vom 20. September 2023).
Mit dem hier angefochtenen Urteil vom 27. September 2024 wies das Sozialversicherungsgericht die Beschwerde erneut ab und bejahte einen Rückkommenstitel. Dagegen erhebt A.__ wiederum Beschwerde an das Bundesgericht mit dem Antrag, die Verwirkung der allfälligen Rückforderung festzustellen oder die Sache zur Neubeurteilung zurückzuweisen.
3. Massgebende Rechtsgrundlagen und frühere bundesgerichtliche Rechtsprechung
- Versicherter Verdienst (Art. 23 Abs. 1 AVIG): Als versicherter Verdienst gilt der im Sinne der AHV-Gesetzgebung massgebende Lohn, der während eines Bemessungszeitraumes tatsächlich erzielt wurde. Eine abweichende Lohnabrede zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist grundsätzlich unbeachtlich. Abweichungen rechtfertigen sich nur, wo ein Missbrauch (z.B. Vereinbarung fiktiver Löhne) praktisch ausgeschlossen werden kann (BGE 131 V 444 E. 3.2.1; 128 V 189 E. 3). Massgebend ist die unter objektivem Gesichtswinkel zu bejahende Missbrauchsgefahr.
- Beweis des Lohnflusses: Für den tatsächlichen Lohnfluss genügen Belege über entsprechende Zahlungen auf ein auf den Namen des Arbeitnehmers lautendes Post- oder Bankkonto. Bei behaupteter Barauszahlung sind Lohnquittungen und Auskünfte von ehemaligen Mitarbeitern (Zeugenaussagen) relevant. Arbeitgeberbescheinigungen, unterzeichnete Lohnabrechnungen und Steuererklärungen sowie Einträge im Individuellen Konto (IK) stellen höchstens Indizien dar (BGE 131 V 444 E. 1.2). Eine mangelnde Bestimmbarkeit der Lohnhöhe kann zur Verneinung eines Anspruchs auf Arbeitslosenentschädigung führen.
- Rückerstattung und Verwirkungsfristen (Art. 25 ATSG): Unrechtmässig bezogene Leistungen sind zurückzuerstatten (Abs. 1). Der Rückforderungsanspruch erlischt mit Ablauf eines Jahres, nachdem die Versicherungseinrichtung Kenntnis davon erhalten hat (relative Frist), spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Jahren nach Entrichtung der einzelnen Leistung (absolute Frist). Es handelt sich um Verwirkungsfristen (BGE 148 V 217 E. 2.1).
- Prozessuale Revision (Art. 53 Abs. 1 ATSG): Formell rechtskräftige Verfügungen können in Revision gezogen werden, wenn die versicherte Person oder der Versicherungsträger nach deren Erlass erhebliche neue Tatsachen entdeckt oder Beweismittel auffindet, deren Beibringung zuvor nicht möglich war.
- Neu: Tatsachen, die sich vor dem Entscheid verwirklicht, aber dem Revisionsgesuchsteller trotz hinreichender Sorgfalt nicht bekannt waren.
- Erheblich: Die Tatsachen müssen geeignet sein, die tatbeständliche Grundlage des Entscheids zu verändern und bei zutreffender rechtlicher Würdigung zu einer anderen Entscheidung zu führen.
- Fristen: Die Revision muss innert 90 Tagen nach Entdeckung des Revisionsgrundes (relative Frist) und innert einer absoluten Frist von 10 Jahren seit Eröffnung der Verfügung geltend gemacht werden (Art. 67 Abs. 1 VwVG i.V.m. Art. 55 Abs. 1 ATSG).
- Beginn des Fristenlaufs: Die relative 90-Tages-Frist beginnt zu laufen, sobald bei der Partei, die sich auf den Revisionsgrund beruft, sichere Kenntnis über die neue erhebliche Tatsache vorliegt. Sind Abklärungen erforderlich, hat die Verwaltung diese innert angemessener Frist durchzuführen. Tut sie dies nicht, beginnt die Frist, sobald die Verwaltung ihre Kenntnis mit dem erforderlichen und zumutbaren Einsatz hätte ergänzen können (BGE 143 V 105 E. 2.4).
- Wiedererwägung (Art. 53 Abs. 2 ATSG): Dient der Korrektur eines Rechtsanwendungsfehlers, d.h. wenn die Verfügung auf einer fehlerhaften Rechtsanwendung beruht oder eine erkennbare Abklärungslücke bestand. Im Gegensatz zur Revision geht es hier nicht um unverschuldet unbekannte Tatsachen.
4. Begründung des kantonalen Sozialversicherungsgerichts
- Ablehnung der Wiedererwägung: Die Vorinstanz erachtete es noch als vertretbar, dass die Arbeitslosenkasse die Taggeldleistungen ursprünglich gestützt auf Indizien (Arbeitsvertrag, Kündigung, Arbeitgeberbescheinigung, Lohnabrechnungen) annahm. Ein anfänglicher Rechtsanwendungsfehler, der eine Wiedererwägung gemäss Art. 53 Abs. 2 ATSG rechtfertigen würde, wurde verneint.
- Bejahung der prozessualen Revision: Die Vorinstanz stellte fest, dass eine beitragspflichtige Beschäftigung beim Verein B.__ mit einem tatsächlichen Lohnfluss in den Monaten Januar bis August 2016 nicht bewiesen sei. Dies stelle eine neue, erhebliche Tatsache dar.
- Wahrung der 90-tägigen Revisionsfrist:
- Die Arbeitslosenkasse zahlte die Taggelder basierend auf den von A.__ eingereichten Unterlagen aus.
- Ein erster IK-Auszug vom 22. Februar 2017 wies den behaupteten Lohn nicht aus, jedoch drängten sich zu diesem Zeitpunkt laut Vorinstanz noch keine weiteren Abklärungen auf, da IK-Auszüge oft erst später nachgeführt werden.
- Erst die interne Revision im April 2019 führte zu einem Verdacht und leitete vertiefte Untersuchungen ein.
- Massgebende neue Indizien waren der Einschätzungsentscheid des Steueramtes vom April 2018 (steuerbares Einkommen 2016 auf Fr. 10'000.- festgesetzt), ein zweiter IK-Auszug vom Mai 2019 (ohne deklariertes Einkommen) und die Information, dass der Arbeitgeber keinen Lohn abgerechnet hatte (E-Mail vom 3. September 2019).
- Die Arbeitslosenkasse forderte daraufhin detaillierte Buchhaltungsunterlagen vom Arbeitgeber und weitere Beweise von A.__ an.
- Die Vorinstanz kam zum Schluss, die Arbeitslosenkasse habe erst dann sichere Kenntnis darüber erlangt, dass A._ den behaupteten Lohn nicht bezogen hatte, als die angeforderten Buchhaltungsunterlagen trotz der mehrfach gesetzten Fristen (zuletzt 28. Februar 2020 für A._) nicht eingereicht wurden.
- Da die Rückforderungsverfügung am 21. April 2020 erging, sei die 90-tägige relative Revisionsfrist ab dem 28. Februar 2020 gewahrt. Auch die einjährige relative und die zehnjährige absolute Verwirkungsfrist von Art. 25 Abs. 2 ATSG seien eingehalten worden.
5. Erwägungen des Bundesgerichts
- Sachverhaltswürdigung der Vorinstanz: Das Bundesgericht erachtete die vorinstanzliche Feststellung, dass es nicht überwiegend wahrscheinlich sei, dass A._ eine beitragspflichtige Beschäftigung mit tatsächlichem Lohnfluss beim Verein B._ ausgeübt habe, als nicht willkürlich oder bundesrechtsverletzend. A.__s Einwendungen – wie der Verweis auf seinen Lebensstil, Zeugenaussagen, die bereits in schriftlicher Form vorlagen und die das Gericht in antizipierter Beweiswürdigung als nicht geeignet zur Ausräumung der Unstimmigkeiten erachtete (vgl. BGE 147 IV 534 E. 2.5.1), sowie ein psychiatrisches Schreiben, das zudem ein unzulässiges Novum darstellen könnte – wurden als nicht stichhaltig beurteilt.
- Beginn des Fristenlaufs der Revisionsfrist: Das Bundesgericht wies das Vorbringen von A.__ zurück, die 90-tägige Revisionsfrist hätte bereits mit dem IK-Auszug vom 22. Februar 2017 zu laufen beginnen müssen. Es bestätigte die vorinstanzliche Auffassung, dass zu diesem frühen Zeitpunkt noch keine weiteren Abklärungen zwingend waren, da das IK oft erst später aktualisiert wird. Die Vorinstanz habe zu Recht angenommen, dass erst die interne Revision im April 2019 den Verdacht erhärtete und umfassende Abklärungen auslöste. Die weiteren Abklärungen durch die Arbeitslosenkasse erfolgten innert angemessener Frist (BGE 143 V 105 E. 2.4). Das Bundesgericht sah es daher als bundesrechtskonform an, den Beginn des Fristenlaufs für die "sichere Kenntnis" der Arbeitslosenkasse an die Ergebnisse der vertieften Abklärung, insbesondere an die ungenutzt abgelaufene Frist vom 28. Februar 2020 zur Einreichung der Buchhaltungsauszüge, zu knüpfen. Die 90-tägige relative Revisionsfrist wurde somit als gewahrt erachtet, womit die Rückerstattung im Grundsatz bundesrechtskonform ist.
- Verwirkungsfristen gemäss Art. 25 Abs. 2 ATSG: Da die 90-tägige Revisionsfrist gewahrt wurde, ist auch die einjährige relative Verwirkungsfrist eingehalten. Die Einhaltung der fünfjährigen absoluten Verwirkungsfrist wurde ebenfalls bestätigt, da die Leistungen im Oktober 2016 erstmals ausbezahlt wurden und die Rückforderung am 21. April 2020 erfolgte.
- Erlass der Rückerstattung: Die Vorbringen des Beschwerdeführers bezüglich "grosser Härte" oder "guten Glaubens" wurden vom Bundesgericht als verfrüht beurteilt. Diese Fragen sind im Rahmen eines allfälligen Erlassgesuchs nach Art. 25 Abs. 1 Satz 2 ATSG zu prüfen und waren nicht Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens.
6. Entscheid des Bundesgerichts
Das Bundesgericht wies die Beschwerde von A.__ ab.
Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:
- Streitpunkt: Rückforderung zu Unrecht bezogener Arbeitslosenentschädigung wegen nicht nachgewiesenem Lohnfluss aus einer Tätigkeit bei "Verein B.__".
- Rückkommenstitel: Das Bundesgericht bestätigte die Bejahung eines prozessualen Revisionsgrundes (Art. 53 Abs. 1 ATSG) durch die Vorinstanz, da der tatsächliche Lohnfluss nicht bewiesen werden konnte und dies eine neue, erhebliche Tatsache darstellte.
- Lohnnachweis: Die Vorinstanz durfte willkürfrei annehmen, dass A.__ den behaupteten Barlohn nicht rechtsgenüglich belegen konnte. Indizien wie Lohnabrechnungen oder Arbeitgeberbescheinigungen sind für den Nachweis eines tatsächlichen Lohnflusses unzureichend, wenn substanzielle Beweise fehlen.
- Fristenwahrung: Die 90-tägige relative Revisionsfrist (Art. 53 Abs. 1 ATSG) wurde von der Arbeitslosenkasse gewahrt. Der Fristenlauf begann erst, als die Verwaltung nach umfassenden Abklärungen und Ablauf von Fristen zur Einreichung von Buchhaltungsunterlagen sichere Kenntnis über den fehlenden Lohnfluss erlangte (konkret: 28. Februar 2020 als Stichtag für die Frist zur Dokumenteneinreichung). Ein früherer Beginn der Frist, etwa durch den ersten IK-Auszug, wurde vom Bundesgericht verneint.
- Verwirkungsfristen: Die einjährige relative und die fünfjährige absolute Verwirkungsfrist gemäss Art. 25 Abs. 2 ATSG wurden ebenfalls eingehalten.
- Erlassgesuch: Fragen des guten Glaubens oder einer grossen Härte für den Erlass der Rückforderung sind in einem separaten Erlassgesuch zu klären und waren nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
- Fazit: Die verfügte Rückerstattung der unrechtmässig bezogenen Leistungen ist im Grundsatz bundesrechtskonform. Die Beschwerde wurde abgewiesen.